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Arbeitsgemeinschaft Jury

Jury

Bekanntlich wird die finanzielle Förderung kultureller Aktivitäten nicht in Lotterien verlost, sondern zumeist in Auswahlverfahren durch Jurys vergeben. Aber ob es sich um Lotterieziehungen oder Juryentscheidungen handelt - auf allgemeines Interesse stößt in jedem Fall ausschließlich das Ergebnis, während die Art und Weise, wie es dazu kommt, meist ein Geheimnis bleibt und dem Walten höherer Mächte zugeschrieben wird. Was dem Wesen des Lotteriespiels entspricht, ist indes bei Juryurteilen völlig verfehlt. Werden die jede Jurierung ausmachenden Entscheidungs- und Selektionsprozesse als solche relativiert, bagatellisiert und ihre (Hinter-)Gründe verschwiegen, bedeutet das eine fahrlässige Verdrängung oder vorsätzliche Verschleierung der Realitäten.

In jedem Fall wird die mit der Beteiligung an solchen Verfahren eigentlich übernommene Verantwortung mehr oder minder ignoriert. Dass sich die Mehrzahl der Juroren, aber auch der Jurierten so verhält, sollte nicht allein mit den bekannten menschlichen Schwächen oder mit einer für das Kunstmetier typischen Mentalität (v)erklärt werden. Vielmehr sind die oft fatalistischen oder zynischen Reaktionen aller Beteiligten ein Ausdruck ihres Unbehagens und als Symptom für die strukturelle Unzulänglichkeit der gemeinhin praktizierten Auswahlverfahren zu werten.

Als gleichsam demokratische Institute der freien, offenen Willensbildung organisiert und praktiziert zu werden, würde nicht nur die Qualität und Legitimität der Auswahlverfahren erhöhen. Auch ihre Akzeptanz und Glaubwürdigkeit nähme erheblich zu, da sie mit jenen die gesamte Moderne prägenden Begriffen von »freier Kunst« und »offenem Werk« strukturell übereinstimmten. Folglich würden die zu beurteilenden künstlerischen und kulturellen Aktivitäten sich nicht mehr prinzipiell von den Auswahlverfahren unterscheiden und auf mehr Gerechtigkeit hoffen dürfen.

VORSCHLAG DER JURY-AG FÜR EIN ANDERES AUSWAHL-/VERGABEVERFAHREN IN DER HAMBURGER OFF-SZENE #1

KULTURPOLITISCHE VORAUSSETZUNGEN

Zwar berufen sich Senat und Bürgermeister gerne auf die Bedeutung der freien Kunst- bzw. Kulturszene für Hamburg als »Kulturmetropole« -gleichrangig mit den Theatern, Museen und ähnlichen Einrichtungen. Betrachtet man aber im Vergleich mit diesen Äußerungen die Beträge, welche die Stadt für die Förderung der freien Kunst bereitstellt, zeigt sich ein eklatanter Widerspruch. Wer von der freien Kunstszene Impulse für die Stadt erwartet, bzw. gar - im Stadtmarketing - davon profitiert, steht aber eigentlich in der Pflicht, sie auch adäquat zu finanzieren.

Während die Anzahl der Künstlerhäuser und freien Kunstorte Hamburgs in den letzten Jahren rasant gestiegen ist, blieb das Budget für die Programmförderung solcher Orte unverändert gering. Daraus ergab sich die Situation, dass die einzelnen Orte immer stärker in Konkurrenz zueinander gerieten und der Anteil der öffentlichen Förderungen an ihrem Gesamtbudget verschwindend gering wurde.

Um diese krasse Mangelverwaltung in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken und eine Verbesserung zu erreichen, startete die Off-Szene im Jahr 2005 massive Proteste.

Die aufgrund der Proteste erfolgte Umschichtung von Mitteln aus der individuellen Künstlerförderung hin zur Programmförderung der Künstlerhäuser und Kunstorte ist allerdings weit davon entfernt, eine Lösung des Problems zu sein, sondern trägt lediglich zu einer Verschiebung der Unterfinanzierung in Richtung künstlerischer Produktion bei.

