ask23 > Lingner: Kunst als Projekt der Aufklärung jenseits reiner Vernunft

Michael Lingner

Kunst als Projekt der Aufklärung jenseits reiner Vernunft

I. Die Entwicklung der Kunst zum aufklärerischen Organ in der Romantik

Die bis in die 60er Jahre unseres Jahrhunderts hinein ganz und gar vom Willen zur Modernität beherrschte Avantgardekunst hat permanent den Bruch mit der Kunstgeschichte gesucht. Dennoch hat sie ihn, was von den schärfsten ihrer Kritiker (1) zumeist verkannt wird, bisher nie tatsächlich vollzogen. Gerade angesichts jenes fatalen Paradoxons einer historistischen Geschichtslosigkeit, die sich als postmodernes Denken in den 80er Jahren auch der künstlerischen Praxis bemächtigt hat, ist die geschichtliche Kontinuität, in der die avantgardistische Kunst steht, umso deutlicher geworden. Obwohl unaufhörlich das Bestehende überwindend und ins Unbekannte (2) vordringend, hat sie sich aus dem kunstgeschichtlichen Gesamtzusammenhang nie gelöst. Zumindest ohne ihre christliche Tradition ist die Entwicklung der "aus dem Geist der Religion" (3) geborenen modernen Kunst nicht denkbar. Aber allein aus dieser Vorgeschichte verstehbar ist die Avantgarde keineswegs, weil sie doch eigentlich erst da beginnt, wo die Kunst am Anfang des 19. Jahrhunderts im christlichen Sinne religiös zu sein aufhört - und romantisch wird.

Geistesgeschichtlich betrachtet ist die Romantik eine vielfach in sich gebrochene Reaktion (4) auf die das 18. Jahrhundert prägende Philosophie des Rationalismus und die daraus entstandenen aufklärerischen Bestrebungen. Je mehr sich die Aufklärung von einer zunächst rein geistigen auch zur sozialen Bewegung wandelte, umso entschiedener hat sie die "feudale Unvernunft und die Dogmen der orthodoxen Glaubenslehre" (5) nicht mehr nur theoretisch kritisiert, sondern auch politisch bekämpft. Das Ringen um eine der Vernunft gerecht werdende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse führte vor 200 Jahren zur Französischen Revolution von 1789, die freilich realpolitisch zunächst eher schlimme Folgen hatte. Sie brachte Frankreich nach der Guillotine die Restauration und Europa den Krieg, was ihren eigentlichen sozialen Zielen und aufklärerisch-humanistischen Idealen aber nicht anzulasten ist.

Dennoch erschüttern die verheerenden Auswirkungen der Französischen Revolution den Glauben an die Vortrefflichkeit einer Herrschaft der Vernunft zutiefst. In der Folge formiert sich aus dem gegen alles Politische (6), Aufklärerische und rein Rationale gerichteten Geist die gleichwohl am revolutionären Anspruch auf bürgerliche Freiheiten festhaltende Romantik. Sie verschreibt sich der Empfindung und dem Mythos als dem Anderen der Vernunft, ohne dabei auf das Emotionale in derselben Einseitigkeit fixiert zu sein, mit der die Aufklärung das Rationale verabsolutierte. Wie das aus den Gesprächen zwischen Hegel, Hölderlin und Schelling hervorgegangene "Älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus" in der Forderung nach einer "Mythologie der Vernunft" gipfelt, so gibt auch die Romantik das Vernunftprinzip letztlich nicht auf. Sie überläßt sich nicht einfach ihrem Hang zum Empfindsamen und Mythischen, sondern unternimmt höchste theoretische Anstrengungen, um beides als Wert rational zu rechtfertigen. Indem dabei gegen das Rationale mit den der Empfindung und dem Mythos eigenen Qualitäten argumentiert wird, setzt die Romantik selber ihre programmatischen Vorstellungen dem "Prinzip der zersetzenden Rationalität" (7) aus, gegen das sie sich doch eigentlich wendet.

Im "Athenaeum" (8) etwa kritisieren die Romantiker mit rationalen Mitteln auf eine ausgesprochen theoretische Weise das Rationalistische. Doch erschöpft sich diese Kritik (9) keineswegs in bloßer Theorie und abstrakter Negation, sondern ist ganz im Gegenteil ausgesprochen produktiv. Denn in aller Ausdrücklichkeit argumentiert die Romantik weniger gegen die aufklärerische Rationalität, als vielmehr für eine jenes Reich des Verstandes transzendierende romantische Gegenwelt. Alle Hoffnungen auf deren Verwirklichung setzt die Romantik in die Kunst, der sie trotz dieser Bestimmung als eines Refugiums romantischer Innerlichkeit ein begriffliches Fundament von "Objektivität" und "allgemeingültiger Wahrheit" (10) zu geben sucht. Die das gesamte Denken derart auf die Kunst konzentrierende romantische Rationalismuskritik ist im Kern nichts anderes als eine sich Wissenschaftlichkeit (11) abverlangende Theorie der Kunst.

In seinem die Romantik einleitenden Aufsatz von 1795, dessen Titel "Über das Studium der griechischen Poesie" etwas irreführend ist, weil "Ursprung, Zusammenhang und Grund so vieler seltsamer Eigenheiten der modernen Poesie ... erklärbar" (12) gemacht werden sollen, begründet F. Schlegel die konstitutive Bedeutung der Kunsttheorie für die moderne künstlerische Praxis: "Die Erfahrung belehrt uns" zwar, so Schlegel, "daß unter allen Zonen, in jedem Zeitalter, bei allen Nationen und in jedem Teil der menschlichen Bildung (= Kultur) die Praxis der Theorie voranging". (13) Aber dieses Prinzip, nach dem "nur auf Natur ... Kunst, nur auf eine natürliche Bildung ... die künstliche folgen" (14) kann, wird außer Kraft gesetzt, wenn die natürliche Bildung "verunglückt".

Würde nicht die Natur durch einen "unglückliche(n) Mißbrauch ihrer Macht" (15) das Recht als lenkende Kraft der Bildung einbüßen, könnte "der Mensch auf dem leichten Wege der Natur ohne Hindernis immer weiter ... fortschreiten", so daß die "Hülfe der Kunst ganz überflüssig" (16) wäre. Da jedoch "der (Natur-)Trieb ... zwar ein mächtiger Beweger, aber ein blinder Führer" sei, ist "der Versuch der natürlichen Bildung" (17) für Schlegel offenbar mißglückt. Denn "schon in den frühesten Zeitaltern der europäischen Bildung" fänden sich "unverkennbare Spuren des künstlichen Ursprungs der modernen Poesie ...", wo "das lenkende Prinzip der ästhetischen Bildung ... nicht mehr der Trieb, sondern gewisse dirigierende Begriffe" (18) sind.

Schlegel sieht die moderne Kunstentwicklung also von Anbeginn "unter der Herrschaft von Begriffen" (19) stehen und im "Verstand das lenkende Prinzip der athletischen Bildung" (20). Allerdings sind diese Begriffe noch "dürftig und dunkel", weit davon entfernt, eine zusammenhängende Theorie zu bilden, deren "große Bestimmung ... es eigentlich wäre ..., dem verderbten Geschmack seine verlorne Gesetzmäßigkeit, und der verirrten Kunst ihre echte Richtung wiederzugeben." (21) Die Entwicklung zur wahren Kunst bewußt zu steuern, was Schlegel aufgrund der Künstlichkeit der modernen ästhetischen Bildung prinzipiell für möglich hält, das könnten die Begriffe indes nur leisten, "wenn sie allgemeingültig wäre(n)".(22)

Für eine derartige Objektivierung der die Kunst "dirigierenden Begriffe" sieht Schlegel die Zeit gekommen, da sich allenthalben "das Bedürfnis des Objektiven ... regt". (23) Der Augenblick scheint ihm "für eine ästhetische Revolution reif zu sein, durch welche das Objektive in der ästhetischen Bildung der Modernen herrschend werden könnte.'' (24) "Eine vollkommene ästhetische Gesetzgebung würde das erste Organ der ästhetischen Revolution sein" (25), die mit der Romantik beginnen soll. Die dazu notwendige "gesetzgebende Macht ... ist schon konstituiert. Es ist die Theorie: denn der Verstand war ja von Anfang an das lenkende Prinzip dieser Bildung. - Verkehrte Begriffe haben lange die Kunst beherrscht, und sie auf Abwege verleitet; richtige Begriffe müssen sie auch wieder auf die rechte Bahn zurückführen." (26)

Damit übereinstimmend konstatiert Hegel für die romantische Kunst, bei der er freilich die gesamte christliche Kunst mit im Blick hat, daß "der Gedanke und die Reflexion die schöne Kunst überflügelt" (27) hat. Doch während das zunehmende Übergewicht der Reflexion in der Kunst, wodurch sie mehr und "mehr in unsere Vorstellung verlegt" (28) wird, Hegel vor dem Hintergrund seines auf die griechische Klassik fixierten Kunstbegriffs zu der berühmten These vom Ende der Kunst veranlaßt, sieht Schlegel deren Blüte erst kommen. Bei aller Gegensätzlichkeit dieser Einschätzungen ist jedenfalls die Dominanz des Begrifflichen und die rationale Struktur unzweifelhaft, die die Kunst in der Romantik bekommt.

Daß in der Kunst, sofern ihr über das Sinnliche hinausgehende Qualitäten zugesprochen werden, nicht die Anschauung, sondern die Begrifflichkeit das Primäre ist, diese heute zwar theoretisch kaum mehr abweisbare, aber praktisch immer noch gern ignorierte Überzeugung Schlegels mag sich unter dem Einfluß der Kantischen Philosophie gebildet haben. Am Beispiel Gottes, als dem "übersinnlichen Gegenstand" schlechthin, zeigt Kant, daß vom "Dasein des höchsten Wesens ... niemand durch irgendeine Anschauung überzeugt werden" (29) kann. Selbst wenn Gott einem in der unmittelbaren Anschauung widerführe, "so muß doch ein Begriff von Gott zur Richtschnur dienen ..., um zu urteilen ..., ob diese Erscheinung auch mit all dem übereinstimme, was zu dem Charakteristischen einer Gottheit erforderlich ist." (30)

In der Romantik ist der Verstand nicht nur das lenkende Prinzip der Kunst, das über Begriffe ihre Entwicklung dirigiert. Vielmehr wird die Kunst überhaupt als ein "Reflexionsmedium" (31) begriffen, in dem das Denken dazu kommt, sich in einem potentiell unendlichen Prozeß selbst zu denken und sich dabei selbst zu erkennen. Indem die Kunst bzw. das einzelne Werk so zum Subjekt der Reflexion avanciert, also anders als bei Fichte auch "Ich-freie Reflexion" (32) möglich ist, wird die Kunst zum Organ der Aufklärung. Wenn sie selbst reflektierend wird, praktiziert sie nun ganz und gar das, was Kant als Aufklärung definiert hat: "Die Maxime, jederzeit selbst zu denken, ... sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen ... ist die Aufklärung." (33) Schlegel scheut sich nicht zu behaupten, daß "der Sitz der eigentlichen Kunst ... lediglich im Verstande" (34) liegt und leistet so Aufklärung über die bis dahin zur Tat eines Genies mystifizierte künstlerische Praxis: "Die Natur zeugt, der Geist macht". (35) Statt dem Schöpfungsakt ebenbürtig, wird die künstlerische Praxis nun als Arbeit (36) verstanden, weswegen Schlegel nicht "glaubt, Autoren ... durch Vergleichung mit dem Fabrikwesen zu schmähen." (37)

Zweifellos ist die zur Überwindung des Rationalismus angetretene Romantik - zumindest nach einem nicht dogmatisch engen Verständnis, das allein die atheistisch und revolutionär ausgerichtete Aufklärung als solche akzeptiert - selbst aufklärerisch geworden. Das ist Schlegel offenbar nicht nur bewußt, sondern auch recht, da er den Reflexionsprozeß, das "Denken des Denkens", in dem sich für die Romantik das Künstlerische konstituiert, ausdrücklich zur "Vernunft" erklärt. (38) Dennoch wäre es ein Trugschluß zu behaupten, die Romantik sei zu ihren ursprünglichen antirationalistischen und gegenaufklärerischen Absichten in Widerspruch geraten. Zwar ist die Kunst in der Romantik tatsächlich selbstreflexiv und aufklärerisch geworden, so daß sie seitdem nicht mehr unmittelbar nur als Kunst wirken kann. Die Werke tragen nun immer auch rationale Momente der Aufklärung über Kunst in sich und machen, nur noch gebrochen durch diese Selbstreflektiertheit, ästhetische Erfahrung möglich. Aber das bedeutet nicht nur für die Kunst einen wesentlichen Wandel, sondern dadurch wird auch der Charakter der rationalen Vernunft ganz wesentlich verändert.

Das in der Romantik sich herausbildende Verhältnis zwischen Kunst und Verstand steht im Widerspruch zur Philosophie des Rationalismus, für die die Kunst gar nicht des Denkens fähig ist, da sie dem "unteren Erkenntnisvermögen" verhaftet bleibt. Noch Kant folgt dieser Tradition, sofern er das, was das Künstlerische im Kern ausmacht, auf dieselbe bewußtlose Weise entstehen sieht, wie Natur sich hervorbringt: "Genie ist eine angeborene Gemütslage ..., durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt." (39) Dagegen denkt Schelling in seinem 1800 erschienenen "System des transzendentalen Idealismus" die Kunst ganz im romantischen Sinn nicht mehr als etwas durch die Natur Bestimmtes, obgleich er am Geniebegriff festhält. ,Genie' wird von ihm jedoch als die Fähigkeit begriffen, dasjenige, "was insgeheim Kunst genannt wird ..., was mit Bewußtsein, Überlegung und Reflexion ausgeübt wird, was auch gelehrt und gelernt, und durch eigene Übung erreicht werden kann" (40), vollständig zu integrieren "mit dem Bewußtlosen, ... was ... nicht durch Übung, noch auf andere Art erlangt werden, sondern allein durch freie Gunst der Natur angeboren sein kann, und was dasjenige ist, was wir mit einem Wort die Poesie in der Kunst nennen können". (41)

Indem Schelling das Bewußte favorisiert, da "sich noch eher erwarten (lasse), daß Kunst ohne Poesie, als daß Poesie ohne Kunst etwas zu leisten vermöge" (42), werden nicht Bewußtsein und Denken als konstitutiv für die Kunst angesehen, sondern darüber hinaus das Verhältnis zwischen Kunst und Verstand, wie es die rationalistische Philosophie definiert hatte, schlechterdings umgekehrt: Wurde zuvor die Kunst nicht des Denkens für fähig gehalten, so wird nun dem Verstand die Fähigkeit abgesprochen, das Höchste an Kunst hervorbringen zu können, da dieses das Bewußtlose, Poetische mitumfassen müßte. Indem die Kunst die Identität des Bewußtlosen mit dem Bewußten anschaulich macht, vermag sie mehr als der Verstand und sogar mehr als die ihm zu seiner höchsten Ausprägung verhelfende Philosophie. Denn jene Identität, die nach Schelling auch Voraussetzung für die Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt ist, läßt sich "nicht durch Begriffe auffassen oder mitteilen ..., sondern kann nur angeschaut werden". (43) Darum ist es nur konsequent, wenn Schelling die Kunst wegen ihrer einzigartigen Funktion für die Erkenntnis zum "Organon der Philosophie" erklärt.

