ask23 > Lingner: Das Pruszkower Rhizom

Michael Lingner

Das Pruszkower Rhizom

BOX; 1997,32 cm x 53 cm x 53 cm, MDF, Eiche, Plexiglas, Pappe

Mario Ohno: Idee

Michael Lingner: Teller (Konzeption/Realisation)

Sven Temper: Box (Konzeption/Realisation)

DIE KÜNSTLERISCHE QUALITÄT IST ABHÄNGIG VON DER QUALITÄT DER KOMMUNIKATION

Das "Pruszkower Rhizom" / Private Set (griech. "rhizoma" = das Eingewurzelte; Bot.: Wurzelstock) ist als ein 18-teiliges, aus sechs Gedecken bestehendes Geschirr-Service in limitierter Auflage anläßlich eines deutsch-polnischen Künstleraustauschs 1993 in der Porzellanfabrik in Pruszkow (bei Warschau) produziert worden. Es präsentiert sich in der eigens entworfenen Box als ein skulpturales Objekt, das zur Ausrichtung außergewöhnlicher Essen in Gebrauch genommen, zum Tafelbild werden kann.

Beim Essen finden sich auf den Tellern vieldeutige Texte und Zeichen. Sie bilden ein feines, vielfältig verzweigtes Geflecht von Thesen und Fragen. Indem mit den Menütellern außergewöhnliche Aspekte des "Geschmacks" thematisiert werden, ergibt sich eine organische Verbindung zum Essen.

Das Geschirr-Service bietet nicht nur einen anregenden Rahmen für persönliche und kulturelle Gespräche, sondern auch den Reiz eines unterhaltsamen Spiels.

Vorspeise

Kunst ist ein Phänomen des ÜBERGANGS in der ZEIT. Woran wird das VERSCHWINDEN der Kunst erkennbar?

Kunst ist ein Phänomen des ÜBERGANGS in der ZEIT. Wird die Kunst in ZUKUNFT besser?

Kunst ist ein Phänomen des ÜBERGANGS in der ZEIT. Wird es weiter DINGE oder nur noch PROZESSE als Kunst geben?

Kunst hat die MORAL übergangen. Erweist sich die Sünde als SEGEN oder FLUCH des Künstlers?

Künstler übergehen die MORAL. Erweist sich die Sünde als SEGEN oder FLUCH des Werkes?

Werke werden die MORAL übergehen. Erweist sich die Sünde als SEGEN oder FLUCH der Kunst?

Der ALLTAG wird immer ästhetischer. Wird Kunst ein Phänomen des ÜBERGANGS bleiben?

Kunst wird immer ALLTÄGLICHER. Wird Kunst auch künftig die MORAL übergehen?

Wodurch wird ALLTÄGLICHKEIT zur ästhetischen Kategorie? Wird Kunst ihre FRAGWÜRDIGKEIT behalten?

Hauptgericht

GESCHMACK ist die Voraussetzung jeder KULTUR. Finden Sie, daß es ein RECHT auf Ästhetik gibt?

GESCHMACK bildet sich durch die Fähigkeit zu UNTERSCHEIDEN. Bevorzugen Sie es, ÄSTHETISCHE Unterscheidungen zu treffen?

GESCHMACKS-ENTSCHEIDUNGEN sind rein subjektiv und beliebig. Sehen Sie andere Möglichkeiten der SELBSTBESTIMMUNG?

GESCHMACK ist ZEITabhängig. Sind Ihre VORLIEBEN nicht von Dauer?

GESCHMACK wird auch durch die MORAL bestimmt. Wann ziehen Sie dem SCHÖNEN das GUTE oder das WAHRE vor?

GESCHMACK ist im ALLTAGSLEBEN unbrauchbar. Meinen Sie, sich eher aufgrund Ihres WISSENS oder GLAUBENS als nach Ihrer NEIGUNG entscheiden zu können?

Nachspeise

Kunst ist ein Phänomen des ÜBERGANGS zwischen VERGANGENHEIT und ZUKUNFT. In welcher ZEIT haben Sie gern gelebt?

Kunst ist ein Phänomen des ÜBERGANGS zur LIEBE. Von wem wurden Sie GEHASST?