Die von der Kultursenatorin Frau von Welck geäußerte Einschätzung siehe http://www.thing-hamburg.de/index.php?id=607, dass die Mittel letztendlich der »gleichen Personengruppe« nutzen, basiert auf Unkenntnis der Sachlage: Es gibt durchaus eine große Anzahl in Hamburg lebender bildender Künstler, die weder an Orten der Hamburger Off-Szene ausstellen noch sich an von der Kulturpolitik ausgelobten Programmen beteiligen.

VORGESCHICHTE DER JURY-AG

Als Zugeständnis an die Szene der Off-Kunstorte räumte die Kulturbehörde die Möglichkeit einer selbstverwalteten Vergabe der von der Stadt Hamburg zur Verfügung gestellten Fördermittel ein. In den Förderzeiträumen 2006 und 2007 ist mit zwei unterschiedlichen Verfahren für die Vergabe experimentiert worden:

- Im Jahr 2005 wurde mit einer Art Selbstjurierung experimentiert. (Die Off-Räume waren aufgefordert, per Vergabe von Punkten die eingereichten Programmvorschläge gegenseitig zu beurteilen). Dies wurde jedoch von einem Teil der Off-Räume nicht für praktikabel erachtet.

- Stattdessen wurde im Jahr 2006 eine externe Jury eingesetzt, die über die Mittelvergabe möglichst unabhängig entscheiden sollte. Die Jurymitglieder waren von den Off-Orten selbst in einem nicht näher beschriebenen Verfahren bestimmt worden. Mitglieder dieser Jury waren: Armin Chodzinski, Hans Christian Dany, Belinda Grace Gardner, Olafur Gislason, Dirck Möllmann, Britta Peters, Cornelia Sollfrank. Im Verlauf des Jury-Treffens wurden bereits sehr grundsätzliche Überlegungen zu der Mittelvergabepolitik der Kulturbehörde angestellt, die teilweise in ein Schreiben an die Senatorin mündeten, siehe: http://www.thing-hamburg.de/index.php?id=605.

Die für über 20 Kunstorte zur Verfügung stehenden Mittel von 140.000 Euro wurden nicht nur als absolut unzureichend eingestuft, auch war unübersehbar geworden, dass eine verantwortbare Zuweisung der Mittel mit diesem Verfahren quasi unmöglich ist. Das von der Kulturbehörde begrüßte Jury-Verfahren, die Vergabe der Mittel an eine »Expertenrunde« zu delegieren, schien aus Sicht der Off-Räume keine ausreichende und adäquate Handhabe im Umgang mit der weitreichenden Problematik darzustellen. Infolgedessen entstand die Idee, von einem »Jury-Workshop« die Problematik bearbeiten zu lassen.

Auf Initiative der Hamburger Off-Räume wurden sechs Personen (Michael Lingner, Jan Holtmann, Armin Chodzinski, Claus Mewes, Rahel Puffert, Cornelia Sollfrank) aus dem künstlerischen Feld Hamburgs als Expertenteam eingeladen und im Spätsommer 2007 damit beauftragt, sich im Rahmen eines Workshops mit der Problematik der Jurierung - insbesondere im Hinblick auf selbstorganisierte Kunstorte - zu befassen und einen Vorschlag für ein neues Vergabemodell zu entwickeln. Dabei hat sich die Jury-AG weder in der Rolle gesehen, für die kulturpolitischen Vertreter ein möglichst reibungsloses Verfahren zu entwickeln und dadurch der derzeit betriebenen Kulturpolitik zuzuarbeiten (was die Rolle der AG Bildende Kunst zu sein scheint), noch ist sie bereit, bestimmte Teilfunktionen des Aufgabenbereichs der Kulturbehörde ehrenamtlich auszuführen. Genausowenig versteht sie sich als Sprecherin oder gar Repräsentantin der Off-Szene.

VORÜBERLEGUNGEN DER JURY-AG

Aus Sicht der am Workshop Teilnehmenden bildet die Auseinandersetzung mit und (öffentliche) Verhandlung über die Kriterien und Grundlagen der Bewertung von Arbeitsprozessen und ihren Präsentationsformen einen wichtigen Baustein künstlerischer Praxis. Die Abspaltung und Delegation dieser immanent künstlerischen und tendenziell unabschließbaren Arbeit an scheinbar unabhängige Instanzen ist daher höchst fragwürdig. Mit dem im folgenden vorgeschlagenen Instrument der INNOVATIONSFÖRDERUNG möchten wir deshalb all jene Vorhaben unterstützen, die geeignet sind, die Prozesse der Urteilsbildung und Bewertung wieder an die Arbeit der Kunst- und Kulturschaffenden anzubinden, und letztere darin bestärken, diese Prozesse öffentlich verhandelbar zu gestalten.