Nicht nur ist die in der Romantik die Reflexion sich einverleibende Kunst insofern aufklärerisch, als sie selbst denkt und sich ihrer eigenen Vernunft bedient. Insbesondere klärt sie auch den von der Philosophie des Rationalismus verabsolutierten Verstand über seine Grenzen auf. Darin besteht die "Dialektik der Aufklärung", daß die Kunst unter dem Vorzeichen des Antirationalismus ihre begriffliche, rationale Struktur entdeckt und entwickelt, aber mit dieser Expansion der Rationalität gerade deren Relativierung bewirkt. An die Stelle des relativierten Verstandes tritt in der Romantik als das bevorzugte Vermögen des menschlichen Gemütes die Einbildungskraft. Ihre dominierende Stellung wird von Schelling damit begründet, daß nur sie "auch das Widersprechende zu denken und zusammenfassen" (44) vermag und so, indem sie den an sich bestehenden Widerspruch zwischen dem Bewußtlosen und dem Bewußten auflöst, das Kunstwerk ermöglicht.

Darüber hinaus ist die Einbildungskraft wichtig, weil sie für die von den Romantikern erstrebte Unendlichkeit des Reflexionsprozesses konstitutiv ist. Diesem ginge bald der Stoff aus, wenn sich nicht das Denken auch aus der Vorstellung des nur Möglichen speiste. Die Einbildungskraft ist umso mehr gefordert, als die Unendlichkeit "in erster Linie nicht eine ... des Fortgangs, sondern eine Unendlichkeit des Zusammenhanges" (45) ist. Insofern geht es den Romantikern nicht um eine quantitative, sondern um eine "qualitative Potenzierung" (46) der Denkmöglichkeiten, aus denen durch die "Kraft der Ineinsbildung", was "das treffliche deutsche Wort Einbildungskraft (eigentlich) bedeutet" (47), dieser Zusammenhang geschaffen werden soll. Denn obwohl er die Einheit eines durch Potenzierung des Denkens entstandenen Mannigfaltigen ist, läßt er sich ab einer bestimmten Komplexitätsstufe nicht mehr denken, sondern nur noch vorstellen. Da ihn darum letztlich nicht der Verstand, sondern allein die Einbildungskraft schaffen kann, teilt er sich dem Bewußtsein als Empfindung und nicht als Begriff mit.

Die Besonderheit, daß der Reflexionsprozeß letztlich in eine Empfindung übergeht, hat ihren Grund darin, daß die gleichermaßen am eigentlich endlosen Prozeß der Potenzierung des Denkens wie bei der einheitsstiftenden Integration des Gedachten wesentlich beteiligte Einbildungskraft auf der Basis sinnlicher Anschauungen funktioniert. Der von der Einbildungskraft integrierte Reflexionszusammenhang wird eben nicht begrifflich, sondern sinnlich: als Empfindung bewußt, (48) genauso wie die davor erfolgte Potenzierung des Reflexionsprozesses eine sinnliche Stimulation durch die Einbildungskraft erfährt. Das führt zwangsläufig zu einer Ästhetisierung des Denkens, die zugleich, weil die Romantiker das Denken zur Grundstruktur und zum Bewegungsprinzip der Kunsttheorie, -praxis und -rezeption machen, mit einer Intellektualisierung des Ästhetischen (49) einhergeht. Verstand und Gefühl, Denken und Empfinden durchdringen sich, weil die zur absoluten Herrscherin in der Kunst erhobene Einbildungskraft (50) dazwischen zu vermitteln vermag. Das Empfinden wird so vergeistigt und das Denken intuitiv, woraus verständlich wird, warum die Romantiker die Vorstellung entwickeln, daß "Denken und Dichten ... einerlei" (51) sein könnte.

II. Aufklärung in der romantischen Kunst als Ästhetisierung des Denkens und Intellektualisierung des Ästhetischen

Die Absicht, der menschlichen Gemütstätigkeit einen Modus zu ermöglichen, welcher das vereint, was sonst als rational-begriffliches Denken vom sinnlich-ästhetischen Empfinden geschieden ist, bildet den Kern der romantischen Kunstkonzeption. Daß deren Verwirklichung zur Entästhetisierung und ,Verkopfung' der Kunst führe, ist ein immer wieder gegen sie erhobener grundsätzlicher Einwand. Er beruht auf unterschiedlichen, aber allemal klassisch geprägten Kunstauffassungen, die sich als umso unangemessener erweisen, je aktueller die Kunst ist, mit der sie konfrontiert werden. Von einem klassischen Kunstbegriff, der wie selbstverständlich als Forschungsgrundlage akzeptiert wird, sind nicht zuletzt auch die Kunstwissenschaften nach wie vor beherrscht. Aufgrund eines orthodoxen Wissenschaftsverständnisses (52) befürchten sie offenbar durch jene die klassischen Kunstformen auflösende Ästhetisierung des Denkens entrationalisiert und chaotisiert oder infolge der seit der Romantik zunehmenden Verwissenschaftlichung der Kunst möglicherweise sogar völlig entbehrlich zu werden.

Die beiden gegen das Phänomen der romantischen Durchdringung von Rationalem und Sinnlichem gerichteten, ganz gegensätzlichen Vorbehalte: den der Entästhetisierung seitens der Kunst und den der Entrationalisierung seitens der Wissenschaft, gehen auf ein und dasselbe Denkmuster in beiden Disziplinen zurück. Sie unterstellen, jener besondere, zugleich die Intellektualisierung des Ästhetischen wie die Ästhetisierung des Gedanklichen umfassende Reflexionsprozeß sei lediglich der kompromißlerische Versuch einer Angleichung von an sich unvereinbaren Gegensätzen, der zu einer Schwächung der Eigenheiten des Rational-Begrifflichen und des Sinnlich-Ästhetischen führen müsse. Daß sich ganz im Gegenteil Rationales und Ästhetisches in ihrer Ausgeprägtheit erhalten, ja sogar in dem programmatisch als "Romantisieren" bezeichneten Prozeß der Reflexion sich gegenseitig steigern und ineinander übergehen sollen, entspricht nicht nur den romantischen Intentionen. Vielmehr ist dies angesichts der seit langem beklagten Verbrauchtheit bipolarer Bewußtseinsformen auch ein verlockender Gedanke von herausfordernder Aktualität.

Warum die romantische Idealvorstellung einer Ästhetisierung des Denkens ohne Verlust an Rationalität bzw. einer Intellektualisierung des Ästhetischen ohne Verlust an Sinnlichkeit gleichwohl bis heute den herrschenden Vorstellungen über Kunst extrem zuwiderläuft, das hat hauptsächlich zwei Gründe:

Der eine besteht darin, daß das Rationale aufgrund der modernen ökonomischen und technischen Entwicklung immer mehr auf das rein Zweckrationale reduziert wurde und dabei zum bloß Rationellen verkommen ist. Statt dieses aber bloß als einen möglichen und nicht einmal besonders entwickelten Typus des Rationalen anzusehen, hat es keineswegs eine derartige Relativierung erfahren, sondern ist ganz im Gegenteil schließlich mit Rationalität schlechthin identifiziert worden, die als solche freilich völlig zu Recht in der Kunst als Unmöglichkeit gilt. Dieses Zerrbild von vernünftiger Rationalität hat sich der Postmodernismus zu eigen gemacht, um dagegen das Vor-, Über- oder Irrationale des Mythischen als vermeintliche Alternative auszuspielen.

Der andere wesentliche Grund dafür, daß die Idee einer gegenseitigen Durchdringung von rational-begrifflicher und sinnlichästhetischer Sphäre bisher keine paradigmatische Geltung erlangt hat, liegt in der andauernden Reduzierung der ästhetischen Erfahrung auf das, was als unmittelbare sinnliche Wirkung erlebt wird. Solange Schönheit noch als etwas angesehen wurde, was ganz von gewissen Werkstoffen und ihren Bearbeitungsweisen sowie von der Darstellung bestimmter Inhalte abhängig war, welche - wie die biblischen Geschichten - zum gleichsam natürlichen Bestand des allgemeinen Bewußtseins gehörten, wurde das Ästhetische als unmittelbar erfahren. Seit der um 1800 beginnenden Autonomisierung, in deren Verlauf sich die Kunst von außerkünstlerischen Inhalten und damit von den bestehenden allgemeinverbindlichen kulturellen Kontexten mehr denn je löste, schien dann die Unmittelbarkeit der ästhetischen Erfahrung erst recht gegeben und von dem zum Genie erhobenen Künstler verbürgt zu sein. Daß es möglich sei, auf eine unvermittelte, quasi voraussetzungslose Weise ästhetische Erfahrungen zu machen, wird schließlich in unserem Jahrhundert unentwegt von der Kulturindustrie erfolgreich suggeriert. Indem sie das Wirkungsmoment ihrer als "Reizsysteme organisiert(en)" (53) Produkte nach statistischem Durchschnittswert kalkuliert, ist jedoch das, was sich den Anschein ästhetischer Erfahrung gibt, nur noch rein reflexhaftes Reagieren.

Um sich trotz solcher gesellschaftlichen Zementierung des dualistischen Bewußtseins behaupten zu können, hat die Kunst seit der Romantik auch noch in einem anderen Sinn, als daß sie selbst denkt, aufklärerisch zu sein. Will sie nicht hinter die romantischen Positionen zurückfallen, kann sie nicht anders, als immer wieder durch ihre Praxis zu zeigen, daß rationale Erkenntnis jenseits nur zweckhafter Rationalität und ästhetische Erfahrung jenseits bloß unmittelbarer Sinnlichkeit möglich sind. Für diese künstlerische Transformierung beider Bewußtseinsformen sind freilich mindestens zwei Grundvoraussetzungen zu erfüllen:

Die erste besteht darin, daß eine Erfahrung, wenn sie ästhetisch sein soll, sich weder von äußeren Sinnesreizen noch von spontanen inneren Emotionen beherrschen lassen darf. Die Kunsterfahrung muß, wie Kant es genannt hat, "interesselos" (54), d.h. unabhängig vom subjektiven Interesse an der Präsenz und Existenz eines Gegenstandes sein und kann allein anhand dessen Vorstellung gemacht werden; dabei ist es gleichgültig, ob diese von eher sinnlicher oder rationaler Art ist. Losgelöst von den existentiellen Bestimmungsmomenten eines Gegenstandes kann sich aus der reinen Vorstellung ein freies, eigengesetzliches Spiel zwischen den inneren Gemütskräften, Einbildungskraft und Verstand, entfalten und durch Übereinstimmung beider die ästhetische Erfahrung entstehen. Wegen ihres inneren, geistigen Ursprungs birgt diese mittelbar bewirkte ästhetische Erfahrung immer schon Rationalität in sich, ohne daß aber ihre Intensität als Gefühl deswegen geringer sein müßte.

Die andere Voraussetzung für die Konvergenz von Sinnlichkeit und Verstand ist gegeben, wenn sich das Denken in der Kunst weder inhaltlich noch formal ihm eigentlich fremden Zwecken unterwirft. Denn dann kommt es einerseits zu einer Steigerung seiner Rationalität, weil es freier der eigenen logischen Form und zugleich der inneren Logik seines Inhalts zu folgen imstande ist. Überdies kann es aber auch rational über das Rationale hinausgelangen, wenn sein Gang und sein Ende nicht mehr von außen bestimmt werden, sondern es sich eigengesetzlich so weit entwickelt, bis es sich konkret als begrenzt erfährt (55), d.h. nicht mehr nur intellektuell, sondern auch sinnlich bewußt wird.

Die romantische Idee einer sinnlich erweiterten Reflexion bzw. einer reflexiv inspirierten Sinnlichkeit hat sich in der Kunst zu einer allein ihr eigenen, unvergleichlichen Erfahrungsform entwickelt. Diese besondere Bewußtseinsqualität hat auch Adorno im Blick (56), wenn er nach der ihm als gescheitert erscheinenden aufklärerischen Mission der Philosophie von der Kunst erhofft, daß sie die Tradition der Aufklärung fort- und umschreibt. Darin ganz Romantiker, fordert er, da "die Stunde naiver Kunst ... dahin" sei, müsse Kunst "die Reflexion sich einverleiben und so weit treiben, daß sie nicht länger als ein ihr Äußerliches, Fremdes über ihr schwebt; das heißt heute Ästhetik." (57) Mit dieser Definition reklamiert Adorno ausdrücklich den Begriff des Ästhetischen für jene ganzheitliche Erfahrungsform, die die Romantik der Kunst einst eingeprägt hat. Zugespitzt auf diesen bislang allein in der Kunst entfalteten Typus von Erfahrung und losgelöst von dem der antiken Tradition entstammenden, einseitig sinnlichen Bedeutungsspektrum, bekommt der Begriff ,ästhetisch' einen zeitgemäßen Sinn - und eine neue Notwendigkeit.

Denn welcher Begriff wäre schließlich geeigneter für die seit der Romantik sich immer stärker ausdifferenzierende Kunsterfahrung, die nicht nur graduell, sondern sehr prinzipiell sich von allen anderen Denk- und Empfindungsmöglichkeiten unterscheidet, welche dem Menschen durch seine beiden Grundvermögen der Welterkenntis: Sinnlichkeit und Verstand, gegeben sind. Wegen dieser Eigenständigkeit steht die in der Romantik zu einem Medium der Selbsterkenntnis gewordene ästhetische Erfahrung generell weder in kleinerer noch größerer Affinität zur Sinnlichkeit als zum Verstand. Alle Versuche, die zur ,Rettung der Kunst' durch die gewollt einseitige Forcierung ihrer sinnlichen oder, seltener, ihrer rationalen Seite immer wieder unternommen werden, verkennen insofern das Wesen dieser ästhetischen Erfahrung, statt es in seiner Eigenheit weiterzuentwickeln.

