ask23 > Lingner, Walther: Paradoxien künstlerischer Praxis

Michael Lingner, Rainer Walther

Paradoxien künstlerischer Praxis

Entwurf zu einer Theorie der künstlerischen Arbeit aus dem Spannungsverhältnis von schöpferischer Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Fremdbestimmung

Einleitung

Die "Erweiterung des Kunstbegriffs", die sich Ende der sechziger Jahre aus der Problematisierung des Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft entwickelt hat, ist in den beiden Gleichungen "Kunst ist Leben" und "Jeder Mensch ist ein Künstler" inzwischen zum Schlagwort oder zur unverbindlichen Glaubensformel verkommen. Zwar hat die einst dahinterstehende Idee einer radikalen Veränderung der Kunstpraxis auch heute nicht ihre Faszination oder ihr Recht verloren. Nur erscheint jetzt ihre Durchsetzung sehr viel zweifelhafter, da rückblickend konstatiert werden muß, daß trotz vieler Versuche "der Graben zwischen Künstler und Publikum . . . unüberbrückbar" (1) geblieben ist.

Dennoch - die auf eine künstlerische Einlösung dieser Gleichungen zielenden Erwartungen und Anstrengungen haben sich zu rasch entmutigen lassen, da eine wirkliche Durchdringung der Konsequenzen solcher künstlerisch und gesellschaftlich reformatorischen Gleichheitsansprüche nach wie vor fehlt. Mit feuilletonistischem Räsonnement über das "Ende der Avantgarde" (2) oder mit notorischem Ressentiment gegen die traditionellen Kunstinstitutionen läßt sich dieses Reflexionsdefizit nicht kompensieren. Und erst recht wäre es eine Täuschung, die Kunst zur Szene erkünstelter Irrationalität zu stilisieren und zu meinen, daß ihr am besten mit einer "Theorie der Nichttheorie" (3) geholfen sei, die - wie die "wild" denkenden Propheten der Postmoderne glauben machen möchten - das Problem der Einheit von Kunst und Leben "irgendwie" im Emotionalen auflösen wird. Wenn man nicht in solch vordergründiger Manier auf Trends des Zeitgeistes spekulieren, dem Kulturpessimismus frönen oder auf alternative Organisationsformen hoffen mag, dann muß zuerst gefragt werden, wieweit in der Struktur der Kunstpraxis selbst wesentliche Hinderungsgründe dafür liegen, daß sie sich nicht im Sinne jener Gleichheitsansprüche der gesellschaftlichen Praxis anverwandeln konnte.

Aber nicht allein für die Kunstpraxis, auch in der Kunsttheorie ist das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft zentrales Thema geworden; seitdem die beiden großen geisteswissenschaftlichen Strömungen des Historismus und Funktionalismus die Einbeziehung des Gesellschaftlichen als eines kulturellen sowie des Kulturellen als eines gesellschaftlichen Faktors zum methodischen Standard erhoben haben, kann keine Kunsttheorie die gesellschaftliche Dimension mehr vernachlässigen, ohne zu riskieren, daß sie als indiskutabel gilt.

Ebensowenig jedoch wie die kunstpraktischen haben bisher die kunsttheoretischen Formulierungen vermocht, überzeugend zur Vermittlung von Kunst und Gesellschaft beizutragen; einerlei ob in affirmativem oder kritischem Sinn, liegt ihnen als Vormeinung entweder eine soziologistische Überidentifikation der Kunst mit der Gesellschaft oder ein Ästhetizismus absoluter Gesellschaftsferne zugrunde. Ein an wissenschaftlichen Ansprüchen zu messender Theorieansatz hätte diese "Vormeinungen ausdrücklich auf ihre Legitimation und das ist: auf Herkunft und Geltung" (4) zu prüfen.

Gewiß, die zentrale Problematik solcher Legitimation - die Autonomie des Ästhetischen - wird in ihrer Wichtigkeit für die heutige Kunst und Kunsttheorie erkannt. Aber der vieldeutig gewordene, mehrdeutig gebrauchte und häufig polemisch benutzte Begriff der Autonomie führt allzu leicht in Konfusionen, die eine problemadäquate, nicht immer schon dualistisch gedachte Bestimmung des Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft verhindern. Indem Autonomie entweder zum Symbol kulturell errungener Rechte (Freiheit der Kunst) oder zum Symbol kultureller Illegitimität (Funktionslosigkeit der Kunst) stilisiert wird, ist die Option entweder "für" oder "gegen" Autonomie immer schon mitsuggeriert. Die Möglichkeit eines "Sowohl-als-auch" geht in der gesellschaftspolitischen Logik des Kulturbetriebs unter, der von simplen, auf "soziale Akzeptanz" berechneten Kontrastierungen lebt.

Auch wissenschaftliche Kunsttheorien können sich offenbar nur schwer solchen kulturpolitischen Vorstrukturierungen entziehen. Entweder neigen sie dazu, den Betrieb der institutionalisierten Kultur als ideologisch zu entlarven und so dessen restringierte Logik ,konservativ' mitzuvollziehen, oder sie weichen 'progressiv' auf einen überdehnten Kulturbegriff aus, der die Kunst als Kunst aufhebt. Soll Kunsttheorie derlei vorweg entstandene Einseitigkeiten nicht zu guter Letzt nur rationalisieren müssen mit Thesen zur "Ära der Postmoderne" (5) oder zur "Auflösung des Kunstbegriffs", (6) dann hat sie anstelle der bisher üblichen Polarisierung von Kunst und Gesellschaft die differenziertere Frage zu stellen, unter welchen Bedingungen sich die Kunst als "Eigengesellschaft" (7) mit der Gesamtgesellschaft vermitteln kann, ohne dabei ihre ästhetische Substanz preisgeben zu müssen.

Konstitutiv für die Formulierung derartiger Bedingungen ist das für die Moderne typische Spannungsverhältnis zwischen der künstlerischen Intention der Selbstbestimmung und der Faktizität gesellschaftlicher Fremdbestimmung. Da es sich besonders in der künstlerischen Tätigkeit konkretisiert, sollen im folgenden die künstlerische Tätigkeit und ihr Begriff analysiert, kritisiert und mit dem Anspruch der Fortentwicklung theoretischer Reflexion zur produktiven künstlerischen Kraft neu konzipiert werden; auf eine Weise, die es der Kunst erlaubt, "die soziale mit der ästhetischen Forderung in Einklang zu bringen und nicht in Gegensatz". (8) Soweit dieses gelänge, könnte die künstlerische Praxis ein Modell für die Transformation von Fremdbestimmung in Selbstbestimmung werden.

Problemperspektive

"Weder die Natur objektiv noch die Natur subjektiv ist unmittelbar dem menschlichen Wesen adäquat vorhanden." (9) Sollen "Naturgegenstände" zu menschlichen, für den Menschen brauchbaren Gegenständen werden können, müssen sie daher Prozessen der Aneignung unterworfen werden, die sich in zwei prinzipiell unterscheidbaren, heute jedoch funktional gleichrangigen Tätigkeitsformen vollziehen: Einerseits hält das Individuum als Gattungswesen durch gesellschaftliche Arbeit das "Diktat der unmittelbaren Triebbefriedigung gleichsam an", (10) um eine produktiv-materiale, gegenstandserzeugende Aneignung der "Natur objektiv" zu ermöglichen, die sein Überleben sichert. Andererseits vermag es als Einzelperson durch Ablösung des Wahrnehmungsprozesses von äußeren Sinnesreizen das Diktat der unmittelbar bewirkten Empfindungen zu brechen, um eine rezeptiv-mentale, wirklichkeitserzeugende Aneignung der "Natur subjektiv" zu leisten, die sein Erleben und Handeln sinnhaft fundiert. So gewiß einem jeden zwischen Mensch und Natur vermittelnden Prozeß beide Aneignungsformen innewohnen und aufeinander dialektisch bezogen sind, wurden sie in der Moderne doch je für sich ausdifferenziert und zu Modellen menschlicher Praxis gesteigert - als technologische Wissenschaft und als ästhetische Kunst.