Unterschiedliche Vergabemodi sind immer auch politische und inhaltliche Formen, die bestimmte Produktionsweisen begünstigen, andere vernachlässigen und dritte gar nicht erst wahrnehmen. In den meisten Vergabeverfahren wird diese Tatsache auf unterschiedlichste Weise verklärt, in dem zum Beispiel scheinbar unabhängige Jurys gebildet, Experten gekürt und Antragshürden aufgebaut werden. Weil in diesem Zusammenhang die Frage des Geldes von so immens politischer Bedeutung ist und der öffentliche Diskurs auch immer der Leistungsort künstlerischen Handelns ist, halten wir es für notwendig, die Verteilungsformen von Geld selbst zu einem offensiven Thema der Off-Orte zu machen und die Verteilung von Geld zu einer künstlerischen Formfrage zu machen und eben gerade dies auch explizit zu fördern.

Neben grundsätzlichen Erwägungen, s.a.: http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv//ml_publikationen/kt04-1.html , warum ein klassisches Jurierungsverfahren insbesondere für den Off-Bereich problematisch ist, sprechen zusätzlich folgende Argumente ganz praktisch dagegen:

- Als wesentliche Entscheidungsgrundlage der Jury für die Mittelvergabe an die Off-Räume dienten deren bloße Absichtserklärungen für ein künftiges Veranstaltungsprogramm, so dass lediglich die Qualität der Formulierung eines Antrags, aber nicht die des tatsächlichen Programms beurteilbar war.

- Die Off-Räume haben für die Antragsformulierung einen erheblichen Aufwand mit Ungewissem Nutzen zu betreiben, der ihre Arbeit in zeitlicher und programmatischer Hinsicht eher einschränkt.

- Es entsteht die Situation, dass sehr unterschiedliche Orte miteinander in Konkurrenz treten. Wie aber sollte zwischen einem Künstlerhaus wie »FRISE« zum Beispiel und einer kleinen Galerie wie »LINDA« oder gar einem Nicht-Ort wie »noroomgallery« eine Vergleichbarkeit gegeben sein? Kann es die allseits gewünschten objektiven Kriterien überhaupt geben, die den transparenten und gerechten Entscheidungsprozess einer Jury ermöglichen?

- Dazu kommt die Tatsache, dass die zur Verfügung stehenden Mittel lediglich eine Art »Anschubfinanzierung« darstellen, so dass mögliche Qualitätsunterschiede zwischen den Räumen auf ganz unterschiedlich gearteten Arbeitsbedingungen beruhen können und so kein gerechtes Beurteilungskriterium darstellen. Anliegen eines Fördermodells muss es sein, Vielfalt zu sichern, Konkurrenz zu minimieren, eine sinnvolle Verteilung zu erzielen und vor allem vergleichbare Voraussetzungen zu schaffen. Der folgende Vorschlag einer BASISFÖRDERUNG ist auf diese Überlegungen zurückzuführen.

VORSCHLAG DER JURY-AG

Nach einer grundlegenden Auseinandersetzung mit der Problematik von Förderpolitik und Beurteilungspraxis plädiert der Jurierungs-Workshop für eine pauschalisierte sowie formalisierte und insofern vereinfachte und transparente Mittelvergabe hinsichtlich einer Basisförderung (100.000 Euro), während die Innovationsförderung (40.000 Euro) in einem selbstorganisierten Auswahlverfahren vergeben werden soll.

Für die Basisförderung der Off-Räume wurden folgende Modalitäten vorgeschlagen: Antragsberechtigt sind Kunsträume, die

- nachweislich seit einem Jahr existieren und arbeiten;

- im Vorjahr von der Kulturbehörde gefördert wurden und deren Status sich seitdem nicht verändert hat;

- keine kommerziellen Absichten verfolgen und die Fördersumme in einem gemeinnützigen Sinn verwenden wollen;

- für das Antragsjahr über keine Regelförderung verfügen;

- erklären, dass sie auch in 2008 ihre Arbeit fortsetzen wollen.

Nach diesen formalen Kriterien nimmt die Kulturbehörde eine Vorprüfung der Anträge vor. In strittigen Fällen stehen die Mitglieder des Jurierungs-Workhops der Kulturbehörde zur Rücksprache zur Verfügung.