Kunst gilt als ein ÜBERGANG bis zur Erlangung des wahren GLÜCKS. Hat das utopische Moment der Kunst ihre Zeitlosigkeit ausgemacht?

Autonome Kunst betrieb die TRENNUNG von Ästhetik und Ethik. Ist AIDS für Sie ein moralisches Problem?

LUST und SCHÖNHEIT sind die FEINDE der Moral. Wessen MORAL halten Sie für größer als seine VORLIEBEN?

WERTE werden in Kunst und Moral für unverzichtbar gehalten. Gehen das SCHÖNE und das GUTE verloren, wenn alle Werte widerlegbar sind?

Der ALLTAG ist immer ästhetischer geworden. Wann wurde Kunst für Sie ein Phänomen des ÜBERGANGS?

Kunst ist immer ALLTÄGLICHER geworden. Von wem wurde in der Kunst die Moral übergangen?

Warum ist ALLTÄGLICHKEIT als ästhetische Kategorie eingeführt worden? Wodurch wurde Kunst ihrer FRAGWÜRDIGKEIT beraubt?

Ästhetische UNTERSCHEIDUNGEN beruhen auch auf KONVENTIONEN. Wer verstieß zuletzt gegen Ihren GESCHMACK?

Jede künstlerische Haltung ist SPlELERlSCH. Fassen Sie EXISTENTIELLE Entschlüsse nach GESCHMACK?

Kunst schafft keine NORMEN für das Schöne. Wird es eine ALLGEMEINGÜLTIGKEIT des GESCHMACKS geben?

Kunst ist immer GESCHMACKLICHER geworden. Was sollte Sie an der REINEN Kunst noch interessieren, außer ihrer historischen IDEE?

Der GESCHMACK ist immer KÜNSTLICHER geworden. Von wem erwarteten Sie mehr NATÜRLICHKEIT?

Kunst und Geschmack haben in der Moderne als unvereinbar gegolten. Mußte ästhetische BILDUNG in dem von Notwendigkeiten regierten ALLTAGSLEBEN scheitern?

Kunst galt als 'Vermittlerin des UNAUSSPRECHLICHEN'. Wodurch sonst als beim Scheitern des Sprechens sollte das Unaussprechliche erfahrbar werden?

Kunst entsteht durch ästhetische KOMMUNlKATION. Wie sonst als auf SPRACHLICHER Basis sollten Kommunikationsprozesse entstehen?

Die künstlerische QUALITÄT ist abhängig von der Qualität der KOMMUNIKATIONEN. Was sonst als die BEOBACHTUNG von Beobachtern sollte die Voraussetzung jeder Kommunikation sein?

Tischgespräche

am 15. Februar & 8. März 97 beim Essen im Kunstraum Elbschloss

ROTE-BETE-SUPPE MIT KALBFLEISCHKLÖSSCHEN

Suppe:

4 kg rote Bete, 16 Schalotten, 200 g Butter, 4 l Fleischbrühe, 2 l süße Sahne, Salz. Pfeffer, Balsamico.

Die sorgfältig gewaschene rote Bete weich kochen, abschrecken, schälen und in kleine Stücke schneiden. Die fein geschnittenen Schalotten in der Butter andünsten und die rote Bete zugeben. Mit etwas Rote-Bete-Kochwasser, der Fleischbrühe und der Sahne kochen. Mit dem Cutter fein pürieren und durch ein feines Sieb streichen. Mit Salz, Pfeffer und Balsamico würzen.

KIößchen:

2,5 kg Kalbfleisch, 10 alte Brötchen, 10 Eier, 5 Zwiebel, Salz, Pfeffer. Fleischbrühe.

Das Kalbfleisch mehrfach durch den Fleischwolf drehen. Die Brötchen einweichen, ausdrücken und pürieren. Die Zwiebeln schälen und in feine Würfel schneiden. Alles vermischen und mit den Gewürzen abschmecken. Mit zwei Löffeln kleine Klöße formen und in der Fleischbrühe gar ziehen lassen.

WIEVIEL (MISS-)VERSTÄNDNIS GEHÖRT ZUR KOMMUNIKATION?