Während die auf Aneignung der "Natur objektiv" spezialisierte Wissenschaft in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung zusehends übermächtig zu werden droht, wird die zur Aneignung der "Natur subjektiv" prädestinierte Kunst als Sinnpotential gesellschaftlich immer unbedeutender. Seitdem die Kunst nicht mehr "unaufgeklärt" an der Gewißheit einer göttlichen Sinnordnung bzw. an der Autorität eines herrschaftlichen Ordnungssinns teilhaben und deren Sinn vermitteln konnte, hat sie sich in der absoluten Malerei am Anfang des 20. Jahrhunderts um der vollkommenen Autonomie willen sogar jeder inhaltlich-gegenständlichen Sinndeutung entzogen, so daß ihr in der Gegenwart - sofern sie denn überhaupt noch einem kunstübergreifenden Lebenssinn nachhängt - beschieden ist, Sinn nurmehr im Ausdruck der Sinnverneinung zu verheißen.

Dem ganz offenkundigen Sinnbedürfnis der von einer "umfassenden Sinnkrise" (11) betroffenen industriellen Gesellschaften vermag die Kunst jedenfalls nicht zu genügen, wenn sie, befangen in ihrer bisherigen Tradition, sich zum Sinnproblem gewissermaßen naiv verhält, indem sie selbst da, wo sie Sinn nicht mehr vermitteln oder deuten, sondern nur noch verneinen kann, immer noch glaubt, von einer normativen Vorgegebenheit von Sinn überhaupt ausgehen zu können. Doch im Horizont des Nihilismus und in Ansehung des Ideals der Autonomie des Subjekts kann Sinn nicht vorgegeben, sondern "muß gefunden werden vom Menschen selbst - allerdings nicht in ihm selbst". (12) So wird die Kunst nicht umhin können, sich von ihrer traditionellen Funktion zu lösen, Medium der bloß rezeptiven Aneignung von bereits religiös, gesellschaftlich oder auch künstlerisch konstituiertem normativem Sinn zu sein. Stattdessen wird sie Aneignungsprozesse ermöglichen müssen, in denen der Einzelne - ob Künstler oder ob Rezipient - selbständig und selbsttätig subjektiven Sinn produktiv konstituiert. Diese neue Funktion hätte allerdings zur Voraussetzung, daß analog zur technologisch-wissenschaftlich fundierten Produktion auch die Rezeption von ästhetischer Kunst als produktive Arbeit praktiziert wird und dabei trotz ihres bloß "wirklichkeitserzeugenden" Charakters sich an denselben allgemeinen Prinzipien orientiert, welche für Arbeit schlechthin gesellschaftlich gelten. Nur dann kann sie kraft eines von jedermann aufzubringenden freien Willens gelingen und muß nicht länger unverfügbarer individueller Disposition unterworfen sein.

Noch immer gilt freilich als vollkommenste Form der Kunstrezeption die der Arbeit absolut entgegengesetzte kongeniale Einfühlung, die - verglichen mit anderen historisch ausgebildeten Rezeptionsformen, z. B. der der Kontemplation, dem Spiel oder dem Genuß - das individuellste und zugleich komplexeste Verständnis von Kunstwerken ermöglicht, insofern der Rezipient, der Spur des genialen Künstlers folgend, das Werk mental gleichsam nachzuerschaffen, ja sogar nachzuleben vermag. Aber diese Lieblingsvorstellung des 19. Jahrhunderts hat, wenngleich sie immer noch fasziniert, ihre Plausibilität aus zwei Gründen verloren: Zum einen ist es das veränderte Selbstverständnis wegweisender Künstler des 20. Jahrhunderts, die sich einer die Genialität (Begabung, Individualität und Irrationalität) verabsolutierenden Auffassung des schöpferischen Schaffens widersetzt haben mit der Idee eines eher rational orientierten, entindividualisierten und objektivierbaren "Machens"; zum anderen ist es das veränderte Selbstverständnis der Gesellschaft, die, ungeachtet aller faktischen Abhängigkeiten des Einzelnen von nicht zu erwerbenden oder nicht jedermann zuteilwerdenden, ,natürlichen' Gaben, die Idee der unprivilegierten Teilhabe und Teilnahme aller an allen gesellschaftlichen Institutionen zu ihrem ,Grundgesetz' erhoben hat.

Eine dieser künstlerischen und gesellschaftlichen "Verfassungsänderung" gerecht werdende Um-gründung der Kunstrezeption auf das allgemeingültige, allseitige Aneignungsprinzip der Arbeit müßte allerdings davon ausgehen können, daß auch die Kunstproduktion gesellschaftlich als Arbeit anerkannt wird. Denn die Art der Rezeption eines Gegenstandes wird wesentlich durch dessen Produktionsweise bestimmt; und schließlich wird dem Rezipienten Arbeit nur dann abzuverlangen sein, wenn er auf die Vor-arbeit des Künstlers vertrauen kann. Im Sinn eines solch "kooperativen" Verhältnisses von Produzent und Rezipient, das den - eher fiktiven - Ebenbürtigkeitsanspruch der Kongenialität einlöst, wollen wir im folgenden untersuchen, ob die Tätigkeit des Künstlers sowohl nach dessen eigenem als auch nach dem Selbstverständnis der Gesellschaft den Bedingungen gesellschaftlicher Arbeit genügt, und wie diese Bedingungen entsprechend zu modifizieren wären. Der dazu erforderliche Begriff der Arbeit läßt sich zusammenfassend folgendermaßen bestimmen:

Für sich betrachtet kann jede Tätigkeit als Arbeit oder als Freizeit erlebt werden. Doch gilt gesellschaftlich eine Tätigkeit erst dann als Arbeit, wenn sie durch die Notwendigkeit der Erhaltung des Lebens oder die Verpflichtung auf einen Rechtsvertrag motiviert wird und von "momentan empfundenen Bedürfnissen und Gefühlen unabhängig" (13) ist, so daß Zeit und Ort ihrer Ausübung der freien Verfügung entzogen sind. Arbeit definiert sich mithin durch das Kriterium der Fremdbestimmung der Motivation sowie der Zeit und/oder des Ortes. Wer in seiner Tätigkeit ausdrücklich der Selbstbestimmung entsagt, indem er seine subjektiven Motive und Empfindungen zurückstellt und auf die freie Disposition über Ort und Zeit verzichtet, hat Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Insofern ist Geld ein Symbol für die geleistete "Regulation der Selbstsucht" (14) und - jedenfalls nach herrschender Ökonomie - das einzige untrügliche Zeichen, an dem die Gesellschaft glaubt, Arbeit erkennen zu können.

Auf der Grundlage des für Arbeit geltenden Kriteriums der Fremdbestimmung gerät freilich die Forderung, daß die künstlerische Tätigkeit Arbeit sein soll, in Gegensatz zu der gesellschaftlich ebenfalls anerkannten Auffassung, daß Selbstbestimmung als das konstitutive Prinzip alles Schöpferischen für die künstlerische Tätigkeit wesensnotwendig ist. Infolgedessen wird die Frage, ob und inwiefern die Praxis des Künstlers wirklich Arbeit sein kann, zwangsläufig zu paradoxen Antworten führen.

1. Paradoxie

Wo die Ware als Form des wirtschaftlichen Verkehrs jeglichen gesellschaftlichen Austausch prägt, ist auch der künstlerische Wert von Werken - als potentieller Tauschwert - in Geld konvertierbar. Und da Geld gesellschaftlich als der Indikator für Arbeit gilt, wird jede bezahlte künstlerische Tätigkeit als Arbeit akzeptiert. Doch setzt die Anerkennung einer Tätigkeit als Arbeit nach herrschendem gesellschaftlichen Verständnis gleichfalls voraus, daß sie der Fremdbestimmung unterliegt. Gerade diese Forderung aber widerspricht dem Selbstverständnis der Künstler, die ihre in subjektiver Selbstentfaltung sich konstituierende Tätigkeit mitnichten für fremdbestimmt halten. Der Umstand, daß künstlerisches Produzieren (als intendierte Selbstverwirklichung) und künstlerisch Produziertes (als potentieller Tauschwert) heute nicht gleichermaßen den gesellschaftlichen Kriterien für Arbeit genügen, ist die Ursache der ersten Paradoxie: Die künstlerische Produktion kann Arbeit sein, ohne daß der Künstler eigentlich arbeitet.

