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Michael Lingner

Kunst und Ökologie - zwischen Autonomie und Auftrag

Es ist ein wesentliches Kennzeichen autonomer Kunst, wie sie sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart entwickelt hat, daß sie, im Unterschied zur traditionellen christlichen oder höfischen Kunst, ihre Funktionen und Inhalte selbst erfinden will. Die Autonomie und Qualität des künstlerischen Formungsprozesses hängt von einer höchst individuellen und zunächst rein privaten Erfindung ab. Darum ist innerhalb autonomer Kunst im Grunde "jeder öffentliche Anspruch an das Kunstwerk eine Zumutung", wie es der Hamburger Kunsthistoriker Martin Warnke sehr rigoros formuliert hat. Und in der Tat sind die Ergebnisse allzu oft fatal, wenn die Kunst hinter ihren Entwicklungsstand zurückfällt und sich von öffentlich vorgegebenen, kunstfremden Themen und Inhalten in Anspruch nehmen läßt.

Natürlich lassen sich theoretisch durchaus vielfältige Verbindungen zwischen Kunst und Ökologie herstellen. Aber für die künstlerische Praxis ist alles Ökologische dennoch ein ganz und gar kunstfremder Inhalt. Darum müßte die Kunst sich dieser Thematik um der Bewahrung ihrer Autonomie und Qualität willen eigentlich völlig versagen. Aber wegen der gegenüber solchen künstlerischen Bedenken ungleich größeren Lebenswichtigkeit der ökologischen Probleme, könnte sich die Kunst genausogut deren Lösung völlig verschreiben. Will sich der Künstler vor der mißlichen Alternative bewahren, entweder das ökologische Thema oder aber die Kunst und ihre Autonomie aufgeben zu müssen, bleibt ihm nur übrig, die Thematik so umzuformulieren, daß sie auch zu einer künstlerischen wird.

Als künstlerisch erweist sich eine Thematik dann, wenn sie mit künstlerischen Mitteln adäquat zu bearbeiten ist. Auf das Thema Luftverschmutzung etwa und vergleichbare reale ökologische Probleme sollte statt mit künstlerischen besser mit technischen Mitteln reagiert werden. Denn es ist unbezweifelbar, daß Kunst als Kunst nicht tatsächlich die Realität verändern kann - worum es hier allein ginge -, sondern nur das Denken. Aber wie die Philosophie philosophische Fragen zum Inhalt hat und unmittelbar nur auf das philosophische Denken einwirken kann, so behandelt die Kunst künstlerische Probleme und vermag direkt und gezielt allein das künstlerische Denken zu verändern. Als Kunst jedenfalls kann die Kunst darum nicht mal der Erwartung entsprechen, daß sie statt der bisherigen künstlerischen nun ökologische Probleme zu ihrem Inhalt macht und dadurch imstande ist, zur Veränderung des ökologischen Denkens oder gar Handelns beizutragen; einmal ganz abgesehen davon, ob der Entschluß zum ökologischeren Handeln überhaupt von durch Denken gewonnenen Einsichten, oder bloß vom entsprechenden politischen und ökonomischen Willen abhängig ist. Was Kunst, wenn sie sich auf eine außerkünstlerische Themenstellung einlassen will, mit den ihr eigenen Mitteln kann, ist nicht mehr und nicht weniger, als sich zum Medium der Reflexion ihres eigenen Verhältnisses zu dieser Thematik zu machen.

Um diese allgemeinen Überlegungen zu verdeutlichen, soll auf ein konkretes Beispiel (aus diesem Katalog) eingegangen werden: Die Arbeit "Still..." von Rainer Oldendorf setzt sich in dem beschriebenen Sinn auf eine künstlerische, der Kunst als Kunst möglichen Weise mit der ökologischen Thematik auseinander. Denn sie reflektiert - und nimmt darin die notwendige künstlerische Umformulierung der kunstfremden Thematik vor - über das Verhältnis von Natur und Kunst. Dieses wird in seinen vielfältigen Aspekten sehr grundsätzlich und umfassend untersucht, wobei sich die für die ästhetische Diskussion einst so wichtige Unterscheidung von Kunst und Natur relativiert. Durch die in der Arbeit veranschaulichte, auf verschiedenen Ebenen sich vollziehende technische und mediale Durchdringung von Kunst und Natur wird auf eine unabweisbare Weise die Frage aufgeworfen, welche Bedeutung den Begriffen "Kunst" und "Natur" sowie ihrer Unterscheidung heute überhaupt noch zukommt. Während die Arbeit einerseits zu beweisen scheint, daß Natur ausschließlich in den vom Menschen geschaffenen künstlerischen Aneignungsformen als quasi "zweite Natur" weiterexistiert, macht sie andererseits in all dieser Vermitteltheit Natur auch unmittelbar erfahrbar: Durch die Glasplatten hindurch, auf denen ein zu der jeweiligen Landschaft gehöriger Ausschnitt abgebildet ist, wie er sich zu einer bestimmten Zeit darstellt, wird die reale Landschaft in ihrem der jeweiligen Jahreszeit entsprechenden natürlichen Zustand sichtbar. Die derart aufscheinenden vielfältig dialektischen Verhältnisse zwischen Natur und Kunst vermögen das Denken über die Kunst, aber auch über die Natur zeitgemäß zu verändern.


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