Die tatsächliche Höhe der jeweils zu vergebenden Mittel soll sich aus der für die Basisförderung zur Verfügung stehenden Summe (2007 = Euro 100.000), aufgeteilt auf die Anzahl der antragsberechtigten Off-Räume, ergeben. Dabei kann diese pauschalisierte Durchschnittssumme max. um 33% über- oder unterschritten werden. Als Bemessungsgrundlage für die Abweichung vom Durchschnitt dient die Anzahl der im vorangehenden Jahr tatsächlich durchgeführten Veranstaltungen eines Off-Raumes. Eine entsprechende Dreierstaffelung nimmt der Jurierungs-Workshop nach Sichtung der gestellten Anträge vor. Der Nachweis über die durchgeführten Veranstaltungen hat auf der Basis der Abrechnungen mit der Kulturbehörde zu erfolgen. Als Ersatz können auch aussagekräftige Dokumentationsunterlagen der durchgeführten Veranstaltungen anerkannt werden.

Über die Vergabe der Basisförderung hinaus soll eine sog. Innovationsförderung (2007 = Euro 40.000) vergeben werden. Mit dieser Förderung sollen Vergabeverfahren erarbeitet und auf dem Weg der Selbstjurierung (s.u.) prämiert werden. Für die eingereichten Konzepte sind ein erster Preis von 5.000 Euro und zwei Anerkennungspreise von 1.500 Euro ausgelobt. Eines der Konzepte wird dabei zur Realisierung ausgewählt und dafür mit einer Summe von 25.000 Euro ausgestattet - dies kann, aber muss nicht das Gewinner-Konzept sein. Unabhängig davon wird jede eingereichte Konzeption mit 500 Euro honoriert.

Um die Selbstjurierung der erarbeiteten Konzepte zu leisten, benennen die jeweiligen Orte mit dem Antrag auf Förderung vier verantwortliche Personen (die entweder den Raum repräsentieren, ihm verbunden sind oder auf andere Weise für wichtig erachtet werden). Diese Personen bilden den Pool für eine Jury, aus dem mittels eines Losverfahrens jeweils eine Person pro Raum bestimmt wird, die an der Jury teilnimmt. Die Juryteilnahme wird pro Person mit Euro 100 abgegolten. Diese Jurygruppe beurteilt und bewertet die eingereichten Konzepte nach einem selbstbestimmten Modus in einem öffentlich durchgeführten Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess, vergibt die Preise und schlägt ein Konzept zur Realisierung vor.

Alle Mitglieder der Poolgruppe sind berechtigt und aufgerufen, sich mit Konzeptionen zur Vergabe von Geldmitteln an dem Wettbewerb um die Innovationsförderung zu beteiligen. (Dabei sind unterschiedlichste Konstellationen denkbar: Einzelpersonen, Gruppen, Räume o.a. können kooperieren und eine Konzeption erarbeiten.) Kern der Konzeption sollte es sein, einen Auswahl- bzw. Geldvergabemodus zu gestalten, der aber bei allem utopischen Gehalt als realisierbar angelegt sein muss. Wie das aussehen kann, ist offen. Ein bestimmtes Jurierungsformat ist etwa als Briefwahl, als eine Revue, ein Preisausschreiben, eine kategoriale Bewertungsskala, ein thematisches Auswahlverfahren, ein gruppespezifisches Ausschlussverfahren oder was auch immer, denkbar. Wichtig und wünschenswert wäre allerdings, dass sich die Konzeption in irgendeiner Weise zu der Frage des Öffentlichen verhält: Wird die Vergabe sichtbar? Wo? In welchem Umfang? Wer ist die zu adressierende Öffentlichkeit?

Die zur Realisierung vorgeschlagene Konzeption soll im Förderjahr umgesetzt werden. Wie dies gelingen kann, ob etwa externe Gelder zusätzlich eingeworben werden, das Realisierungsgeld vollständig oder gar nicht als Preis ausgelobt wird, wie die Verteilungssystematiken aussehen und alles andere bedarf weiterer Regelungen.