Es macht das Wesen der im romantischen Sinne ästhetischen Erfahrung aus, daß sie in völliger Unabhängigkeit von außerkünstlerischen rationalen Zwecken und unmittelbaren sinnlichen Reizen gemacht werden muß. Da es faktisch eine diesem Anspruch absolut genügende, d.h. reine Erfahrung des Ästhetischen nicht geben kann, existiert diese in höchster Vollendung nur als Idee, also unabhängig von jeder Konkretion. Die Idee des Ästhetischen ist gleichsam ein Postulat, das als "hypothetisches, regulatives Prinzip" (58) dazu dient, den Gebrauch der Erkenntniskräfte so anzuleiten, daß ästhetische Erfahrung auf eine Weise gemacht wird, die dieser Idee möglichst gemäß ist - wohl wissend, daß dabei nie mehr als eine Annäherung gelingen wird. Als genuin gedankliches Begriffskonstrukt, dem keine Erfahrung wirklich entsprechen kann, ist die Idee des Ästhetischen nach Kantischer Terminologie eine "Vernunftidee" und als solche durch und durch aufklärerisch. Doch weil ihr darüber hinaus das romantische Streben nach begriffsüberschreitender Unendlichkeit des Denkens innewohnt, entspricht sie ebensosehr - was philosophisch gesehen ein Unding ist - dem Begriff der ästhetischen Idee, die nach Kant "viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgendein bestimmter Gedanke, d.i. Begriff, adäquat sein kann". (59)

III. Aufklärung als Prozeß der ästhetischen Autonomisierung von der Romantik bis zur Gegenwart

Jenseits jeder philosophischen Systematik, konträr zu der für natürlich gehaltenen Trennung des menschlichen Erkenntnisvermögens und fern aller zweckrationalen Dienlichkeit und sinnlichen Unmittelbarkeit, konstituiert sich in der Romantik das Ästhetische als ein ganz neuartiger, eigengesetzlicher Erfahrungsbereich. Daß die Kunst so autonom wie nie zuvor wird, geht indes in erster Linie nicht auf den immer schon bestehenden künstlerischen Unabhängigkeitsdrang zurück, sondern auf die der Romantik vorhergehenden revolutionären gesellschaftlichen Veränderungen. Denn auch wenn die Revolution mit ihren sozial-politischen Zielsetzungen zunächst scheiterte und ihre aufklärerisch-humanistischen Ideale selbst grausam verriet, hat sie die angestammte weltliche und geistige Vorherrschaft von Adel und Klerus endgültig gebrochen. Der völlige Verlust dieses traditionellen Bezugsrahmens, nicht die Stärke ihres eigenen Willens hat die Autonomisierung der Kunst erzwungen.

Die ihrer klerikalen und feudalen Fesseln entledigte Kunst vermag im beginnenden bürgerlichen Zeitalter der Säkularisierung und Demokratisierung nicht länger als Vermittlerin der göttlichen Sinnordnung oder des herrschaftlichen Ordnungssinns zu fungieren und scheidet darum aus dem Kreis der nützlichen Künste aus. (60) Um überhaupt noch Sinn zu machen, kann sie nun nur noch ganz und gar als Kunst existieren und nicht mehr etwa zugleich auch als Altarbild oder Herrscherportrait. Aufgrund ihrer politisch bedingten Funktionslosigkeit hätte die Kunst "wie andere Handwerke auch ... daraufhin aussterben können" (61), wenn sie es nicht verstanden hätte, gerade die Zweckfreiheit als Voraussetzung der höchsten Entfaltung ihrer ästhetischen Qualitäten zu behaupten.

Die Befreiung, welche die gesellschaftliche Autonomie, d.h. die funktionale, institutionelle, ökonomische Unabhängigkeit der Kunst einerseits bringt, hat für sie auf der anderen Seite ein hohes Maß an Bestimmungslosigkeit zur Folge. Der einstigen Autorität beraubt, erweisen sich alle zuvor von außen an die Kunst gerichteten Ansprüche letztlich als unverbindlich. Derart losgelöst von traditionellen Bindungen und Notwendigkeiten, muß sie alles, was sie sein und werden will, allein aus sich heraus erfinden und begründen. Ihre durch die revolutionären politischen Veränderungen ermöglichte gesellschaftliche Autonomie macht es erforderlich, diese ihr zugefallene formelle und zunächst bloß abstrakte Freiheit nun auch inhaltlich durch die Selbstbestimmung ihrer künstlerischen Entscheidungen zu konkretisieren. Dazu hat sich die Kunst - bei aller sozio-ökonomischen Unabhängigkeit - von den in ästhetischer Hinsicht sehr wohl noch an sie gerichteten gesellschaftlichen Ansprüchen und Erwartungen zu emanzipieren. Diese ästhetische Autonomie ist im Unterschied zur politischen Autonomie, die in der Freiheit von Bedingungen besteht, allein durch deren selbstbestimmte Setzung zu erlangen.

Auf eine sehr grundsätzliche, geschichtsphilosophische Weise hat es Schlegel mit dem Scheitern der "natürlichen Bildung" begründet, weshalb bei der Herausbildung der modernen Kunst das Begriffliche eine "dirigierende" Funktion übernehmen muß. (62) Doch ist rückblickend die dafür wohl realhistorisch entscheidende Ursache im Zwang der Kunst zur ästhetischen Autonomisierung zu sehen. Denn Autonomie läßt sich nie anders als in einem Prozeß der "Selbstgesetzgebung durch Vernunft" (63) verwirklichen, so daß die Kunst umso stärker eine rationale und begriffliche Struktur entwickeln, d. h. sich selbst denken muß, je autonomer sie wird. Insofern ist es verständlich, daß der Bauhausvorläufer van de Velde "die Idee der vernunftgemäßen Schönheit", wie er sie durch eine hochgradig autonome und konstruktiv-funktionalistische Formsprache gestalterisch verwirklichen wollte, "auf die Französische Revolution zurückdatiert". (64)

Wird unter Aufklärung das Streben verstanden, etwas "frei von allen Bindungen an Tradition und Vorurteil aus der Vernunft neu zu konstruieren" (65), dann ist die Kunst, die sich aufgrund ihrer politischen Unabhängigkeit in ästhetischer Hinsicht ganz und gar selbst durch Vernunft begründen muß, zweifellos aufklärerisch und der gesamte, die moderne Kunst bestimmende ästhetische Autonomisierungsprozeß als eine Geschichte der Aufklärung zu lesen. Einmal begonnen, gibt es aus ihr kein Entrinnen mehr, weil die aufklärerische Vernunft wegen des ihr eigenen Hanges zur Universalisierung und Selbstreflexivität gar nicht anders kann, als immer wieder auf alles, sogar auf sich selbst, Bezug zu nehmen. Da die Vernunft diese tyrannische (66), von Adorno als totalitär (67) kritisierte Struktur hat, aber Autonomie sich allein vermöge aufklärerischer Vernunft erlangen läßt, ist die Kunst zur andauernden ästhetischen Autonomisierung verdammt. Diese übt ihrerseits - wie gesehen - einen neuerlichen Zwang zur weiteren Intellektualisierung auf die Kunst aus, so daß sich ästhetische Autonomisierung und die Rationalisierung des Ästhetischen gegenseitig bedingen und wechselseitig verstärken.

Daß die avantgardistische Kunst der Moderne aber den Glauben hege, die ständige Steigerung ihrer Autonomie und Rationalität bedeute zwangsläufig auch einen substantiellen künstlerischen Fortschritt, dieser postmoderne Vorwurf beruht entweder auf einem bloßen Mißverständnis oder ist schlicht eine Unterstellung. Schon Schlegel, der die moderne Kunst gerade dadurch gekennzeichnet sieht, daß ihrer Entfaltung keine natürlichen Grenzen mehr gezogen sind, beantwortet die sich ihm damit stellende Frage, ob "die Kunst nicht einer schlechthin unendlichen Vervollkommnung fähig" ist, mit der Feststellung, daß "ein absolutes Maximum ... in ihrer steten Entwicklung nicht möglich" (68) sei. Da zwar "die Kunst unendlich perfektibel" ist, "ohne (aber) je ihr Ziel ganz erreichen zu können" (69), hat sie ihre Vervollkommnung als andauernde "Aufgabe" zu betrachten, die sich ihr im Sinne von "unersättlichen, unbestimmten Forderungen" (70) stellt. Der Grad der Vervollkommnung ist immer nur ein relativer, und statt naiv an Fortschritt als immer weitere Annäherung an ein absolut gesetztes Entwicklungsziel zu glauben, erhebt Schlegel das andauernde Fortschreiten nach den Gesetzen der Vernunft zur Maxime für die moderne Kunst.

Mit diesem Gedankengang folgt Schlegel genau der Argumentation, wie sie Kant in einer für die Aufklärung exemplarischen Weise vorgedacht hat. Selbst wenn sich die gesamte Menschheit, also nicht nur die Kunst, nach den Gesetzen der Vernunft entwickelte, sieht Kant in dem "beständigen Fortschreiten ... des menschlich(en) Geschlecht(s) zum Besseren" (71) keinesfalls als Gewißheit an. Vielmehr ist es als eine niemals endende Aufgabe zu betrachten, welche erfordert, die Vernunft zur Maxime des Handelns zu machen - und sei es nur, um im Wandel der Zeiten moralisch zumindest den Status quo zu erhalten. Es ist kein Zufall, daß die Verwirklichung des derart als Bestimmungsgrund und nicht als Endziel des Handelns gemeinten Ideals der Vervollkommnung des Menschen immer wieder gerade in der Kunst gesucht wird. Denn dieses Ideal gleicht der "ästhetischen Idee" zum Verwechseln, da es genauso unerreichbar ist wie diese und gleichfalls nur als Fiktion funktioniert. (72)

Obwohl die menschliche bzw. ästhetische Vervollkommnung als Ziel unerreichbar ist, wird damit dem Streben der aufkärerischen Vernunft doch eine ganz bestimmte Richtung vorgegeben. Denn nach Kant ist "Vollendung", also auch die von Schlegel zur Maxime erhobene ästhetische Vervollkommnung, nicht anders als durch Selbstbestimmung (73) und diese wiederum nur durch Selbstdenken als die Grundvoraussetzung aller Aufklärung möglich. Insofern geht auch vom Ideal der Vervollkommnung - und nicht nur von den revolutionären politischen Veränderungen - ein dauernder Impuls und eine anhaltende Tendenz zur ästhetischen Autonomisierung und Aufklärung aus. Solange die Kunst an dieser Orientierung grundsätzlich festhält und mittels der Vernunft ihre immer weitergehende ästhetische Autonomisierung betreibt, bleibt sie aufklärerisch und dem Projekt der Moderne verpflichtet. Es wird zu zeigen sein, daß das als postmodern proklamierte neue Bewegungsprinzip der Kunst gerade keinen Paradigmenwechsel, sondern die Preisgabe dieser Tradition bedeutet.

Jene die gesellschaftliche Autonomie der Kunst ausmachende institutionelle, ideologische, ökonomische, ... Unabhängigkeit ist wesentlich durch die politische Verfassung einer Gesellschaft vorgegeben. Sie kann vom Künstler nicht prinzipiell gesteigert, sondern bestenfalls bis an die Grenzen des Möglichen individuell ausgeschöpft werden, sofern dieser sich nicht als direkt politisch Handelnder betätigen will. Dagegen ist die ästhetische Autonomie künstlerisch in dem Maße substantiell erweiterbar, wie die Reduzierung möglicher und tatsächlicher gesellschaftlicher Einflüsse auf die kunstpraktischen Entscheidungen gelingt. Als Akt der Selbstbestimmung ist darum die ästhetische Autonomisierung nicht nur als solche schon ein Aufklärungsprozeß. Vielmehr hat die daraus hervorgegangene autonome Kunst, indem sie sich zunächst vor allem gegen die gesellschaftlichen Interessen, Ansprüche und Erwartungen auflehnte, "als eine Art kritische Außenstelle der Gesellschaft" (74) eine aufklärerische Funktion bekommen und in solcher "rigiden Distanz ... vielleicht ihren wichtigsten gesellschaftlichen Beitrag" (75) geleistet.

Welche gesellschaftlichen Interessen, Ansprüche und Erwartungen von der Kunst jeweils problematisiert und zum Motiv ihres Unabhängigkeitsstrebens gemacht worden sind, hat sich in den vergangenen zweihundert Jahren der Geschichte autonomer Kunst ständig verändert. Ihre Entwicklung verläuft keineswegs linear, sondern weist immer wieder Vorgriffe und Rückbezüge, Überschneidungen und Widersprüchlichkeiten auf. Gleichwohl lassen sich durchaus Phasen, in denen eines der Motive für den Autonomisierungsprozeß bestimmender ist, deutlich unterscheiden. Letztlich ist sogar aufgrund des dirigierenden Einflusses, den die Vernunft mit ihren Begriffen ausübt, insgesamt eine Logik und ein Fortschreiten zu immer größerer Autonomie erkennbar:

Zunächst ist das künstlerische Autonomiestreben primär darauf gerichtet, sich von den kirchlichen, ständischen und höfischen Vorstellungen darüber zu lösen, was die Kunst funktional zu leisten und inhaltlich zu zeigen habe. Es macht das Wesen der im Formalen eher noch traditionellen Malerei der Romantik aus, daß sie sich diesem Problem erstmals in aller Konsequenz stellt und die Natur als neuen Inhalt der Kunst erfindet. (76) Indem die Natur, wie sie einerseits von C. D. Friedrich konkret als schöne Landschaft und andererseits von P.O. Runge abstrakt als Prinzip des Werdens und Vergehens aufgefaßt wird, vom Bildhintergrund zum Bild-Thema avanciert, verändert sich zugleich die Funktion der Kunst. Sie dient in der Romantik nun einzig dem jenseits aller bisherigen Nützlichkeitsvorstellungen liegenden, rein ästhetischen Zweck, "die Empfindung unserer selbst im Zusammenhang mit dem Ganzen" (77) zu erwecken. Zugleich wendet sich die romantische Kunsttheorie gegen die herrschenden gesellschaftlichen Geschmacksvorstellungen, indem sie in der Kunst auch das Häßliche akzeptiert. Schlegel begründet dessen Berechtigung damit, daß "selbst in der höchsten Stufe der Häßlichkeit ... noch etwas Schönes enthalten" (78) sei.

Wirklich folgenreich für die bildkünstlerische Praxis wird die romantische Enttabuierung des Häßlichen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Kubismus. Beeindruckt von der Vitalität des Primitivismus, deformiert das kubistische Bild die darzustellenden Gegenstände durch Abstraktion, "um nur (noch) des Kunstwerks urinnerstem Einheitswillen zu gehorchen." (79) Auch wo die Gegenstände noch identifizierbar bleiben, haben sie eine künstlerische, von ihrer tatsächlichen Erscheinungsweise absehende Umformung erfahren. Das kubistische Bild lebt nicht mehr aus dem mimetischen Rückbezug auf die Realität, sondern beansprucht eine davon weitgehend unabhängige, eigene Wirklichkeit für sich zu sein. Darüber noch hinauszugehen und eine überhaupt nicht mehr an der gegenständlichen Erscheinungswelt orientierte, sondern ausschließlich ästhetisch organisierte Bildwirklichkeit zu schaffen beabsichtigen der Konstruktivismus und die extremsten Ausprägungen des Expressionismus. Die Konsequenz ist, daß ihre Kunst alles Gegenständliche ganz in Farben und Formen auflöst und absolut ungegenständlich wird. Damit das Bild sowohl inhaltlich als auch formal von nichts anderem mehr bestimmt werde als von rein ästhetischen Erwägungen, sollen außerkünstlerische Gegebenheiten keinerlei Berücksichtigung mehr finden.

