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Michael Lingner

Kommunikation im System der Kunst

Seit 1789 hat sich eine immer weitergehende ästhetische Autonomisierung, d. h. die zunehmende Selbstbestimmung aller künstlerischen Entscheidungen, entwickelt. Durch die sich stetig steigernde Selbstbezüglichkeit der Kunst differenzierte diese sich schließlich aus zu einem eigenständigen gesellschaftlichen System. Außerkünstlerische, ehedem gesellschaftliche Faktoren, wie etwa kommerzielle Einflüsse, von denen die moderne Kunst ihre Praxis vormals freizuhalten suchte, wurden dabei gleichsam internalisiert und somit zu integralen Bestandteilen des Systems Kunst.

Darum ist heute von einer Positivierung der Kunst, also von ihrer gesellschaftlich-kommunikativen »Machbarkeit« auszugehen: Die Kunst lebt nicht mehr in den Werken, sondern entsteht erst durch Kommunikationen, von deren Qualität sie letztlich bestimmt wird. Insofern ist das Kunstwerk, für das dann alle Kommunikationsteilnehmer und nicht mehr die Künstler allein Verantwortung tragen, als ein Programm von Kommunikationen zu verstehen. Damit es tatsächlich funktioniert, muß ein systemisches Zusammenwirken verschiedenster Faktoren des Künstlerischen nun künstlich herbeigeführt werden, während ein klassisches Kunstwerk sie noch natürlich in sich vereinte.

Die klassische Werkkonzeption hat ihre Gültigkeit verloren, weil durch die zunehmende Autonomisierung der Kunst wesentliche ihrer Funktionsbereiche wie die ästhetische lnnovation, die ästhetische Präsentation und die ästhetische Reflexion sich inzwischen weitestgehend gegeneinander ausdifferenziert haben. Seitdem vermag keine einzelne künstlerische Arbeit mehr, alle diese Bereiche gleichermaßen präzise zu repräsentieren, sie bleibt jeweils partiell unterbestimmt und kann somit für sich allein kaum ein wirksames Argument im Diskurs der Kunst abgeben. In ihrer Kontextabhängigkeit, Ortlosigkeit und Kommentarbedürftigkeit kann sie schließlich heute nur noch durch außerkünstlerische Verwertungszusammenhänge existieren. Demzufolge muß die Art und Weise der Ausstellung heutiger Kunst primär darauf gerichtet sein, die interne Kommunikation zwischen den voneinander losgelösten elementaren Teilbereichen des Künstlerischen wieder zu ermöglichen, wodurch das Kunst- und Werkhafte erst konstituiert wird. Genau darin besteht die Idee des im Kunstverein unternommenen Experimentes, das der Kunsttheoretiker als Ausstellungsmacher mit RAINER OLDENDORF und JÖRG RODE realisiert hat.

Die ausgewählten Arbeiten von Oldendorf und Rode beziehen sich bewußt auf je einen wesentlichen Funktionsbereich der Kunst: Oldendorf thematisiert das Problem ästhetischer Präsentationsbedingungen heutiger Kunst. Rode hingegen macht die gegenwärtigen ästhetischen Innovationsmöglichkeiten zum Gegenstand. Im Unterschied zu weniger entwickelten künstlerischen Positionen liegt beiden Ansätzen ein deutlicher Begriff der Notwendigkeit solcher Spezialisierung zugrunde. Diese vermögen sie noch extrem dadurch zu steigern, daß sie auch die in ihren Arbeiten je abwesenden Aspekte des Künstlerischen mitreflektieren, die so gleichsam als Negativformen präsent bleiben. Dadurch bewahren sich die Arbeiten trotz aller Spezifität ihre allseitige Anschlußfähigkeit. Zwischen ihnen können sich Kommunikationen entwickeln, ohne die es dem Betrachter nicht möglich wäre, über sie als Kunst zu kommunizieren.

JÖRG RODE folgt bei seiner Arbeit der Vorstellung von dem Projekt der Moderne als einer »Landschaft der Kunst«, in der es keine eindeutigen Orientierungen mehr gibt und Wege in alle Richtungen als gleich gangbar erscheinen. Aufgrund des Mangels an bestimmten, etwa historisch begründbaren Präferenzen wird für ihn die Problematik zentral, welches >Bild< diese indifferente Landschaft repräsentieren kann. Die Suche nach diesem >Über-Bild< erzwingt eine Differenz zu allen bisherigen Bildern, denn es kann allein zwischen allen Material-, Form- und Ideenkonventionen bisheriger Kunst entstehen. Insofern bedeutet dies für Jörg Rode die Herausforderung zu einer Radikalisierung der avantgardistischen Frage nach immer weiteren ästhetischen Innovationsmöglichkeiten.

RAINER OLDENDORF reagiert mit seiner Arbeit auf die im Kunstverein vorhandene Raumstruktur, die er als funktional unterbestimmt begreift. Seine gezielten Eingriffe zur Wiederherstellung der früheren räumlichen Gliederung und der Einbau eines gläsernen Raumes im Raum dienen zur Aufdeckung dort vorhandener architektonischer Strukturen. Solcherart zu einem Instrument des Erkennens ihrer Selbst geworden, haben sie durchaus einen skulpturalen Charakter. Doch wird die rein selbstreflexive Betrachtung besonders durch die Transparenz der Installation immer wieder durchbrochen. An eine überdimensionierte Vitrine erinnernd, ist die Wirkung der gerade nicht auf einen idealen Standpunkt hin ausgerichteten Architektur vor allem die eines »Schau-Raumes«. Indem deren Strukturen die Bewegungs- und Blickmöglichkeiten des Betrachters neu definieren, bestimmten sie wie ein »Apparat« (Organon) die Bedingungen, unter denen die gesamte Ausstellungssituation wahrgenommen wird. Rainer Oldendorf hat mit seiner auch als »Atelier« zu verstehenden Glasarchitektur eine ästhetische Präsentationsform geschaffen, in deren Perspektive sämtliche sich darbietenden kontextuellen Aspekte kommunizierbar werden.

Durch Thematisierung der ästhetischen Präsentationsbedingungen integrieren sich weitere elementare Teilbereiche des Künstlerischen: Aufgrund ihres medialen Charakters bildet Rainer Oldendorfs Arbeit ein Scharnier zwischen dem von Jörg Rode untersuchten Aspekt ästhetischer Innovationsmöglichkeiten und jener Sphäre der ästhetischen Reflexion: Durch den im Glasraum eingerichteten Computer-Arbeitsplatz des Kunsttheoretikers wird der Ursprung der Idee von einer Kunst repräsentiert, die er als eine Kunst der Kommunikation von und über Kunst verstanden wissen will.

Alle drei Arbeitskomplexe werden von einem sie formal beherrschenden und durchdringenden Prinzip ineinsgesetzt: dem Licht. Dessen Fähigkeit zu transzendieren, erhebt es zur Metapher der Wahrheit.


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