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Michael Lingner

Kunst als Darstellung oder Vorstellung ?

Ein Problem in P.O. Runges Künstlerästhetik als Grundlegung möglicher Kunstforschung

I)

Von dem, was unter »Forschung« verstanden wird, gibt es in den verschiedenen wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeitsbereichen sehr unterschiedliche Vorstelllungen. Aber unberührt von allen Auffassungsunterschieden gilt Forschung doch durchweg als die Krönung wissenschaftlicher und künstlerischer Arbeit. Von der Wertschätzung, die sich Forschung einst zu Recht erwarb, versucht heute ein utilitaristisch verdorbener, strukturell nicht einmal den Anforderungen an eine anspruchsvolle Lehre hinlänglich gewachsener Hochschulbetrieb zu profitieren. Zunehmend wird darum ein diffuser Forschungsbegriff zur Reputation und Profilierung von an sich eher als forschungsfern geltenden (Aus-)Bildungseinrichtungen und Studiengängen recht bedenkenlos in Anspruch genommen.

Diese vor allem (hochschulpolitisch) verursachte Konjunktur hat mit dazu beigetragen, dass auch zum Thema »Kunst und Forschung« in den vergangenen Jahren zahlreiche Publikationen erschienen sind. Überraschenderweise wird dort kaum diskutiert, ob und unter welchen Bedingungen es sich bei Kunst überhaupt um Forschung handeln könne. Vielmehr wird überwiegend und weitgehend unwidersprochen behauptet, dass es bei künstlerischer Praxis und/oder ihren Ergebnissen ganz unabhängig von ihrer Originalität, Modernität und Qualität auf jeden Fall um »Forschung« gehe. Bei allem, was für Wissenschaft gehalten wird, scheint das ohnehin für selbstverständlich zu gelten.

Zwar wird in den Texten unterschieden zwischen »Forschung über die Kunst«, »Forschung für die Kunst« und »Forschung durch die Kunst« #1, was noch erweitert wird durch »Forschung in der Kunst« #2 sowie durch Kunst »mit, über, als« #3 Forschung; und es wird eher rhetorisch danach gefragt, ob mit Werken ein Wissen oder gar ein ominöses »Nichtwissen« produziert werde, welches für Kunst charakteristisch sei. #4 Aber aus all diesen zum Teil nicht sonderlich trennscharfen Differenzierungen und vagen Vermutungen wird letztlich nichts anderes gefolgert, als dass es nichts Künstlerisches gebe, was nicht auch Forschung sei. - Aber kann diese Einschätzung nicht allenfalls für die bildnerischen Aktivitäten von Kindern zutreffen ? Sonst wären ja auch bei Erwachsenen alle Betätigungen, bei denen etwas gelernt wird, ohne Weiteres als Forschung anzusehen.

Worin sollen die zu »bisher gänzlich unbekannte(n) Wissensform(en)« #5 verklärten Erfahrungen denn konkret bestehen, die sich in einer solchen pauschal als Forschung apostrophierten Kunst vermeintlich verkörpern ? Das bleibt genauso unklar, wie die Bestimmung dessen, was denn das spezifisch Künstlerische sei. Insofern sind derartige Darlegungen, bei denen weder konkrete Kriterien für das »Forschen« noch für das »Künstlerische« begründet werden, sondern beides zirkulär einfach gleichgesetzt wird, wenig aussagekräftig. Dass Kunst generell Forschung sei, stellt sich lediglich als eine einseitige Weise der Interpretation ihrer Werke seitens der entsprechend interessierten Wissenschaftler und Künstler heraus. Über die Interpreten und ihre legitimatorischen Absichten sagt das durchaus viel aus #6, aber recht wenig über den tatsächlichen künstlerischen Forschungsprozess.

Einem solch inflationär entwertenden Gebrauch des Forschungsbegriffs entgegen, ist vielmehr davon auszugehen, dass weder in der wissenschaftlichen noch in der künstlerischen Praxis gleichsam automatisch stets geforscht wird. Vielmehr handelt es sich bei jedem als Profession betriebenen Forschen um eine besondere, eher unwahrscheinliche Tätigkeit, welche nur unter bestimmten individuellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen überhaupt möglich ist. Vor allem ist dafür die Freiheit, etwas unsanktioniert, wie auch die Fähigkeit, etwas tiefgehend problematisieren zu dürfen und zu können, erforderlich. Wer wollte behaupten, dass diese Voraussetzungen für Forschung angesichts der tiefgreifenden Ökonomisierung auch von Kunst und Wissenschaft heute besonders gut seien ?