2. Paradoxie

Künstlerische Praxis, die aufgrund ihres selbstbestimmten Charakters gesellschaftlich nicht um ihrer selbst willen, sondern allein ihrer Produkte wegen geschätzt wird, muß nach der Einzigartigkeit ihrer Werke streben, wenn deren Tauschwert realisierbar sein soll. Denn während für Arbeit sonst die Bezahlung weitgehend unabhängig von der konkreten Qualität ihres Ergebnisses erfolgt, wird für die künstlerische Tätigkeit eine Honorierung erst denkbar, wo ihr - vermeintlich oder tatsächlich - einzigartige Leistungen gelingen. Doch wo der Künstler dieser hohen Erwartung nicht entspricht oder ihre Erfüllung für andere (noch) nicht erkennbar ist, wird ihm die pekuniäre Wertschätzung versagt, und er gerät in den Verdacht, im eigentlichen Sinn nicht zu arbeiten.

"Leistung" kann im Unterschied zur einfachen Arbeit eine Tätigkeit erst dadurch werden, daß in ihr ein subjektiv-freies Verhältnis gegenüber den objektiv fremdbestimmten Arbeitsbedingungen verwirklicht werden kann. Außerdem muß ihr Ergebnis gesellschaftlichen Ansprüchen nicht nur genügen, sondern diese entweder übertreffen oder sogar neu formulieren. Der "meliorative" und innovative Charakter der Leistung erweist sich darin, daß sie einem Vergleich mit bereits konsensfähigen Leistungen standzuhalten vermag.

Gerade künstlerische Hervorbringungen, zumal diejenigen der Avantgarde, entziehen sich jedoch für die Zeitgenossen meist jeder Vergleichbarkeit, da ihre authentische Modernität den Anspruch der Unvergleichlichkeit provoziert. Deshalb haben jene Werke, deren künstlerischer Wert sich am ehesten als unstrittig erweisen wird, es besonders schwer, den Rang gesellschaftlich verbindlicher Leistungen zu erlangen - jedenfalls solange sie noch nicht historisch geworden sind. Dieses aus der Spannung zwischen Tradition und Innovation entstehende Dilemma der gesellschaftlichen Geltung künstlerischer Leistungen in der Moderne ist - zugeschärft - als die zweite Paradoxie zu formulieren: Je mehr der Künstler leistet, desto weniger findet seine Leistung aktuale Anerkennung.

3. Paradoxie

Würde der wahre Wert künstlerischer Innovationen durch eine kompetentere Praxis der kunstvermittelnden Instanzen (Kunstkritik, -museum, -akademie usw.) schon für die Zeitgenossen einschätzbar sein, so könnte zumindest das bezahlte künstlerische Produkt Anerkennung als Arbeitsleistung finden; dem künstlerischen Produzieren jedoch bliebe sie wegen mangelnder Fremdbestimmtheit weiterhin versagt. Doch auch wenn dieser Mangel an Fremdbestimmung darauf beruht, daß Künstler für den eigentlichen Akt des schöpferischen Produzierens das Recht der totalen Selbstbestimmung in Anspruch nehmen, sollte dies keinesfalls zu deren vorschneller Preisgabe verleiten. Denn selbst die kritische, ihren bisherigen Rang relativierende Betrachtung der künstlerischen Selbstbestimmung erweist deren fundamentale Funktion für die Kunst:

Damit sich der schöpferische Akt zur Hervorbringung des Werkes eigengesetzlich entfalten kann, schließt der Künstler möglichst jede erdenkliche Fremdbestimmung aus und duldet keine anderen ihn beschränkenden Bedingungen als die dem Hervorbringen selbst innewohnenden Gesetzmäßigkeiten des Materials und des Bildnerischen. Und ebensowenig unterwirft er sich im Ausleben seiner momentanen subjektiven Bedürfnisse irgendeinem anderen als dem zur Vollendung des Werkes unbedingt notwendigen Zwang etwa zur Ausdauer und Genauigkeit. In solcher Beherrschung des Materiell-Bildnerischen und des eigenen Selbst ist der Künstler also trotz allen Bemühens um Selbstbestimmung einem immanent-ästhetischen Sachzwang unterworfen. Darüber hinaus unterliegt er aber auch dem Naturzwang seiner Psyche, insofern er während des eigentlich intuitiv-schöpferischen Aktes der Inkubation weitgehend der "Psycho-Logik" seiner inneren Natur, d. h. den Mechanismen des Unbewußten anheimgegeben ist. Die Unverfügbarkeit dieses Naturzwanges zieht ebenso wie die Disziplinierung durch den Sachzwang der künstlerischen Selbstbestimmung prinzipielle Grenzen, so daß beide Komponenten schöpferischer Selbstbestimmung faktisch als Fremdbestimmung aufzufassen sind. Freilich dient die Fremdbestimmung ausschließlich dem Werk und somit dem Zweck, den sich der Künstler, ob wissentlich oder unwissentlich, selbst auferlegt hat. Wegen dieses "Selbstzwecks" gilt die immanent-ästhetische Fremdbestimmung der gesellschaftlich fundierten Fremdbestimmung denn auch nicht als gleichwertig, was zu einer dritten Paradoxie führt: Obwohl der Künstler sich im schöpferischen Akt nicht wirklich selbst bestimmt, ist er auch nicht eigentlich fremdbestimmt.

4. Paradoxie

Zwei starke Strömungen ziehen sich durch die Kunst des 20. Jahrhunderts, die solcher Widersprüchlichkeit auf künstlerisch-praktischem Wege entgehen wollen. Obwohl ihrer Intention nach einander entgegengesetzt, haben sie doch als Ursprung die für die Kunst der Moderne insgesamt charakteristische Neigung gemeinsam, daß sie die Entstehungsbedingungen des Kunstwerkes im schöpferischen Akt reflektieren: Die eine künstlerische Richtung tendiert zur Aufhebung der immanent-ästhetischen Fremdbestimmung im schöpferischen Akt, indem sie mit analytisch-experimentellen Verfahrensweisen in höchst artifizieller Beherrschung der bildnerischen Mittel und Materialien über den Sachzwang und über den Naturzwang durch eine möglichst rationale Steuerung der psychischen Prozesse zu verfügen sucht. Die andere Richtung unterwirft den schöpferischen Akt dem Diktat externer Fremdbestimmung, indem sie aus der utopischen Idealität und Fiktionalität des "als ob" in den Anspruch des unmittelbaren Einwirkens auf soziale Realität verfällt und sich der Gesellschaft mit kritischen oder affirmativen Funktionen andient.

Beide Kunsttendenzen bezahlen indes den Versuch der Auflösung des Widerspruchs zwischen Selbst- und Fremdbestimmung zu hoch: Die tendenzielle Aufhebung der immanent-ästhetischen Fremdbestimmung hat zu einer narzißtisch selbstbefangenen Kunst des autonomen Formalismus geführt, welche die bildnerischen Eigengesetzlichkeiten verabsolutiert und die psycho-logische Eigendynamik verdrängt, so daß der schöpferische Akt vom eigentlichen Quell ingeniöser Innovationen abgeschnitten ist. Der dem Diktat externer gesellschaftlicher Fremdbestimmung gehorchende heteronome Realismus verspielt dagegen den spezifischen Erkenntniswert der ästhetischen Erfahrung, so daß die virtuell universale kulturelle Wirksamkeit des Ästhetischen zu einem bloß partikularen, ausschließlich didaktischen oder dekorativen Mittel verkommt. Weder durch Steigerung der (autonomen) ästhetischen Selbstbestimmung noch durch Einbeziehung der (heteronomen) gesellschaftlichen Fremdbestimmung läßt sich mithin die künstlerische Tätigkeit in künstlerische Arbeit transformieren. Während ihr im einen Fall das (künstlerische) Moment des Ästhetischen fehlt, mangelt ihr im anderen Fall das (gesellschaftliche) Moment des Arbeitens. In der Gegenwart hat die künstlerische Tätigkeit praktisch nur die paradoxe Wahl: Sie muß entweder "arbeitslose" Kunst oder aber "kunstlose" Arbeit sein.