Aber selbst nach der Reduktion der gegenständlichen Erscheinungswelt auf ihre gestalterischen Grundelemente sind die formal-künstlerischen Entscheidungen nicht völlig autonom. Ihre Autonomie ist auch bei absoluter Ungegenständlichkeit eines Werkes so lange noch eingeschränkt, wie sie weiterhin in einer gewissen morphologischen Übereinstimmung mit den gesellschaftlich anerkannten Formen ästhetischer Praxis getroffen werden. Erst der Dadaismus und insbesondere Duchamp in seinen "ready-mades" haben mit solchen Konventionen gebrochen und etwas als Kunst behauptet, das den Rahmen der traditionellen künstlerischen Grundformen des Tafelbildes und der Sockelplastik sprengt. Solche Objekte, an deren äußerer Erscheinungsweise nichts mehr unmittelbar auf ihren Kunstcharakter hinweist, verdanken ihre ästhetische Seinsweise ganz der künstlerischen Erfindung des Einzelnen und beruhen nicht auf der Anpassung an die Tradition, der gegenüber selbst die freiesten Formerfindungen nicht wirklich autonom sind, solange sie sich den bestehenden künstlerischen Grundformen unterordnen.

Erschöpft sich das Ästhetische nicht bloß in mehr oder minder interessanten inhaltlichen und/oder formalen Modifikationen, die sich aber stets innerhalb der Grenzen des Überkommenen bewegen, dann kommt den künstlerischen Entscheidungen zwangsläufig eine noch viel weiterreichende Bedeutung als bisher zu. Statt sich nur mit den herkömmlichen ästhetischen Form- und Inhaltsfragen zu befassen, müssen sie nun auch konzeptionelle, mit dem Wesen, der Idee oder dem Begriff von Kunst sich sehr generell auseinandersetzende Überlegungen betreffen. Führen diese dazu, daß frei von gesellschaftlich herrschenden Vorstellungen, Vorlieben und Vorgaben über die Formen entschieden wird, in denen sich Kunst verwirklichen kann, so liegt darin der Gewinn ihrer formalen und ein wichtiger Schritt zur Erlangung ihrer konzeptionellen Autonomie. Dieser Stand der ästhetischen Autonomisierung ist mit der bedeutenden, durch Picasso, Mondrian und Duchamp (80) wesentlich geprägten Epoche in der Kunst des 20. Jahrhunderts erreicht worden, die mittlerweile als klassische Moderne etabliert ist. In diesem Entwicklungsabschnitt ist es der Kunst gelungen, durch Denken die Selbstgesetzgebung (81) und die Verfügbarkeit der materialen und ideellen Möglichkeiten ihrer Praxis, also Aufklärung über sich selbst, in einem bis dahin undenkbaren Maß zu erlangen.

Die im Prozeß der konzeptionellen Autonomisierung für die Kunst der klassischen Moderne entstandene Notwendigkeit, nicht nur einzelne ihrer inhaltlichen oder formalen Aspekte, sondern sich immer wieder auch als Ganzes sehr grundsätzlich zu überdenken, hat zur steten Steigerung ihrer Selbstreflexion geführt. Dadurch verändert sich nach und nach ihr Bezug auf die Gesellschaft, der gegenüber sie bis dahin ihre Autonomie wesentlich definiert hat. Zunehmend gewinnt das interne Verhältnis der Kunst zu sich selbst an Wichtigkeit; konkreter: das Verhältnis zu ihrer eigenen Tradition, also zu dem, was sie an sich selbst für bereits gesellschaftlich akzeptiert hält, wird immer bestimmender. Der möglichen Gefahr, durch den dauernden Rück- und Selbstbezug in Konservatismus und Stagnation zu verfallen, wirkt die Kunst mit dem sie in ihrer Entwicklung weiterhin bestimmenden Prinzip der Autonomisierung entgegen. Sie wendet es nun nicht mehr nur direkt auf die Gesellschaft an, sondern gerade auch gegenüber dem, was ihr am eigenen historischen Bestand als gesellschaftlich angepaßt vorkommt. Dieser neue Abschnitt der Autonomisierung ist dadurch geprägt, daß die Kunst ihre Unabhängigkeit nun von dem Traditionellen, Gesellschaftlichen an sich selbst zu gewinnen sucht.

Für die der klassischen Moderne nachfolgende Avantgardekunst ist das Gesellschaftliche in Gestalt ihrer eigenen Tradition der entscheidende Widerpart ihres Autonomiestrebens. Das avantgardistische Bestreben, sich andauernd über die Tradition hinwegzusetzen, macht keineswegs vor den jeweils jüngsten künstlerischen Positionen halt. Im Gegenteil stellt die avantgardistische Kunst gerade sie und nicht nur längst historisch Gewordenes radikal in Frage, um sich möglichst von allem Bestehenden zu befreien. Doch wird dieses nicht einfach negiert, sondern im dialektischen Sinn aufgehoben, also als Geschichte bewahrt und überwunden zugleich, ohne daß dieser Entwicklungsprozeß, trotz gewisser Linearität und Logik, einen Fortschritt der Kunst bedeutete. Die ihre Zeitgenossenschaft verabsolutierende Avantgardekunst flieht ihre Geschichte ohne Ziel, wenn ihr diese Flucht selbst nicht Ziel und Zweck ist. Sie ähnelt jenem Herrn in Franz Kafkas Erzählung "Der Aufbruch" (1922), der auf die Frage des Knechts, wohin er reite, antwortet: "Ich weiß es nicht, ... nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen." Und als der Knecht weiter fragt: "Du kennst also dein Ziel", ihm nur zu erwidern weiß: "Ich sagte es doch: Weg von hier, das ist mein Ziel."

In dem zu immer größerer Unabhängigkeit von der künstlerischen Tradition führenden Prozeß der ästhetischen Autonomisierung, wie er für die avantgardistische Kunst charakteristisch ist, lassen sich - wie in dem direkt auf die Gesellschaft bezogenen Autonomisierungsprozeß - zwar ebenso mehr inhaltlich, mehr formal oder mehr konzeptionell orientierte Phasen der Autonomisierung unterscheiden. Aber auf welchen Aspekt der Tradition die Avantgardekunst mit ihren verschiedenen Richtungen auch immer reagiert, allemal ist das konzeptionelle Moment am bestimmendsten. Die avantgardistischen Formentscheidungen sind untrennbar verbunden mit der Reflexion und Umformulierung des Begriffs, den die Kunst von sich selbst hat, so daß sie durch und durch "conceptuelle" wird. Da "der Begriff ... im Nerv der malerischen Konzeption ... sitzt", hat "die Reflexion, und zwar in ihrer begrifflichen, systematischen Form, bereits als Bestandteil des schöpferischen Prozesses zu gelten." (82)

Die zunächst von der Kunst gegenüber der Gesellschaft durchgesetzte Möglichkeit der Selbstbestimmung verkehrt sich bei der Avantgardekunst umso mehr in einen Zwang zur Selbstdefinition, je ausschließlicher sie sich auf die Überwindung der eigenen Tradition fixiert. Diese Entwicklung kulminiert in der conceptual art (83) der sechziger Jahre, die an nichts anderem arbeitet, als den Kunstbegriff zu definieren, und die insofern nur mehr etwas über Kunst auszusagen vermag. Auf die Philosophie Wittgensteins zurückgreifend und sich anlehnend etwa an Thesen Ad Reinhardts: "Kunst als Kunst ist nichts als Kunst" (84), besteht die konzeptuelle künstlerische Praxis in der "Untersuchung über das Wesen von Kunst" und konzentriert sich dazu auf das "Ausarbeiten und Durchdenken" sämtlicher Implikationen des Begriffs "Kunst" (85). Nur insoweit, wie es diesem Zweck dienlich ist, läßt sie sich überhaupt noch auf die traditionellen künstlerischen Inhalts- und Formfragen ein: Für die Konzeptkunst sind nicht mimetische oder morphologische, sondern - im wahrsten Sinne des Wortes - ideologische Probleme bestimmend.

Indem die Konzeptkunst die das Attribut "Kunst" betreffende Begriffsbildung selbst bestimmt und nicht mehr solchen gesellschaftlichen Instanzen wie der Kunstkritik überläßt, gewinnt die Kunst ihre völlige konzeptionelle Autonomie. Unter der Voraussetzung, daß Kunst dadurch "lebt ..., daß sie andere Kunst beeinflußt", faßt die Konzeptkunst jedes ihrer Werke als einen "Kommentar zur Kunst" (86) auf. Derart von einer "tautologischen Existenz der Kunst" (87) ausgehend, wird diese zwar eigengesetzlicher denn je und nähert sich ihrem Ideal der Selbstverwirklichung weitestgehend an. Aber je stärker sich durch die conceptual art die Selbstbezüglichkeit der Kunst steigert und sie mehr und mehr nur noch sich "selbst als Medium verwende(t)" (88), desto hermetischer und zirkulärer wird sie. Sie droht "in einer Art von logischem Kurzschluß zu kollabieren" (89), wenn sie ihre Inhalte, Formen und Ideen immer ausschließlicher aus sich selbst schöpft.

IV. Ende oder Transformation und Kontinuität der aufklärerischen Tradition heute?

Wenn auf dem von der conceptual art erreichten Stand die Avantgardekunst ihre Autonomisierung nach dem bisherigen Prinzip einfach fortsetzte, käme es ganz zwangsläufig zu einem zirkelhaften Leerlauf der Kunst. Denn mit der conceptual art und ihrer extremen Selbstreflexivität hat die Kunst in ästhetischer Hinsicht einen derart hohen Grad an Unabhängigkeit sowohl von den gesellschaftlichen Bedingungen (90) als auch von der Normativität ihrer eigenen Tradition erlangt, daß eine in derselben Richtung weitergehende Autonomisierung weder notwendig noch möglich ist. Um sich nicht nur zu wiederholen, bleibt der Kunst schließlich nichts anderes übrig, als sich autonom gegenüber der von ihr bislang verfolgten Idee der Autonomisierung zu verhalten. Genau diesem Prinzip folgt die als postmodern proklamierte Kunst, die sich nicht länger dem avantgardistischen Diktat beugt, die Tradition innovativ überwinden zu müssen. Sie sucht vielmehr die Befreiung von dem der Avantgardekunst innewohnenden Zwang, sich gegenüber den künstlerischen Entscheidungen und Werken der Vergangenheit autonom verhalten zu müssen, und bedient sich "unbekümmert" aller inhaltlichen, formalen und konzeptionellen Erfindungen der Kunstgeschichte.

Indem die postmoderne Kunst autonom gegenüber dem ihr vorhergehenden Konzept der Kunstautonomie wird, gewinnt sie nochmals eine "neue ästhetische Autonomie" (91), nach der es aber keinen weiteren derartigen Schritt mehr geben kann. Denn ausgehend von der postmodernen Kunst, die ja bereits die Negation des Autonomiekonzepts bedeutet, wäre jede weitere Autonomisierung ein die Negation nur wieder negierender sinnloser Akt der Selbstaufhebung. Darüber hinausgehende Schritte der Autonomisierung sind aus der Sicht postmoderner Kunst aber auch ganz und gar überflüssig, weil diese sich ohnehin über den früheren künstlerischen Autonomieanspruch permanent hinwegsetzt. Darum versteht postmoderne Kunst ihre Praxis als die höchste Ausprägung des avantgardistischen Konzepts der Autonomisierung (92), und die Geschichte der Aufklärung, die sich wesentlich als Autonomisierungsprozeß vollzogen hat, erscheint ihr in der Kunst und auch anderswo als beendet - im Sinne von gescheitert. (93) Doch als Höhepunkt der ästhetischen Kunstautonomie ist der Postmodernismus tatsächlich nicht deren End-, sondern in jedem Fall deren Wendepunkt: Denn entweder kommt es zu einer Fortsetzung der aufklärerischen Tradition unter anderem Vorzeichen, oder aber das Prinzip des Postmodernismus setzt sich als Bewegungsgesetz der Kunst durch und ihre Autonomie geht nach und nach verloren.

Am Programm des Postmodernismus und seiner geschichtslos dem "anything goes" (94) folgenden Praxis ist jedenfalls bereits jetzt ablesbar, daß diese nach dem Mechanismus der Mode funktioniert und sich damit total ihrer wirtschaftlichen Verwertung als Ware ausliefert. Während die Kunst der Moderne von der ständigen Thematisierung ihrer Existenzmöglichkeit geistig gelebt hat, ist es dann keine künstlerische Frage mehr, ob ihr Fortbestand überhaupt möglich ist, sondern eine bloß ökonomische. Unter dem Diktat des Geldes, dem sich die Kunst als postmoderne nicht zu entziehen vermag, geht es ihr, ebenso wie allen übrigen gesellschaftlichen Bereichen auch, primär um das eigene Überleben, um die reine Bestandserhaltung im bloß biologistischen Sinn. Infolgedessen wird die der Kunst eigene, eigentlich aufklärerische, ästhetisierte Rationalität opportunistisch in den "Dienst wildgewordener Selbsterhaltung" (95) gestellt und verkommt dadurch zur rein verstandesmäßigen Zweckrationalität. Die vom egoistischen Kalkül beherrschte, ihre große aufklärerische Tradition preisgebende Kunst prosperiert finanziell wie selten zuvor, aber als einst einzigartiges, ästhetisches Erfahrungsfeld und Organon sinnlich erweiterter Reflexion und reflexiv inspirierter Sinnlichkeit wird sie "unmerklich in den Alltag auslaufen und versickern". (96)

Das paradoxe Phänomen, das die eigentlich auf der Höhe ihrer ästhetischen Autonomie stehende Kunst strukturell wieder in gesellschaftliche Abhängigkeit gerät, offenbart sich zwar am Postmodernismus, aber ist nicht durch ihn entstanden. Vielmehr hat diese regressive Entwicklung dadurch eine gewisse Zwangsläufigkeit, daß die Kunst sich im Prozeß ihrer immer weiteren Autonomisierung zu einem selbständigen gesellschaftlichen System, zur "Eigengesellschaft" (97) ausdifferenziert hat. Dies bedeutet, daß von der Kunst bestimmte, vormals externe gesellschaftliche Faktoren gleichsam internalisiert worden sind. Infolgedessen gibt es nun auch in der Kunst selbst gesellschaftliche Momente, etwa als ökonomische, institutionelle und traditionelle Interessen, Ansprüche und Erwartungen. (98) Auch wenn diese ganz und gar dem System Kunst zuzurechnen sind, können sie sich auf die Entscheidungen des Künstlers jedoch genauso "unkünstlerisch" auswirken, wie jene externen Fremdbestimmungen, denen er sich bisher seitens der Gesellschaft ausgesetzt sah.