Zu einem Forschungsprozess kann es in jedem Fall erst dann kommen, wenn in dem persönlich fragwürdig Gewordenem eine solche Problematik erkannt wird, welche nicht nur die eigene ist, sondern auch auf eine bestimmte Fachdisziplin oder ein Metier wie die Kunst sich sinnvoll beziehen lässt.

Die Problemformulierung #7 und die Begründung der fachspezifischen Relevanz des formulierten Problems im Hinblick auf den Forschungsstand sowie auf die theoretischen und praktischen Konsequenzen, welche aus dessen Bearbeitung voraussichtlich resultieren, gehören gleichermaßen zum Forschungsprozess hinzu.

Dabei gilt es auch zu ergründen, ob es sich tatsächlich um ein künstlerisches Problem handelt, welches unter Entwicklung wie Praktizierung geeigneter Methoden und/oder Verfahren mit kunst-/theoretischen Mitteln bearbeitet werden kann, was schließlich den eigentlichen Kern der Forschungstätigkeit ausmacht. Dass die Problematik erst selbstbestimmt zu finden ist und derjenigen Fachdisziplin -wie hier der Kunst-/theorie- zu entstammen hat, in der sie auch bearbeitet wird, macht den Unterschied zur angewandten Forschung aus. Die Problematisierung wird dort ersetzt durch eine Problem- oder besser: Aufgabenstellung, die aus einem anderen als dem jeweiligen Forschungsbereich stammt und primär von anderen als von Forschungsinteressen motiviert ist. Eine solche Aufgabenstellung im Sinn mehr oder minder vorgegebener, also fremdbestimmter Anforderungen und eines dann vom Auftraggeber als »kreative« Lösung akzeptierten Ergebnisses zu bearbeiten, macht die angewandte sog. Forschung aus.

Ein bisher weitgehend vernachlässigtes, im Titel dieses Textes benanntes Grundproblem sowohl für die Kunst als auch für die mit ihr befassten Wissenschaften findet sich deutlich dargestellt in einer neueren bemerkenswerten Publikation, die von Pauline A. M. Kintz anlässlich des 2010 begangenen Gedenkens an die 200. Wiederkehr des Todestages P.O. Runges erschienen ist #8. Dass diese Problematik sich so nachdrücklich zeigt, erwächst einerseits daraus, dass sie bei P.O. Runge und seiner Kunstkonzeption in außerordentlicher Brisanz vorliegt. Darüber hinaus ist die Prägnanz der Ausführungen von Kintz aber auch durch den Umstand begünstigt, dass sie die wesentlichen Überlegungen ihres Buches zusätzlich in einem Anhang sehr präzise zusammengefasst hat, der von H. Kok-Ahrens übersetzt auf Deutsch vorliegt. Auf dieses Resümee stützt sich die nachfolgende Rekonstruktion (Teil II) und Erörterung (Teil III) der Problematik, die hier in den Blick genommen wird.

II)

Ihre Zusammenfassung beginnt Kintz mit der These, dass P. O Runge »die Malerei von Grund auf erneuern (wollte), indem er trachtete... Gott oder das Unendliche sichtbar zu machen. Durch dieses Streben gilt er als der radikalste Erneuerer der deutschen Malerei um 1800.« #9 Die Ausführungen der bisherigen Runge-Forschung erweiternd, besteht Runges wesentliche Erneuerung nach Kintz in seinen »Reflexionen über die Macht und Ohnmacht des Bildes in der Malkunst« und einer »fortwährende(n) Beschäftigung mit den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten seines Mediums. Das ist eine logische Folge der Aufgabe, die er sich stellte: der Umbruch, den er vor sich sah, sorgte für ein Problem: das Unendliche hat keine körperliche Form und kann also nicht mit den - zu jenem Zeitpunkt in der Geschichte der Bildenden Kunst- mimetischen Mitteln der Malerei dargestellt werden.« #10