Revision des Autonomiebegriffs

Die Anfang des 19. Jahrhunderts gegen gesellschaftliche (vor allem klerikale und feudale) Zweckbestimmungen durchgesetzte Autonomie der Kunst ist die Ursache des bis heute fortwährenden Widerstreits zwischen künstlerischer Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Fremdbestimmung, wie er sich in den hier aufgewiesenen Paradoxien gegenwärtiger Kunstpraxis manifestiert. Durch außerordentliche Geschicklichkeit oder Leidensfähigkeit versuchen die Künstler immer wieder mit der paradoxen Struktur der künstlerischen Praxis individuell irgendwie zurechtzukommen, d. h. sich gegen die Gesellschaft zu behaupten. Doch zum unüberwindbaren Problem ist die Problematisierung und Entzweiung von Kunst und Leben geworden, seitdem die Kunstautonomie nicht mehr als ein absoluter Wert anerkannt wird, für den die Polarisierung und Entzweiung von Kunst und Leben notwendig in Kauf zu nehmen ist.

Wird die Entwicklungsfähigkeit der Kunst auf dem Wege ihrer weiteren Autonomisierung heute grundsätzlich in Frage gestellt und das "Ende der Avantgarde" proklamiert, dann müssen die künstlerische Selbstbestimmung und die gesellschaftliche Fremdbestimmung als gleichermaßen konstitutive Momente der künstlerischen Praxis angesehen werden. Um die Voraussetzung zu schaffen, daß sie sich nicht weiterhin ausschließen, ist der Begriff der Kunstautonomie zu revidieren. Damit Künstler die Selbstbestimmung nicht mehr nur für sich selbst, sondern für die Gesellschaft, d. h. in einer allgemein verfügbaren Weise verwirklichen, wollen wir im folgenden den Versuch dieser Revision unternehmen und die Hypothese prüfen, ob nicht die Unauflöslichkeit der Paradoxien auf einem historisch unangemessen gewordenen Begriff von den Möglichkeiten 1. der Selbstbestimmung und 2. der Fremdbestimmung des Künstlers beruht.

Kritik der künstlerischen Selbstbestimmung

1. Der Anspruch des Künstlers in der Moderne, autonome Werke hervorzubringen, unterstellt seine Produktion dem Zwang zur Originalität. Da die Erklärungsversuche für die Möglichkeit der Hervorbringung autonomer Werke bis heute letztlich auf Genietheorien zurückgreifen, welche als Ursprung der Originalität des Kunstwerkes die Intuition d. h. die "unbewußte Bearbeitung vorbewußter Vorstellungen" (15) verabsolutieren, bleibt der Begriff der künstlerischen Tätigkeit auf diese eine Phase im gesamten Hervorbringungsprozeß des Werkes beschränkt und umfaßt deshalb nur solche Bedingungen und Merkmale, die zwar charakteristisch für das Schöpferische, jedoch nicht typisch für das spezifisch Künstlerische sind. Diese Ineinssetzung des Schöpferischen mit dem Künstlerischen führt dazu, daß die künstlerische Originalität und Intuition ausschließlich dem materialen Hervorbringungsprozeß zugerechnet wird, der deswegen für das künstlerische Streben nach Selbstbestimmung prädestiniert erscheint.

Selbstbestimmung ist jedoch ausschließlich gegenüber Bedingungen möglich, die der Reflexion und der Verallgemeinerung fähig, also nicht "bewußter Zugänglichkeit, objektivierender Distanznahme, hermeneutischer Auslegung und Re-Interpretation" (16) entzogen sind. Der auf Intuition reduzierte Hervorbringungsakt des Werkes ist indes ein an sich unbedingtes, unbewußtes, intrapsychisches Geschehen von unverfügbarer Naturhaftigkeit. Es bleibt jeder bewußten, willentlichen Bestimmung durch das Selbst des Künstlers unzugänglich und ist deshalb für das Streben nach Selbstbestimmung das absolut falsche Objekt.

Insofern ist der naturhaft-vorsoziale, ausschließlich auf generelle Bedingungen der Kreativität beschränkte Begriff der künstlerischen Tätigkeit zu erweitern, so daß er auch die speziell für die Kunstpraxis konstitutiven kulturell-soziablen Tätigkeitsbedingungen umfaßt. Auch diese Bedingungen sind zweifellos individueller Natur; da sie jedoch nicht dem Unbewußten, sondern subjektiver, auf die kulturelle Tradition ausgerichteten Reflexion entstammen, können sie sehr wohl transindividuelle Relevanz, intersubjektive Geltung und somit auch "Kulturbedeutung" (17) erlangen. Künstlerische Selbstbestimmung, die sich auf die subjektive Entfaltung solcher kulturell-soziablen Tätigkeitsbedingungen richtet, braucht nicht mehr von vornherein daran zu scheitern, daß sie über das prinzipiell Unverfügbare zu verfügen sucht, sondern kann einem Kunstwollen gelten, das in der dialektischen Auseinandersetzung des "Selbst" mit dem "Anderen" entsteht.

Die Ausbildung dieses Kunstwollens, d. i. die Setzung der spezifisch künstlerischen, kulturell-soziablen Tätigkeitsbedingungen kann sich innerhalb eines von gesellschaftlichen Zwängen relativ freien Subsystems der Gesellschaft vollziehen, das aus der Gesamtheit derer besteht, die sich intensiv der Reflexion des Ästhetischen widmen. Daher sind die kulturell-soziablen Tätigkeitsbedingungen nicht das Ergebnis unmittelbar gesellschaftlich bedingten Denkens, sondern einer durch "gedankliche Vergemeinschaftung", (18) also durch Nach-, Mit- und Vordenken bedingten Gesellschaftlichkeit. Die hierauf beruhende Soziabilität schränkt die künstlerische Selbstbestimmung nicht nur nicht ein, sondern ist vielmehr eine Voraussetzung ihrer gesellschaftlichen - statt bloß individualistischen - Verwirklichung. Der traditionelle Autonomiebegriff ist fixiert auf die Polarität zwischen den gleichermaßen nicht selbstbestimmten immanent-ästhetischen und extern-gesellschaftlichen Bedingungen. Deshalb entgehen ihm die in die Kompetenz der "Eigengesellschaft der Kunst" (19) fallenden kulturell-soziablen Tätigkeitsbedingungen, die vom Künstler selbst zu bestimmen sind, und die wir zur Unterscheidung von allen anderen als kunstinterne bezeichnen wollen.

In anderen gesellschaftlichen Subsystemen müssen die Tätigkeitsbedingungen nicht erst vom Einzelnen durch reflexive Diskurse gesetzt werden, sondern sind als Ergebnis formaler Organisation schon verbindlich vorgegeben als ein Komplex von Funktionszuweisungen, Stellenplänen, Weisungsbefugnissen, Dienstvorschriften usw. Während diese Art der Vergesellschaftung von Arbeitsbedingungen aufgrund der fortschreitenden Rationalisierung sonst überall zur Selbstverständlichkeit geworden ist, haben die wenigen tradierbaren Bedingungen der ästhetischen Praxis infolge der wachsenden Wertschätzung der künstlerischen Individualität seit der Renaissance einen andauernden Prozeß der "Entkanonisierung" (20) erfahren, in dem sie ihre Allgemeinverbindlichkeit mehr und mehr einbüßten.

Als die Kunst schließlich seit dem Impressionismus immer entschiedener zur Subjektivierung und permanenten Selbstrevolutionierung tendierte und Originalität sowie Modernität als Werte verabsolutierte, wurde die Tradierung künstlerischer Tätigkeitsbedingungen vollends unmöglich. Dies gilt nicht nur für die historischen Methoden der "Nachahmung" meisterhafter Vorbilder und für die "Nachfolge" (21) vorbildlicher Meister, sondern überhaupt für jede Art praktischer, aus der unmittelbaren Anschauung abgeleiteter Traditionsbildung, zumal die Kunst im 20. Jahrhundert die Bedeutung des Anschaulich-Ästhetischen durch Vergeistigung (Intellektualisierung und Entmaterialisierung) stark relativiert hat.

