ask23 > Lingner: Der Ursprung des Gesamtkunstwerkes aus der Unmöglichkeit «Absoluter Kunst»

Michael Lingner

Der Ursprung des Gesamtkunstwerkes aus der Unmöglichkeit «Absoluter Kunst»

Zur rezeptionsästhetischen Typologisierung von Philipp Otto Runges Universalkunstwerk und Richard Wagners Totalkunstwerk

Das Völlige, was wir aussprechen würden, wäre die Regel oder das Nichts. Dicht daherum liegt die Schönheit.

P. O. Runge 1803

In den «reformatorischen Kunstschriften der Züricher Epoche» (1), besonders in den Aufsätzen Die Kunst und die Revolution (1849) und Das Kunstwerk der Zukunft (1849) sowie im Hauptwerk Oper und Drama (1851) entwickelt Richard WAGNER (1813-1883) die theoretische Konzeption seines «musikalischen Dramas» und prägt dafür - zwar nicht mit terminologischer aber durchaus programmatischer Absicht - den Begriff «Gesamtkunstwerk» (2). Dem Vorwurf, diese kunsttheoretischen Schriften propagierten nur sein eigenes musikalisches Werk (3), versucht er zu entgehen, indem er sie zum eigenständigen «Gedankenkunstwerk» (4) erklärt. Das erscheint zwar einleuchtend, insofern sie ihrer wortsprachlichen Formulierung wegen von jedweder musiksprachlichen Organisationsform notwendig differieren und überdies nicht Wagners eigenes, sondern ein utopisches Werk, das «Kunstwerk der Zukunft» proklamieren. Doch da der Kunstbegriff (5), der diesem Zukunftsentwurf zugrundeliegt, nirgendwo über das hinausgeht, was nicht durch Wagners Musikdramen ganz und gar gedeckt wäre, erweist sich die erklärte Eigenständigkeit der theoretischen Schriften ebenso als reine Rhetorik wie die Verkündung einer erst zukünftigen Vollkommenheit der Kunst. Substantiell ist der Kunstbegriff, wie ihn Wagners «reformatorische Kunstschriften» theoretisch konzipieren, letztlich sowohl identisch mit der Idealität als auch konform mit der Realität seines «musikalischen Dramas». NIETZSCHE kritisiert denn auch, daß Wagner nicht nur «Kommentator der = Idee = » (6), sondern auch der Musik des «musikalischen Dramas» sei: Wem Musik viel mehr als nur Musik, nämlich «Unendliches bedeuten» solle (7), dem müsse sie - im Sinne Hegels (8) - selbst als eine Idee erscheinen. Daß die Spekulationen und Intentionen der Schriften Wagners tatsächlich für dessen musikalisches Werk zutreffend sind, ist hier also weit weniger fraglich als bei anderen Künstlertheorien, so daß die Methode, die theoretische Selbstreflexion eines Künstlers der Reflexion seines Werkes zugrundezulegen (9), im Fall Wagner anwendbar ist.

Inhaltlich ist Wagners Konzeption des «musikalischen Dramas» als «Gesamtkunstwerk» von einer der traditionellen Oper geltenden Kritik bestimmt, die ihre Inspiration aus der Verknüpfung zweier Motive gewinnt: der Vision einer Wiedererweckung der griechischen Tragödie und der Einlösung der Verheißungen frühromantischer Kunstvorstellungen. Die romantische Herkunft, auf die sich Wagner im Unterschied zum antiken Ursprung seiner Konzeption des «musikalischen Dramas» nicht explizit bezieht, wird evident in jener Schlußbetrachtung von F. W. J. SCHELLINGS 1802/03 in Jena gehaltener Vorlesung über die Philosophie der Kunst, in der fast prophetisch die Grundgedanken des Wagnerischen Programms antizipiert werden: «Ich bemerke nur noch, daß die vollkommenste Zusammensetzung aller Künste, die Vereinigung von Poesie und Musik durch Gesang, von Poesie und Malerei durch Tanz, selbst wieder synthesirt die componirteste Theatererscheinung ist, dergleichen das Drama des Alterthums war, wovon uns nur eine Karrikatur, die Oper geblieben ist, die in höherem und edlerem Styl von Seiten der Poesie sowohl als der übrigen concurrirenden Künste uns am ehesten zur Aufführung des alten mit Musik und Gesang verbundenen Dramas zurückführen könnte» (10).

Der Kunst ihren höchsten Rang durch die Vereinigung verschiedener Gattungen wiederzugeben, mit dieser um 1800 revolutionären Vorstellung hatte sich Schelling im Einklang mit der frühromantischen Kunsttheorie gegen die klassische Regel-Ästhetik zu behaupten. Es war nämlich «seit Lessings = Laokoon = ein unbestrittener Satz der Ästhetik, daß der Stil jeder Kunst durch die Natur ihres Darstellungsmittels bedingt ist. Alle Künste haben ein und dasselbe Ziel: sie sollen das Schöne ... schaffen; aber welche Seite sie an ihm herausgreifen ..., das ist vom Darstellungsmittel abhängig: in ihm haben Umfang und Stoff, wie die besondere Darstellungsart jeder Kunst ihren Grund» (11). Eine solche im Sinne LESSINGS argumentierende Begründung des klassischen Verdikts gegen die Vereinigung der Künste war freilich nur solange zwingend, wie alle Künste sich zum Ziel einzig die Schönheit gesetzt hatten und dadurch vergleichbar waren; denn nur der auf einem absolut gesetzten Kriterium basierende Vergleich vermag die spezifische Verschiedenartigkeit der Darstellungsmittel und somit die strikte Sonderung einer jeden Kunst als notwendig zu erweisen. Nun bestreitet allerdings F. SCHLEGEL in seinem 1797 erschienenen, die Frühromantik gedanklich einleitenden Aufsatz Über das Studium der griechischen Poesie, daß das Primat der Schönheit für die moderne, nachantike Kunst überhaupt noch Geltung habe: «Analysirt die Absicht des Künstlers..., analysirt die Urtheile der Kenner und die Entscheidungen des Publikums! Beynahe überall werdet ihr eher jedes andere Prinzip als höchstes Ziel und erstes Gesetz der Kunst, als letzten Maßstab für den Werth ihrer Werke stillschweigend vorausgesetzt oder nachdrücklich aufgestellt finden; nur nicht das Schöne» (12). Da sogar nicht wenige der «trefflichsten Werke ganz offenbar Darstellungen des Häßlichen sind» (13), hält Schlegel das die Trennung der Gattungen regierende Prinzip der Schönheit in seiner von der 'schönen Natur' vermeintlich verliehenen Objektivität für historisch überholt. Statt nach einem derart hypostasierten objektiven Prinzip soll die Kunst vielmehr aus einer subjektiven Empfindung hervorgebracht werden, die, um des ihr über alles gehenden charakteristischen Selbst-Ausdruckes willen, sich Schönes wie Häßliches anzuverwandeln weiß und hierzu die Darstellungsmittel verschiedener Künste vereint in ihren Dienst zu nehmen vermag. Diese inhaltliche und formale Erweiterung der künstlerischen Freiheit verdankt sich einer introvertierten, den Künstler auf seine subjektiven Empfindungen einstimmenden Verfassung, die Schlegel «musikalischen Enthusiasmus» (14) nennt, womit er auf die Musik als eine Macht verweist, kraft derer das klassische Prinzip der Schönheit überwunden werden kann.

«Wenn ihr doch diese wunderliche Musik, die der Himmel heute dichtet, in eure Malerei hineinlocken könntet!» (15) - dieses Wunschbild, das L. TIECK in seinem 1798 erschienenen Roman Franz Sternbalds Wanderungen der Phantasie des Dichters Florestan eingibt, entwirft die Zielvorstellungen der romantischen Kunst: Auserwählt zur «Führerin in eine neue Schauwelt» (16) gilt die Musik den Romantikern nicht nur als etwas «noch viel Höheres denn die bildende Kunst» (17), sondern nimmt als eine himmlische Musik, als «urbildlicher Rhythmus der Natur und des Universums» (18) gedeutet, sogar «nächst der Theologie unter allen Wissenschaften und Künsten des menschlichen Geistes den ersten Platz ein» (19). Weit mehr umfassend als nur die Klangbilder traditioneller Tonkunst, ist der romantische Begriff von Musik, der sie mit dem höchsten Rang unter allen Künsten auszeichnet, nicht durch Kanonisierung eines romantischen Musikstils entstanden (20); er ist vielmehr in vornehmlich von Schelling angeregten naturphilosophischen Reflexionen über das Wesen des Musikalischen entwickelt und dabei «trans-musikalisch» (21) erweitert worden: «Die musikalischen Verhältnisse scheinen recht eigentlich die Grundverhältnisse der Natur zu sein» (22); «auch im Sonnensystem drückt sich das ganze System der Musik aus» (23).

