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Michael Lingner

CHARLY DOMSKE - EIGENART

Moderner Kunst geht es darum mit ihren Werken eine eigene Welt und Wirklichkeit zu erschaffen. Was auf der einen Seite dem Betrachter ganz andere Erfahrungsmöglichkeiten eröffnen könnte, bleibt ihm andererseits oft durch die Schwierigkeit verschlossen, daß diese besondere Welt der Kunst eigentlich nur wieder durch Kunst erklär- und verstehbar ist. Jede Suche nach außerkünstlerischen Motiven ignoriert im Grunde die Intentionen moderner Kunst. Zum besseren Verständnis ist es deshalb notwendig und sinnvoll, kurz auf die kunsthistorischen Muster einzugehen, die Charly Domskes Bildern zugrunde liegen. Es lassen sich an ihnen vor allem drei wesentliche Grundströmungen moderner Kunst ausmachen: die abstrakte, die expressionistische und die tachistische bzw. informelle.

Die abstrakte Kunst kommt um 1910 mit dem Kubismus auf und unternimmt es die im Bild dargestellten Gegenstände auf einige wesentliche Farb- und Formmerkmale zu reduzieren. Diese künstlerische Umformung, welche die Gegenstände der Wiedererkennbarkeit nicht völlig entzieht, erfolgt besonders aus bildkompositorischen Gründen: Die Darstellung soll nicht mehr der Wirklichkeit, sondern „nur (noch) des Kunstwerks urinnerstem Einheitswillen gehorchen", so D.-H. Kahnweiler, der Entdecker Picassos. Zumindest die Bildwirklichkeit soll möglichst rein nach ästhetischen Kriterien organisiert sein, wenn schon die Gestaltung der Lebenswirklichkeit zumeist Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit gehorchen muß.

Außer der kubistischen Formzersplitterung gibt es eine Fülle verschiedener, individuell entwickelter Methoden künstlerischer Abstraktion, die auf die unterschiedlichsten Gegenstände angewandt worden sind. Die Bilder von Charly Domske abstrahieren von Körpern als Motiven, indem sie deren Formen fleckenhaft auflösen. Stilistisch geht diese Abstraktionsmethode auf die in den 50er Jahren aufkommende informelle oder tachistische (franz.: tache — Fleck) Malerei zurück. In ihrer reinen Ausprägung sucht sie sich jeder kalkulierten künstlerischen Formung zu verweigern, um das Werk gleichsam organisch aus dem Unbewußten entstehen zu lassen. Doch den damit an sich einhergehenden Schritt zur absoluten Ungegenständlichkeit vollziehen die Bilder von Charly Domske nicht mit, so daß das Organische als Abbild erkenn- bzw. assoziierbar bleibt und nicht prozeßhaft wird.

Die Abstraktion erfolgt bei seinen Bildern nicht nur durch die tachistisch beeinflußte Formgebung, sondern auch über die expressionistisch geprägten Farben und die Art ihres Auftrages. Die Farbwerte und -kontraste sind um der Intensität ihrer Ausdrucksqualitäten willen gewählt und nicht vom tatsächlichen Aussehen der dem Bild als Motiv dienenden Gegenständlichkeiten bestimmt. Der Farbauftrag ist gestisch dynamisiert, so daß die Konturen der Flecken unscharf werden und ineinander übergehen. Es gehört zum Programm dieser expressionistischen Malerei, wie sie sich nach 1910 in den Künstlergruppen „Die Brücke" und „Der Blaue Reiter" entwickelt hat, daß sie ihre Mittel möglichst unmittelbar und spontan, intuitiv und improvisierend einsetzt. Nur so vermag sie die von ihr verabsolutierten inneren Empfindungen, Erlebnisse und Zustände des Künstlers authentisch zu formulieren. Der Künstler, der im Sinne des von H. Waiden definierten Expressionismus arbeitet, „schafft nicht den Eindruck von außen, (sondern) schafft den Ausdruck von innen".

In den besten seiner Bilder gelingt es Charly Domske aus der Mischung dieser historischen Muster durch seine gegenwartsgefärbte Subjektivität eine Art Synthese zu gewinnen.

Michael Lingner, Professor für Kunsttheorie Hochschule für Bildende Künste Hamburg


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