Die in ästhetischer Hinsicht autonom und dabei zur "Eigengesellschaft" gewordene Kunst unterliegt weiterhin - wenn auch nun ihr selbst innewohnender - Fremdbestimmung. (99) Insofern trifft es überhaupt nicht zu, wenn der Postmodernismus so tut, als ob die aufklärerische und avantgardistische Idee der Autonomisierung sich allemal aufgrund des faktischen Fehlens von Fremdbestimmung erledigt habe. (100) Damit sie nicht von den ihr inzwischen immanenten gesellschaftlichen Fremdbestimmungen überformt wird und das ihr spezifisch Eigene verliert, ist es ganz im Gegenteil für die Kunst nach wie vor zwingend, am Autonomiegedanken festzuhalten. Andernfalls wäre selbst ihre bisher in der Moderne erlangte gesellschaftliche und ästhetische Autonomie, ja ihre "Fortsetzbarkeit ... als ein soziales System" (101) überhaupt gefährdet. Denn zur "Eigengesellschaft" geworden, ist ihre Fortexistenz als Kunstsystem nicht mehr "in die Gesellschaftsstruktur eingehängt und dadurch garantiert" (102), sondern setzt eine andauernde Differenz zu den Leistungen anderer Systeme voraus, die ohne ästhetische Autonomie nicht zu erzeugen ist.

Um das negative Ende, die Auflösung der Kunst in der Gesellschaft, zu verhindern, (103) ist jedoch die bislang verfolgte Strategie der ästhetischen Autonomisierung unbrauchbar. Diese war kategorisch gegen alles Gesellschaftliche und sogar gegen das gerichtet, was die Kunst jeweils an sich selbst für traditionell, also für gesellschaftlich akzeptiert hielt. So konnte sie "als ... kritische Außenstelle der Gesellschaft" (104) zwar eine wichtige aufklärerische Funktion übernehmen, aber seitdem die vormals externen Faktoren gesellschaftlicher Fremdbestimmung in die kunstinternen Strukturen eingegangen und mit ihnen eins geworden sind, ist die Autonomisierung der Kunst nicht mehr im klassischen, etwa von Adorno formulierten Sinn als "Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber" (105) möglich. Weil der Kunst das Gesellschaftliche immanent ist, würde jeder von ihr dagegen unternommene Autonomisierungsversuch bedeuten, daß sie nach Unabhängigkeit von den sie als Sozialsystem tragenden eigengesellschaftlichen Strukturen trachtete. Damit aber riskierte sie zwangsläufig ihr Bestehen, da das an sich schon fragwürdige Streben nach Autonomie gegenüber der eigenen Existenzgrundlage - wenn überhaupt - nur um den Preis der Selbstvernichtung zu erreichen ist. Soll das Projekt der aufklärerischen Moderne fortgesetzt und nicht vom Postmodernismus beendet werden, stellt sich die Frage, wie die eigengesellschaftlich verfaßte Kunst ihre Autonomie wiedererlangen und weiterentwickeln kann.

Das ursprüngliche und eigentliche Ziel des künstlerischen Autonomiestrebens ist die ästhetische Unabhängigkeit des Werkes allem Gesellschaftlichen gegenüber. Doch kann die autopoietisch (106) sich reproduzierende Kunst eben nicht mehr im Adornoschen Sinn die Autonomie des Werkes weiterhin aus einer negierenden Gegenposition zur Gesellschaft durchsetzen. Da sie sich sonst durch Selbstnegation destruiert, ist die Kunst gezwungen, eine ganz neue Strategie der Autonomisierung zu entwickeln. Sie hat von der Voraussetzung auszugehen, daß es fortan keine andere Möglichkeit für die Kunst gibt, als die "Verselbständigung in der Gesellschaft" (107) zu suchen. Die Überlegung, nur "im Vollzug von Gesellschaft" (108) sei die Kunstautonomie noch zu erlangen, ist zunächst recht abstrakt. Aber aus ihr läßt sich vor dem Hintergrund der bisherigen Argumentation und aufgrund Luhmanns theoretischer Bestimmung, daß Gesellschaft aus Kommunikationen besteht, (109) eine konkrete Konsequenz auf jeden Fall ziehen: Die Entstehung des Werkes muß aus dem Kunstsystem heraus in die gesellschaftliche Kommunikation verlagert werden, (110) die - systemtheoretisch formuliert - von personalen, psychischen Systemen getragen wird und Ereignis-, nicht Objektcharakter hat. (111) Eine derart fundamentale Umorientierung bedeutet den wahren Paradigmenwechsel in der Kunst, während der Postmodernismus lediglich die Endstufe des avantgardistischen Autonomisierungsprozesses darstellt.

Daß ausgerechnet durch die Externalisierung des Werkes aus dem Kunstsystem die aufklärerische Tradition der ästhetischen Autonomisierung fortsetzbar sein soll, mag zunächst paradox erscheinen. Aber unter bestimmten Voraussetzungen sind Autonomie und Heteronomie eben nicht generell als einander ausschließende Momente zu begreifen. "Die Systemtheorie sieht in diesen Unterscheidungen keine Alternativen. Wissenschaft ist nicht entweder autonom (selbstreguliert) oder heteronom (fremdgesteuert), sondern sie kann ihre Autonomie durch ihre Heteronomie stärken oder schwächen." (112) Das hier für die Wissenschaft Behauptete gilt gleichermaßen für die Kunst, zumal die Kunsttheorie das Sowohl-als-auch von Auto- und Heteronomie bereits früher kannte. Schiller hat sich in den Kallias-Briefen zur Kennzeichnung dieses Phänomens des Kantischen Begriffs der Heautonomie bedient, der auf die hier vorgeschlagene Strategie der Autonomisierung zutreffend uniformuliert werden kann:

Das Werk ist für die Avantgarde zugleich Zweck und Mittel bei der ästhetischen Autonomisierung der Kunst. Wird es zu einer externen Angelegenheit der Kunst gemacht, (113) verliert das Werk diese Doppelfunktion als Selbstzweck und die Kunst bekommt dadurch einerseits einen heteronomen Charakter. Andererseits aber ist die Kunst, wo sie aus sich heraus die Setzung des Werkes als einen ästhetischen, ihr jedoch externen Zweck selbst bestimmt, auch gleichermaßen autonom. Als selbstreferentielles, autopoietisches System hat die Kunst gleichsam natürlicherweise eine autonome Struktur, da ihr prinzipiell alle externen Einflüsse "als Bestimmung zur Selbstbestimmung" (114) dienen können; freilich nur unter der Voraussetzung, daß sie die Autonomie überhaupt will und zu verwirklichen sucht.

Die Kunst, die trotz und gerade wegen ihrer Systemzwänge (115) den Autonomiegedanken nicht aufgibt, steht vor dem Problem, wie das als Kern des Ästhetischen fungierende Werk kunstextern, gleichsam im Medium gesellschaftlicher Kommunikation, durch personale psychische Systeme realisiert werden kann. Diese theoretische Formulierung darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich dabei um ein Problem der künstlerischen Praxis selbst handelt, welches nur sie allein letztlich auch zu lösen vermag. Gleichwohl läßt sich aus der Logik des hier entwickelten Theorieansatzes zumindest eine der Grundvoraussetzungen dafür angeben, wie die konkrete Ausformung des Werkes sich außerhalb des Kunstsystems vollziehen kann: Das Werk muß vom Künstler unabhängig werden, der sich im Brennpunkt aller der Kunst als System immanenten Fremdbestimmungen befindet, denen er im Streben nach Geld, Ruhm, Macht, ... unausweichlich unterworfen ist. Eine die Fortsetzung des aufklärerischen Autonomisierungsprozesses anstrebende ,trans-postmoderne' (116) Kunstpraxis steht darum vor der Aufgabe, Formen zu finden, die das Werk von bestimmten Aspekten der Kunst als Sozialsystem" und vom Künstler als Produzenten so unabhängig wie irgend möglich machen. Denn anders kann die Unabhängigkeit der Kunst und ihrer Werke, daß sie also - als notwendige Voraussetzung jeder ästhetischen Autonomie - vor allem gegenüber den ihr immanent gewordenen ökonomischen, institutionellen, funktionalen, ... Zwängen autonom ist, nicht wiedererlangt werden.

Die bisherige Argumentation dürfte theoretisch nachvollziehbar und vielleicht sogar einleuchtend sein. Aber die aus ihr zu folgernde faktische Konsequenz, daß um der Kunstautonomie willen die Praxis des professionellen Künstlers mit dem Entstehungsprozeß des eigentlichen Kunstwerkes nicht mehr identisch sein kann, wird als paradox, utopisch, anarchistisch, nihilistisch oder nur schlicht als unsinnig, in jedem Fall jedoch als absolut praxisfern erscheinen. Eine solche Bewertung läßt sich freilich schon durch den Hinweis auf einige derjenigen Beispiele aus der modernen Kunstgeschichte entkräften, wo die von mir postulierte Trennung zwischen der künstlerischen Praxis und dem Konstitutionsprozeß des Werkes sich auf unterschiedliche Weise bereits tendenziell abzeichnet:

Gleich aus der Frühphase autonomer Kunst am Anfang des 19. Jahrhunderts sei etwa an P. O. Runges "Vier Zeiten" erinnert, zu denen Tieck wegen ihres "vieldeutigen Sinns" (118) mit Bedenken bemerkte, "welches Übergewicht hier die Betrachtung über die hervorbringende Kraft (des Künstlers) erlangt". (119) Diese in der Romantik noch weitgehend Idee gebliebene Priorität der Rezeption beginnt der Impressionismus ein halbes Jahrhundert später malerisch einzulösen. Dabei geht Cezanne so weit, daß er aus Zweifel an seinen künstlerischen Entscheidungen auf sie partiell zu verzichten wagt. Dadurch entstehen in seinen Bildern die berühmten, für das "offene Kunstwerk" (U. Eco) beispielhaften Leerstellen, die den Betrachter gleichsam "als Lehrstellen ... über seine bildschöpferischen Projektionskapazitäten aufklären". (120)

Nach dem wesentlich von Cezanne inspirierten Durchbruch zur Abstraktion und zur absoluten Malerei verstärkt sich bei den Künstlern zunehmend die Tendenz, ihren Anspruch aufzugeben, alleiniger Schöpfer des Werkes zu sein. Als Anzeichen für diese noch mehr oder minder latenten Bestrebungen sind solche Phänomene zu werten wie etwa der aus dem Umkreis absoluter Malerei stammende Topos des "Eigenlebens der Farbe", das mit dem Konstruktivismus aufkommende Ideal der "Funktionalität" oder die vom Bauhaus zur Maxime erhobene "Materialgerechtigkeit": "Nicht der Künstler, sondern sein Instrument und sein Material sollen das Bild bestimmen." (121)

Was hier noch eher postulierenden Charakter hat, gewinnt durch die zunehmende Relativierung der das Werk betreffenden Gestaltungsentscheidungen des Künstlers dann im Dadaismus und Surrealismus faktische Bedeutung. Wie die von Duchamp (122) als künstlerisches Prinzip entdeckte Organisation des Zufalls so hat auch der auf die Stimulation des Zufalls zielende "reine psychische Automatismus" (123) Bretons das Werk bewußt immer mehr der Kontrolle des Künstlers entzogen. Doch ein angemessener malerischer Ausdruck, welcher der ursprünglich für die Literatur geschaffenen surrealistischen Methode entspricht, ist trotz aller bildnerischen Experimentierfreudigkeit, etwa eines Max Ernst, erst der informellen Kunst gelungen. In ihren frühesten und exstremsten Bildern kommt es bei Pollock zu einer aktionistischen und bei Wols zu einer organischen Auflösung der bisherigen Bildeinheit im Sinne einer weitgehenden Verweigerung von Formungsabsichten.

Es kann also kein Zweifel bestehen, daß die zur Fortsetzung der aufklärerischen Tradition heute erforderliche Verselbständigung des Werkes gegenüber dem Künstler - da es andernfalls nicht kunstextern im Medium gesellschaftlicher Kommunikation entstehen kann -, eine bis in die Anfänge autonomer Kunst zurückreichende Vorgeschichte hat. Auch wo es den betreffenden Künstlern selbst tatsächlich noch vor allem um eine formale Befreiung und Erweiterung ihrer ästhetischen Möglichkeiten gegangen ist, läßt sich unter der hier entwickelten Problemperspektive zwischen deren Hervorbringungen durchaus jener innere Zusammenhang herstellen, der keineswegs konstruiert ist. Denn wenn im Vordergrund aller Bemühungen um die ästhetische Autonomisierung nicht die Emanzipation des Künstlers, sondern die des Werkes stehen soll, ist es nur logisch, daß es in seiner konkreten Ausprägung immer unabhängiger vom Künstler werden muß. Gleichwohl hat eben diese Trennung in der gesamten modernen Kunstgeschichte bisher als einziger Künstler Franz Erhard Walther nicht nur bewußt, sondern auch mit programmatischer Absicht in aller Konsequenz vollzogen. Gerade weil er zu einer anderen Zeit aus ganz anderen als den dargelegten theoretischen Überlegungen zu damit dennoch korrespondierenden künstlerischen Ergebnissen gekommen ist, verifizieren sich diese Praxis und die zuvor umrissene Kunsttheorie bis zu einem gewissen Grad gegenseitig.

V. F.E. Walthers Kunstentwurf als Beispiel: Vom Sehen zum Sein

Als Kern des Kunstentwurfes von F.E. Walther betrachte ich die erstmals von ihm mit seinem "1. Werksatz" (1963-69) dezidiert behauptete Nicht-Identität zwischen der Praxis des Künstlers und dem Entstehungsprozeß des eigentlichen Werkes. Er hat damit Mitte der 60er Jahre eine Position formuliert, die aus theoretischer Sicht einen der wichtigsten künstlerischen Anknüpfungspunkte für jede heutige trans-postmoderne, dem aufklärerischen Autonomiegedanken weiterhin verpflichtete Kunstpraxis darstellt. Insofern war Walthers frühe Arbeit, obwohl sehr stringent auf den Kunstkontext jener Zeit bezogen, eigentlich ein unzeitgemäßer Vorgriff. Das hat sich schon daran gezeigt, daß sie etwa von der Arte povera, über die Minimal-, Conceptual-, Body- oder Process-art bis hin zur Performance mit keiner der damaligen Kunstrichtungen eindeutig zu identifizieren und zu beschreiben war, obwohl ihr von allen bestimmte Momente eigen sind. Wahrscheinlich ist sie gerade wegen dieser Singularität jenseits aller separierten und spezialisierten Gattungs-, Material- und Medienproblematiken in der Kunst noch heute als ein unverbrauchtes Potential für die Zukunft verfügbar.