Die Entdeckung von musikalischen Organisationsformen in der Natur sowie die daran geknüpfte Vorstellung, daß «Urlaute der Schöpfung» (24) als ein-und-dieselbe «Grundmelodie» (25) im Menschen, in der Welt und im Universum klingen, prädestinieren die Musik zum Vorbild einer von den Romantikern ersehnten idealen (universellen und allgemeinverständlichen) Kunst-Sprache; zumal die Musik - gleichsam als Antizipation einer solchen künstlerischen Idealsprache - Gestaltungsqualitäten der Darstellungsmittel anderer Künste in sich enthält: «Wenn die drei Grundformen oder Kategorien der Kunst Musik, Malerei und Plastik sind, (ist) der Rhythmus das Musikalische in der Musik, die Modulation das Malerische ... und die Melodie das Plastische» (26). Daß die Musik als Urform einer natürlichen Universalsprache, «die unser Geist ehemals verstand und künftig sich wieder einlernen wird» (27), auch der Urstrom der Kunst sei, vom dem sich die anderen Künste einst getrennt haben und in den sie zu einer neuen, endgültigen Einheit schließlich wieder zusammenfließen werden, diesem neuplatonischen Denkbild entspringt als Inbegriff der Intentionen romantischer Kunst das Ideal der musikalisch inspirierten Vereinigung der Künste.

Als prototypisch für die deutsche Romantik und «mutmaßlich weitgreifendster Kunstentwurf des 19. Jahrhunderts» (28), in dem «alle bezeichnenden Grundsätze des romantischen Programms verkörpert sind» (29), wird heute das Werk P. O. RUNGES (1777-1810) gewertet. Es verdankt diese Einschätzung dem Umstand, daß Runge jenes von Wackenroder, Tieck, F. Schlegel und Novalis theoretisch vorformulierte Programm für eine Vereinigung der Künste unter dem Primat der Musik unmittelbar aufgegriffen und mit unbedingter Konsequenz kunstpraktisch zu verwirklichen gesucht hat. Wenn GOETHE nach Runges Tod an dessen Bruder Daniel, der Runges Künstlertum gegen den Willen der Eltern ermöglicht und bis zum Ende finanziert hat, schreibt: «Der Gang, den er nahm, war nicht der seine, sondern des Jahrhunderts» (30), dann gedenkt er wertschätzend weniger des Werks als gerade dieser authentischen Zeitgenossenschaft Runges; denn einzigartig eng ist die Korrespondenz zwischen der allgemeinen Entwicklungsgeschichte der Romantik, die in der Auseinandersetzung mit der klassischen Ästhetik ihren Ausgang genommen hatte, und Runges persönlichem künstlerischen Werdegang, der gleichfalls im Zeichen klassischer Prinzipien begann: «Eines der vorzüglichsten Kennzeichen des Verfalls der Kunst ist die Vermischung der verschiedenen Arten derselben. Die Kunst selbst sowie ihre Arten sind untereinander verwandt, sie haben eine gewisse Neigung, sich zu vereinigen, ja sich ineinander zu verlieren; aber eben darin besteht die Pflicht, das Verdienst, die Würde des echten Künstlers, daß er das Kunstfach, in welchem er arbeitet, von anderen abzusondern, jede Kunst und Kunstart auf sich selbst zu stellen und sie aufs möglichste zu isolieren wisse» (31). Mit der Absicht, eine Neugeburt der Kunst aus dem Geist der antiken Klassik zu fordern, propagiert Goethe in der Einleitung zu der 1798 erstmals von ihm herausgegebenen kunstwissenschaftlichen Zeitschrift Propyläen diesen Grundgedanken, dem er durch die jährlich von ihm an bildende Künstler gerichteten «Weimarer Preisaufgabe» künstlerisch-praktische Geltung verschaffen will. Für den bis zum Oktober 1799 autodidaktisch sich fortbildenden Runge haben die im klassizistischen Sinne vom Künstler «Natur und Altertum» (32) fordernden Beiträge der Propyläen eine solche Bedeutung, daß er mit seiner Kunst erst einmal nichts anderes will, als «das Gute, welches Goethe durch seine Propyläen zu verbreiten sucht, auszuüben» (33); und nachdem sich Runge bereits mit dem Thema der «Weimarer Preisaufgabe von 1800» beschäftigt und mit Freude festgestellt hat, daß seine Gedanken «ziemlich mit denen der besten Concurrenten übereinstimmen» (34), ist es für ihn fast eine Selbstverständlichkeit, sich den anerkannten Maßstäben zu stellen und «künftigen Sommer mit um den Preis zu laufen» (35). Seine Zeichnung Achill und Skamandros zu der dem einundzwanzigsten Gesang der Ilias entnommenen Preisaufgabe von 1801, beendet Runge, der sich an verschiedenen Fassungen «fast krank gearbeitet hat» (36), im August desselben Jahres in der Hoffnung, Anerkennung aus Weimar werde ihm und seinem Bruder Daniel bestätigen, daß das «worauf unsere Wahl gefallen ist, und wie wir es durch Erfahrung in uns zu berichtigen gesucht haben, auch würklich etwas richtiges ist» (37).

Solch absolute Verbindlichkeit hat aber das von Goethe repräsentierte klassizistische Kunstideal bereits im Februar 1802 für Runge verloren. Mag der gerade eingetroffene negative Bescheid aus Weimar (38) unmittelbare Ursache oder lediglich letzter Anstoß gewesen sein, gleichwie ist er das negative Vorzeichen (39), unter dem Runge in der Reflexion auf die historische Bedingtheit der Kunst eine völlige Umwertung vornimmt: «Die Kunstausstellung in Weimar und das ganze Verfahren dort nimmt nachgerade einen ganz falschen Weg, auf welchem es unmöglich ist, irgend etwas Gutes zu bewürken ... Der Achill und Skamander, samt den Sachen, wie das nach und nach zur Vollendung gebracht werden soll, ist doch am Ende ein vergeblicher Wunsch; ... wir sind keine Griechen mehr, können das Ganze schon nicht mehr so fühlen, wenn wir ihre vollendeten Kunstwerke sehen, viel weniger selbst solche hervorbringen ... Wie können wir denn auf den unseligen Einfall kommen, die alte Kunst wieder zurückrufen zu wollen?» (40)

Weitere Argumente gegen «all den Schnickschnack in Weimar» (41) gewinnt Runge aus einem Gedankengang, der die Entwicklungsstufen der Kunst in ihrer Abhängigkeit von der Geschichte der Religionen rekonstruiert (42): «Die Griechen haben die Schönheit der Formen und Gestalten aufs höchste gebracht in der Zeit, da ihre Götter zu Grunde gingen; die neuern Römer brachten die historische Darstellung am weitesten, als die Katholische Religion zu Grunde ging; bey uns geht wieder etwas zu Grunde, wir stehen am Rande aller Religionen, die aus der Katholischen entsprangen ...» (43). Der Untergang der alten Mythen ist Runge nicht nur ein weiterer Beweis dafür, daß jede Wiederbelebung antiker Kunst unmöglich geworden ist, er erkennt überdies, daß sogar der Bezug zur christlichen Kunst verlorengegeben werden muß, insoweit dies die eigene künstlerische Produktion betrifft (44). Konsequenterweise konstatiert Runge die Notwendigkeit eines totalen Neuanfangs in der Kunst und denkt den Bruch mit der Tradition so radikal, daß er «eben gar kein anderes Mittel» mehr sieht als «einen großen Krieg, der die ganze Welt umkehren könnte» (45), ja es als ein «großes Glück für die Kunst» ansähe - so interpretiert Quistorp, der Lehrer C. D. FRIEDRICHS, einen seiner Briefe -, «wenn alle vorhandenen Kunstwerke mit einemmale vernichtet würden und die Kunst wieder von vorne anfangen müßte» (46).