INTERVIEWER (I): Hatten Sie vielleicht auch eine Frage über die MORAL in der Kunst ?

FRAU (F)1: Nein, mein Nachbar. Wir haben versucht, sie ihm zu übersetzen. Aber das war nicht ganz einfach.

MANN (M)1: Sein Englisch reicht nicht aus, um zwischen Himmel und Hölle sozusagen die Kunst zu plazieren. - Man setzt die Sünde immer der MORAL voraus. Für mich hat MORAL nichts mit Kunst zu tun, aber man kann sich natürlich daran abarbeiten. Ich mache Kunst ohne MORAL, wenn ich sie nur definieren kann zwischen Sünde und sonstwas. Da bin ich dabei.

I: Um die Moral zu überwinden oder um sie auszuschließen?

M1: Sie auszuschließen!

F1: Er hat gar keine!

M1: Doch, diejenige von Kindern aus bürgerlichen Familien, aber sie hat eine gewisse Beliebigkeit, auch wenn sie sich gut einsetzen läßt.

F2: Die Kunst ist ja gesellschaftsbezogen. Und Gesellschaft ist MORAL. Die Kunst versucht natürlich, Grenzen - und damit auch die MORAL - zu überschreiten.

M1: Die Moral setzt aber keine Grenzen mehr.

F2: "Moral" - natürlich sind dadurch Grenzen gegeben!

M1: Was ist heute MORAL? Das ist die Summe unserer Werte.

I: Wie sehen Sie die aktuelle Kunst, die keine Werke mehr für die Ewigkeit schafft ?

M: Darin sehe ich eine Tendenz zur Gebrauchskunst. Solche DINGE können sich zwar von allem, was vorher gewesen ist, unterscheiden, werden aber nicht lange überdauern. Wenn Sie ein Tafelbild auf einem Baumwollhandtuch mit einer applizierten Plastiksubstanz haben, das in zwanzig oder dreißig Jahren zerfallen sein wird, [...] dann ist das etwas anderes, als wenn Sie eine Venus in Marmor hauen. Das macht schon einen Unterschied [...]. Ich glaube nach wie vor, daß Kunstwerke immer nur statische DINGE sein können, wenn sie die Zeiten überdauern und eine gewisse Zeitlosigkeit erreichen oder für die Ewigkeit bestehen wollen. Denn wenn man sich die Kunst in den Museen ansieht, z.B. alles, was aus griechischer Zeit [...] erhalten ist, davon ist nichts "action", nichts Bewegung. Bewegung kann die Zeit nicht überdauern [...].

I: Aber wie ist es mit Beuys? Es werden Requisiten seiner Aktionen inzwischen auch in Museen ausgestellt.

M: Trotzdem ist Beuys sicherlich nicht etwas, was lange überdauern wird [...]. Ich prophezeie dem keine große Zukunft. Ebenso wie ich in der Literatur manchen Richtungen keine Zukunft prophezeie. Nehmen sie z.B. Brecht, der jahrzehntelang sehr stark in der Vordergrund gestellt worden ist - nicht nur in den sozialistischen Ländern [...]. Aber heutzutage zeichnet sich schon ab, daß Brecht ein Autor ist, für den sich kaum ein Mensch noch interessiert [...]. So wird es auch mit manchen Kunstrichtungen oder Künstlern gehen. So sehr ich Beuys schätze, vermute ich, daß er auch zu denen gehören wird, und seine Honigpumpe wird mit Sicherheit in vierhundert Jahren nicht mehr laufen.

F: Aber es ist ja gerade Beuys gewesen, der gesagt hat, wir brauchen keine Ewigkeitswerte mehr [...]. Wenn Sie Brecht und Beuys nennen, allein schon daß es sie gab und was sie ausgelöst haben, das hat die Sache weiter in Bewegung und zur Entwicklung gebracht, das darf man nicht vergessen.

M: Sie sind zeitgebunden und lediglich wichtig, für die Zeit, in der sie gelebt haben. Aber hinterher nicht mehr.

F: Ich glaube, Ihnen kommt es sehr auf die Ewigkeitswerte an.