Andererseits ist es unabdingbar, jenes Maß an entwicklungsgeschichtlicher Kontinuität zu wahren, durch das die künstlerischen Innovationen historisch beziehbar d. h. verstehbar bleiben. Nur so sind sie davor zu bewahren, als lediglich modische bzw. abstruse Novitäten oder als bloße Zeugnisse des Zeitgeistes wahrgenommen zu werden. Das künstlerisch Neue muß in seiner substantiellen ästhetischen Differenz kenntlich und somit real - nicht nur nominal - als Kunst identifizierbar sein. Wenn darum auf Tradition nicht verzichtet, jedoch eine praktische Tradierung künstlerischer Tätigkeitsbedingungen nicht fortgeführt werden kann, muß der künftige Künstler zu einer reflexionsgeleiteten theoretischen Weise der Nachfolge finden.

Damit sind nicht die üblichen theoretisierenden Äußerungen von Künstlern gemeint, die den Werken in rationalisierender oder legitimierender Absicht nach-folgen, sondern "theoretische Nachfolge" soll allein denjenigen Reflexionsvorgang bezeichnen, in dem der Künstler vor seiner eigentlichen Praxis die für ihn relevanten Tätigkeitsbedingungen selbstbestimmt setzt. Diese Bedingungen, die sich kunstintern, nämlich in der "Denksozialität" (22) der Kunst, reflektierend entfalten lassen, die also der Selbstbestimmung des Künstlers tatsächlich zugänglich sind und für die Kunstpraxis konstitutive Bedeutung haben, können am treffendsten mit dem traditionellen Begriff der "ästhetischen Idee" (23) charakterisiert werden. Theoretische Nachfolge läßt sich somit als selbstbestimmte, aktualisierende Verknüpfung von historischen ästhetischen Ideen konkretisieren.

Damit der Künstler eine eigenständige Ideen-Setzung leisten kann, die nicht hinter den entwickeltsten Positionen in der Geschichte der ästhetischen Ideen zurückbleibt, muß er für sich anhand der überlieferten Kunstentwicklungen und Einzelwerke eine möglichst durchgängige Problemgeschichte der ästhetischen Ideen rekonstruieren. Soll dieser notwendig subjektive Rekonstruktionsversuch nicht von vornherein der Rationalität und Validität entbehren, und "in beliebige und amateurhafte Hilfshypothesen, Rationalisierungen ... oder unverbindliche weltanschauliche Deklarationen ausarten", (24) hat der Künstler seine Reflexion forschungslogischer Disziplin zu unterziehen. Denn nur dann, wenn die geschichtliche Entwicklung der ästhetischen Ideen mit methodisch-systematischer Strenge analysiert und ihre Bedeutung an den Ansprüchen der Gegenwart kritisch gemessen wird, sind die neu entstehenden ästhetischen Ideen von dem Vorwurf freizusprechen, daß sie subjektivistisch beliebig und historisch unangemessen seien.

Durch diese einer jeden Kunstpraxis vorzuschaltende forschungslogische Rekonstruktion des historischen Ideenzusammenhangs sind die generellen Tätigkeitsbedingungen des Künstlers umrissen. Sie werden in dem Maße spezieller, wie der Künstler eine mögliche und fruchtbare Fortschreibung der Geschichte der ästhetischen Ideen antizipiert und eigene künstlerische Vorstellungen entwickelt. Im Prozeß ihrer kunstpraktischen Umsetzung verlieren diese ihren ganz und gar kunstinternen und rein gedanklichen Charakter, weil sie dann an den realen Gegebenheiten der bildnerischen Mittel und Materialien sowie an den kunstrelevanten Bedingungen der Lebenswelt abgearbeitet werden müssen, wobei zwangsläufig die Grenzen der Denksozialität "Kunst" überschritten werden.

Solche Auseinandersetzung mit den konstitutiven Bedingungen künstlerischer Praxis ist ohne die analytische Kraft gedanklicher Reflexion nicht möglich. Aber zur Umsetzung der Ideen bedarf es ebenso des synthetisierenden Vermögens der Intuition, damit gegen die vorhandenen Faktizitäten die Totalität einer andern Wirklichkeit entstehen kann. Selbst wenn sich deswegen das realisierende, eigentliche künstlerische Produzieren jeder Selbstbestimmung entzieht, können zuvor doch die Inhalte des Produzierens: die ästhetischen Ideen in einem Akt subjektiver Setzung vom Künstler selbst bestimmt werden. Insofern kann und soll die hier vorgeschlagene Konzeption einer über rationale Reflexion laufenden Selbstbestimmung keineswegs die schöpferische Intuition ersetzen. Beabsichtigt ist lediglich, die Entscheidung über ihre Orientierung verstandesmäßiger und damit nachvollziehbar, also korrigierbar zu machen.

Kritik der künstlerischen Fremdbestimmung

2. Durch diesen Gewinn an Rationalität und Selbstbestimmtheit allein erlangt die künstlerische Praxis jedoch noch keine Geltung als gesellschaftliche Arbeit. Dazu bedarf sie überdies der Fremdbestimmung, die ihr freilich nicht vom immanent-ästhetischen Sach- und/oder Naturzwang her, sondern - wie jedem wirklichen Arbeiten - ausschließlich aus der Orientierung an einem externen gesellschaftlichen Zweck zuwachsen kann. Diese Art der Zweckorientierung ist der Kunst allerdings verwehrt, wenn sie ihre große Errungenschaft in der Moderne: die Durchsetzung und Wahrung ihrer Autonomie behaupten will. Infolgedessen kann sie gesellschaftliche Bedeutung als Arbeit nur durch eine solche Zwecksetzung erlangen, die externen gesellschaftlichen Ansprüchen entspricht, ohne den kunstimmanenten Interessen zu widersprechen.

Doch nach wie vor verbindlich für das Selbstverständnis der Künstler und für ihre Auffassung von Autonomie ist die am Anfang unseres Jahrhunderts in der absoluten Malerei entwickelte Vorstellung, daß für die freie künstlerische Produktion kunstimmanente Interessen ausschließlich bestimmend sein sollen. Aufgrund der Auffassung, daß die Werke sich ganz und gar selbst zu genügen haben, werden alle kunstexternen Interessen und Ansprüche dem Rezipienten bzw. der Rezeptionsgeschichte überlassen. Die klassischen Werke der Moderne haben Zweckcharakter nur als Selbstzweck, der sich auch dann durchsetzt, wenn die Künstler kunstexternen Zwecken gehorchen und auf den Rezipienten religiös, moralisch oder politisch einwirken wollen. Denn stets verfolgen sie diese Absicht durch eine materiale Vervollkommnung des Werkes.

Insofern kann das klassische, autonome Werk keinesfalls als ein externer, "kunstfremder" Zweck fungieren. Aber als Garant ästhetischer Erfahrung ist das Kunstwerk unersetzlich und - eingedenk dessen, daß "die Kunst im Werk west" (25) - als eigentlicher Zweck jeder autonomen Kunstpraxis unbedingt zu wahren. Allerdings darf das Werk, soll es Ertrag künstlerischer Arbeit sein, kein ausschließlich kunstimmanenter Zweck bleiben, sondern muß gleichermaßen gesellschaftlichen Ansprüchen genügen. Die höchste gesellschaftliche Zweckbestimmung des Kunstwerkes, die nicht von vornherein den kunstimmanenten Interessen widerspricht, sehen wir in der Verallgemeinerungsfähigkeit seines ästhetischen Potentials, d. h. in dessen allseitiger Übertragbarkeit und jedermann prinzipiell möglicher Erfahrbarkeit.