Zur Verdeutlichung sei ein Beispiel durchgespielt: Es bewerben sich 20 Räume. Diese benennen jeweils vier sogenannte RepräsentantInnen. Es entsteht somit eine Poolgruppe von 80 Personen. Daraus könnten sich etwa 10 Gruppen bilden (bestehend aus x Personen), die jeweils eine Konzeption einreichen und dafür 500 Euro erhalten (10 x 500 Euro = 5.000 Euro). Aus der gesamten Poolgruppe wird eine Jury ausgelost - pro Raum ein Vertreter/eine Vertreterin, d.h. in diesem Fall 20 Personen. Die Teilnahme an der Jury wird mit einer Aufwandsentschädigung von 100 Euro abgegolten (20 x 100 Euro = 2.000 Euro). Im Selbstjurierungsverfahren werden eine Sieger-Konzeption (5.000 Euro) und zwei weitere Preise (je 1.500 Euro) ausgewählt, sowie eine - nicht zwingend eine der prämierten Konzeptionen - zur Realisierung empfohlen (5.000 + 2 x 1.500 = 8.000 Euro). Die Konzeption, die zur Realisierung vorgeschlagen wird, erhält die von den 40.000 Euro übrig bleibenden 25.000 Euro, über die zur Realisierung des Konzeptes nach Kostenplan verfügt werden kann.

VORSATZ DER JURY-AG

Dieses Vorgehen versucht einer Gruppe von Menschen bzw. einem sich als Szene verstehenden Zusammenhang finanziell einen Freiraum zu eröffnen, über konstitutive, politische und öffentliche Bedingungen nachzudenken und Modelle des Umgangs damit zu entwickeln. Dieser hier vorgelegte Vorschlag geht davon aus, dass die Auseinandersetzung mit diesen Themenfeldern notwendig ist, aber neben einer - wie auch immer gearteten - kulturellen Praxis bisher nur als Last begriffen wurde, weil die Auseinandersetzung als Vorleistung für den Erhalt von finanzieller Unterstützung unzumutbare Prekarisierungen verstärkte. Die Grundauffassung der Workshopteilnehmer ist es, dass die Stärke dieses Vorschlages insbesondere darin liegt, dass sich die sogenannte Off-Szene - auch finanziell - selbst beauftragt, Formen für die Kommunikation ihres politischen und kulturellen Selbstverständnisses zu erarbeiten und so nochmals ihre Unabhängigkeit und Bedeutung unterstreicht.

VORAHNUNGEN, VORSTELLUNGEN UND VORMEINUNGEN

Stimmen aus dem Off zur Jurierungsproblematik (aus mails auf echo-intern vom 23.8.07-16.9.08 ohne Beiträge von Mitgliedern der AG-Jury) zusammengestellt von Michael Lingner

24.08.2007-14:20

mein Eindruck ist, dass die kunstfremden Aufgaben wachsen. Wenn ich mir aktuell anschaue,... was es an Energie/Zeit/Geld kostet, um Kunst im öffentlichen Raum zu realisieren und welche bürokratischen Hürden hierfür genommen werden müssen, muss ich sagen, dass es vor zehn Jahren schlicht einfacher war. Was ist das für ein Jury-Workshop?

Beste Grüße

C

17.10.2007-16:25

... Liebe Rahel, ich im Namen der Räume hätte die Bitte, ein kurzes Exposé nach eurer redaktionellen Sitzung anzufertigen. Nur ganz kurz, eine halbe Seite eventuell - wenn es sich so kurz fassen lässt. Wir würden gerne die Möglichkeit und Zeit haben, uns über die Ergebnisse Gedanken zu machen bis Sonntag.

LG:D

26.10.2007-00:58

D, alle,

in Bezug auf dieses Produkt ist eine eventuelle Abstimmung wohl nur als unverbindliches Meinungsbild zu verstehen, wie?

E

26.10.2007-11:44

Hallo...

ich verstehe es nicht ganz, warum ausgerechnet am letzten Abend des WSW »Festivals« das Thema Jurierung noch durchgepresst werden muss.... Just an diesem Abend alles durchzudiskutieren und zu irgendwelchen (Be-)schlüssen kommen zu wollen, finde ich unangebracht.

mit einem Gruß F

27.10.2007-00:46

Liebe Gruppen,

das scheint mir wirklich ein wenig arg über's Knie gebrochen. Gerade dann, wenn der vorliegende Vorschlag so weitreichende Änderungen birgt, d.h. für die allergrößte Mehrzahl der Bewerber nur eine dürftige Basisförderung (wenn man mal von dem üppigen »Spielgeld« absieht, das ja nach dem Vorschlag der Jurygruppe nicht mehr für die Programme der einzelnen Räumen zur Verfügung stehen soll).