Die Einsicht in die Unwiederbringlichkeit vergangener Kunst, die einhergeht mit der entschiedensten Ablehnung jeder historischen Nachahmung, zwingt Runge zur zunächst einmal theoretisch formulierten Antizipation einer neuen Kunst: «Ich glaube schwerlich, daß so etwas Schönes, wie der höchste Punkt der historischen Kunst war, wieder entstehen wird, ... es müßte denn auf einem ganz neuen Weg geschehen, und dieser liegt auch schon ziemlich klar da, und vielleicht käme bald die Zeit, wo eine recht schöne Kunst wieder erstehen könnte, das ist in der Landschaft» (47). Des Begriffs 'Landschaft' bedient sich Runge hier allerdings lediglich als eines Arbeitstitels zur Umschreibung seines antiklassizistischen Programms und nicht etwa mit der Intention, die akademische Gattung der traditionellen Landschaftsmalerei fortzuentwickeln. Denn selbst als er sich mit solchen Spekulationen über eine neue Kunst gerade erst der Romantik zuwendet, spricht Runge schon einschränkend von «Landschafterey, wenn man so will» (48) und davon, daß «wir hier unter Landschaft etwas ganz anderes verstehen» (49) müssen. Den entscheidenden positiven Impuls, durch den er seine zunächst nur negierende Haltung überwinden und die 'romantische Wende' gedanklich wirklich zu vollziehen vermag, verdankt Runge neben anderen glücklichen biographischen Umständen (50) der im November 1801 geschlossenen Bekanntschaft und baldigen Freundschaft mit L. Tieck. Ist auch der persönliche Einfluß von Tieck auf Runge nur ungenügend mit authentischen Zeugnissen belegt (51), so kann doch seine Bedeutung allein schon deswegen nicht hoch genug eingeschätzt werden, weil Runge durch Tieck die Überlegungen der wichtigsten Frühromantiker und natürlich Tiecks eigene Texte kennenlernt. «Mich hat nie etwas so im Innersten meiner Seele ergriffen wie dies Buch, welches der gute Tieck wohl mit Recht sein Lieblingskind heißt» (52), schreibt Runge voller Begeisterung über den Roman Franz Sternbalds Wanderungen, der ebenso wie das von den Gebrüdern Schlegel herausgegebene Athenaeum wesentliche romantische Ideen programmatisch formuliert. Sie erweitern Runges Auffassung von 'Landschaft' im romantischen Sinn und erweisen sich damit als Schlüssel zu seiner endgültigen Abkehr vom Klassizismus.

«Ich will nicht Bäume und Berge abschreiben, sondern mein Gemüt, meine Stimmung, die mich in dieser Stunde regiert, diese will ich mir selber festhalten und den übrigen Verständigen mitteilen» (53). In dieser künstlerischen Intention von Tiecks Maler Sternbald manifestiert sich der romantische Begriff der Landschaft als eines «Kunstwerkes des Geistes» (54), den Runge aufgreift und sich aneignet: «Wie selbst die Philosophen dahin kommen, daß man alles nur aus sich heraus imaginirt, so sehen wir oder sollen wir sehen in jeder Blume den lebendigen Geist, den der Mensch hineinlegt, und dadurch wird die Landschaft entstehen, denn alle Blumen und die Thiere sind nur halb da, sobald der Mensch nicht das Beste dabey thut; so dringt der Mensch seine eigenen Gefühle den Gegenständen um sich her auf, und dadurch erlangt alles Bedeutung und Sprache» (55). «Ich glaube, daß ich sie nun ein wenig verstehe, was sie eigentlich unter Landschaft meynen» (56), teilt Runge Anfang Dezember 1802 Tieck mit, als er mit dieser Charakterisierung seines Landschaftsverständnisses sich auch für das praktische Gelingen der romantischen Wende die Perspektive schafft. Denn durch Überformung mit subjektiven Empfindungen der Landschaft Bedeutung und Sinn zu geben, darin entdeckt Runge die Möglichkeit eines produktiven Neuanfangs für die Kunst wie für sich als Künstler: «Es hat noch keinen Landschafter gegeben, der eigentliche Bedeutung in seinen Landschaften hätte, der Allegorien und deutlich schöne Gedanken in eine Landschaft gebracht hätte» (57).

Die Empfindung, welche den Künstler dazu drängt, sie als «Bedeutung» und «schönen Gedanken» auf die Landschaft zu übertragen, wird von der Natur selbst in ihm erweckt: «Wenn der Himmel über mir von unzähligen Sternen wimmelt, der Wind saust durch den weiten Raum, die Woge bricht sich brausend in der weiten Nacht, über dem Walde röthet sich der Äther und die Sonne erleuchtet die Welt», dann «tönet alles in einem Accord zusammen» (58), in einer «Empfindung des Zusammenhangs des ganzen Universums mit uns» (59). Um dieselbe universale, jedem Kunstwerk notwendig vorhergehende Empfindung «in der Brust des Menschen neben uns» (60) zu erregen, «suchen wir nach den harten, bedeutenden, von Andern gefundenen Zeichen außer uns und vereinigen sie mit unserm Gefühl» (61), um ihm darin objektivierenden Ausdruck verleihen zu können. Zum Zweck dieser Entäußerung «reihen wir (Künstler) die Empfindung an die bedeutendsten und lebendigsten Wesen um uns, und stellen, indem wir die charakteristischen, das heißt: die mit den Empfindungen übereinstimmenden Züge dieser Wesen festhalten -, Symbole ... dar ... Sie drängen alle die unendlich verschiedenen Naturkräfte in ein Wesen zusammen; sie suchen in einem Bilde alles zu concentriren und so ein Bild des Unendlichen darzustellen» (62).

Mit dem romantischen Landschaftsbegriff stimmt Runges Kunstkonzeption zwar insofern noch überein, als sie die in der Landschaft angeschaute Natur zum Ursprung ebenjener Empfindung erklärt, die den Künstler dazu bewegt, sich in symbolischen Formen mitzuteilen. Da diese symbolischen Formen jedoch nicht nur aus den der eigentlichen Landschaft entstammenden, sondern aus allen gegenständlichen und ungegenständlichen, je mit der Empfindung übereinstimmenden Zeichen komponiert werden können, überschreiten die Ideen Runges, die gerade erst den theoretischen Endpunkt seiner romantischen Wende markieren, bereits den Landschaftsbegriff der Romantik und erst recht die Möglichkeit dessen, was Künstler praktisch am Anfang des 19. Jahrhunderts überhaupt ins Werk zu setzen vermochten (63).

Denn eine in ihrer vollen Tragweite selbst von den Romantikern nicht erkannte Konsequenz aus solcher romantischen Verabsolutierung der Empfindung besteht in der radikalen Relativierung der Bedeutung des 'Gegenstandes' für die Kunst. In seiner traditionellen Funktion als 'Sujet' hat der Gegenstand noch unbedingten Vorrang gegenüber jeder individuellen künstlerischen Auffassung und Empfindung, weil seine rechte Wahl sowohl den Wirklichkeitsbezug wie den ästhetischen Wert von Kunst verbürgen soll. Runge dagegen kritisiert, daß die Künstler «nach Sujets jagen, als wenn die Kunst darin stäcke» (64) und setzt umgekehrt die von der Natur (65) erweckte Empfindung dem Gegenstand voraus: «Haben nicht alle Künstler, die noch ein schönes Kunstwerk hervorbrachten, erst ein Gefühl gehabt? haben sie sich zu dem Gefühl nicht das passende Sujet gewählt?» (66) Wenn aber die Wahl des passenden Gegenstandes keiner intersubjektiv begründbaren Notwendigkeit mehr zu gehorchen hat, sondern nur noch der subjektiven Übereinstimmung zwischen Gegenstand und Empfindung unterliegt, wird die Bedeutung seiner außerästhetischen, 'wirklichen Gegenständlichkeit' derart belanglos, daß er sie schließlich verlieren und - so für Runge - zum bloß abstrakten, «harten Zeichen» werden kann. Da ein solches Zeichen der komplexen, aus mannigfaltigen Reizen zusammengesetzten Naturempfindung korrespondieren soll, muß es selbst ein Zusammengesetztes, gewissermaßen ein 'Superzeichen' sein, das bei Runge aus einer Vielzahl einzelner, mittels arabeskenhafter Ornamentik organisch verbundener Zeichen besteht, die in ihrer Gesamtheit indes etwas gegenständlich unbestimmbar Bleibendes bilden, das als «Hieroglyphe» (67) charakterisiert wird.