In ihrer weiteren Untersuchung zieht Kintz aufschlussreiche Parallelen dieser Problematik Runges zu zentralen Fragestellungen in den frühromantischen Lyriktheorien von Friedrich Schlegel und Friedrich von Hardenberg (Novalis):« Einige Jahre bevor Runge seine Künstlerkarriere begann, entwickelten beide eine Lyriktheorie, in der sie dieselben Fragen an die Sprache und die Poesie stellten wie Runge an die Malerei: Was kann in der Sprache ausgedrückt werden, wie verhält sie sich zu der uns bekannten Wirklichkeit und auf welche Weise kann sie das Unendliche, das nicht darstellbar ist, dennoch ausdrücken? Dabei durchbrachen sie die Grenzen zwischen den Künsten. Ihre Lyriktheorie richtete sich zwar auf die Sprache und die Poesie, wollte aber gleichzeitig für jede `Sprache´ gültig sein.« #11

»Novalis´ Theorie der Sprache« so Kintz, »beginnt mit seiner Feststellung, dass sich das menschliche Bewusstsein `nur´ ein Bild von der Wirklichkeit formen kann. Die Sprache ist eine Wiedergabe dieses Bildes; die Sprache hat dann auch keine mimetische Funktion, sondern ist ein Instrument der Vorstellung. Ein Dichter muss diese Eigenschaft nutzen. Er ist in Novalis´ Augen produktiv; er reproduziert keine vorausgegangene Wirklichkeit, sondern produziert Bedeutungen. ... Da die Sprache kein mimetisches, sondern ein selbstständig arbeitendes Zeichensystem ist, kann der Dichter wie ein Konstrukteur mit ihr umgehen. Er kann Bedeutungen entstehen lassen, indem er in Analogie zur Arbeitsweise eines Komponisten oder eines Mathematikers Worte in willkürlicher Weise zusammenfügt.« #12 Nach Kintz führt diese Denkweise bei Novalis zu der Überzeugung, dass ein Maler »genau so frei in der Wahl und im Zusammenfügen seiner Motive (ist) wie ein Dichter oder ein Komponist... (und) auf diese Weise die Malerei viel mehr zeigen (kann) als was die sichtbare Wirklichkeit ... darbietet.« #13 Unter anderer Akzentsetzung und mit der programmatischen Intention darzulegen, was moderne Dichtung sei, zeigt Kintz, dass der Fantasie auch bei Friedrich Schlegel eine »überherrschende Rolle« zukommt und stellt als dessen Auffassung dar, dass «ein moderner Dichter, der zum Beispiel Natur beschreibt, ...nicht die Natur wieder (gibt), sondern das von ihm selbst gebildete Konzept `Natur´.« #14

Bei der »Suche nach den Formulierungen des Problems, vor dem (Runge) stand«, vertieft sich Kintz in dessen Schriften, die sie freilich »nicht, wie meistens in der Runge-Forschung, als Schlüssel zum Verständnis seiner Kunstwerke wertet.« #15 Vielmehr stellt sie fest, »dass er alles andere war als der naive, religiös inspirierte Künstler, den die Runge-Forschung so stark hervorhebt, sondern im Gegenteil sehr bewusst die Position eines modernen Künstlers einnahm. In den Augenblicken, in denen er sich die ausdrückliche Frage stellt, ob es wohl möglich sei, Gott oder das Unendliche darzustellen, zeigt sich, dass er einerseits vor allem die Unmöglichkeit davon einsieht und andererseits begreift, dass das, was er wohl darstellen kann, sein eigenes Bild des Unendlichen ist.« #16

Im Hinblick auf die aufgezeigte Problematik ist es für Kintz weniger von Interesse, »welche Bedeutungen (Runges) Werke enthalten, sondern wie (er) erreichte, dass überhaupt Bedeutungen entstehen konnten...: Welche Motive musste er wählen, nach welchen Prinzipien musste er sie auf der Leinwand zusammensetzen und wie konnte er dafür sorgen, dass sie etwas suggerieren, was sie nicht zeigen können? Kurz gesagt lautet die Frage: wie setzte Runge seine Mittel ein, um die grenzenlosen Bedeutungen hervorzurufen, um die es ihm ging?« #17 Dazu versucht Kintz »Schritt für Schritt (zu) erforschen, ...wie er seine Werke aufbaute ... bis zum vollendeten Werk, in dem das unsichtbare Unendliche sichtbar werden sollte.« #18