Dieser kunstexterne, gesellschaftliche Zweck der Verallgemeinerbarkeit ästhetischer Potentiale läßt sich freilich nur dann verwirklichen, wenn die Künstler den klassischen Begriff des autonomen Werkes überwinden und durch eine "nachklassische" Werkkonzeption ersetzen. Die Künstler selbst müßten dazu auf das Hervorbringen von Werken verzichten und ganz dem Rezipienten überantworten. Die Konsequenz dieser Autorisierung des Rezipienten zum Produzenten bestünde darin, daß der Künstler nicht länger Werke hervorbringt, die in einer unauflöslichen Einheit aus "dinglichem Unterbau" und "ästhetischem Oberbau" (26) bestehen und dem Rezipienten sinnlich anschaubar vorgegeben sind. Vielmehr müßte diese klassische Werkeinheit zerfallen in einen vom Künstler hervorzubringenden dinglichen, materialen Teil, der für das Werk "nur" instrumentalen Charakter hat, und in einen vom Rezipienten zu realisierenden mentalen, immateriellen Teil, der das eigentlich Ästhetische, nämlich Werkhafte ausmacht.

Dieses immaterielle WERK, (27) das rein gedanklich konstituiert wird und charakterisiert werden kann als gelungene Verdichtung verschiedenster Vorstellungen in der Totalität einer einzigen Anschauung, bedarf zwar noch des Künstlerspezialisten gleichsam als eines spiritus rector; existieren muß es aber ausschließlich in und durch die eigene ästhetische Erfahrung des Rezipienten. Der kunstexterne, gesellschaftliche Zweck: die Verallgemeinerbarkeit der ästhetischen Erfahrung wird in dieser "Arbeitsteilung" tatsächlich erfüllt, ohne daß die kunstimmanent notwendige Werkgebundenheit des Ästhetischen in Frage gestellt wird. Ein derart auf die Autorisierung des Rezipienten gerichtetes Kunstwollen, das ästhetische Erfahrung zwar durchs "Nadelöhr des individuellen Bewußtseins", (28) aber entweder gesellschaftlich oder überhaupt nicht verwirklichen will, bedeutet nicht lediglich ein neues Paradigma innerhalb des herkömmlichen Kunstverständnisses, sondern eine Art Paradigmenwechsel der Kunst selbst. Denn es verändert sich nicht nur das Selbstverständnis des Künstlers, sondern auch das Wesen dessen, was und wie er bisher produziert hat. Wenn er nämlich als Künstler das Privileg der Werkproduktion preisgibt und auf die Rolle des schöpferischen Genies verzichtet, dann besteht das Künstlerische "nur noch" darin, daß er ein geeignetes Instrumentarium für die Konstitution immaterieller WERKE entwickelt. Eine solche instrumental verstandene künstlerische Praxis hat nicht mehr Vollkommenheit zum Ziel, wie sie den klassischen Werken in ihrer absoluten Selbstbezogenheit eigen war, sondern das ihr angemessene Qualitätskriterium ist die Funktionalität im Dienst der gesellschaftlichen Verallgemeinerung individueller ästhetischer Erfahrung.

Exemplum

Als bisher konsequentestes Beispiel für den Versuch des Künstlers, seinen Hervorbringungen in dem hier dargelegten Sinn die Funktionalität von Instrumenten zu verleihen, müssen die "Objekte des 1. Werksatzes" von F. E. Walther gelten. Es handelt sich dabei um einen Komplex von achtundfünfzig zwischen 1963 und 1969 entstandenen Arbeiten, die in dem Sinn instrumental sind, daß ihre gesamte Materialität funktional auf Benutzbarkeit hin organisiert ist. An ihnen selber erscheinen keine beabsichtigten ästhetischen oder werkhaften Qualitäten. Daher taugen sie nicht zur bloßen Betrachtung, sondern ihre ästhetische Brauchbarkeit erweist sich erst im Prozeß ihrer Benutzung.

Indem der Rezipient die aus Stoff gefertigten "Objekte" in einer bestimmten, durch ihre materiale Beschaffenheit vorgegebenen Weise handhabt, wird er in ein je spezifisches Verhältnis zu sich selbst, zu seiner Umgebung und/oder zu anderen Personen versetzt. Seine normale Befindlichkeit erfährt dadurch eine mehr oder minder große Abweichung, da seine gewohnte Wirklichkeitswahrnehmung gestört wird: Beim "Blindobjekt" beispielsweise ist wie auch bei vielen anderen "Objekten des 1. Werksatzes" der Gesichtssinn weitgehend eingeschränkt, was den Rezipienten zu einer ganz anderen Gewichtung seiner Sinnesdaten veranlaßt. Um sich zu orientieren, wird er versuchen, den "ausgeschalteten" Sinn vorstellungsmäßig zu ergänzen und die übrigen Sinneswahrnehmungen zu intensivieren. Dadurch werden Wahrnehmen und Vorstellen aktiviert; sie vollziehen sich für ihn nicht länger als automatisch ablaufende Vorgänge, durch die in Form eines äußerlich gegebenen Faktums sonst Wirklichkeit erlebbar ist. Vielmehr wird ihm bewußt, daß seine Erlebniswirklichkeit aus dem inneren Bild besteht, das er sich selbst erst macht.

Freilich bedeutet diese Subjektivierung, daß der Wirklichkeitsgrad des Erlebens stark reduziert wird. Denn an die Stelle der einen einzigen Erlebniswirklichkeit treten Wahrnehmungen, die von Vorstellungen mannigfaltiger Möglichkeiten des Erlebens begleitet und verändert werden - alles, was ist, könnte auch ganz anders sein. Diese Erfahrung von Kontingenz bedeutet für den Rezipienten den Beginn einer Selbstreflexion, die, ihrem eigenen Prinzip des "Denkens des Denkens" gemäß, die Möglichkeiten des Erlebens im weiteren Verlauf immer mehr steigert. Damit die Komplexität nicht unermeßlich wird und das gedankliche Verarbeitungsvermögen des Rezipienten überfordert, muß sie gleichsam künstlich von außen auf ein erinnerbares Maß reduziert werden. Die Waltherschen "Objekte" leisten dadurch, daß sie den Rezipienten auf ein ganz bestimmtes Spektrum von Wahrnehmungs- und Vorstellungsmöglichkeiten ausrichten, diese Reduktionsfunktion. Sofern der Rezipient sein Denken und Handeln nicht völlig von den "Objekten" löst und sich nicht der Eigendynamik des selbstreflexiven Prozesses überläßt, sind sie die notwendige, doch nicht hinreichende Bedingung dafür, daß er die Fülle seiner Wahrnehmungen und Vorstellungen sowie die Relation zwischen ihnen derart proportionieren kann, daß diese sich zu der Totalität einer inneren ästhetischen Anschauung verdichten. Solche bewußtseinsmäßigen Verdichtungen sind anschaulich nachvollziehbar in den von Walther sogenannten "Diagrammen", (29) mit denen er versucht, seine je spezifischen Handlungs- und Werkbildungsprozesse mit den einzelnen "Objekten" aufzuzeichnen.

Allein die Wahrnehmungen und Vorstellungen des Rezipienten dienen für dieses mentale, immaterielle WERK als Material. Dieses Material als ästhetisches für den Rezipienten eigenverantwortlich bearbeitbar und werkhaft formierbar zu machen, darin liegt der Zweck der Waltherschen "Objekte". Wie andere Objekte auch fixieren sie die Regeln und Funktionen, nach denen prinzipiell jedermann den intendierten Zweck der WERKbildung verfolgen kann. Der Einwand, daß nur wenige diesen Zweck erreichen können, trifft diese Werkkonzeption nicht schwerer als jede traditionelle. Denn hier wie dort auch gehört das Scheitern, als gleichsam rudimentäre ästhetische Erfahrung, in notwendiger und schätzenswerter Weise zur Kunstrezeption.