Die Entgegenständlichung der Malerei wird als Tendenz hier also bereits deutlich sichtbar und auch die daraus folgende Konsequenz, daß Linien und Farben nicht nur Darstellungsfunktion, sondern darüberhinaus einen Eigenwert haben können, wenn sie - ursprünglich nur Mittel - zum eigentlichen Inhalt und damit selbst zum 'Gegenstand' der Formung werden, wird gedanklich von Runge schon gezogen: «Ich hoffe zu Gott, ... daß es mir möglich sein wird, einst den herrlichen Zusammenhang der Farben so anschaulich darzustellen, daß sie, so wie die Musik, nur ihn loben, wie er es nur würdig ist, der einzige Inhalt aller Erkenntniß zu sein» (68). In dieser theoretischen Antizipation einer «absoluten Malerei» (69), welche durch die Identität der Mittel mit dem Inhalt der Formung den unwiederbringlichen Verlust des antiken Mythos als Inhalt überwindet, statt klassizistisch ihn erneuern zu wollen, offenbart sich eine bis zu Runges romantischer Wende nicht erlangte Autonomie der bildenden Kunst. Runges Kunstentwurf, «dessen Positionen z. T. erst im fortgeschrittenen 20. Jahrhundert wieder erreicht worden sind» (70), sieht sich freilich Problemen der künstlerisch-praktischen Umsetzung konfrontiert, zu deren Lösung er in der bildenden Kunst auf keine historischen Beispiele sich beziehen kann. Insbesondere die Intention, den angesichts einer Landschaft empfundenen «Zusammenhang des ganzen Universums» statt in deren augenscheinlichem Ebenbild in einem symbolischen «Bild des Unendlichen» zu verdichten, überfordert das Verbildlichungsvermögen der Malerei zu seiner Zeit. Diejenige Kunstform, welche nach romantischer Anschauung «die Einbildung des Unendlichen ins Endliche ... sich zur Form nimmt, um in ihr das Universum darzustellen», ist allein «die Musik» (71). Insofern sind die künstlerisch-praktisch realisierte Musikalisierung der Malerei und Runges überwiegend theoretisch gebliebenes Konzept einer musikalisch inspirierten Vereinigung der Künste im Universalkunstwerk der exemplarische Versuch, ein Programm, welches die Autonomie bildender Kunst sowie die Möglichkeit «absoluter Malerei» in sich birgt, auch bildnerisch zu bewältigen.

Dieses Ideal der Frühromantik, alle Künste zu musikalisieren, wodurch das klassische Prinzip der Schönheit - wie dargelegt - aufgehoben worden ist, kann bezogen auf die Musik selbst schlechterdings nur durch deren Musikalisierung zur Geltung gebracht werden. Die romantische Konzeption einer Musikalisierung der Musik beinhaltet die Idee der später so genannten «absoluten Musik», die der antiken und bis ins 17. Jahrhundert unbestrittenen Vorstellung konträr gegenübersteht, daß Musik immer aus 'Harmonia' (systematischen Tonbeziehungen), aus 'Rhythmos' (zeitlicher Ordnung) und aus 'Logos' (sprachlicher Vernunft) bestehen müsse. Die «allmählich und gegen Widerstände zum ästhetischen Paradigma der deutschen Musikkultur des 19. Jahrhunderts» (72) gewordene Idee der «absoluten Musik» verwirft die am Text orientierte Vokalmusik als eine bloße Abart der von jeder Wortsprache emanzipierten reinen Instrumentalmusik und erklärt diese allein zur eigentlichen Musik (73). Da die Musik als «unbestimmte Sprache» Begriffe und damit bestimmte Gefühle nicht wiedergeben kann, läßt sich an ihr «kein außermusikalischer Inhalt im Sinne von 'Gegenstand' oder 'Sujet' nachweisen; wenn daher bei dieser Kunst von irgendeinem 'Inhalt' soll gesprochen werden können, so dürfen es nur die musikalischen Tonformen selbst sein, die das betreffende Tonstück enthält» (74). Zu ihrer Rechtfertigung ist die derart begriffs- und objektlose, allein der eigenen Autonomie verpflichtete «absolute Musik», die ihrer 'ungegenständlichen' Abstraktheit wegen als vorsprachlicher und «defizienter Modus der Vokalmusik» (75) mißbilligt wurde, zur «Sprache einer Geisterwelt, (zur) geheimnisvolle(n) Sanskritta oder Hieroglyphik» (76), also zu einer Übersprache erhoben worden (77), die als «philosophische Sprache des Gefühls ... das Bewußtsein in seiner Urquelle aufregt» (78). Das Anschauungsmodell für die romantische Theorie der musikalisierten, «absoluten Musik» war die Symphonie. Allerdings ist der Begriff «absolute Musik» erst fast ein halbes Jahrhundert später von R. Wagner in dessen 1846 verfaßtem Programm zu BEETHOVENS Neunter Symphonie geprägt worden. Diese Symphonie wird zwar auch von Wagner als Höhepunkt «absoluter Musik» anerkannt, doch bedeutet sie ihm darüberhinaus jenen Scheitelpunkt, an dem mit einer weiteren Autonomisierung der Musik «kein Fortschritt (mehr) möglich» (79) ist. Denn da «durch den rein musikalischen Ausdruck das Gefühl wohl angeregt, nicht aber bestimmt werden» (80) könne, müsse «absolute Musik» «sich nothwendig in das Meer des Unbestimmten, Unverständlichen, Unfreien verlieren» (81), sofern ihr nicht «ein bindendes, ja ... bedingendes Moment für die Möglichkeit ihrer Erscheinung gegeben werden» (82) kann. Indem Wagner Beethovens Neunte Symphonie so interpretiert, daß dort das Instrumentalrezitativ des 4. Satzes «die Schranken der absoluten Musik fast schon verlassend, wie mit kräftiger, gefühlvoller Rede den übrigen Instrumenten auf Entscheidung dringend, entgegentritt und endlich selbst zu einem Gesangsthema übergeht» (83), glaubt er beweisen zu können, daß Musik in ihrer höchsten Absolutheit aus sich selbst heraus dazu drängt, in der Wortsprache die Bestimmtheit des Gefühls und einen wirklichen Existenzgrund wiederzuerlangen. Im Ende der Neunten Symphonie: dem Chorfinale «An die Freude» - sieht Wagner vollends bestätigt, daß die «Erlösung» des «Tons» durch das «Wort», die Wiedergewinnung des 'Logos' in der Musik, wie sie sein musikalisches Drama als Totalkunstwerk vollbringen soll, historisch notwendig ist (84).

Runges und Wagners Gesamtkunstwerkkonzepte sind nicht aufgrund des eher verborgenen gemeinsamen Problems der «absoluten Kunst», sondern infolge ganz offenbarer Gemeinsamkeiten in kunsthistorischer (85), kunsttheoretischer (86), methodischer (87), biographischer (88) und sogar kompositorischer (89) Hinsicht wiederholt zueinander in Beziehung gesetzt worden (90). Dabei haben sich hauptsächlich zwei gegensätzliche Versionen ihres Verhältnisses herausgebildet. Auf der einen Seite wird ungeachtet aller Übereinstimmungen ein grundlegender Unterschied zwischen der Gesamtkunstwerkkonzeption Runges und derjenigen Wagners geltend gemacht (91). Auf der anderen Seite wird das Wagnersche Gesamtkunstwerk als schöpferische Fortsetzung wenn nicht als Erfüllung und Vollendung der frühromantischen Ideen zur Vereinigung der Künste verstanden (92). Eine befriedigende Begründung für die Präferenz einer dieser divergierenden Deutungen oder einer möglicherweise ganz anderen ist indessen unmöglich, solange der Vergleich zwischen Runge und Wagner weiter wie bisher nur nominal über den Begriff des Gesamtkunstwerkes gesucht wird und nicht über ein reales, für beide Konzeptionen gleicherart relevantes Bezugsproblem.

Die vorliegenden Überlegungen haben die Absolutheit der Kunst als den für Runge und Wagner substantiellen Problembezug erkennen lassen. Freilich konnte sich «absolute Kunst» nicht nur aus den dargestellten kunstimmanenten Gründen entwickeln, sondern es mußte die kulturelle und gesellschaftliche Durchsetzung jener Autonomie hinzukommen, die der Kunst ihre traditionelle Funktion als Medium zur Vermittlung «der Gewißheit einer göttlichen Sinnordnung bzw. ... der Autorität eines herrschaftlichen Ordnungssinns» (93) verwehrte, so daß sie, nun angewiesen jeglichen Sinngehalt allein aus der Selbstreflexion ihrer eigenen Bedingungen: den bildnerischen oder musikalischen Mitteln zu gewinnen, zur Absolutheit gezwungen war.