M: Ich glaube, wenn ich Künstler wäre, dann würde ich großen Wert darauf legen, etwas zu kreieren, was mich nicht nur kurzfristig überdauert. Wenn ich eine Short story oder einen Roman schreibe, überlege ich sehr genau, ob ich da etwas mache, was meine Zeitgenossen amüsiert, oder ob ich vielleicht - das wäre das höhere Ziel - doch etwas schaffe, was man vielleicht in zweihundert Jahren noch liest.

F: Ich finde es toll, daß Sie glauben, daß man das selbst noch steuern kann.

ROTBARSCH IN MANDELMILCH

Mandelmilch:

1,2 kg Mandeln, 4 l Weißwein-Wasser-Gemisch.

Die Mandeln überbrühen, häuten und trocknen. Mit dem Cutter möglichst fein zerkleinern. Die etwas ölig gewordene Mandelmasse mit dem nach und nach zugegebenen Wein- und Wassergemisch solange pürieren, bis die Flüssigkeit milchig weiß wird. Wenn man sehr dünne Mandelmilch will, seiht man die Flüssigkeit durch ein Tuch. Diesen Vorgang sollte man öfter wiederholen.

Für den Fisch:

5 kg Rotbarsch, etwas Weißwein, 500 g Zucker, 8 TL Zitronensaft, 8 EL Amaretto.

Das Rotbarschfilet gewaschen und getrocknet in der Mandelmilch 20 Minuten köcheln lassen. Eventuell etwas Wein nachgießen. Mit dem Zucker, dem Zitronensaft und dem Amaretto abschmecken.

Schupfnudel:

4 kg Kartoffeln, 10 Eigelb, Salz, Pfeffer, Muskat, Butter, Mehl.

Die am Vortag frisch gekochten und durch das Spätzlesieb gedrückten Kartoffeln mit den Eiern, den Gewürzen und etwas Mehl zu einem Teig vermengen. Daraus fingerdicke Röllchen formen und im Salzwasser gar ziehen lassen. Vor dem Servieren in Butter goldbraun braten.

WIEVIEL GEDANKEN-LOSIGKEIT VERTRÄGT DIE KUNST?

I: Jetzt mußt du dir dein Essen verdienen. Wie lautete denn dein Tellerspruch?

F: Ich bin völlig in die MORAL gerutscht. Bei der Vorspeise hatte ich schon mit MORAL und Sünde zu tun. Und jetzt wieder mit GESCHMACK, MORAL, WAHR und SCHÖN.

I: Und, ziehst du das SCHÖNE, dem WAHREN oder GUTEN vor?

F1: Wir haben gemeinsam überlegt und uns auf den ÜBERGANG als Lösung verständigt. Es kommt darauf an, wer verantwortlich ist für den ÜBERGANG von wo nach wo. Ich glaube, daß mich jedes Kriterium für sich genommen doch sehr langweilt. Das stimmt übrigens mit dem überein, was mir gerade Martin Turner über meine Konjunktionen erzählt hat [...].

F2: Das SCHÖNE, WAHRE und GUTE bilden ja auch eigentlich gar keinen Gegensatz. Das GUTE kann doch auch schön sein und das WAHRE auch. Und wenn das SCHÖNE sowohl GUT als auch WAHR ist, ist es ideal, perfekt. Müßte ich zwischen GUT und SCHÖN unterscheiden, hätte ich Schwierigkeiten. Ich kann mir schwer vorstellen, daß gute Dinge nicht schön sind [...]. Dagegen gehören das SCHÖNE und das WAHRE nicht zusammen. Es gibt schlimme Dinge, die auf der Welt passieren, die leider wahr, aber überhaupt nicht schön sind.

I: Viele Menschen halten GESCHMACK im ALLTAGSLEBEN für etwas Unbrauchbares. Wie steht es bei Ihnen damit?

F1: Ich würde meine meisten Entscheidungen emotional treffen [...]. Ich denke, daß der Mensch, Gottseidank muß ich sagen, immer noch emotional ist und alle sehr emotional agieren und letztlich das tun, worauf sie Lust haben. Im Endeffekt versuchen sie das, was sie getan haben, nur zu rationalisieren und im nachhinein zu entschuldigen. Wenn beispielsweise ein Mensch in den Krieg geht, dann kann das nicht auf einer rationalen Überlegung beruhen. Dann muß das vielmehr eine Überlegung sein, die aus der Emotion heraus stattfindet und diese dann rationalisiert.