Die Grundlagen für seinen weitreichenden Kunstentwurf beginnt Walther um 1960 in der Auseinandersetzung mit dem Informel zu entwickeln. Zwar interessiert ihn bereits während der Studienzeit diese damals verbreitetste Stilrichtung als Malerei nicht mehr sonderlich. Aber die ihr zugrundeliegende Haltung und der seinerzeit verbreitete Gedanke, daß das Informel notwendig zu einem Nullpunkt führen müsse, hält Walther weiter für wichtig. Gemäß der Einsicht Schlegels, daß in der Moderne der "Verstand das lenkende Prinzip" des Künstlerischen sein müsse, reagiert Walther direkt auf den Begriff des Informel, den er wortwörtlich nimmt, indem er auf die Idee kommt, Kunst - statt vom Ergebnis - von ihrer Entstehung her zu denken: "Das Informel als Nullpunkt hat für mich das Ungeformte bedeutet, daß Zurückgehen an den Anfangspunkt, wo noch nichts geformt ist, wo es sich erst zu formen beginnt". (124)

Um für die derart radikalisierte Auffassung des Informellen eine wahre künstlerische Entsprechung zu finden, ist Walther in seinen seit etwa 1962 entstehenden Papierarbeiten bestrebt, all das zu vermeiden, was nach einem illusionistischen Gebrauch der Mittel oder anderen künstlerischen Formentscheidungen aussieht. Statt das Papier, wie es sonst zumeist geschieht, lediglich als Fläche für fiktive Welt- oder subjektive Selbstdarstellungen zu nutzen, bringt er dessen spezifische stoffliche Eigenschaften beispielsweise mit Faltungen, Klebungen, Abrissen und Durchtränkungen auf eine sehr elementare Weise ins Spiel. Durch solche absichtlich kunstlosen Bearbeitungsweisen erschließen sich die materialen Qualitäten des Papiers als ein quasi objektives Formpotential und werden immer mehr zu einem eigenständigen Gestaltungsmittel. Das Papier verhält sich dabei wie ein flacher Körper, dessen Dreidimensionalität aber, weil Walther weiterhin "letztlich ... kompositionell in Flächenverhältnissen" (125) denkt, noch illusionistisch bleibt.

Zur darüber hinausgehenden Überwindung der Bildproblematik und adäquateren Verwirklichung der Idee, "Kunst anstatt vom fertigen Gebilde, von ihrem Entstehungsprozeß her zu denken" (126), verhilft Walther ein Zufall. Der auf eine Klebung als Beschwerung gestellte Wassereimer ist undicht und verursacht die Durchfeuchtung des darunterliegenden Papiers, das sich dann während der Trocknung auf verschiedenartigste und unvorhersehbare Weise verändert. Daß sich bei Materialien selbsttätige Formungsprozesse herbeiführen lassen, entdeckt Walther darin als ästhetisches Prinzip. So geht für ihn mehr und mehr die Notwendigkeit verloren, überhaupt noch künstlerische Formentscheidungen im traditionellen Sinn treffen zu müssen. Walther tut bei den folgenden Experimenten praktisch zunächst nichts weiter, als das Papier und dessen Bearbeitungsweisen danach auszuwählen, daß beide zusammen wechselseitig aufeinander reagieren und selbst formbildend werden können. Indem die vom Künstler unabhängig ablaufenden Materialprozesse nach ihnen eigenen Gesetzen die Gestalt des Werkes bestimmen, gewinnt dieses eine bis dahin unbekannte Art der Autonomie.

Das von der späteren Prozeßkunst verabsolutierte Prinzip der sich selbst organisierenden Materialprozesse sprengt zunehmend die Form des Bildes, so daß die Arbeiten mehr und mehr den Charakter plastischer Objekte bekommen. Beim zunächst rein zweckgerichteten Umgang mit diesen Objekten während, aber vor allem auch nach ihrer Entstehung, etwa um sie zu lagern oder vorzuzeigen, wird sich Walther seiner Vorliebe für bestimmte Hantierungen wie etwa ihr Stellen, Stapeln oder Legen bewußt. Indem er die Objekte dann künstlerisch immer präziser für solche Handhabungsweisen konzipiert, wird dem Laien (127), über das visuelle Wahrnehmen hinaus, eine um sein reales Handeln erweiterte Rezeption möglich, in der sich das Ästhetische erst eigentlich erschließt. Infolgedessen ist der vom Künstler organisierte Materialprozeß für die ästhetische Erfahrung prinzipiell nicht mehr wichtiger als der vom Laien zu vollziehende Handlungsprozeß. Damit hat Walther einen weiteren ästhetisch bedeutsamen Prozeß entdeckt, den er zwar initiieren, aber dessen Verlauf er künstlerisch nicht bestimmen und verantworten kann.

Die zwangsläufig begrenzte und bald erschöpfte Selbsttätigkeit der zuvor dem Papier abgewonnenen Materialprozesse ersetzt Walther im nachfolgenden »1. Werksatz« durch die prinzipiell unendliche Selbsttätigkeit des mit seinen »Objekten« handelnden Laien. Dadurch wird die Bedeutung, die dem Künstler und seiner Formung noch zukommt, nach traditionellem Verständnis sowohl extrem relativiert als auch umdefiniert. Daß Walther die Materialprozesse und auch die Handlungsprozesse, durch die seine künstlerische Vor-Arbeit Veränderungen erfährt, nicht nur akzeptiert, sondern eigens beabsichtigt, heißt freilich nicht, daß der Formgedanke für ihn in der Kunst unwichtig wird. Ganz im Gegenteil erklärt er "Formung" zu einem der Begriffe, "um deren Verwirklichung sich die ganze Arbeit dreht". (128) Aber gerade wegen der Wichtigkeit, die er der Form beimißt, glaubt er, auf das Privileg des Künstlers: die Schöpfung vollendeter Formgebilde, verzichten zu müssen, und richtet seine künstlerischen Anstrengungen statt dessen darauf, daß der Laie ästhetische Formungsprozesse selbstbestimmt zu leisten vermag. Nur im Sinne dieses mit der Autorisierung des Laien einhergehenden Verzichts Walthers, in seiner künstlerischen Praxis primär an Formen der eigenen ästhetischen Selbstverwirklichung zu arbeiten, (129) ist es zu verstehen, wenn er von seinem "Hang zum Formlosen" als dem "Nährboden" (130) seiner Kunst spricht.

Wenn das den Inbegriff des Geformten verkörpernde Werk von Walther so konzipiert wird, daß es kunstextern, in Unabhängigkeit vom Künstler prinzipiell jedermann autonom verwirklichen kann, so führt dies zwangsläufig dazu, verschiedene Aspekte des bis in die Gegenwart gültigen Kunstbegriffs fundamental um- und in ganz anderer Weise weiterzudenken:

Von grundsätzlicher Bedeutung ist es, daß vor dem Hintergrund der Andersartigkeit der Waltherschen Werkkonzeption die Naivität deutlich wird, mit der sich die allermeiste Kunst zu der für sie zentralen Sinn-Problematik (131) verhält. Zwar kann sich die Kunst infolge der Französischen Revolution schon lange nicht mehr als Vermittlungsinstanz der Gewißheit einer göttlichen Sinnordnung bzw. der Autorität eines herrschaftlichen Ordnungssinns verstehen. Und auch auf dem Hintergrund der Philosophie des Nihilismus und aus dem Wissen der Psychologie (132), daß Sinn vom einzelnen Menschen selbst gefunden werden muß, stellt sich ihr zwingend die Sinnfrage neu. Aber die Kunst zeigt sich davon weitgehend unbeeindruckt, und auch wo sie Sinn nicht mehr zu vermitteln, zu deuten oder zu geben sucht, sondern modern ihn nur noch zu verneinen weiß, geht sie letztlich immer noch unaufgeklärt von der ihr vorgängigen Existenz eines normativen Sinns aus.

Mit diesem Glauben bricht Walther, indem er Sinn nicht mehr als ästhetische Organisationsform gegenständlich vorgibt, sondern die ästhetische Konstitution von Sinn dem Laien als körperlichen und gedanklichen Handlungsprozeß aufgibt. Alles, was für diesen dabei wichtig ist: etwa seine physische und psychische Verfassung, sein Denken, seine Wahrnehmungen, Phantasien und Emotionen in Zeit und Raum, sowie der einbezogene andere Mensch (133), der alle vorkommenden Faktoren reflektiert und dadurch potenziert, das kann zum Material seiner Werkformung und Sinnfindung werden. (134) Der Künstler ist nicht mehr der kundige Künder oder Seher des Sinns, den er kraft seiner schöpferischen Genialität zu verdichten und zu veranschaulichen vermag, sondern er hat sich und seine Hervorbringungen auf die ästhetischen Erfahrungsmöglichkeiten des Laien hin völlig neu zu bestimmen.

Die Gegenstände, die Walther als Prototyp des gleichsam entmystifizierenden Künstlers mit den »Objekten« des »1. Werksatzes« hervorgebracht hat, haben als solche erklärtermaßen keinerlei Werkcharakter. Dieser haftet ihnen nicht in Form bestimmter materialer Eigenschaften an, weil sie keine solchen eigens beabsichtigten ästhetischen Qualitäten aufweisen. Ihre Beschaffenheit verdanken die »Objekte« zwar einer Idee von Kunst, aber keinem künstlerischen Ausdrucksbedürfnis. Vielmehr ist ihre gesamte Materialität funktional auf Brauchbarkeit hin organisiert, so daß sie sich in ihrer instrumentalen Natur am ehesten mit Werkzeugen vergleichen lassen, die auch nicht zum bloßen Anschauen, sondern zum realen Handeln gemacht sind. Durch die »Objekte« kann der Handelnde zu seiner Umgebung sowie zur eigenen Person ein sehr eigenes Verhältnis entwickeln und dieses, wenn er es in voller Komplexität ästhetisch selbst zu bestimmen sucht und dabei die richtigen Proportionen findet, zu einem WERK (135) ausbilden.

Da die künstlerischen Hervorbringungen Walthers das WERK des Laien zum Zweck haben, sind sie nicht autonom, weil sie das dafür geltende klassische Kriterium der Zwecklosigkeit nicht erfüllen. Doch obwohl sie wegen ihrer Heteronomie zur Selbstbestimmung der Kunst, wie sie die Moderne mit ihren als Selbstzweck konzipierten Werken durchgesetzt hat, nichts beitragen, steht Walther nicht nur in der aufklärerischen Tradition der ästhetischen Autonomisierung, sondern treibt sie durch Transformierung voran. Denn seine nach herkömmlichen Begriffen unkünstlerischen, auf ihre instrumentale Funktion spezialisierten Arbeiten ermöglichen nicht mehr und nicht weniger als die Selbstbestimmung des Laien, die dieser im ästhetischen Prozeß seiner WERKbildung erlangen kann.

Im wahrsten Sinne des Wortes sind Walthers »Objekte« Werk-Zeuge, die - wie alle anderen auch - bloßes Mittel zu einem außerhalb ihrer selbst liegenden, nur durch Handeln zu erreichenden Zweck sind. Doch da dieser ein ästhetischer ist und zudem der Selbstbestimmung dient, trifft die aus der Frankfurter Schule kommende Kritik am zweckrationalen, "instrumentalen Handeln" (136), die unter dem Einfluß des französischen Neostrukturalismus zur pauschalen Rationalitäts- und Vernunftphobie ausgeartet ist, auf die Waltherschen Hervorbringungen nicht zu. Zwar wird infolge ihrer Instrumentalität die Rezeption seiner Arbeiten eine Form der Arbeit (137) annehmen müssen und nicht der seit dem 19. Jahrhundert bevorzugten Weise ,kongenialer Einfühlung' entsprechen können. Aber allein deswegen, weil bei seiner Kunst mit Instrumenten gehandelt wird, muß diese Aktivität nicht schon zwangsläufig in dem negativen Sinn "instrumentales Handeln" sein, wie es Marcuse als Form rein "zweckrationaler Herrschaft, sei es über die Natur oder Gesellschaft" (138) charakterisiert hat. Denn im Kunstsystem vollzieht sich das instrumentale Handeln nicht nach "technischen Regeln, die auf empirischen Wissen" (139) beruhen, sondern nach ästhetischen Maximen, denen spekulative Ideen zugrunde liegen. Es entspricht viel eher dem von Habermas so genannten Typus des "kommunikativen Handelns", das sich allein aus "der Intersubjektivität der Verständigung über Intentionen begründet". (140) Da die Voraussetzung für den Gebrauch der Waltherschen "Objekte" das Be- und Entstehen von einem Konsens zwischen den Beteiligten ist, dient das instrumentale Handeln hier gerade nicht der Steigerung von Herrschaft. Zumal die den Kunstentwurf Walthers ausmachende potentielle Autorisierung des fremdbestimmten Rezipienten zum selbstbestimmenden WERKproduzenten ein kooperatives Verhältnis zwischen Künstler und Laien verlangt, durch das die mit dem Begriff der Kongenialität nur suggerierte Ebenbürtigkeit zwischen ihnen tatsächlich eingelöst wird.

In letzter Konsequenz bedeutet die den Laien zur ästhetischen Autonomisierung autorisierende Kunstkonzeption Walthers, nach der ästhetische Erfahrung zwar nur durchs "Nadelöhr des individuellen Bewußtseins" (141), aber entweder kunstextern im Medium gesellschaftlicher Kommunikation oder aber überhaupt nicht verwirklichbar ist, eine Art kopernikanische Wendung des Werkbegriffs. Nicht länger ist der vom Künstler hervorgebrachte Gegenstand als eine unauflösliche Verbindung von "dinglichem Unterbau" und "ästhetischem Oberbau" (142) zu begreifen. Vielmehr zerfällt diese das klassische Werk definierende Einheit in einen dinglich-materialen, vom Künstler geschaffenen Teil, der rein instrumentalen Charakter hat, und in einen vom Laien selbstbestimmt zu realisierenden mental-immateriellen Teil, dem das eigentlich Ästhetische zukommt und der Werkgestalt haben kann. Dieses Werk des Bewußtseins, das - sofern es gelingt - Kunst als ästhetische Idee und Idee des Ästhetischen zu ihrer höchsten Vollendung bringt, existiert absolut immateriell. Denn da die dinglichen Voraussetzungen des WERKES Instrumente sind, trennen sie sich bei seiner Entstehung von ihm ab.