Gruß, G

27.10.2007-12:19

Liebe Interns - wenn ich dieses fleissige und üppig formulierte pdf durchlese, gefällt es mir am besten, die ganze Sache als Steilvorlage für eine neue Protestrunde zu sehen, zurück von »wir sind woanders« zum »wir sind dagegen«... denn: im ernst kann niemand mit noch so schön gesetzten Worten eine Gießkannenförderung kombiniert mit einem Meerschweinchenrennen vorschlagen, oder ? ... ok ok - am Rande wird versprochen, es soll nicht so viel Antragsaufwand geben....

also - es kann nicht anders sein: das ganze ist ein Provo-Pack! ... denn: die altbekannten Fakten sprechen ja für sich: es ist deutlich VIEL zu wenig Geld, um »selbst« für die Verteilung verantwortlich gemacht zu werden. Deswegen ist mein Statement zu dem in dem Papier vorgestellten Procedere der gute alte Bartleby-Ausspruch: »I would prefer not to«.

mit den besten wünschen und bis Sonntag vielleicht ?

H

29.10.2007-17:11

Vielleicht geht es mich nichts an, aber das Verfahren ist doch mal zu hinterfragen. Eure Spontaneität in allen Ehren, aber es wäre doch schön, die Hamburger Räume über Abstimmungen zu informieren. An einem vollgepackten Tag abends überlebenswichtige Abstimmungen durchzuziehen, das könnte man sich in der großen Politik nicht erlauben.

Mich wundert, dass sich kein Widerstand regt, vielleicht weil die Verantwortlichen der Räume schlicht uninformiert sind. Wo ist ein Protokoll über den gestrigen Abend ? .... Warum schweigt ihr ? ...

Leute, Leute! Es grüsst, A

30.10.2007-10:10

Man darf aber doch wohl sagen, dass die Vorlage des »würgshops« keine allgemeine Zustimmung erfahren hat, oder?

Und man darf daran erinnern, dass ich geraten habe, für diese Dinge, als Spezialinteresse vorwiegend von Michael Lingner und Jan Holtmann, einen eigenen Förderantrag zu stellen.. . Wir gehen bei uns nun davon aus, dass die Antragsdinge in etwa wie beim letzten Mal sein werden, oder weiß jemand anderes?

E

30.10.2007-11:34

... nebenbei: als newbies im Kulturzirkus sind wir ... ein wenig enttäuscht, wie schnell wichtige Diskussionspunkte in der Runde auf eine persönliche Ebene abdriften.

Mit herzlichen Grüßen J

30.10.2007-12:26

Da schließe ich mich an: es ist peinlich und absolut unangebracht!

Wer nicht begriffen hat, dass wir mit all diesen Diskussionsrunden, Wir sind woanders-Festivals, Jurierungs-Workshops VERSUCHEN, ZUSAMMEN eine Lösung zu finden , hat nichts begriffen und meiner Meinung nach auch dort nichts zu suchen. Der sollte wenigstens ehrlich sein und sagen, dass er zurück zu alten Zeiten will und dass ihn nur seine eigene Welt interessiere.

K

30.10.2007-17:23

Liebe Diskutanten,

Um dem Ganzen ein wenig Wind aus dem Segel zu nehmen, wir haben schon mehr als einmal das Geld selbst verwaltet, somit die Utopie von Herrn Lingner & Co. oft durchgeführt. Es gibt einfach einen sehr großen Unterschied zwischen Selbstjurierung und Selbstverwaltung, die Autonomie ist dabei die gleiche. Eine Selbstjurierung, sprich eine Beurteilung der Arbeit des anderen wird jede Art von Zusammenhalt und Kollegialität zerstören. Ich würde mich einer solchen Vorgehensweise, wenn ich davon nicht abhängig wäre, unter allen Umständen verweigern... Wir haben bei beiden Festivals eine Selbstverwaltung von Geldern durchgeführt, wenn das Geld reicht, gibt es keinerlei Probleme...