III)

Bei aller von P.O Runge geleisteten Entdeckung und Durchdringung der Problematik, ob das Unendliche in der Kunst materiell darstellbar ist oder eben nicht, geben seine Schriften und Werke darüber keinen klaren Aufschluss noch scheinen sie eine eindeutige Interpretation zur Beantwortung dieser Frage zuzulassen. #19 Und obwohl auch Kintz die Problematik in aller Deutlichkeit erkannt und herausgearbeitet hat, lassen ihre Ausführungen ebenfalls keine klare Entscheidung für oder gegen eine der beiden Alternativen zu. Vielmehr weisen ihre changierenden Formulierungen auf eine ziemliche Unentschiedenheit hin:

Einerseits lässt Kintz an mehreren Stellen keinen Zweifel, dass es eine »Unmöglichkeit« sei, das Unendliche in »körperlicher Form« darzustellen. Andererseits relativiert sie dieses Diktum, indem als Subtext nahegelegt wird, ob nicht zu einem anderen »Zeitpunkt in der Geschichte der Bildenden Kunst« oder mit anderen als »den mimetischen Mitteln der Malerei« oder auch in einem anderen Medium als der Malerei doch die Möglichkeit dazu bestehen könne. Darüber hinaus formuliert sie sogar explizit, »dass das, was der (Künstler) wohl darstellen kann, sein eigenes Bild des Unendlichen ist«; - als ob die Subjektivierung des Unendlichen dessen Darstellbarkeit generell erleichtert.

Ebenso schafft die am Ende der Zusammenfassung von Kintz angebotene Formulierung, die als Lösung des Problems ein Kunstwerk beschwört, »in dem das unsichtbare Unendliche sichtbar werden soll«, keine rechte Klarheit. Denn dass das Unendliche »sichtbar« sein soll suggeriert zwar, es könne durch die Perzeption einer entsprechenden materialen Darstellung gegeben sein. Aber dafür wäre die Annahme erforderlich, dass außergewöhnliche, geradezu als wundersam zu bezeichnende Qualitäten eines Kunstwerkes die Darstellbarkeit des Unendlichen ermöglichten. Wenn aber diese Möglichkeit bei nüchternerer Betrachtung ausgeschlossen wird, was anderes ist dann denkbar, als dass das Unendliche im Bewusstsein als Vorstellung generiert (also eben nicht repräsentiert) wird und so Sichtbarkeit gewinnt. #20 Insofern bleibt in Konsequenz der Kintzschen Gedankengänge zu konstatieren, dass sich die »Sichtbarkeit« des Unendlichen sowohl der materialen Darstellung als auch der mentalen Vorstellung verdanken könnte.

Das hier für die Darstellung bzw. Vorstellung Gottes oder des Unendlichen aufgeworfene Problem ist also noch längst nicht gründlich genug durchdacht und ausdiskutiert. Seine Bearbeitung ist umso erforderlicher, als es alle geistigen Gehalte der Kunst wie etwa das Metaphysische, Transzendente oder Spirituelle betrifft. Insofern ist die Problematik von ungebrochener Aktualität und eröffnet zudem gewinnbringende Perspektiven, um auch Diskurse über die Zukunft der Kunst zu führen. Denn schließlich stellt sich damit ebenso grundsätzlich wie konkret die Kernfrage, wie es sich mit dem Geistigen in der Kunst überhaupt verhält:

* Ist das Geistige in seiner höchsten Ausprägung im und als Werk von Künstlern gegenständlich darstellbar?

* Oder aber können die Künstler und entsprechend auch die Betrachter es sich allein subjektiv vorstellen?

* Oder sind darüber hinaus andere Konzeptionen denkbar, durch die sich die Alternative von Darstellbarkeit oder Vorstellbarkeit des Geistigen in der Kunst aufheben lässt?