Die Idee des immateriellen WERKES (143) wird mißverstanden, wenn es in einer der Tradition verhafteten Weise als eine Art "inneres Bild" (144) und dementsprechend die Objekte als "von ... Menschenstärken angetrieben(e) ... Maschinerien der Bildfindung" (145) oder als "Druckstock" aufgefaßt werden, "von dem sich jeder ein Unikat ziehen kann". (146) Der entscheidende Unterschied zwischen klassischem und immateriellem WERK besteht nicht in seiner äußeren oder inneren Anschaubarkeit. Vielmehr ist das immaterielle WERK für seinen Autor überhaupt kein von ihm verschiedenes Objekt der Betrachtung, sondern er selbst ist dieses WERK, das ihm statt zur Welt-, zur Selbsterkenntnis verhelfen kann. Das Gravierende der Differenz zwischen Sehen und Sein wird bei Schopenhauer deutlich. Einem Optimisten, der ihn "heißt ... hineinsehn in die Welt, wie sie so schön sei im Sonnenschein mit ihren Bergen, Tälern ... und so fort'', begegnet er mit der pessimistischen Frage: "Ist denn die Welt ein Guckkasten? Zu sehen sind diese Dinge freilich schön; aber sie zu sein ist ganz etwas anderes." (147) Daß Walther die aufklärerische Autonomisierung des Ästhetischen fortsetzt und es von einer Wahrnehmungs- zu einer Seinsform weiterentwickelt, damit riskiert er im Sinne der Moderne das positive Ende der Kunst: die sie bewahrende und überwindende Aufhebung. (148)

(1) Etwa H. Sedlmayr: Verlust der Mitte

(2) Als Kennzeichen und Aufgabe der modernen Kunst etwa bei Baumeister: Das Unbekannte in der Kunst. Köln 1960

(3) W. Hofmann: Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion. In Katalog: Luther und die Folgen. München, Hamburg 1983. S. 23

(4) Vgl. K. Peter: Stadien der Aufklärung. Moral und Politik bei Lessing, Novalis und Friedrich Schlegel. Wiesbaden 1980. Bes. S. 6 ff.: "Aufklärung - Romantik". - Anschaulich wird das besonders bei den Konstruktionszeichnungen zu den "Vier Zeiten" von P.O. Runge in der Spannung zwischen rationaler Konstruktion und intuitiver Empfindung: "Die strenge Regularität ist grade bey Kunstwerken, die recht aus der Imagination und der Mystik unserer Seele entspringen ... am allernotwendigsten." Hinterlassene Schriften. Göttingen 1965. Bd. I, S. 35

(5) G. Klaus / M. Buhr (Hrsg.): Marxistischleninistisches Wörterbuch der Philosophie. Hamburg 1972. Bd. I, S. 147

(6) Vgl. K. Peter a.a.O., S. 10: Gegen das Politische im Sinne seiner Abschaffung; im Unterschied zur apolitischen Einstellung des biedermeierlichen Bewußtseins.

(7) T. W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt/M. 1971. S. 10

(8) Athenaeum. Eine Zeitschrift von A. W. Schlegel und F. Schlegel. Bd. I-III. Berlin 1798-1800

(9) Vgl. W. Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik.

(10) F. Schlegel: Über das Studium der griechischen Poesie. In: F. Schlegel: Schriften zur Literatur. Wolfdietrich Rasch (Hrsg.). München 1972. S. 131

(11) Vgl. F. Schlegel, a.a.O., S. 107

(12) F. Schlegel, a.a.O., S. 97

(13) F. Schlegel, a.a.O., S. 97

(14) F. Schlegel, a.a.O., S. 97

(15) F. Schlegel, a.a.O., S. 97

(16) F. Schlegel, a.a.O., S. 97

(17) F. Schlegel, a.a.O., S. 97

(18) F. Schlegel, a.a.O., S. 97/98

(19) F. Schlegel, a.a.O., S. 104

(20) F. Schlegel, a.a.O., S. 104

(21) F. Schlegel, a.a.O., S. 106

(22) F. Schlegel. a.a.O., S. 106

(23) F. Schlegel. a.a.O., 5. 128

(24) F. Schlegel. a.a.O., S. 128

(25) F. Schlegel. a.a.O., S. 128

(26) F. Schlegel. a.a.O., S. 130

(27) G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. Frankfurt 1970. Bd. I. S. 24

(28) G. W. F. Hegel, a.a.O., S. 25

(29) I. Kant: Was heißt: Sich im Denken orientieren? In: I. Kant. Werke in zehn Bänden. Hrsg. W. Weischedel. Darmstadt 1968. Bd. 5, S. 278

(30) I. Kant, a.a.O., S. 277/278

(31) Die Darstellung folgt W. Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. Frankfurt/M. 1973

(32) W. Benjamin, a.a.O., S. 32

(33) I. Kant, a.a.O., S. 283 (s. Nr. 29)

(34) A. W. und F. Schlegel. In Auswahl herausgegeben von O. F. Walz. Stuttgart 1892. S. 69

(35) A. W. und F. Schlegel, a.a.O., S. 490

(36) Die Bedingungen, unter denen künstlerische Praxis zur Arbeit werden kann, untersuchen: M. Lingner / R. Walther: Paradoxien künstlerischer Praxis. Entwurf zu einer Theorie der künstlerischen Arbeit ... In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Bd. 32. 1987. S. 121-142

(37) A. W. und F. Schlegel. a.a.O., S. 367 (s. Nr. 34)

(38) Nach W. Benjamin, a.a.O., S. 23(s. Nr.31)

(39) I. Kant: Kritik der Urteilskraft (Hrsg. K. Vorländer). Hamburg 1974. S. 160/181

(40) F. W. J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus. Hamburg 1957. S. 287

(41) F. W. J. Schelling. a.a.O., S. 287

(42) F. W. J. Schelling, a.a.O., S. 287

(43) F. W. J. Schelling, a.a.O., S. 294

(44) F. W. J. Schelling, a.a.O., S. 295

(45) W. Benjamin, a.a.O., S. 22 (s. Nr. 32)

(46) W. Benjamin. a.a.O., S. 32 (s. Nr. 32). Novalis bezeichnet das Potenzieren auch als "Romantisieren".

(47) F. W. J. Schelling: Philosophie der Kunst. Darmstadt 1960. S. 30

(48) Die "eine Empfindung des Zusammenhangs des ganzen Universums mit uns" (I/S. 11) denkt Runge als Ursprung des Kunstwerkes: "Entsteht nicht ein Kunstwerk nur in dem Moment, wann ich deutlich einen Zusammenhang mit dem Universum vernehme?" (I/S. 6) Das Werk soll die Empfindung "in der Brust des Menschen neben uns erregen" (I/S. 11). Dazu "reihen wir (Künstler) die Empfindung an die bedeutendsten und lebendigsten Wesen um uns, und stellen, indem wir die charakteristischen ... mit den Empfindungen übereinstimmenden Züge dieser Wesen festhalten, ... Symbole ... dar". (I/S. 11) Aus P. O. Runge: Hinterlassene Schriften Bd.I u. II. Göttingen 1965

(49) Vgl. D. Jähnig: Die Kunst in der Philosophie. Pfullingen 1966. Bd. I, S. 14

(50) "Einbildungskraft bringt das Mannigfaltige der Anschauung mit dem Verstande in Verbindung, sie vermittelt zwischen Verstand und Sinnlichkeit". In: Kant-Lexikon. Bearbeitet von R. Eisler. Hildesheim/New York 1972. S. 105

(51) Novalis: Schriften. Hrsg. J. Minor. 4 Bde. Jena 1907. Bd. III, S. 14

(52) "So hat bis vor einiger Zeit die Wissenschaftstheorie geglaubt, einen theoretisch gestützten Begriff der wissenschaftlichen Rationalität einführen zu können, eine Konstruktion, die heute als aufgegeben betrachtet werden kann." Inzwischen "wird die eigene Wahl bestimmter Rationalitätskriterien für die wissenschaftstheoretische Analyse sogar als ästhetische Option verstanden." In: W. Krohn / G. Küppers: Die Selbstorganisation der Wissenschaft. Frankfurt 1989. S. 18

(53) T. W. Adorno: Ästhetische Theorie. Frankfurt 1970. S. 395

(54) Diese Denkfigur geht auf Kant zurück, der das durch die reflektierende Urteilskraft entstehende ästhetische Gefühl der Lust oder Unlust angesichts eines Gegenstandes als Wirkung aus dem freien Spiel unserer Erkenntniskräfte versteht. - Die Kantische Ästhetik hat die "Vergeistigung der Kunst", wie sie etwa von Kandinsky für das 20. Jahrhundert zutreffend prognostiziert worden ist, weitgehend vorgedacht.

(55) Wenn Goethe die Kunst "als Vermittlerin des Unaussprechlichen" bezeichnet, so wäre es verfehlt, daraus zu schließen. Sprache müsse aus der Kunst verbannt bleiben. Ganz im Gegenteil offenbart sich das Unaussprechliche allein im Sprechen, wenn die Sprache trotz äußerster Anstrengung versagt. - Ebenso werden die Grenzen der Rationalität erst durch rationales Denken erfahrbar, wenn es scheitert.

(56) Siehe bes.: T. W. Adorno / M. Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt M. 1971

(57) T. W. Adorno, a.a.O., S. 508 (s. Nr. 53)

(58) Vgl. Kant-Lexikon, a.a.O., S. 574 f. (s. Nr. 50). - Kant unterscheidet dort den "apodiktischen, konstitutiven" vom "hypothetischen, regulativen" Gebrauch der Vernunft. Daß sie im Kern ,Idee' ist, macht alle Kunst, die sich in der Tradition der Romantik sieht, letztlich in einem nichtstilistischen Sinn zur konzeptionellen Kunst.

(59) Kant-Lexikon, a.a.O., S. 256 (s. Nr. 50)

(60) Vgl. M. Warnke: "Die Künste sind autonom geworden nicht so sehr, weil sie es immer gewollt ... hätten, sondern wahrscheinlich deshalb, weil sie in den herkömmlichen Rollen nicht mehr gebraucht wurden". M. Warnke: Kunst unter Verweigerungspflicht. In: Katalog: Kunst im öffentlichen Raum. Skulpturenboulevard Kurfürstendamm. Berlin 1987. S. 29

(61) M. Warnke, a.a.O., S. 29

(62) S. Text im Teil I vor Anmerkung 18

(63) J. Ritter: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Darmstadt 1971. Bd. 1, S. 707

(64) H. van de Velde: Zum neuen Stil. Aus seinen Schriften ausgewählt und eingeleitet von H. Curjel. München 1955. S. 150

(65) N. Luhmann: Soziologische Aufklärung. Opladen 1971. S. 66. Was die Vernunft hervorbringt, muß in einem wertenden Sinn nicht unbedingt vernünftig sein.

(66) Wohin die Vernunft treibt, wenn das Gefühl sie verlassen hat, beschreibt G. Forster am 16. 4. 1793: "... die Herrschaft, oder besser die Tyrannei der Vernunft, vielleicht die eisernste von allen, steht der Welt noch bevor." Mit diesem Gedanken erweist sich Forster gleichsam als Frühromantiker. Nach W. Hofmann: Wahnsinn und Vernunft. In Katalog: Europa 1789. Kunsthalle Hamburg 1989

(67) T. W. Adorno, a.a.O., S. 24 (s. Nr. 7)

(68) F. Schlegel, a.a.O., S. 142 (s. Nr. 10)

(69) F. Schlegel, a.a.O,. S. 142/143

(70) F. Schlegel, a.a.O., S. 142

(71) I. Kant: Der Streit der Fakultäten. In: Kants gesammelte Schriften Bd. 7. Berlin 1907. S. 83 f.

(72) Das Problem der ästhetischen Dimension des Ideals der Vervollkommnung des Menschen behandelt Nietzsches Philosophie.

(73) Vgl. I. Kant: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. In: I. Kant. Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie, Ethik und Politik. Hrsg. von K. Vorländer. Hamburg 1964. Als eine der wenigen, bei Kant das Thema "Fortschritt" behandelnden Arbeiten siehe: I. Pompesius: Die Begründung des Fortschrittsgedankens in der Ge-schichtsphilosophie Kants. Philosoph. Sem. Universität Hamburg 1978.

(74) M. Warnke: Fluchtpunkt Gemütlichkeit. Die Kunstgeschichte nach dem Ende der Avantgarden. Frankfurter Allgemeine Zeitung 28. 9. 88. S. 35

(75) M. Warnke: Kunst unter Verweigerungspflicht. In Katalog: Kunst im öffentlichen Raum. Skulpturenboulevard Kurfürstendamm. Berlin 1987. S. 25

(76) Inwiefern der von der Romantik postulierte reflexive und unendliche Charakter der Kunst mit dem romantischen Naturbegriff korrespondiert und unter welchem Vorzeichen die Natur in der Romantik, zum Inhalt der Kunst wird, dazu siehe: M. Lingner: Die Musikalisierung der Malerei bei P. O. Runge. Zur Geschichte der Vergeistigung von Kunst. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Bd. 24, 1/1979. S. 75-94

(77) P. O. Runge: Hinterlassene Schriften Bd. I. S. 13

(78) F. Schlegel. a.a.O., S. 159 (s. Nr. 10)

(79) D.-H. Kahnweiler: Der Gegenstand der Ästhetik. München 1971. S. 58

(80) Statt Picasso wird Kandinsky von Werner Hofmann zu den "Wegbereitern" der Avantgarde gezählt. W. Hofmann: Grundlagen der modernen Kunst. Stuttgart 1978. S. 304 ff.

(81) Daß die klassische Moderne tatsächlich auf eine ästhetische Selbst-Gesetz-Gebung hingedacht hat, zeigen die am Bauhaus unternommenen Versuche der Entwicklung von Gestaltungslehren, die auf Gesetzmäßigkeiten zielen. Sie haben auch zur Fundierung der für die angewandten und freien Künste gleichermaßen geltenden "Grundlehre" gedient.

(82) A. Gehlen: Zeitbilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, Frankfurt 1960. S. 74.

Im Anschluß an Kahnweiler, der den Ausdruck von G. Apollinaire übernommen hat, bezeichnet Gehlen den Kubismus und die wichtigsten Hervorbringungen der nachfolgenden Avantgardekunst als "conceptuelle". Gehlen hat eine sehr wichtige, später von der conceptual art thematisierte Konsequenz des konzeptuellen Charakters der Kunst früh erkannt: "Mit der peinture conceptuelle wird die Malerei wesensmäßig kommentarbedürftig." (A.a.O., S. 96)

J. Kosuth formuliert diesen Sachverhalt später so: "Eine fortgeschrittene Information über den Begriff Kunst und über die Konzeption eines Künstlers ist notwendig, um zeitgenössische Kunst zu beurteilen und zu verstehen." (s. Anmerkung 84. S. 157)

(83) Konzeptkunst, d. h. konzeptuelle Kunst, betrachte ich als eine, freilich die extremste Ausformung konzeptioneller Kunst. Insofern bezeichnet der Begriff "konzeptuell" gleichsam etwas Stilistisches, dagegen der Begriff "konzeptionell" etwas Strukturelles.

(84) Zitiert nach J. Kosuth: Art after Philosophy. Deutsch in: G. de Vries (Hrsg.): Über Kunst. Künstlertexte zum veränderten Selbstverständnis nach 1965. Köln 1974. S. 141

(85) J. Kosuth: Einige Bemerkungen des amerikanischen Redakteurs. In: Art & Language. Texte zum Phänomen Kunst und Sprache. Hrsg. von P. Maenz / G. de Vries. Köln 1972. S. 105

(86) J. Kosuth, a.a.O., S. 149, (s. Anmerkung 84)

(87) In diesem Sinn J. Kosuth: a. a. O., S. 141. (s. Anmerkung 84)

(88) N. Luhmann: Das Medium der Kunst, in: Delfin VII /1986. S. 11

(89) N. Luhmann, a.a.O., S. 11

(90) Dadurch ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß die Kunst sich weiter auf ihre externen gesellschaftlichen Bedingungen einlassen will, aber sie wird von diesen zumindest in ästhetischer Hinsicht nicht mehr zwangsweise überformt. Der Künstler hat die historische Möglichkeit, in seiner Praxis von sich selbst als gesamtgesellschaftlich definiertem Wesen weitestgehend abzusehen.