Durch die Orientierung am kunstexternen Zweck der Verallgemeinerung ästhetischer Erfahrung und durch die Entwicklung der dazu geeigneten Werk-Zeuge für den Rezipienten ist der künstlerischen Praxis jene Fremdbestimmtheit gegeben, die ihr die Geltung als gesellschaftliche Arbeit zu verleihen vermag. Diese Fremdbestimmung ist mit der von uns vorgenommenen Umformulierung des traditionellen Autonomiebegriffs auf folgende Weise vereinbar: Wenn schöpferische Selbstbestimmung darin bestehen soll, daß der Künstler eine möglichst durchgängige Problemgeschichte ästhetischer Ideen rekonstruiert, um den Bedingungsrahmen für seine eigene künstlerische Praxis zu setzen, erfordert dies nicht nur eine gründliche Kenntnis des entsprechenden historischen Materials, sondern er muß vor allem das für seine Problemgeschichte relevante "Problem als solches bereits kennen, ... (um) das ihm vorliegende Material auf dasselbe hin sondern und disponieren (zu) können". (30) Erkennt der Künstler ebendieses Problem, das er "bereits haben (muß), um Problemgeschichte treiben zu können", (31) in der gesellschaftlichen Verallgemeinerung des Ästhetischen, so kann er diesen kunstexternen Zweck für die Rekonstruktion seiner Problemgeschichte ästhetischer Ideen als Leitfaden benutzen. Auf diese Weise wäre die gesellschaftliche Zwecksetzung mit der künstlerischen Selbstbestimmung nicht nur vereinbar, sondern der Künstler würde in dem Maße, wie es ihm gelingt, die kunstinternen Bedingungen seines Produzierens selbst zu bestimmen und doch zugleich in den Dienst jenes gesellschaftlich fremdbestimmten Problems zu stellen, tatsächlich seine ästhetische Praxis in künstlerische Arbeit transformieren können, ohne daß sie ihren spezifisch ästhetischen Charakter verliert.

Programm

Vertraute Begriffe der Kunstvermittlung wie "Kunstdidaktik" und "angewandte Kunst", ja selbst der für die Autorisierung des Rezipienten am ehesten in Frage kommende Begriff des "Dilettantismus" werden unserer neuartigen, genuin ästhetischen Integration von kunstinternen und kunstexternen Strukturen nicht gerecht. Denn bei solchen traditionellen Vermittlungsformen wie der pädagogischen Belehrung, industriellen Verwertung oder laienhaften Nachahmung handelt es sich allemal um eine der eigentlich künstlerischen Produktion "nachgeschaltete" und ihr insofern wesensfremde Vermittlungsabsicht, die den Rezipienten vom ohnehin ,ermäßigten' Anspruch des Ästhetischen noch weiter entlastet.

Einen kunsttheoretisch geeigneten und ergiebigen Terminus für die hier eingeleitete Revision des klassischen Autonomiebegriffs haben wir daher außerhalb des Kunstkontextes finden müssen, wo verwandte Problemkonstellationen bereits thematisiert und reflektiert worden sind. Mit der Kategorie der "Finalisierung" (32) stellt die neuere Wissenschaftstheorie einen anschluß- und aufschlußfähigen Terminus bereit, der unserem Entwurf einer heteronom orientierten Autonomie künstlerischer Produktion und Rezeption als Modell dienen kann, da er einem vergleichbaren Problem entspringt: nämlich der "Revision der ... Trennung von Wissenschaft und Gesellschaft", (33) die durch einen "engen Bezug auf soziale ... Zwecke gekennzeichnet ist, ohne doch mit der überkommenen Kategorie der ,angewandten Forschung' adäquat beschreibbar zu sein". (34)

Die Kategorie der "Finalisierung" bezeichnet einen bestimmten Entwicklungsschritt in der Geschichte wissenschaftlicher Disziplinen, von dem ab diese nicht mehr ausschließlich autonom den eigenen, internen Bedingungen folgen. Da sie aufgrund ihrer Autonomie im Bezug auf ihre Grundlagen ein Stadium der "theoretischen Reife" erreicht haben, können und müssen sie sich vielmehr zum Leitfaden ihrer weiteren Theoriebildung wissenschaftsexterne Zweckorientierungen wählen. Daraus resultiert, daß sich der traditionelle, rein von wissenschaftsinternen Gesichtspunkten dominierte Erkenntnisbegriff relativiert. Aber diese "Relativierung des Autonomieanspruchs" ist von der Wissenschaft keineswegs mit einem "Relativismus des Wahrheitsanspruchs" (35) zu bezahlen, weil auch in finalisierter Wissenschaft am Primat der Wahrheit uneingeschränkt festgehalten wird.

Die Übertragung des Finalisierungskonzeptes in den Kontext der Kunsttheorie setzt allerdings folgende Hypothese als gültig voraus: Die mit der Autonomisierung der Kunst einhergehende Reflexion der bildkünstlerischen Mittel, Verfahren und Begriffe hat im 20. Jahrhundert zu einer umfassenden Selbstvergewisserung und Verfügbarkeit der materialen und ideellen Grundlagen der ästhetischen Gestaltung geführt, die es erlauben, analog zur grundlagen-theoretischen Reife bestimmter wissenschaftlicher Disziplinen, von einer "grundlagen-praktischen" Reife der Kunst zu sprechen. In diesem Stadium hat sie ihren bis dahin notwendigen und entwicklungsbestimmenden Zweck: die Durchsetzung und Ausschöpfung ihrer Autonomie erreicht. Um ihre internen Strukturen künftig so weiterzuentwickeln, daß die Existenzmöglichkeit ästhetischer Erfahrung nicht ausgeschlossen wird, bedarf die Kunst nun eines externen Zwecks.

Unter den herrschenden ökonomisch-politischen Bedingungen ist es indes gar nicht vorstellbar, daß die Gesellschaft, welche die Kunst längst als kommunal interessanten Wirtschaftsfaktor auf ihre Weise "finalisiert" hat, einen ihr wesentlichen Zweck anzugeben wüßte, der zugleich auch künstlerisch wichtig wäre. Um nicht ausschließlich zum "Betrieb" zu verkommen, muß darum die Kunst aus sich heraus einen Zweck setzen, der in ihrer eigenen Perspektive kunstextern ist und ihr eine konsequente problemgeschichtliche Weiterentwicklung erlaubt, aber zugleich auch von der Gesellschaft als tatsächlich kunstextern, also als primär in deren Interesse liegend, akzeptiert werden kann. Unsere Überlegungen haben als einzige derart zweifache Zwecksetzung die Autorisierung des Rezipienten erwiesen. Die diesem Zweck sich ganz und gar unterordnende theoretische und praktische Orientierung der künstlerischen Arbeit wollen wir als Finalisierung der Kunst bezeichnen.

Eine solche bewußt intendierte finale Ausrichtung gibt es in der bisherigen Kunst nicht. Doch lassen sich einige wenige künstlerische Hervorbringungen sehr wohl in diesem Sinne interpretieren. Mit dieser Einschränkung können die "Objekte" des "l. Werksatzes" von F. E. Walther für unser Finalisierungskonzept als exemplarisch gelten. Denn ihnen liegt nicht nur ein Kunstbegriff zugrunde, der den Rezipienten potentiell zum Mitschöpfer macht, sondern diese Absicht wird durch die faktische Trennung zwischen materialem "Objekt" und mentalem "immateriellem WERK" auch in einem historisch bislang einmaligen Ausmaß verwirklicht: Der Künstler verliert seine klassische Funktion, das Ästhetische stellvertretend für den Rezipienten zu leisten. Statt das Ergebnis der ästhetischen Erfahrung des Künstlers bloß nachzuvollziehen, ist nun der Rezipient gefordert, den Prozeß der ästhetischen Erfahrung selbst zu vollziehen. Deren Qualität ist ihm nicht mehr quasi objektiv durch die Eigenschaften des vom Künstler geschaffenen Werkes verbürgt, sondern ist primär von seinem eigenen subjektiven Vermögen abhängig. Der von der Genieästhetik als "natürlich" angesehene Befähigungs- und Rangunterschied zwischen Künstler und Rezipient wird durch die Notwendigkeit ihres komplementären, "arbeitsteiligen" Zusammenwirkens funktionalisiert und relativiert.

Keineswegs liegt also die Abschaffung des professionellen Künstlers in der Konsequenz unseres Programms der Finalisierung. Auch wenn der Rezipient ästhetisch produktiv wird und für das jeweils entstandene WERK selbst verantwortlich ist, wird er darum doch nicht zum Künstler, sondern "nur" zum Produzenten. Als künstlerisch definiert sich nach dem Finalisierungskonzept allein diejenige Weise des Produzierens, die bei anderen die Entstehung von WERKEN ermöglicht. Daß dann Sinn in Kunstwerken nicht mehr nur ästhetisch vermittelt oder negiert wird, sondern der Rezipient die "Erfahrung ursprünglich lebendiger Sinnbildung" (36) selbst machen kann, dafür hat der zukünftige Künstler die geeigneten Werk-Zeuge zu entwickeln. Als solche wären sie zu Handlungsregeln gewordene Bedingungen der Möglichkeit ästhetischer Erfahrung.

