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Michael Lingner

Zwischen Verführung und Verweigerung.

Haim Steinbachs Strategie ästhetischen Handelns

Aus dem notorischen Bedürfnis, neue künstlerische Hervorbringungen sogleich kunstgeschichtlich einzuordnen, wurden die Arbeiten von Haim Steinbach und einigen anderen amerikanischen Künstlern wie Allan McCollum und Jeff Koons sogleich nach ihrem Bekanntwerden als neokonzeptualistisch klassifiziert. Zugleich sind sie geistesgeschichtlich für den aus der neueren französischen Philosophie stammenden Begriff der Simulation vereinnahmt worden. Diese Etikettierungen haben kulturkritische Ideologen aufgegriffen und moralistisch mißverstanden. Von ihnen werden die Arbeiten, in denen sie nichts als eine weitere Kommerzialisierung des Betriebssystems Kunst sehen, als Produkte einer bloß spekulativ unternommenen Simulation der conceptual art abgestempelt.

Wenn Kunst unbesehen nur als Werk von Machenschaften verurteilt und jede Etikettierung nur zur Uniformierung der Phänomene benutzt wird, bleiben die Besonderheit und mögliche Bedeutung eines Kunstentwurfes von vornherein verborgen. Vor allem die zum Vorurteil geradezu herausfordernde aktuelle Kunst macht es unerläßlich, sich eingehend mit der künstlerischen Konzeption zu beschäftigen. Dabei soll im Hinblick auf das vorliegende Beispiel versucht werden, den dafür adäquaten und spezifischen Sinn der Begriffe Neokonzeptualismus und Simulation zu entwickeln. Dazu ist es hilfreich, sich den historischen Kontext zu vergegenwärtigen.

I

Seitdem sich die Kunst am Anfang des 19. Jahrhunderts aus ihren kirchlichen, höfischen und ständischen Funktionszusammenhängen löste, hat sich die künstlerische Selbstbestimmung ständig erweitert. Trotz der Vielfalt unterschiedlicher Strategien der Autonomisierung lassen sich auch durchgängige Tendenzen ausmachen. Eine von ihnen ist aufgrund ihrer Radikalität besonders wichtig geworden. Ihr liegt die Absicht zugrunde, die Autonomisierung so weit zu treiben, bis das Werk schließlich sogar dem Künstler gegenüber selbständig wird. Diese paradox und vielleicht antikünstlerisch erscheinende Bestrebung bleibt zunächst noch latent. Aber sie läßt sich schon in der Frühphase autonomer Kunst finden:

Durch die extreme und gewollt unauflösbare Vieldeutigkeit verlegt etwa P.O. Runge bei seinem romantischen Meisterwerk der >Vier Zeiten< die eigentliche Bildentstehung in die Einbildungskraft des Betrachters. Bei Cézanne findet sich ein weit darüber hinausgehender Schritt, wenn er besonders in den späten Aquarellen oft Unbestimmtheits- und Leerstellen zuläßt, so daß sich den subjektiven Pro jektionen jede Freiheit bietet. Die Bestrebung, das Werk von künstlerischen Entscheidungen herkömmlicher Art möglichst unabhängig zu machen, wird aber erst im 20. Jahrhundert ganz offensichtlich. Der Surrealismus sucht durch die écriture automatique, das Unbewußte zum entscheidenden Formungsfaktor zu machen. Dadurch wird die Entstehung des Werkes dem Einfluß des Künstlers entzogen und von einem allgemein verfügbaren Konzept abhängig.