Die sowohl durch soziokulturelle Autonomie wie durch kunstimmanente Logik bedingte Notwendigkeit «absoluter Kunst» ist ein epochal gewordenes Problem der Moderne, das die Gesamtkunstwerkkonzeptionen Runges und Wagners aufzulösen suchen. Beide Versuche sind deshalb so bedeutsam und von so ungebrochener Aktualität, weil der eine historisch den frühesten Anfang, der andere zum erstenmal das Ende der «absoluten Kunst» dokumentiert: Während Runge, gemessen an seiner eigenen theoretischen Konzeption wie an den künstlerischen Beispielen, die erst ein Jahrhundert später von den «Abstrakten» gegeben worden sind, nur erst der Ansatz, aber noch nicht der Durchbruch zur «absoluten Malerei» gelingt, auch wenn die Zeitgenossen seine Arbeiten «ganz wie die Beethovensche Musik» (94) empfanden und den vollendetsten Schöpfungen symphonischer, «absoluter Musik» gleichstellten, vermag Wagner, der ebendiese symphonischen Werke wegen ihrer Zweck- und Motivlosigkeit als unterbestimmt und deswegen letztlich zur wortsprachlichen Bestimmtheit zurückstrebend deutet, aufgrund solcher geschichtsphilosophischen Konstruktion der Musikentwicklung innermusikalisch die Tradition «absoluter Musik» nicht mehr konsequent weiterzuführen, sondern bedient sich dieser Tradition nur noch zur Legitimation seines Musikdramas und zur Adaption kompositorischer Techniken (95).

Mit diesem 'Noch nicht' und 'Nicht mehr' begegnen Runge und Wagner dem in der autonomen Kunst schlechthin gelegenen und bis heute allein um den Preis des Formalismus erfüllten Anspruch auf Absolutheit gleichsam nur negativ. Aus dem Dilemma, trotz Nichterfüllung des Absolutheitsanspruches die Autonomie der Kunst gegenüber den soziokulturellen Bedingungen behaupten zu wollen, resultiert notwendig, daß sie ihre Kunstproduktion - um der Autonomie willen - kunstintern, aber trotzdem heteronom orientieren müssen. Denn eine autonome Orientierung würde unvermeidlich zur «absoluten Kunst» führen, deren Verwirklichung ihnen ja 'noch nicht' bzw. 'nicht mehr' möglich ist. Indem Runge und Wagner zugunsten des Vorrangs und der beabsichtigten Integration 'fremder' Kunstformen die Grenzen ihrer eigenen Kunstform heteronom überschreiten, gelingt ihnen die Auflösung dieser Paradoxie, die sich als das Grundmotiv für ihre Gesamtkunstwerk-Konzeption erweist.

Aus dem Zwang zur Heteronomie, den die Unmöglichkeit «absoluter Kunst» ihnen auferlegt, überschreiten Runge und Wagner freilich nicht nur die Grenzen der Kunstformen, sondern sogar die gegenständlichen Grenzen des eigentlichen Kunstgebildes, indem sie ihre künstlerische Intention darauf richten, im Bewußtsein des Rezipienten ein bestimmtes Wirkungsmoment zu erreichen: So ist es die generelle Absicht Runges, durch den Ausdruck tiefer Empfindungen «in Worten, Tönen oder Bildern» beim Betrachter eine den «Zusammenhang des ganzen Universums» (96) umfassende «Gemüthsbewegung» (97) zu erregen; und da für ihn «die Kunst ... ja nur ein Instrument» (98) zur Belebung ebendieser Gemütsbewegung ist, gilt sein Schaffen prinzipiell nicht der Vervollkommnung des Werkes an sich und auch nicht dem Fortgang der Kunst um ihrer selbst willen; denn «wie kann», fragt er «Ein Instrument der Zweck seyn?» (99). Ebenso ausdrücklich wird die Priorität der Rezeption von Wagner postuliert, der aus konkreter Erfahrung der «Unverständlichkeit» «absoluter Musik» wie aus doktrinärem «Todhaß auf die (intellektuelle) Erkenntnis» (100) mit dem Musikdrama eine «Verwirklichung des (dramatischen) Gedanken(gehalts) in der Sinnlichkeit» (101) anstrebt, damit es «mit unwiderstehlich überzeugendem Eindruck wirke ... in der Weise, daß alle willkürliche Reflexion ... sich in das reinmenschliche Gefühl auflöst» (102) und für den Rezipienten verständlich «vergegenwärtigt» wird -, «denn das Ungegenwärtige erfaßt nur der Gedanke, nur das Gegenwärtige aber das Gefühl» (103).

Erst diese Einbeziehung des Aspektes der Rezeption ins künstlerische Kalkül schafft die Voraussetzung dafür, daß die den Widerspruch zwischen Autonomie und Nicht-Absolutheit vermittels kunstinterner Heteronomie auflösende Vereinigung der Künste überhaupt künstlerisch-praktisch zu realisieren ist. Denn wenn sich die Künste vereinigen sollen, verliert der einer jeden Einzel-Kunst spezifische Kanon von Darstellungsinhalten und Gestaltungsformen seine Verbindlichkeit, und es bedarf zur Organisation ihrer Gesamtheit:eines übergeordneten Prinzips. Ein solches Prinzip ist das jedem Rezeptionsakt ungeachtet seiner individuellen Einzigartigkeit zugrundeliegende allgemeinmenschliche Vermögen der Rezeptivität, das als gleichsam objektiver gemeinsamer Bezugspunkt die inhaltliche und formale Unverbindlichkeit zu kompensieren vermag, welche den Künsten infolge ihrer Vereinigung droht. Damit ist es als ein realitätstiftendes Prinzip zugleich imstande, den Künsten die ihnen aufgrund ihrer Autonomie verlorengegangene Beziehung zur lebensweltlichen Wirklichkeit zurückzugewinnen.

Die autonomen, aber 'noch nicht' bzw. 'nicht mehr' absoluten Künste sowohl miteinander als auch mit der Lebenswelt zu integrieren, diese beiden Funktionen kann die Rezeptivität nur deshalb erfüllen, weil sie - anders etwa als das klassische Prinzip der Schönheit oder das romantische der Musikalität - ein kunstexternes Prinzip ist. Gleichwohl wird die Autonomie der Kunst durch diese kunstexterne Form heteronomer Orientierung nicht zerstört, sondern in dialektischer Weise modifiziert: Da die im Subjekt 'lokalisierte' Rezeptivität ein außerkünstlerisches Prinzip ist, verliert die Kunst einerseits ihre Autonomie, ohne freilich wieder die traditionelle Pflicht der Vermittlung und Deutung von religiösem oder säkularem normativen Sinn zu übernehmen; andererseits gewinnt sie sogar an Autonomie weil nunmehr das Subjekt mit seinen in der Rezeptivität fundierten sinnlichen Empfindungen oder gedanklichen Vorstellungen zum 'Träger' der vormals von der Kunst objektiv fixierten ( = dargestellten) Emotionen und Bedeutungen wird (104), die zu verbildlichen der Kunst allemal wesensfremd ist. Wenn aber nicht mehr das künstlerische Objekt, sondern das rezipierende Subjekt der (Träger) ästhetischer Zustände ist, dann sind die materialen Eigenschaften dieses Objekts nur noch das Mittel, eine bestimmte Art und Weise der Rezeptivität und des gesamten in ihr fundierten Rezeptionsprozesses zu bezwecken. Folglich muß der eigentliche Zweck der autonomen, aber 'noch nicht' bzw. 'nicht mehr' absoluten Kunst die ästhetische Rezeptionsweise sein, deren «Zweckmäßigkeit» in dem von KANT spezifisch auf das Ästhetische bezogenen Sinn freilich eine solche «ohne Zweck» (105) ist; d. h. wir legen ihr einen Zweck deswegen unter - ganz als ob es für sie «eine Kausalität nach Zwecken, d. i. einen Willen» (106) tatsächlich gäbe -, weil wir «die Erklärung ihrer Möglichkeit nur, indem wir sie von einem Willen ableiten, uns begreiflich machen können» (107). Mit diesem heuristischen Verfahren, welches im übrigen unserer ganzen 'funktionsgeleiteten' problemgeschichtlichen Rekonstruktion der Gesamtkunstwerkidee zugrundeliegt, läßt sich die Relation bestimmen, in der die beiden heteronomen Zwecksetzungen, nämlich die ästhetische Rezeptionsweise und die das Dilemma zwischen Kunstautonomie und Nicht-Absolutheit lösende Vereinigung der Künste, gemäß den Kunstkonzeptionen Runges und Wagners zueinander stehen: Da der kunstintern-heteronome Zweck der Vereinigung der Künste nur dann zu verwirklichen ist, wenn die ästhetische Rezeptionsweise als kunstextern-heteronomer Zweck voraus-gesetzt wird, gilt er diesem gegenüber letztlich als ein Mittel. Infolgedessen erhält nun auch die künstlerische Produktion den Status eines Mittels, weil ihr Zweck: - die allein subjektiv-mental zu realisierende ästhetische Rezeptionsweise - mit materialen Objekten bloß mittel-bar zu erreichen ist. Insofern vollzieht sich bei Runge und Wagner - gleichsam hinter ihren programmatischen Gesamtkunstwerkideen - eine für die ästhetische Praxis paradigmatische Umwertung vom Primat der künstlerischen Produktion zur Dominanz der Rezeption. Das wesentliche Kriterium für die Unterscheidung und Charakterisierung der Gesamtkunstwerk-Konzeptionen Runges und Wagners bestimmt sich mithin nach der Art und Weise, wie ihre Gesamtkunstwerk-Realisationen rezipiert werden sollen.