* Oder handelt es sich grundsätzlich um eine mehr oder minder verfehlte Fragestellung, die einer Reformulierung bedarf?

* Oder sollte die Kunst angesichts der offensichtlichen Schwierigkeiten auf geistige Ansprüche ganz verzichten, was dann allerdings zugleich die Frage nach einer anderen Bestimmung ihrer Funktionen aufwirft.

* Schließlich bleibt noch die Frage, ob oder inwiefern das, was Kunst ausmacht, als eine materiale oder aber allein als eine mentale Qualität anzusehen ist.

Die Auseinandersetzung mit diesen Fragestellungen kann bedeutsame und weit reichende Konsequenzen haben, da davon prinzipiell abhängt, wie etwa der Status des Werkes, die Modi der Kunstproduktion und -rezeption sowie die Konditionen der Kunstökonomie (neu) zu bestimmen sind. Aufgrund ihrer Komplexität ist die dargelegte Problematik gleichermaßen relevant für die Kunst selbst wie für die mit ihr befassten Wissenschaften und überaus brauchbar, einen zentralen Ausgangspunkt für eine umfassende gegenwärtige Kunstforschung zu bieten. Dabei wären auch methodische Überlegungen anzustellen, welche Art von wissenschaftlicher und/oder künstlerischer Praxis sich für eine solche Forschung am Besten eignet.

Idealerweise könnte von Künstlern wie Wissenschaftlern der Typus einer Forschungspraxis entwickelt werden, die sich entsprechend T.W. Adornos Verständnis von Ästhetik als einer Übergangsform zwischen Philosophie und künstlertheoretischer Praxis als »ästhetische« Forschung bezeichnen ließe. #21 Denn einerseits glaubt Adorno, die Kunst müsse "befürchten, (eine) nicht länger anachronistische (philosophische) Ästhetik könne die zum Zerreißen gespannten Lebensfäden der Kunst durchschneiden." Andererseits setzt er auf die Kunst, welche er »nach dem Verlust ihrer Naivität auffordert, die Reflexion sich ein(zu)verleiben und so weit (zu) treiben, dass sie nicht länger als ein ihr Äusserliches, Fremdes über ihr schwebt; das«, so Adorno weiter, »heißt heute Ästhetik." #22 In diesem Sinn darf P.O. Runge, in dessen »Hinterlassenen Schriften« unsere Problematik gründet, als einer der ersten Künstler-Ästhetiker gelten.

Wenn die hier präsentierte Problematik als Forschungsperspektive für die Kunst und die mit ihr befassten Wissenschaften aufgegriffen wird #23, so bedarf ein Aspekt ganz besonderer Beachtung: Der Widerspruch, dass im Kunstwerk »das unsichtbare Unendliche sichtbar werden soll« bzw. kann, ließe sich etwa in einem reinen Gedankenexperiment als ein nur scheinbares Paradoxon erweisen oder etwa durch rhetorische Raffinesse als ein solches hinstellen. Ebenso sind nicht rational argumentierende Problemlösungsversuche denkbar, die etwa parapsychologisch oder (para)religiös fundiert wären und deren Nachvollziehbarkeit allein auf Glauben beruhte. Aber bei aller damit möglicherweise verbundenen theoretischen oder persönlichen Befriedigung, ware es kaum vermeidbar, dass damit für die tatsächliche Kunstproduktion und -rezeption, welche ja im Zentrum aller Forschungsbemühungen stehen, keine rechte Relevanz einhergeht. Denn nach dem Motto: Denken lässt sich Vieles, Tun jeweils nur Eines, gibt es in der Praxis faktisch letztendlich stets nur ein Entweder-Oder. Dieser Vorbehalt gilt allemal gegenüber jedweden nicht rational argumentierenden Problemlösungsversuchen, die etwa parapsychologisch oder (para)religiös fundiert wären und denen allein der Glaube zur Geltung verhelfen könnte.