Wer garantiert denn, dass Selbstjurierung künstlerische Qualität bewertet oder die Räume aufzeigt, die der sogenannten »Kunst« am effizientesten zuarbeiten. Auch bei der Selbstjurierung geht es letztendlich um Beziehungen untereinander. Ich halte sie nicht für die große Utopie, als die sie angepriesen wird.

LG:D

13.01.2008-15:21

Liebe Verbündete,

es ist eklatant, mit welcher Kurzentschlossenheit alternative Strukturansätze hier abgeschmettert werden, sobald es auch nur den Anschein hat, dass die eigenen (vor allem monetären) Interessen zu kurz kommen....

Mit besten Grüßen, J

28.01.2008-11:47

Eine Jury mit selbstgewählten Wunschkandidaten birgt die große Gefahr des Klüngels in sich. Ich kann nicht kritisieren, was die Politik macht, und mich dann selber auch so verhalten. Ausserdem ist der (Kolleglnnen-)Jury die Mangelverwaltung eigentlich nicht zuzumuten. Politisch gesehen hat die KB/Stadt nämlich die Verantwortung dafür.

Gruss. E

20.08.2008-13:53

Ich schlage vor: vor dem Termin (bis zum 8. September zum Beispiel) in der KB eine schriftliche Abstimmung der antragstellenden Räume über Jurierungsfragen (damit wir es schriftlich haben, damit auch die, die (die Reaktionen am) Sonntag, 2. November 07 für Jubelstürme gehalten haben, überzeugt werden. Und damit das Thema endlich ad acta gelegt werden kann.)

Ich glaube, über Details sind alle im Laufe der letzten 2 Jahre informiert, es steht:

Fremdjurierung (mit von uns vorgeschlagenen Juroren und Bewertung der Jahresprogramme) gegen Selbstjurierung (bzw. eine pauschale Teilung der Gelder, unabhängig vom Programm, Größe und Eigenheiten + Innovationspreis, also letzter Stand der Dinge)

D

16.09.2008-10:02

ich schließe mich D und A an und: wüßte das auch gerne.

Wenn die Goernandt/Holtmann/Lingner-Gruppe so an ihrem Konzept festhält, wäre es jawohl sinnvoll zu sagen, welche Gründe sie dafür haben? Also zu argumentieren !!!!

B

NACHBETRACHTUNG DER JURY-AG HAMBURG, 6.11.2007

Sehr geehrte Frau Senatorin von Welck, sehr geehrte Frau Mittelberg,

anbei übersenden wir Ihnen das Ergebnis des »Workshop Jurierung Programmförderung der Hamburger Künstlerhäuser und Kunstorte« und möchten uns beim Kunstverein LINDA e.V., insbesondere Oliver Goernandt für die Initiative dazu und die Organisation bedanken.

Wie Sie wissen, fand am Sonntag 30.10.07 eine Präsentation des von uns erarbeiteten Modells vor einigen VertreterInnen der Künstlerhäuser und Kunstorte statt. Die Stimmung an dem Abend war wenig diskussionsfreundlich, so dass weder das von uns entwickelte Modell noch die Überlegungen, die dazu geführt haben, sinnvoll erörtert werden konnten. Dass weder die Aufgabenstellung des Workshops noch sein Zustandekommen und seine Zusammensetzung die Zustimmung eines Teils der anwesenden Vertreter gefunden haben, mag zum einen daran gelegen haben, dass der Informationsstand der Anwesenden uneinheitlich war, zum anderen verfolgen die einzelnen Orte durchaus unterschiedliche Strategien im Hinblick auf die Vertretung und Durchsetzung ihrer Interessen.

Die Szene der Hamburger Künstlerhäuser und Kunstorte ist eine lose Interessengemeinschaft, die nicht über ein definiertes Repräsentations- und Abstimmungsmodell verfügt, was bereits im letzten Jahr zu Unmut über die Zusammensetzung der Jury geführt hat. Insofern sahen wir uns auch am letzten Sonntag mit dem grundsätzlichen Problem konfrontiert, dass personell stärker vertretene Orte ihre Interessen deutlicher zum Ausdruck bringen konnten, als andere, die womöglich gar nicht anwesend waren. Selbst wenn am Sonntag eine Abstimmung erfolgt wäre (was nicht der Fall war), wäre die Legitimität einer solchen Abstimmung in Zweifel zu ziehen.