Die weniger auf empirische Erfahrungen als auf die theoretischen Schriften bezugnehmende Untersuchung der Rezeptionsweise zeigt, daß Runge und Wagner so, wie sie die ideale Rezeption ihrer Werke konzipieren, trotz Gleichartigkeit der ihren Gesamtkunstwerkkonzeptionen zugrundeliegenden Problematik einander polar entgegengesetzte Typen ästhetischen Rezipierens formulieren. Die Ursache dafür ist nicht etwa, daß sie von verschiedenen Kunstformen ausgehen, sondern liegt in ihrer jeweiligen Absicht, eine der beiden - als prozessuale Stufen und nicht als natürliche Gegensätze - in jedem Rezeptionsakt potentiell vorhandenen Bewußtseinsmodalitäten zu aktualisieren und aufs Äußerste zu steigern: Während Runge die Künste zu vereinigen sucht, um die gedanklich bewußten Vorstellungen und die Vorstellungskraft des Rezipienten zu potenzieren, so daß dieser seiner «selbst im Zusammenhang mit dem Ganzen» (108) bewußt wird, hört für Wagner «die Kunst ... genau genommen von da an Kunst zu sein auf, wo sie als Kunst in unser reflektierendes Bewußtsein tritt» (109), weswegen er danach trachtet, die sinnlich bewirkten Empfindungen derart zu intensivieren, daß der Inhalt seines Musikdramas «als eine vor unserem Gefühl als notwendig gerechtfertigte menschliche Handlung uns unwillkürlich» - also reflexionslos - zu «erfüllen» (110) vermag. Wenn Runge somit dem Rezipienten die Universalität gedanklicher Reflexion im Gesamtkunstwerk erfahrbar machen möchte und Wagner ihn der Totalität sinnlicher Wirkung aussetzen will, dann ist aufgrund solcher unbedingten Favorisierung einer einzigen Rezeptionsweise zugleich mit der Vereinigung eine neue, viel tiefgreifendere Trennung der Künste verbunden, indem diese sich in «perzeptive», auf die Wahrnehmungsstufe der sinnlichen Empfindungen reduzierte und in «apperzeptive», auf gedankliche Vorstellungen ausgerichtete Künste teilen. Diese Entzweiung, die einen radikalen Bruch mit der klassischen Ästhetik aber auch mit dem humanistischen Ideal der Harmonie von Sinnlichem und Geistigem bedeutet, hat darin exemplarischen Charakter, daß sie die zum Bewegungsgesetz der Moderne gewordene, vermeintlich 'logische' Aufeinanderfolge von 'rationalen' und 'emotionalen' Strömungen in der Kunst einleitet.*

Anmerkungen

(1) So werden die Schriften bezeichnet, die Wagner im Schweizer Exil (1849-1858) verfaßt hat, in das er nach der Niederschlagung des Dresdner Aufstandes im Mai 1849 fliehen mußte. Ein bisher unbekannter Brief an den König von Sachsen (datiert: «Dresden, am 21. Juni 1848», obwohl Wagner schon am 28. Mai die Schweizer Grenze überschritten hatte) beleuchtet Wagners Motive in diesem politischen Zusammenhang. In: Musik-Konzepte 5: Richard Wagner. Wie antisemitisch darf ein Künstler sein? Hrsg. H.-K. Metzger und R. Riehn. - München 1978, S. 77f.

(2) Die Klassifikation bzw. die genaue terminologische Bestimmung seiner Werke ist für Wagner immer unbefriedigend geblieben. 1872 widmet er sogar eigens einen Aufsatz dem von ihm nicht akzeptierten Begriff «Musikdrama»: «Über die Benennung Musikdrama.» In: R. Wagner. - Gesammelte Schriften und Dichtungen (GS). - Hrsg. v. W. Golther. - Berlin-Leipzig o. J., Bd. IX, S. 302 ff.

(3) Wagner berichtet sogar, daß die Kritiker «von meinen, obgleich in einer früheren Periode geschriebenen Opern hartnäckig annahmen, sie seien mit reflektierender Absichtlichkeit nach jenen Theorien verfaßt ...» In: Dokumente der Musikgeschichte. Gesammelt von H. J. Moser. - Wien 1954, S. 191 f.

(4) Vgl. P. A. Faeßler (Hrsg.). - Richard Wagner. Werke in 2 Bd. - Zürich 1966. - Einleitung, S. 15.

(5) C. Dahlhaus unterscheidet bei Wagner zwei Musikbegriffe, und zwar «einen kompositionstechnisch-empirischen und einen ästhetisch-metaphysischen». (C. Dahlhaus. - Wagners Konzeption des musikalischen Dramas. - Regensburg 1971, S. 92). Der Kunstbegriff umfaßt beide Musikbegriffe, wobei für Wagners Schriften gilt, daß die kompositionstechnisch-empirische die ästhetisch-metaphysische Komponente dominiert. Gegen das Primat des Praktischen in Wagners theoretischen Schriften richtet sich Nietzsches Polemik: «Alles, was Wagner nicht kann, ist verwerflich. Wagner könnte noch vieles: aber er will es nicht, aus Rigorosität im Prinzip. Alles was Wagner kann, wird ihm niemand nachmachen ... Wagner ist göttlich ... Diese drei Sätze sind die Quintessenz von Wagners Literatur; der Rest ist = Literatur = ». F. Nietzsche. - Werke. Hrsg. K. Schlechta. - München 1969, Bd. 2, S. 923.

(6) F. Nietzsche, Bd. 2, S. 924, a.a.O. (Anmerkung 5).

(7) Wagner «hat sein ganzes Leben einen Satz wiederholt: daß seine Musik nicht nur Musik bedeute! Sondern mehr. Sondern unendlich viel mehr! ... = Nicht nur Musik = - so redet kein Musiker ...» F. Nietzsche, Bd. 2, S. 923-924, a.a.O. (Anmerkung 5).

(8) Wagner «machte bloß die Nutzanwendung auf die Musik - er erfand sich einen Stil, der = Unendliches bedeutet =, - er wurde der Erbe Hegels ... Die Musik als = Idee = -». F. Nietzsche, Bd. 2, S. 924, a.a.O. (Anmerkung 5).

(9) «Die Selbstinterpretation eines Schriftstellers als Kanon der Interpretation zu verwenden» kritisiert H.-G. Gadamer als falschen Psychologismus. H.-G. Gadamer. - Wahrheit und Methode. - Tübingen 1972, S. 181, Anmerkung 1.

(10) F. W. J. Schelling. - Philosophie der Kunst. - Darmstadt 1976, S. 380.

(11) P. Böckmann. - Das Laokoonproblem und seine Auflösung in der Romantik. - In: Bildende Kunst und Literatur. Beiträge zum Problem ihrer Wechselbeziehung im 19. Jahrhundert. Hrsg. v. W. Rasch. - Frankfurt 1971, S. 60, Anmerkung 1.

(12) F. Schlegel. - Über das Studium der griechischen Poesie. Hrsg. v. P. Hankamer. - Godesberg 1947, S. 47.

(13) F. Schlegel, S. 47, a.a.O. (Anmerkung 12).

(14) F. Schlegel, S. 47, a.a.O. (Anmerkung 12).

(15) L. Tieck. - Franz Sternbalds Wanderungen. - In: L. Tieck. - Werke in vier Bänden. Hrsg. v. M. Thalmann. - Darmstadt 1973, Bd. 1, S. 907.

(16) F. Nietzsche, Bd. 1, S. 391, a.a.O. (Anmerkung 5).

(17) F.Schlegel. - In: Kritische F. Schlegel-Ausgabe. Hrsg. v. E. Behler. - München, Paderborn, Wien, Zürich 1958, Bd. 13, S. 56.

(18) F. W. J. Schelling, S. 13, a.a.O. (Anmerkung 10).

(19) W. H. Wackenroder. - Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Hrsg. v. F. von der Leyen. - Jena 1910, S. 56.

(20) Der älteste ausgesprochen «romantische» Komponist, nämlich Weber, wurde erst 1786 geboren; Schubert sogar erst 1797, ein Jahr bevor Wackenroder starb.

(21) Den Begriff schlägt vor W. Wiora. - Die Musik im Weltbild der deutschen Romantik. - In: Beiträge zur Geschichte der Musikanschauung im 19. Jahrhundert. Hrsg. v. W. Salmen. - Regensburg 1965, S. 12.