Anmerkungen:

1 Fraylinger, Christoph (1993): Research in art and design, Royal College of Art Research Papers series 1.1, London 1993

2 Vgl. Borgdorff, Henk (2009): Die Debatte über Forschung und Kunst. In: subTexte 03. Künstlerische Forschung - Positionen und Perspektiven. Hg. Rey, A., Schöbi, S., ipf - Institute for Performing Arts and Film, Zürich 2009, S. 29f

3 Busch, Kathrin: "Künstlerische Forschung - Potentialität des Unbedingten". In:"blind date- Zeitgenossenschaft als Herausforderung", GAK, Verlag für moderne Kunst Nürnberg 2007, S.88-97

4 Vgl. Schenker, Christoph (2009): Einsicht und Intensivierung -Überlegungen zur Künstlerischen Forschung. In: Bippus, Elke (Hg.): Kunst des Forschens. Diaphanes, Zürich-Berlin 2009, S.79-89

5 Busch, K. a.a.O. Kann die Beschwörung des Unbekannten, die vor fast einem Jahrhundert zwar eine Entdeckung und Befreiung bedeutete, heute noch adäquat sein? Vgl. Baumeister, W.: Das Unbekannte in der Kunst. 1947, 1960, 1974, 1988. Diese Frage betrifft übrigens genauso die (post)modernere Rede vom "Anderen".

6 Geht es dabei in erster Linie um eine (rettende?) Aufwertung der Kunst oder besteht auch Interesse daran, gleichsam im Gegenzug einen verbreiteten Typus literarisch und/oder rhetorisch aufgeweichter unsystematisch und unanalytisch gewordener Geistes- bzw. Kulturwissenschaften im Umweg über die Kunst nicht nur künstlerisch, sondern auch als Forschung zu veredeln ?

7 Vgl. Kaube, J.: Manche Hochschulen sind gleicher. Wir simulieren Elite: Die Universitäten vor der Exzellenz-Entscheidung. In FAZ 13.10.2006, S.37. Ein wesentlicher Grund für die vorhersehbare Benachteiligung der Geisteswissenschaftler wird darin gesehen, dass ihnen "ein Begriff davon (fehlt), warum sie das tun, was sie tun, an welchem Problem sie sitzen." Ihr großer Unterschied zu den Naturwissenschaftlern ist, "dass sie ihre Gegenstände fast nie als Probleme beschreiben, die auch anderen einleuchten könnten".

8 Kintz, Pauline A. M.: Alles was wir sehen, ist ein Bild. Philipp Otto Runge in het licht van de vroeg-romantische poezietheorie van Friedrich Schlegel un Novalis. Diss. Universität Amsterdam 2009

9 Kintz a.a.O., S. 339

10 Kintz a.a.O., S. 339 (Hervorhebung durch d. Verf.)

11 Kintz a.a.O., S. 340 (Hervorhebung durch d. Verf.)

12 Kintz a.a.O., S. 341 (Hervorhebung durch d. Verf.)

13 Kintz a.a.O., S. 341

14 Kintz a.a.O., S. 341

15 Kintz a.a.O., S. 343

16 Kintz a.a.O., S. 343

17 Kintz a.a.O., S. 343

18 Kintz a.a.O., S. 343

19 Erst eine gründliche Untersuchung von Runges Schriften könnte sicher erweisen, ob diese Frage tatsächlich im Zentrum seiner romanischen Kunstkonzeption seht und inwiefern möglicherweise doch eindeutige Hinweise für deren Beantwortung zu finden sind.

20 Dass das Leben keine zeitliche Begrenzung hat, haben könnte oder haben sollte ist ein ebensolches ausschließlich im Bewusstsein existierendes Vorstellungsbild und -empfinden.

21 Vgl.: Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken. Stuttgart 1990, und Bubner, Rüdiger: Kann Theorie ästhetisch werden? Zum Hauptmotiv der Philosophie Adornos. In: Bubner, Rüdiger: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt/M. 1982

22 T. W. Adorno: Ästhetische Theorie. Frankfurt 1970., S.505/508 (Einfügungen vom Verfasser)

23 Beruht der allgemeine Unwille, sich auf vorgegebene Problemstellungen einzulassen, oder sich an ihnen abzuarbeiten auf der fälschlichen Auffassung, dass es sich dann auch um einen minder schätzenswerten Typus lediglich angewandter Forschung handele ?


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