(91) A. Wildermuth: Die neue ästhetische Autonomie. Reflexionen zu Mimmo Paladino. Katalog der Kestner-Gesellschaft. Hannover 1981. S. 21

(92) Daraus erklärt sich u.a. der Begriff der "Transavantgarde". Vgl. A. B. Oliva: Im Labyrinth der Kunst. Berlin 1982. S. 54 ff.

(93) Wer wie der Postmodernismus letztlich religiös "denkt" und von der Aufklärung den Anbruch des goldenen Zeitalters, also statt der jenseitigen nun die diesseitige Erlösung erwartet, kann aus Enttäuschung nichts anderes als das Scheitern der Aufklärung in den Blick bekommen.

(94) P. Feyerabend: Wider den Methodenzwang. Skizze einer anarchistischen Erkenntnistheorie. Frankfurt 1976. S. 35 u.a.

Das Prinzip beschreibt Neville Brody, der Trend-Typograph der 80er Jahre, so: "Finden Sie die Idee und verfolgen Sie die Idee. Stop. Finden Sie die nächste Idee ... Heutzutage (am Anfang der 90er Jahre) gilt: Kopieren Sie die Idee einen Monat. Und im darauffolgenden Monat eine andere." Der Tod der Typographie. Interview mit Neville Brody. In: Lürzer's Archiv, Jg. 89. S. 5 ff.

(95) J. Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt 1985. S. 137

(96) N. Luhmann, a.a.O., S. 11 (s. Anmerkung 88)

(97) So H. S. Stoltenberg in den Verhandlungen des 7. Deutschen Soziologentages 1930. Tübingen 1931. S. 170. Die in diesem Zustand befindliche Kunst beschreibt Luhmann im Rahmen seiner Systemtheorie als ein "autopoietisches System". Der Kunst wird eine Form der Selbstorganisation attestiert, die ihr eine "autopoietische Selbstreproduktion" ermöglicht. Vgl. M. Lingner: Kunst aus Kunst. Autopoiesis - die aktuelle Autonomieproblematik aus systemtheoretischer Sicht. In: Wolkenkratzer Art Journal. Bd. 5. 1988

Als "Eigengesellschaft" bzw. autopoietisches System ist die Kunst nicht länger als etwas gesamt-gesellschaftlich Bedingtes zu verstehen, sondern sie konstituiert ihre Gesellschaftlichkeit selbst durch die Gesamtheit derer, die kunstbezogen agieren.

(98) Die ziemlich unstrittige Auffassung, daß "Ausstellungen zu konzipieren und zu realisieren ... eine eigenständige künstlerische Leistung'' ist, daß also Ausstellungsmacher, Galeristen, Kritiker und erst recht Kunsthistoriker die Geschichte der Kunst inzwischen genauso sehr 'machen' wie die Künstler selbst, ist ein deutliches Zeichen für die Integration dieser einst externen Funktionszusammenhänge in das System Kunst.

Vgl. Anzeige zur Verleihung des "Passepartout-Preises 1989 der Zeitschrift PAN an Kaspar König

(99) Es handelt sich hier im funktionalen Sinn, von den Folgen und nicht von der Logik her gesehen, um Fremdbestimmung. Von allem, was kunstintern ist, könnte eigentlich ja keine Fremdbestimmung ausgehen.

(100) Erst recht natürlich auch deshalb nicht, weil das Programm der Vervollkommnung des Menschen durch Selbstbestimmung noch längst nicht eingelöst ist. (Vgl. den Text bei den Anmerkungen 71-73.) Dieser Gesichtspunkt findet hier als Argument für die Fortsetzung der Autonomisierung keine Berücksichtigung, da es sich allein aus der Logik der Kunst ergeben muß, ob sie etwas zur Selbstbestimmung des Menschen beitragen kann.

(101) N. Luhmann, a.a.O., S. 11 (s. Anmerkung 88)

(102) N. Luhmann: Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst. In: Delfin III. 1984. S. 57

(103) Einen Vorgeschmack darauf, wie nach dem Postmodernismus die nicht autonome Entwicklung der Kunst weitergehen könnte, gibt in exemplarischer Weise die Arbeit von Jeff Koons.

(104) M. Warnke: Fluchtpunkt Gemütlichkeit. Die Kunstgeschichte nach dem Ende der Avantgarden, FAZ am 28. 9. 1988. S. 35

(105) T. W. Adorno, a. a. O., S. 334, (s. Anmerkung 53)

(106) Poiesis - Substantivierung des griechischen Verbs poiein = verfertigen, machen: vgl. auch Anmerkung 97

(107) N. Luhmann, a.a.O., S. 52 (s. Anmerkung 102)

Die Kunst teilt "das Schicksal der modernen Gesellschaft gerade dadurch, daß sie als autonom gewordenes System zurechtzukommen" hat. N. Luhmann. a.a.O., S. 52

(108) N. Luhmann, a.a.O., S. 52

(109) N. Luhmann, a.a.O., S. 53: "... die Gesellschaft besteht aus Kommunikationen ..., und Kommunikationen sind Ereignisse, nicht Objekte."

(110) Eine Art Umkehrung von Duchamp, dessen ready-mades allein dadurch zu autonomen Werken wurden, daß er sie aus der Gesellschaft in den Kunstkontext überführt hat.

(111) "Folgt man dieser Anregung, dann kann man das Kunstwerk ... als Kompaktkommunikation oder auch als Programm für zahllose Kommunikationen über das Kunstwerk ansehen. ... Die Einheit des Kunstwerkes liegt letztlich in seiner Funktion als Kommunikationsprogramm." N. Luhmann, a.a.O., S. 53 (s. Anmerkung 102)

(112) W. Krohn / G. Küppers: Die Selbstorganisation der Wissenschaft. Frankfurt 1989. S. 19

(113) Die Notwendigkeit für die Kunst, sich externe, heteronome Zwecke setzen zu müssen, habe ich andernorts mit einem Terminus aus der Wissenschaflstheorie als Finalisierung der Kunst beschrieben. Vgl. M. Lingner / R. Walther: Paradoxien künstlerischer Praxis. In: Kunstforum International Bd. 76-1984 und Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Bd. 32-1987 Daß die Finalisierung um der Fortsetzung der Tradition autonomer Kunst willen für notwendig gehalten wird, ist offenbar schwer nachzuvollziehen und wird - mit welchem Interesse? - immer wieder mißverstanden. So zuletzt von L. Romain: Die Herausforderung der Moderne im öffentlichen Raum. V. Plagemann (Hrsg.): Kunst im öffentlichen Raum. Köln 1989. S. 237 ff.

(114) N. Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt 1984. S. 103

Der systemtheoretische Begriff von Autonomie zwingt dazu, sie nicht länger als etwas Absolutes zu denken.

(115) Die Systemzwänge, jene eigentlich außer-künstlerischen Fremdbestimmungen, die sich den kunstinternen Strukturen eingeschrieben haben, sind keine ideologischen Erfindungen, sondern Fakten. Auf sie hat Paul Maenz reagiert, als er sich jüngst zur Beendigung der 20jährigen Ausstellungstätigkeit seiner Galerie entschlossen hat, die zu den wichtigsten der Nachkriegszeit gehörte. Er sieht in der "postmodernen Situation, in der sich das Metier befindet, ... für sich keine Möglichkeit mehr, das Instrument Galerie sinnvoll einzusetzen. Es ist für ihn nur mehr Teil des Marktsystems und funktioniert nur innerhalb dieses Systems, in dem es sich anschmiegt ... Wenn Wallstreet-Blätter die besseren Kunstzeitschriften sind, ... ist Kunst jetzt das, wogegen sie einst opponieren wollte: Unterhaltung oder Ware." In FAZ 10. 2. 90. S. 33

(116) Andernorts habe ich statt dessen als Gegenbegriff zur postmodernen von der post-autonomen Kunst gesprochen im Sinne einer nach der avantgardistischen Autonomisierung zu gewinnenden neuen Autonomie.

(117) Mit diesen Aspekten ist der sog. Sekundär- bzw. Tertiärbereich der Kunst gemeint, der zunehmend den eigentlichen Primärbereich der ästhetischen Praxis zu beherrschen droht. Keinesfalls aber gehört zu diesen Aspekten die dem Künstlerischen eigene Sach- und Zeitdimension.

(118) Für Runge ist "der vieldeutige Sinn ... das Höchste der Kunst". P. O. Runge: Hinterlassene Schriften. Göttingen 1965. Bd. II, S. 235

(119) R. Huch: Die Romantik. Bd. 1. Leipzig 1920. S. 345

(120) U. Wieczorek: Die Funktion der Sprache im Werk von F.E. Walther. In: M. Lingner (Hrsg.): Das Haus in dem ich wohne. Die Theorie zum Kunstentwurf von Franz Erhard Walther. Klagenfurt 1990. S. 209

(121) In einem neuen sowjetischen Katalog (der Schirn Kunsthalle Frankfurt 1989) wird Kandinsky, von dem man bisher nur Formulierungen zum "Eigenlehen der Farbe" oder zur "inneren Notwendigkeit" kannte, diese Äußerung zugeschrieben: "Soll doch der Pinsel selbst bestimmen, welche Farbe er nimmt. Sollen die Farben selbst bestimmen, welche von ihnen der Pinsel von der Palette holt. Nicht der Künstler, sondern sein Instrument und sein Material sollen das Bild bestimmen." Zit. nach J. Hahl-Koch: W. Kandinsky. Die erste sowjetische Retrospektive. Kunstchronik Heft 8-89. S. 419

(122) "Die 'Readymade' präzisieren, indem man sich für einen Moment der Zukunft (den und den Tag, Datum, Minute) ein Readymade vormerkt - Das Readymade kann hierauf gesucht werden - (mit genügender Frist)". Dokumentation über Marcel Duchamp. Kunstgewerbemuseum Zürich I960. S. 21

(123) "SURREALISMUS, Subst., m. - Reiner psychischer Automatismus, durch den man mündlich oder schriftlich oder auf jede andere Weise den wirklichen Ablauf des Denkens auszudrücken sucht. Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überlegung." A. Breton: Die Manifeste des Surrealismus. Reinbek 1968. S. 26 "Wir leben wirklich ganz unserer Phantasie, ... wo wir frei von sentimantalen Spielregeln, am Treffpunkt der Zufälle sind ..." a.a.O., S. 21

(124) M. Lingner / F. E. Walther: Zwischen Kern und Mantel. Franz Erhard Walther und Michael Lingner im Gespräch über Kunst. Klagenfurt 1985. S. 24

(125) M. Lingner / F. E. Walther, a.a.O., S. 35

(126) M. Lingner / F. E. Walther, a.a.O., S. 142

(127) Der Begriff des Laien ist hier dem des professionellen Künstlers gegenübergestellt und deshalb verwendet worden, um dadurch Einengungen, die mit Begriffen wie etwa ,Dilettant', ,Betrachter' oder ,Rezipien' verbunden sind, zu vermeiden. - Zur genaueren Bestimmung vgl. den theologischen Begriff des Laien z.B. im: Handbuch theologischer Grundbegriffe, hrsg. von H. Fries. München 1963. Bd. 2, S. 7 ff.

(128) M. Lingner / F. E. Walther: a.a.O., S. 164 (s. Nr. 124)

(129) Als Rezipient besteht für den Künstler diese Möglichkeit natürlich genauso wie für jeden anderen Laien.

(130) M. Lingner / F. E. Walther. a.a.O., S. 145 (s. Nr. 124)

(131) Siehe dazu M. Lingner / R. Walther, a.a.O., S. 62 f. Kunstforum. S. 123 f. Zeitschrift für Ästhetik (s. Nr. 113)

(132) Vgl. z.B. V.E. Frankl: Die Frage nachdem Sinn. FAZ 13. 1. 74

(133) Dies hat dazu veranlaßt, von der "erstmalige(n) Einbeziehung der sozialen Dimension in künstlerische Überlegungen" zu sprechen. H. Kern: Zeit, Energie, Prozeß, Denken, Sprache - einige Aspekte der Arbeit von F.E. Walther. In Katalog: F.E. Walther - Diagramme zum 1. Werksatz. Kunstraum München 1976. S. 9

(134) Vgl. M. Lingner: WERKkonstitution als Sinnkonstitution. In: Katalog Bd. 3 der documenta 6. Kassel 1977. S. 326

(135) Der Begriff der ,Proportion' ist hier als ein mentaler Prozeß im Sinne Kants gemeint, der beim Schönen von einem proportionierten Verhältnis zwischen Einbildungs-kraft und Verstand spricht. - Die von Walther auch selbst verwendete Schreibweise , WERK wird hier zur Unterscheidung des künstlerunabhängigen vom traditionellen und vom Allgemeinbegriff des Werkes gebraucht.

(136) Einer der Leitbegriffe im Buch von J. Habermas: Technik und Wissenschaft als Ideologie. Frankfurt 1968

(137) Zur Bedeutung des Begriffs der Arbeit für die künstlerische Produktion und Rezeption siehe M. Lingner / R. Walther: Paradoxien künstlerischer Praxis (s. Nr. 113).

(138) J. Habermas, a.a.O., S. 49 (s. Nr. 136)

(139) J. Habermas, a.a.O., S. 62

(140) J. Habermas. a.a.O., S. 63

(141) In B. Schäfers (Hrsg.): Thesen zur Kritik der Soziologie. Frankfurt/M 1969. S. 21

(142) Die Unterscheidung geht zurück auf H.-G. Gadamer: Zur Einführung. In M. Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerkes. Stuttgart 1970. S. 102 ff.

(143) Theoretisch eingeführt hat diesen Begriff M. Lingner: Selbstreflexion als Konstituens immaterieller WERKE. 8. Internationaler Kongreß für Ästhetik. Darmstadt 1976. S. 31

(144) H. Kern. a.a.O., S. 19 (s. Nr. 133)

(145) G. Boehm: Die Form der Erfahrung. In F. E. Walther: Ort und Richtung angeben. Klagenfurt 1985. S. 19

(146) C. Vogel: Zu den Diagrammen von F. E. Walther. In Katalog: F. E. Walther - Diagramme zum 1. Werksatz. Kunstraum München 1976. S. 35

(147) Zit. nach U. Horstmann: Im Grunde ein entsetzliches Tier. Spiegel 5/88. S. 178

(148) "Es gibt keinen anderen Weg, den sinnlichen Menschen vernünftig zu machen, als daß man denselben zuvor ästhetisch macht." F. Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. In: Schülers sämtliche Werke. Hrsg. von O. Walzel. Stuttgart 1905. Bd. 12 Zweiter Teil


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