(22) Novalis. In: Werke, Briefe, Dokumente. Hrsg. v. E. Wasmuth. - Heidelberg 1953-57, S. 354.

(23) F. W. J. Schelling, S. 147, a.a.O. (Anmerkung 10).

(24) W. Wiora. S. 24 a.a.O. (Anmerkung 21).

(25) Zum Begriff 'Grundmelodie' bei Eichendorff s. R. Mühlher. - Natursprache und Naturmusik bei Eichendorff. - In: Aurora 21/1961, S. 18-21.

(26) F. W. J. Schelling, S. 140, a.a.O. (Anmerkung 10).

(27) W. H. Wackenroder, S. 291, a.a.O. (Anmerkung 19).

(28) J. Traeger. - P. O. Runge und sein Werk. - München 1976, S. 11.

(29) A. R. Neumann. - P. O. Runge and music. - In: The Germanic Review. XXVII/3, 1952, S. 169.

(30) Ph. O. Runge. - Hinterlassene Schriften. (HS). - Göttingen 1965, Bd. 2, S. 435. Dies sagte Goethe, obwohl er «nicht wünschte, daß die Kunst im Ganzen den Weg verfolgte, den er (Runge) eingeschlagen habe», Bd. 2, a.a.O., S. 307.

(31) J. W. Goethe. - In: Goethes Werke. - Hamburger Ausgabe 1953, Bd. 12, S. 49. Schiller vertritt in seiner Schrift Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1793/94) eine romantische Ideen vorwegnehmende Meinung: «Es ist eine notwendige und natürliche Folge ihrer Vollendung, daß ohne Verrückung ihrer objektiven Grenzen, die verschiedenen Künste in ihrer Wirkung auf das Gemüt einander immer ähnlicher werden ... Die bildende Kunst in ihrer höchsten Vollendung muß Musik werden und uns durch unmittelbare sinnliche Gegenwart rühren ... Darin eben zeigt sich der vollkommene Stil in jeglicher Kunst, daß er die spezifischen Schranken derselben zu entfernen weiß, ohne doch ihre spezifischen Vorzüge mit aufzuheben, und durch eine weise Benutzung ihrer Eigentümlichkeit ihr einen mehr allgemeinen Charakter erteilt.»

(32) W. Roch. - Ph. O. Runges Kunstanschauung. - Straßburg 1909, S. 2.

(33) HS II/S. 92 a.a.O. (Anmerkung 30).

(34) HS II/S. 63.

(35) HS II/S. 63.

(36) HS II/S. 80.

(37) HS II/S. 63.

(38) HS II/S. 514: «Wir rathen dem Verf. ein ernstes Studium des Alterthums und der Natur, im Sinne der Alten. Am nöthigsten aber ist ihm die Betrachtung der Werke großer Künstler aller Zeiten, in Hinsicht auf den Gang ihrer Gedanken.»

(39) HS II/S. 173. «Der Goethe hat mich mit all' dem verfl. Zeug nahe an den Abgrund gebracht.»

(40) HS I/S. 5f.

(41) HS I/S. 14.

(42) Vgl. Schlegels Gemälde-Gespräch im Athenaeum.

(43) HS I/S. 7.

(44) Die Rezeption vergangener Kunst war Runge nach wie vor sehr wichtig; bes. Raffaels Madonna und Corregios Nacht.

(45) HS I/S. 8. Nicht nur hinsichtlich der Kunst, sondern auch bezüglich der politischen Verhältnisse zweifelt Runge an der Tragfähigkeit «alter Formen»: «Wenn die Preußen jetzt noch so rasend seyn wollen, in ihrer ganzen Wirthschaft die alte Leyer fortzuspielen und fortzuspielen den Popanz von Militairstaat, wie sollen die Menschen in einem solchen Staate zu Besinnung kommen ... Sollten wir nicht gelernt haben, daß die alte Form nicht mehr gilt und an allen Enden knackt und zusammenbricht?» HS II/S. 347. Die Richtigkeit Runges Bewußtseins von der Krise der eigenen Epoche erfährt durch die Feldzüge Napoleons (1805 Schlacht bei Austerlitz, 1806 bei Jena und Auerstedt) und dessen Sieg über Preußen/Rußland, der eine Umwälzung Europas einleitet, auch eine politische Bestätigung.

(46) HS II/S. 235.

(47) HS I/S. 14f.

(48) HS I/S. 7.

(49) HS I/S. 16.

(50) Bald nachdem Runge sein Studium in Dresden im Juni 1801 begonnen hat, wird der junge Musiker Ludwig Berger (der spätere Lehrer Mendelssohns) sein nächster Freund, und sie erteilen sich gegenseitig Unterricht über ihre Künste. Runge lernt dabei, «welch ein Vorteil es für einen Künstler ist, in anderen Künsten auch zu Hause zu seyn, und wieviel reiner und klarer ... die Begriffe ... werden» (HS II/S. 122). Zu Runge und Berger gesellt sich noch ein junger Architekt namens Schäfer, und es ergibt sich ein reger Austausch über die verschiedenartige Praxis der drei Künste: «Wir halten unsre drey Künste gegeneinander, und durch Verknüpfung von solchen Ideen entstehen neue, die am Ende etwas produciren; wir suchen unter uns selbst die Einseitigkeiten in Kenntnissen und der Kunst auf, die Andre lächerlich machen, und hüten uns so davor» (HS II/S. 81). Zu den glücklichen biographischen Umständen gehört weiter, daß Runge in dieser Zeit seine spätere Frau Pauline kennenlernt.

(51) Deswegen wird das Verhältnis Runge-Tieck oft widersprüchlich diskutiert. J.Traeger, a.a.O., S. 18f. (Anmerkung 28) berichtet über drei Versionen.

(52) HS II/S. 9.

(53) L. Tieck, S. 894, a.a.O. (Anmerkung 15).

(54) H. Rehder. - Die Philosophie der unendlichen Landschaft. Diss.phil. - Heidelberg 1929, S. 144.

(55) HS I/S. 16.

(56) HS I/S. 24.

(57) HS I/S. 6.

(58) HS I/S. 9.

(59) HS I/S. 11.

(60) HS I/S. 11.

(61) HS I/S. 11.

(62) HS I/S. 11 f.

(63) «Der Zwiespalt zwischen Wollen und Vollbringen liegt nicht ... an einem Nichtkönnen. In dem damaligen geschichtlichen Stadium der Auflösung der verbindlichen Gegenstandswelt hätte eine vollkommen 'absolute Malerei' das Vorstellungsvermögen eines Einzelnen ... überschritten.» K. Lankheit. - Die Frühromantik und die Grundlagen der =gegenstandslosen= Malerei. - In: Neue Heidelberger Jahrbücher. Jahrbuch 1951. - Heidelberg S. 70.

(64) HS I/S. 6.

(65) «Und welcher Künstler, der dieses in sich fühlt, den die Natur, die wir nur noch in uns selbst, in unsrer Liebe, und an dem Himmel rein sehen, erweckt, wird nicht nach dem rechten Gegenstand greifen ...» (HS I/S. 6). Hier wird die Zuspitzung des romantischen Natur- und Landschaftsbegriffs durch Runge besonders deutlich.

(66) HS I/S. 6.

(67) Vgl. z. B. HS I/S. 47.

(68) HS I/S. 63. Von Lankheit, a.a.O., S. 70, wird dieses Zitat als «Vermächtnis der absoluten Malerei» gedeutet. Wegen der grammatikalischen Doppelbeziehung des Wortes «ihn» ist dies wohl eine Überinterpretation. Hinsichtlich der Bedeutung Runges für die «absolute Malerei» gibt es aber dennoch keinen Zweifel: «Es ist ebenso nothwendig, daß wir in die Natur unseres Materials oder der Mittel, durch welche wir an unserm Theile die Erscheinung bewürken wollen, eindringen, und daß wir wissen, welche Ähnlichkeit unsre Mittel mit denen haben, durch welche die Naturwürkung hervorgebracht worden.» Aus einem Fragment zur Farbenlehre. Zit. nach Traeger, S. 116, a.a.O. (Anmerkung 28).

(69) Neben K. Lankheit (Anmerkung 63) ist besonders noch O. Stelzer (Die Vorgeschichte der abstrakten Kunst. München 1964) und H. Matile (Die Farbenlehre Ph. O. Runges. Ein Beitrag zur Geschichte der Künstlerfarbenlehre. - Bern 1973) auf die frühromantischen Wurzeln der abstrakten, besser: absoluten Malerei eingegangen.

(70) Traeger, S. 11, a.a.O. (Anmerkung 28).