Diese hier nur angedeutete Entwicklung findet in der Prozeßkunst der 60er Jahre ihre Fortsetzung. Mit elementaren Handlungen initiieren Künstler Materialprozesse, die sich gleichsam selbsttätig zu einer Werkgestalt ausformen. Doch die Reaktions- und Formungsmöglichkeiten der Materialien sind objektiv begrenzt und bald erschöpft. Das Prinzip der sich selbst organisierenden Materialprozesse wird von einem Konzept abgelöst, das auf die potentiell unerschöpfliche Selbsttätigkeit des Rezipienten setzt. Die Happening- und Fluxusbewegung sowie die Aktionskunst machen ihn zum ästhetisch Handelnden und damit zum Autoren des Werkes. Dieses erlangt dadurch in seiner Entstehung und Erscheinung eine zuvor unerreichte Unabhängigkeit vom Künstler. Trotz höchster Autonomie verliert die als Handlungsfeld konzipierte Kunst ihre frühere Hermetik und öffnet sich dem gesellschaftlichen Leben. Daß sich die wesentlichen künstlerischen Anstrengungen darauf richten, die Rolle des ästhetisch Handelnden an den Rezipienten zu delegieren, gilt dem Versuch, eine Integration von Kunst und Leben zu erreichen.

All diese Bemühungen blieben faktisch mehr oder minder erfolglos, da das Publikum seine traditionell passive Rolle nicht aufgeben wollte. Das Publikum war in der Kunst zum tatsächlichen Handeln nicht zu bewegen, solange dies allein in ästhetischer Absicht erfolgen sollte. Allenfalls dort kam es zur Beteiligung, wo die künstlerischen Aktionen politischen oder therapeutischen Charakter zu haben schienen und etwa als Demonstration oder sensitivity-training (miß)-verstanden werden konnten. Doch da es unter solchem Vorzeichen weder zu ästhetischen Erfahrungen kam, noch sich die erhofften persönlichen oder gesellschaftlichen Veränderungen einstellten, blieb nichts als Ernüchterung zurück.

II

Trotz des empirischen Scheiterns ist die Idee des aktionistischen Handlungskonzeptes der 60er Jahre, die reduzierte Kunstbetrachtung durch komplexes ästhetisches Handeln zu ersetzen, offenbar als künstlerische Zielvorstellung virulent geblieben. Jedenfalls bezieht sich Haim Steinbach wieder ausdrücklich auf sie und sucht, ihrer Verwirklichung durch eine neue Strategie näherzukommen. Er entwickelt sie aus dem Grundgedanken, sich auch für die Kunst der in unserer Gesellschaft vorherrschenden Präsentationsform von Objekten als Waren zu bedienen. Wie die conceptual art verzichtet er dabei auf jede morphologische Ähnlichkeit mit solchen überkommenen Kunstformen wie Tafelbild oder Sockelplastik.

Eigens entworfene Regalelemente dienen dazu, zumeist mehr oder weniger nützliche Konsumartikel wie Ausstellungs- oder Dekorationsobjekte darzubieten. Sie sind nach den Regeln der inzwischen von pop- und minimal-art beeinflußten Warenästhetik wirkungsvoll auf ihre unmittelbare Zugänglichkeit hin inszeniert. Es ist beabsichtigt, den Rezipienten als Konsumenten anzusprechen und in ihm »eine Reihe bedingter Reflexe aus(zu)lösen« (Steinbach 1988, S. 191). Durch positive Gefühle wird er animiert, die Dinge besitzen zu wollen. Insofern ist dieses »Wohlgefallen« - in der Terminologie Kants ganz und gar nicht »interesselos«, sondern eben gerade mit dem erweckten »Begehrungsvermögen« verknüpft.

Gleichwohl ist deswegen die Möglichkeit ästhetischer Erfahrung, die nach Kant ein »interesseloses Wohlgefallen« voraussetzt, nicht ausgeschlossen. Denn wie die Arbeiten den Betrachter zur Begehrlichkeit verführen, so versagen sie ihm die Befriedigung seines Besitztriebes auch wieder. Es entsteht eine Wechselwirkung von Verführung und Verweigerung, die sich nicht grundsätzlich von dem »Spiel zwischen Einbildungskraft und Verstand« unterscheidet, das nach Kant konstitutiv für die Erfahrung des Ästhetischen ist. Daß dieses Wechselspiel entsteht, beruht keinesfalls auf den im Kunstbereich üblichen Konventionen und Verboten, die einer handgreiflichen Aneignung der Objekte entgegenstehen.