(1) M. Jochimsen: Kunst als soziale Strategie. In: Kunstforum International Bd. 27 (1978). S. 74.

(2) E. Beaucamp: Ende der Avantgarde - was nun? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 5. 1. 1977.

(3) A. Wildermuth: Die neue ästhetische Autonomie. Reflexionen zu Mimmo Paladino. Katalog: Mimmo Paladino Zeichnungen 1976-1981. Kestner-Gesellschaft Hannover 1981. S. 22 ff.

(4) H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode. Tübingen 1960. S. 252.

(5) S. Gablik: Art under the dollar sign. In: Art in America. Dec. 1981. S. 13-19.

(6) D. Wellershoff: Die Auflösung des Kunstbegriffs. Frankfurt a. M. 1976.

(7) So die gelungene Formulierung von H. L. Stoltenberg in den Verhandlungen des 7. deutschen Soziologentages 1930. Tübingen 1931. S. 170.

(8) H. Hoffmann: Zustand und Traum der Gesellschaft. Überlegungen eines Kulturdezernenten zur Kulturpolitik. In: Frankfurter Rundschau 19. 1. 1980.

(9) Marx-Engels-Gesamtausgabe: Berlin 1932. S. 162.

(10) J. Habermas: Technik und Wissenschaft als Ideologie. Frankfurt a. M. 1968. S. 25.

(11) H. Küng: Kunst und Sinnfrage. In: Kunstreport Sonderausgabe: Zeichen im Freiraum. Berlin 1979. S. 89.

(12) V. E. Frankl: Die Frage nach dem Sinn. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.11. 1974.

(13) N. Luhmann: Praxis der Theorie. In: Soziale Welt 20 (1969). S. 129-144 (129).

(14) R. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Hamburg 1952. o. S.

(15) P. Gorsen: Kunst und Psychoanalyse. Aufsätze von Ernst Kris. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 26. 8. 1978 (Rezension).

(16) N. Luhmann: Rechtssoziologie. Bd. 2. Reinbek 1972. S. 321.

(17) Im Sinn Max Webers, der diesen Begriff in die Sozialwissenschaften eingeführt hat: "Der Begriff der Kultur ist ein Wertbegriff. Die empirische Wirklichkeit ist für uns ,Kultur', weil und insofern wir sie mit Wertideen in Beziehung setzen, sie umfaßt diejenigen Bestandteile der Wirklichkeit, welche durch jene Beziehung für uns bedeutsam werden und nur diese. Ein winziger Teil der jeweils betrachteten individuellen Wirklichkeit wird von unserm, durch jene Wertideen bedingten Interesse gefärbt, er allein hat Bedeutung für uns; er hat sie, weil er Beziehungen aufweist, die für uns infolge ihrer Verknüpfung mit Wertideen wichtig sind. Nur weil und soweit dies der Fall (ist), ist er in seiner individuellen Eigenart wissenswert." M. Weber: Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904). In: Methodologische Schriften. Hrsg. von J. Winckelmann. Frankfurt a. M. 1968. S. 1-64 (28 ff.).

(18) E. Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Husserliana 6. Hrsg. von W. Biemel. Den Haag 21976. S. 73.

(19) H. L. Stoltenberg: a. a. O. (Anm. 7). S. 170.

(20) M. Rassem: Gesellschaft und bildende Kunst. Berlin 1960. S. 17.

(21) "Es gibt gar keinen Gebrauch unserer Kräfte, so frei er auch sein mag ..., welcher, wenn jedes Subjekt immer gänzlich von der rohen Anlage seines Naturells anfangen sollte, nicht in fehlerhafte Versuche geraten würde, wenn nicht andere mit den ihrigen vorangegangen wären, nicht um die Nachfolgenden zu bloßen Nachahmern zu machen, sondern durch ihr Verfahren andere auf die Spur zu bringen, um die Prinzipien in sich selbst zu suchen und so ihren eigenen, oft besseren Gang zu nehmen ... Nachfolge, die sich auf einen Vorgang bezieht, nicht Nachahmung, ist der rechte Ausdruck für allen Einfluß, welchen Produkte eines exemplarischen Urhebers auf andere haben können; welches nur soviel bedeutet, als: aus denselben Quellen schöpfen, woraus jener selbst schöpfte, und seinem Vorgänger nur die Art, sich dabei zu benehmen, ablernen." I. Kant: Kritik der Urteilskraft. Hrsg. von K. Vorländer: Hamburg 61924 (Nachdruck 1968). S. 132 f.

(22) E. Husserl: a. a. O. (Anm. 18). S. 73.

(23) I. Kant: a. a. O. (Anm. 21). S. 192 f.

(24) T. W. Adorno: Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften Bd. 7. Frankfurt a. M. 1970. S. 507 f. Vgl. ferner A. Gehlen: Zeit-Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei. Frankfurt a. M.-Bonn 1960. S. 54 ff.(25) M. Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerkes. Stuttgart 1970. S. 8: "Die Kunst west im Kunstwerk."

(25) M. Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerkes. Stuttgart 1970. S. 8: "Die Kunst west im Kunstwerk."

(26) Die Unterscheidung geht zurück auf H.-G. Gadamer: Zur Einführung, in: M. Heidegger: a. a. O. (Anm. 25). S. 102 ff.

(27) Theoretisch eingeführt wurde der Begriff von M. Lingner: Selbstreflexion als Konstituens immaterieller WERKE. 8. Internationaler Kongreß für Ästhetik. Darmstadt 1976. S. 31. - Ausführliche künstlertheoretische Äußerungen Walthers zum Werkbegriff und anderen Fragen seines Kunstentwurfes finden sich in: M. Lingner / F. E. Walther: Zwischen Kern und Mantel. Franz Erhard Walther und Michael Lingner im Gespräch über Kunst. Klagenfurt 1985, bes. S. 178 ff. - Vgl. auch die künstlerisch-praktische Umsetzung des Begriffs vom immateriellen WERK in den "Modellen zur Genese des immateriellen WERKES"; z. B. in: Katalog "Forscher, Eremit, Sozialarbeiter. Zum veränderten Selbstverständnis von Künstlern". Kunstverein Hamburg 1979. S. 60 f.

(28) Nach H. Baiers treffender Paraphrase des Leitgedankens von J. Habermas' Frankfurter Antrittsvorlesung am 28. 6. 1965 zum Thema "Erkenntnis und Interesse". In: B. Schäfers (Hrsg.): Thesen zur Kritik der Soziologie. Frankfurt a. M. 1969. S. 9-25 (21).

(29) Die Diagramm-Problematik bei Walther wird behandelt von M. Lingner: F. E. Walther - Funktionen der Diagramme für das WERK. In: Kunstforum International Bd. 15/1976. S. 67-85.

(30) N. Hartmann: Zur Methode der Philosophiegeschichte (1909). In: Kleinere Schriften Bd. 3. Berlin 1958. S. 1-22 (7).

(31) N. Hartmann: a. a. O. (Anm. 29). S. 13.

(32) G. Böhme, W. van den Daele und W. Krohn: Die Finalisierung der Wissenschaft. In: Zeitschrift für Soziologie 2 (2)/1973. S. 128-144. - Dies.: Finalisierung revisited. In: G. Böhme: Starnberger Studien: Die gesellschaftliche Orientierung des wissenschaftlichen Fortschritts. Frankfurt a. M. 1978. S. 195-250.

(33) G. Böhme, W. van den Daele und R. Hohlfeld: a. a. O. (Anm. 32). S. 240.

(34) G. Böhme, W. van den Daele und W. Krohn: a. a. O. (Anm. 32) S. 129.

(35) G. Böhme, W. van den Daele und R. Hohlfeld: a. a. O. (Anm. 32). S. 241.

(36) E. Husserl: a. a. O. (Anm. 18). S. 57.


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