Nichtsdestotrotz würden wir gern an dieser Stelle nochmal verdeutlichen, was unser Ansatz war. In unserem Modell spielt der Versuch, von einem simplen Repräsentationsmodell (Delegation an eine Jury) zu einem Konzept der Möglichkeit von Partizipation überzugehen, die entscheidende Rolle. Das scheint in einer auf Partikularinteressen angelegten politischen Tradition schwer vorstellbar, könnte aber genau die Herausforderung sein, die sich mit dem Selbstverständnis der selbstorganisierten Orte trifft. Die Mehrarbeit, die es im Vergleich zum Jury-Modell bedeutet, haben wir als zu entlohnende Arbeit in unser Modell integriert.

Wir bitten Sie, unser Modell vor dem oben dargelegten Hintergrund zur Kenntnis zu nehmen, und möchten Sie an dieser Stelle an Ihre Verantwortung im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Hamburger Off-Szene erinnnern und würden es begrüßen, wenn Sie deren selbstorganisierten Charakter möglichst berücksichtigen und fördern würden.

Wie auch im Rahmen unseres Modells dargestellt, stehen die Mitglieder des Jury-Workshops für eine weitere Jury-Notlösung, deren personelle Besetzung sowieso nur wieder ohne wirkliche Legitimierung Zustandekommen kann, nicht mehr zur Verfügung. Zu einer inhaltlich anspruchsvolleren Weiterarbeit an dieser Problematik erklären wir uns jedoch gerne bereit. Vorbild dafür könnten andere europäische Länder sein, wie etwa Österreich odei Frankreich, in denen längst intensiv mit alternativen Auswahlverfahren als den Herzstücken von Selbstorganisation experimentiert wird.

Es wäre schade, wenn insbesondere die mit der von uns konzipierten »Innovationsförderung« verbundenen positiven Perspektiven für den Kulturstandort Hamburg verspielt werden sollten. Bereits jetzt ist Anlass zu großer Sorge, dass, im Verhältnis zu anderen Kulturbereichen, die strukturelle Förderung und Weiterentwicklung der zeitgenössischen bildenden Kunst in Hamburg stark vernachlässigt wird.

Mit freundlichen Grüßen,

Armin Chodzinsky

Jan Holtmann

Michael Lingner

Claus Mewes

Rahel Puffert

Cornelia Sollfrank

Nach dem im Oktober 2007 unternommenen Versuch der Jury-AG, die Off-Szene für die Entwicklung alternativer Modelle zur Vergabe finanzieller Fördermittel zu interessieren, hat es in dieser Sache keine weiterführenden Diskussionen und Aktivitäten mehr gegeben, weder seitens der Betroffenen noch seitens des Geldgebers. Vielmehr haben die Off-Räume 2008 erneut in einem informellen Verfahren selbst die Jurorinnen für das Vergabeverfahren ihrer eigenen Fördermittel benannt und der Kulturbehörde vorgeschlagen, die dann eine entsprechende Jury eingesetzt hat. Es gibt bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass man in 2009 anders vorzugehen gedenkt. Dieses Procedere verletzt vorsätzlich die Grundstandards der allgemein anerkannten (wenn auch unzulänglichpraktizierten) Unabhängigkeit von Jurys und ist eine Form organisierter Kumpanei, die nicht dadurch weniger illegitim ist, dass sich eine Behörde daran beteiligt. Angesichts der Folgen der globalen Finanzkrise sowie der regionalen Etablierung eines »Kreativwirtschaftsclusters« durch die Hamburger Politik werden allerdings die bisherigen bequemen Vergabepraktiken bald ohnehin der Vergangenheit angehören. Wenn die Hamburger Off-Szene nicht mehr nur dem Namen nach existieren will, wird sie eine künftige direkte oder indirekte Mittelvergabe durch die »Hamburg Kreativ GmbH« nicht akzeptieren können und wird sich umgehend mit Formen selbstorganisierter Auswahl- und Vergabeverfahren ernsthaft auseinandersetzen müssen.

Redaktion: Michael Lingner mit Nora Sdun und Jan Holtmann

1 Abgesehen von dem kursiv gesetzten, der Kontextualisierung dienenden Vor- und Nachwort handelt es sich bei dem übrigen Text um eine redaktionell bearbeitete, aber inhaltlich unveränderte Version des von der Jury-AG seinerzeit schriftlich vorgelegten Vorschlages, dem verschiedene Originaldokumente hinzugefügt wurden.


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