I: Meinen Sie, daß bei den emotionalen Entscheidungen der GESCHMACK eine Rolle spielt?

F1: GESCHMACK hat sehr viel mit Emotion zu tun. GESCHMACK ist eine Gefühlssache [...]. Darum gibt es ja die unterschiedlichsten Geschmäcker. Jeder hat seinen subjektiven Geschmack, und das hat was mit Emotion zu tun, mit seinen eigenen persönlichen Einstellungen zu den Dingen.

M1: Ich stelle meine NEIGUNGEN eher in den Hintergrund [...]. Ich urteile eigentlich eher nach Zweckmäßigkeit. Das heißt aber nicht, daß ich mir nicht auch schöne Dinge zulege, die unpraktisch sind. Aber an erster Stelle steht für mich die Zweckmäßigkeit [...].

F2: Ich finde auch, daß die alte These, GESCHMACKS-ENTSCHEIDUNGEN seien nur rein subjektiv und beliebig, überhaupt nicht stimmt [...]. GESCHMACKS-ENTSCHElDUNGEN sind immer von der Öffentlichkeit und von ganz vielen anderen Sachen abhängig. Wenn viele Leute sagen: "Das ist toll", und etwas wird oft gezeigt, und ich sehe es oft, dann verändert sich auch mein Geschmack. Bei manchen schnell, bei anderen langsamer. In jedem Fall gibt es starke äußere Einflüsse.

I: Dann wäre GESCHMACK ja etwas sehr ZEITabhängiges?

M2: Ich glaube das eher nicht. Der GESCHMACK der meisten Menschen wird sehr früh programmiert. Also etwa die Vorliebe für bestimmte Süßspeisen, z. B. für den süddeutschen Apfelstrudel, entsteht in der Kindheit und verläßt einen nie wieder. Das ist eine völlig ZEITunabhängige Obsession [...]. Und viele andere ästhetischen Programmierungen sind ebenso obsessiv. Etwa die Vorliebe für kleine oder große Augen ist nie ZEITabhängig. Ich finde eben große Augen schön.

M3: Ja, in Japan füttern die Alten die Menschenjungen mit einem widerwärtigen Bohnenzeug. Das machen sie solange, bis die Menschenjungen älter werden und dieses ekelhafte Bohnenzeug gut finden. Dann sind ihre GESCHMACKS-ENTSCHEIDUNGEN leider nicht so subjektiv und beliebig [...].

LINZER TORTE

Für den Teig:

l kg Mehl, l kg Zucker, l kg Butter, 500 g gemahlene Haselnüsse, 500 g gemahlene Mandeln, 4 Eier, 4 TL Kakao, 2 TL Zimt, 4 MS gemahlene Nelken, 8 EL Kirschwasser.

Für die Füllung:

1,2 kg Himbeermarmelade (manche nehmen auch Zwetschgenmus, 4 Eigelb zum Bestreichen.

Aus genannten Zutaten einen festen Teig kneten. Zugedeckt etwa l Stunde ruhen lassen. 2/3 des Teiges ausrollen und in die Springform oder Backbleche einpassen. Den Teig dick mit Himbeermarmelade bestreichen. Den restlichen Teig ausrollen und ca. l cm breite Streifen radeln und gitterförmig auf die Kuchen legen. Die Streifen mit dem verquirlten Eigelb einpinseln. Bei 160 Grad eine Stunde backen. Vor Verzehr die Kuchen mehrere Tage stehen lassen, bis das Aroma der Himbeermarmelade alles durchdrungen hat.

WIEVIEL ANSPRUCH(-SLOSIGKEIT) ERWARTET DAS PUBLIKUM?

I: Haben Sie Ihre Frage schon gesehen? Da geht es nämlich um ästhetische BILDUNG im ALLTAGSLEBEN.