Vielmehr wird eben dieses Verlangen vor allem auch dadurch gehemmt, daß sich die Objekte als Elemente in einem hermetisch geschlossenen, selbstbezüglichen System präsentieren. Jeder Eingriff würde nicht nur die - vor allem farblich - diffizil komponierte Mikrostruktur der einzelnen Arbeit zerstören sondern auch ihr Funktionieren in der Makrostruktur des Kunstkontextes. In ihm operiert Haim Steinbach mit der vom tautologischen Prinzip der conceptual art abgeleiteten Strategie, eine Ausstellung ausgestellter Objekte auszustellen. Gebrauchsgegenstände nicht durch die bloße Überführung in den institutionellen Rahmen der Kunst zu Objekten ästhetischer Erfahrung zu machen, genau darin geht Steinbach mit seinen Arbeiten über Marcel Duchamps ready-mades hinaus.

Daß die Arbeiten durch ihren systemischen Charakter den direkten Zugriff auf die präsentierten Objekte letztlich doch verweigern zu wollen scheinen, steigert das Verlangen nach ihnen umso mehr - die begehrtesten Artikel etwa auf Messen sind bekanntermaßen die (noch) nicht käuflichen. Der reflexhaft ausgelöste Handlungsimpuls, die Dinge unbedingt besitzen und über sie tatsächlich verfügen zu wollen, ist so stark, daß er sich trotz der taktischen Unmöglichkeit Bahn bricht. Er kommt gleichsam kanalisiert in einem umso ausgeprägteren imaginären Umgang mit den Objekten zum Ausdruck: Unwillkürlich beginnt der Betrachter, die seiner Hand entzogenen Objekte zumindest in der Vorstellung zu berühren, zu verschieben, zu vertauschen, weg- oder sogar in Gebrauch zu nehmen. Insofern verleiten die Arbeiten von Haim Steinbach zur Simulation von Handlungen, auch wenn sie wie Stilleben aussehen. Für ihn sind die Regalelemente »in gewissem Sinne eine generische Struktur« (Steinbach 1988, S. 193), die er mit einem Spielbrett vergleicht, auf dem die Spielzüge freilich nicht tatsächlich ausgeführt, sondern nur imaginiert werden.

Da das ästhetische Handeln des Rezipienten imaginär bleibt und reflexhaft ausgelöst wird, ist er der willentlichen, d.h. bewußten Entscheidung, ob er aktiv werden soll, enthoben. Zum imaginären Handeln kann es auch ohne ein Motiv kommen. Damit entfällt ein wesentliches Moment für das Scheitern des in den 60er Jahren von der Kunstpraxis unternommenen Versuchs, das Publikum zum tatsächlichen ästhetischen Handeln zu bewegen. Offenbar begreift Steinbach jedenfalls seine Arbeiten als gleichsam pragmatische Lösung dieser Problematik. Denn ausdrücklich erklärt er es zu seiner Absicht, die Objekte dem »Einfluß des Betrachters auszuliefern« indem seine Werke ihn »zum Spiel einladen« (Steinbach 1988, S. 193). Dessen »Regeln« will er aber »in seiner Sphäre« und Verantwortung angesiedelt sehen. So soll das Spiel »eine Plattform der Gleichberechtigung zwischen dem Künstler, dem Werk und dem Betrachter« definieren können (Steinbach 1988, S. 193). »Es bestätigt das Recht des Betrachters, am >kreativen Akt< teilzunehmen. Der Betrachter hat die Möglichkeit, selbst Künstler zu sein.« (Steinbach 1988, S. 193).

LITERATUR

Steinbach, H.: Interview mit E. Sussmann im Ausstellungskatalog: The Binational. Amerikanische Kunst der späten 80er Jahre. Köln 1988.


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