(71) Schelling, S. 150, a.a.O. (Anmerkung 10).

(72) C. Dahlhaus: Die Idee der absoluten Musik. - Kassel 1978, S. 15.

(73) Novalis zit. nach Wiora, S. 30, a.a.O. (Anmerkung 21).

(74) O. Hostinsky. - Das Musikalisch-Schöne und das Gesamtkunstwerk. Vom Standpuncte der formalen Ästhetik. - Leipzig 1877, S. 31. Hier wird die Auffassung referiert von E. Hanslick. - Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Tonkunst. - Leipzig 1874.

(75) C. Dahlhaus. - Kassel 1978, S. 12, a.a.O. (Anmerkung 72).

(76) C. Dahlhaus. - Kassel 1978, S. 16, a.a.O. (Anmerkung 72).

(77) Nach C.Dahlhaus. - Kassel 1978, S. 15, a.a.O. (Anmerkung 72).

(78) F. Schlegel, S. 57 f., a.a.O. (Anmerkung 17).

(79) R. Wagner. - Gesammelte Schriften. Hrsg. v. J. Kapp. -Leipzig o. J., Bd. 10, S. 103.

(80) R. Wagner. - Gesammelte Schriften und Dichtungen. Hrsg. v. E. W. Fritzsch. - Leipzig 1871-73. Oper und Drama, Bd. IV, S. 247.

(81) R. Wagner, Bd. III, S. 189, a.a.O. (Anmerkung 80).

(82) R. Wagner, Bd. V, S. 192, a.a.O. (Anmerkung 2).

(83) R. Wagner, Bd. II, S. 61, a.a.O. (Anmerkung 2).

(84) Dieser geschichtsphilosophischen Deutung der Musikentwicklung hat Nietzsche widersprochen: «Was sollen wir also von jenem ungeheuerlichen ästhetischen Aberglauben halten, daß Beethoven mit jenem vierten Satz der Neunten selbst ein feierliches Bekenntnis über die Grenzen der absoluten Musik abgegeben, ja mit ihm die Pforten einer neuen Kunst entriegelt habe, in der Musik sogar das Bild und den Begriff darzustellen befähigt und damit dem = bewußten Geiste- erschlossen worden sei?» F. Nietzsche. - Über Musik und Wort. In: Sprache, Dichtung, Musik. Hrsg. v. J. Knaus. - Tübingen 1973, S. 26.

(85) Kunsthistorisch-problemgeschichtlich ist für Runge und Wagner das Spannungsverhältnis zwischen der Verehrung der Antike und der Faszination romantischer Ideen entscheidend.

(86) Kunsttheoretisch ist die das klassische Prinzip der Schönheit überwindende romantische Konzeption der Musik als einer Universalsprache, mit der ihre Vorherrschaft unter den Künsten begründet wird, gleichermaßen für beide Künstler beeinflussend. (87) Methodisch hat die ästhetische, geschichtsphilosophische und auch gesellschaftsbezogene Reflexion der eigenen Praxis eine ähnlich wesentliche Bedeutung für beide.

(88) Biographisch bestimmend sind für beide die Folgen politischer Umwälzungen (Runge wird 1805/06 auf mannigfaltige Weise von den Feldzügen Napoleons betroffen: Wagner ist am Dresdner Maiaufstand 1849 beteiligt, wird steckbrieflich gesucht und flieht ins Schweizer Exil).

(89) Kompositorisch nimmt Runge «mit der Wiederkehr bestimmter Elemente im zyklischen Bildmythos (hier: Ossians Gedichte) ... die Leitmotiv-Idee R. Wagners vorweg». J. Traeger, S. 68, a.a.O. (Anmerkung 28).

(90) Vgl. J. Traeger, S. 178 + Anmerkung 537, a.a.O. (Anmerkung 28).

(91) Vgl. z. B. M. Lichtenfeld. - Gesamtkunstwerk und allgemeine Kunst - das System der Künste bei Wagner und Hegel, - In: W. Salmen (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Musikanschauung im 19. Jahrhundert. - Regensburg 1965, S. 161; außerdem A. R. Neumann, a.a.O., S. 169. (92) Davon spricht z. B. der erste Runge-Monograph A. Aubert. - Runge und die Romantik. - Berlin 1904, S. 64.

(93) M. Lingner / R. Walther. - Paradoxien künstlerischer Tätigkeit. Prolog zur Finalisierung der Kunst. - Hamburg 1982 (unveröffentlichtes Manuskript).

(94) Diese Aussage ist überliefert von S. Boisseree, der mit seinem Bruder Melchior die Vollendung des Kölner Domes betrieben hat. In: K. Lankheit, S. 71, a.a.O. (Anmerkung 63).

(95) Vgl. E. Voss. - Richard Wagner und die Instrumentalmusik: Wagners, symphonischer Ehrgeiz. - Wilhelmshaven 1977. Darin bes.: Legitimation des Musikdramas durch die Symphonie, S. 153 ff.

(96) HS I/S. 11.

(97) HS II/S. 236.

(98) HS II/S. 237.

(99) HS II/S. 237.

(100) F. Nietzsche, Bd. 2, S. 931, a.a.O. (Anmerkung 5).

(101) R. Wagner, GS IV, S. 183, a.a.O. (Anmerkung 2).

(102) R. Wagner, GS VII, S. 116, a.a.O. (Anmerkung 2).

(103) R. Wagner. - Die Hauptschriften. Hrsg. v. E. Bücken. - Leipzig 1937, S. 197.

(104) O. Hostinsky, S. 54ff., a.a.O. (Anmerkung 74). Hier wird der bemerkenswerte Versuch unternommen, einen neuen, subjektorientierten Werkbegriff zu formulieren.

(105) I. Kant. - Kritik der Urteilskraft. - Hamburg 1974 6, S. 59.

(106) I. Kant, S. 59, a.a.O.

(107) I. Kant, S. 59, a.a.O.

(108) HS I/S. 13.

(109) R. Wagner. - GS IX, S. 161, a.a.O. (Anmerkung 2).

(110) R. Wagner. - GS IV, S. 207, a.a.O. (Anmerkung 2).

Abbildungsverzeichnis:

Philipp Otto RUNGE, Der Morgen, 1807/08. (Teilentwurf zum Mittelbild), Feder in Schwarz über Spuren von Blei, 45,9 x 60,8 cm. Hamburger Kunsthalle.

Philipp Otto RUNGE, Der kleine Morgen, 1808. Öl auf Leinwand, 109 x 85,5 cm. Hamburger Kunsthalle.

A: Philipp Otto RUNGE, Konstruktionszeichnungen zu den "Vier Zeiten", 1803; Michael LINGNER, Rekonstruktion des Notationssystems in Runges "Vier Zeiten" am Beispiel der Konstruktionszeichnung zum "Abend", 1977

Text zu: A P. O. Runges «Vier Zeiten», besonders die sie entwerfenden Konstruktionszeichnungen, sind wiederholt mit einer Partitur verglichen worden (vgl. J. Traeger a. a. O. S. 131, Anmerk. 28). Doch ist bisher nicht bemerkt worden, daß die maß-gebenden vertikalen und horizontalen Konstruktionslinien des Binnenbildes einer jeden Tageszeit tatsächlich dem in der Musik gebräuchlichen 5-Liniensystem der temperierten Notation entsprechen. Dieses 5-Liniensystem, welches der traditionellen Notenschrift Koordinate sowohl für die von unten nach oben zu lesende Tonhöhe, wie für den von links nach rechts zu lesenden Zeitverlauf ist, fungiert in den «Vier Zeiten» als flächenorganisierendes Proportionsraster für den künstlerischen Entwurf und als zeitorganisierende Bewegungsstruktur für das Auge des Rezipienten, das - als ob es eine Melodie hineinschriebe - «die ihm im Werk eingerichteten Wege geht» (P. Klee).

B: Michael LINGNER, Aufriß des horizontalen und vertikalen 5-Linien-Notationssystems, das P. O. Runges "Vier Zeiten" zugrundeliegt, 1977.

C: Michael LINGNER, Schema der realzeitlichen Rezeptivbewegung des Auges bei P. O. Runges "Vier Zeiten", 1977.

Text zu: C Das Schema der realzeitlichen Rezeptivbewegung des Auges versucht zu rekonstruieren, wie die Wahrnehmungsbewegung den eigenen zeitlichen Charakter einer jeden Tageszeit nachvollzieht (vertikale Richtung) und sich dabei mit der Gesamtzeit des Tageslaufs vermittelt (horizontale Richtung).

* Ich danke Herrn Rainer Walther, Hamburg, sehr herzlich für seine Hilfe beim Redigieren des Manuskriptes.


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