M1: Das kann kein Zufall sein - ich habe auch alles schon sauber aufgeleckt. Aber daß das ALLTAGSLEBEN von Notwendigkeiten regiert wird, stimmt ja nicht. Es würde gar nicht funktionieren, wenn es so wäre. Das ALLTAGSLEBEN wird von vielen überschüssigen Anteilen regiert, die eher etwas mit Luxus zu tun haben als mit Notwendigkeit. Es scheint vielleicht aus einer anderen Perspektive so, als würde es von Notwendigkeiten regiert. Aber das ist dann der Geschmack der anderen Klasse, die das beobachtet [...]. Was die ästhetische BILDUNG betrifft, so ist sie im Regelfall ja ein Kolonisierungsprozeß. Da sollen die anderen so denken wie die, die sich für ästhetisch gebildet halten. Dann scheitert sie [...]. Hier klingt es so, als wenn die ästhetische BILDUNG auf die Kunst hinführt. Da wird sie wohl gescheitert sein oder auf die Kunst der Moderne hinführen [...].

M2: Wir probieren ästhetische BILDUNG natürlich immer an uns selber aus.

I: Ihrem Nachbarn scheint der Übergang von der Kunst ins Leben zu gelingen. Gibt es eine Kunst des Übergangs?

F1: Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll [...]. Ich verstehe den Begriff des Übergangs nicht, wie er hier benutzt wird. Ich kenne nur ÜBERGÄNGE im Leben: Geburt ist ein ÜBERGANG, Pubertät, schwanger sein und dann gebären, sind Übergange; zu sterben ist ein ÜBERGANG. Aber Kunst als ein Phänomen des ÜBERGANGS zwischen VERGANGENHEIT und ZUKUNFT? Da kann ich nichts mit anfangen. Ich weiß nur, daß man jetzt in der GEGENWART nicht entscheiden kann, ob etwas Kunst ist, sondern sich das erst in hundert oder zweihundert Jahren zeigen wird [...]. Und in welcher ZEIT ich gern gelebt hätte? Ich glaube, ich lebe gerne jetzt.

M3: Zuerst erschien es mir auch eine beliebige Aussage, Kunst sei ein Phänomen des ÜBERGANGS. Das würde ich jetzt revidieren. Die Idee ist mir einfach noch nicht gekommen, Kunst so zu definieren, als einen ÜBERGANG zur LIEBE, was auch immer ein ÜBERGANG zur LIEBE sein mag. Ich werde von allen Personen GEHASST. Am meisten wohl von mir selbst.

l: Würden Sie nach den Erfahrungen heute abend sagen, daß Ihre Tellerinschrift stimmt und Kunst durch ästhetische KOMMUNIKATION entstehen kann?

M1: Ich denke, daß Kunst nicht durch ästhetische KOMMUNIKATION entsteht. Kunst entsteht mehr aus Fanatismus, Leistung und Berufung [...]. Umgekehrt ist es richtig: Durch Kunst entsteht ästhetische KOMMUNIKATION, Das Verständnis vertieft sich durch KOMMUNIKATION. Wenn man hier rumläuft und sich alles anschaut und dann darüber redet, wird einem vieles bewußter. KOMMUNIKATION hilft zu verstehen. Aber ich denke nicht, daß KOMMUNIKATION die Kunst macht. Die Kunst muß der Künstler machen [...].

M2: Ich glaube auch nicht, daß das Essen und Sprechen in Gegenwart von Kunst zur Kunst zu zählen ist, sondern ich halte es für etwas Sekundäres [...].

F1: Ich fand das Essen und das Essen zwischen Kunst ganz toll. Hier sind fast alles Leute gewesen, die ich nicht oder nur wenig kannte. Und das, was auf der Einladung stand, KOMMUNIKATION sei Bestandteil der Kunst, kann ich nur bejahen [...].

M3: Hier zu sein, macht in jedem Fall mehr Sinn, als auf irgendwelchen Eröffnungen rumzustehen und den üblichen Small talk nach dem Motto zu machen: "Nimmt es Sie auch mit?" oder: "Was geht in dir vor?"

Bei den Tischgesprächen handelt sich um eine von Michael LINGNER vorgenommene Bearbeitung der mehr als 30-seitigen Abschriften von Tonbandmitschnitten, wobei es zwar zu Kürzungen, aber nicht zu Veränderungen des Wortlauts gekommen ist.


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