ask23 > Lingner: Kunstvermittlung als künstlerische Aufgabe?

Michael Lingner

Kunstvermittlung als künstlerische Aufgabe?

Formate partizipatorischer Kunst(auf)führungen / Ein Projektbericht

Veranlasst durch die Anfrage, mit Studierenden ein Vermittlungsprogramm für das off.kunst.festival.subvision zu entwickeln, habe ich seit dem SoSe 2008 an der Hochschule für bildende Künste Hamburg ein Theorie-Praxis-Projekt zur Kunstvermittlung durchgeführt. Dabei kam es zunächst darauf an, den Studierenden ganz generell die notwendige Funktion der Kunstvermittlung für das Verständnis moderner Kunst durch den folgenden (zusammengefassten) Gedankengang nahe zu bringen:

Je konsequenter es der Kunst seit dem 19. Jahrhundert gelang, sich von kulturellen Überlieferungen und kunstfremden Inhalten unabhängig zu machen, desto mehr konnte sich die Idee der Unmittelbarkeit ästhetischer Erfahrung durchsetzen. Dass es möglich sei, auf eine unvermittelte, quasi voraussetzungslose Weise ästhetische Erfahrungen zu machen, war eine Vorstellung, die bis heute ebenso nahe liegend wie verlockend geblieben ist.

Wo allerdings infolge der Weiterentwicklung künstlerischer Autonomie sich etwa die Avantgardekunst soweit aus dem Traditionszusammenhang löst, dass selbst deren künstlerische Herkunft der Anschauung verborgen bleibt, ist sogar die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Kunstbegriff zwangsläufig erforderlich, damit ästhetische Erfahrung überhaupt möglich wird.

Insofern taugt besonders angesichts experimenteller, alternativer und innovativer Kunstformen ein unwissendes, reines Sehen nicht als geeignete Rezeptionsform. Das oft genug dogmatisch verfochtene reine Sehen ist nicht etwa vor, sondern - wenn überhaupt - im Überschreiten aller Begrifflichkeit zu erlangen: Ästhetische Unmittelbarkeit ist prinzipiell nur als vermittelte möglich.

Gerade aufgrund ihrer Unverzichtbarkeit ist jede Kunstvermittlung allerdings so zu leisten, dass die eigene ästhetische Erfahrung des Kunstinteressierten nicht durch fremde begriffliche Erklärungen ersetzt wird. All das, was begrifflich überhaupt vermittelbar ist, darf nicht mehr als bloß ein Vorwissen bieten, das die zwar notwendige, aber eben nicht hinreichende Voraussetzung ist, um eigene ästhetische Erfahrungen zu machen. Vom Kunstpublikum ist dann allerdings die Bereitschaft gefordert, mögliche Verständnisschwierigkeiten als gleichsam rudimentäres ästhetisches Erlebnis höher zu schätzen, als irgendein ihnen vermitteltes begriffliches Surrogat.

Als Grundlage für die Bearbeitung der konkreten Aufgabe durch die Studierenden dienten dann folgende, teil spekulative Überlegungen, inwiefern sich subvision gegenüber anderen Kunstveranstaltungen durch bestimmte Besonderheiten auszeichnen wird:

a) Temporäre und atypische Ausstellungsarchitektur und -struktur

b) Weniger statische Objekte als dynamische Prozesse werden präsentiert

c) Relativ große Unvorhersehbarkeit der präsentierten Dinge und Ereignisse

d) Weitgehende kunsthistorische und kunsttheoretische Ungesichertheit der Exponate

e) Räumlich und inhaltlich hochkomplex strukturiertes Ausstellungsprojekt

f) Aufgrund kritischen Selbstverständnisses keine primär kommerziellen Interessen

g) Weitgehende Anwesenheit der beteiligten KünstlerInnen

Aufgrund dieser spezifischen Bedingungen sollten bei der Konzeption der Vermittlungsangebote folgende Gesichtspunkte besondere Berücksichtigung finden:

a) Die (auch topografische) Orientierungsfunktion der Kunstvermittlung

b) Die Vermittlung des Ereignis- und ggf. Handlungscharakters der künstlerischen Arbeiten

c) Die geringe Vorbereitungszeit seitens der Vermittler für die Aneignung der Vermittlungsinhalte

d) Die Praktizierung der Vermittlung als dialogische Befragung statt als monologische Belehrung

e) Die Auswahlfunktion der Vermittlung durch transparente Themensetzungen für einzelne Führungen

f) Die Konzeption der Vermittlung als Diskussion kunst- und publikumsbezogener Problematisierungen statt als Marketinginstrument für KünstlerInnen und Werke

g) Die weitgehende Integration von KünstlerInnen in den Vermittlungsprozess

Zu Beginn der Projektarbeit beschäftigten sich die Studierenden zunächst mit verschiedenen Theorieansätzen zur Kunstvermittlung. Begleitet wurde dies durch die Auseinandersetzung mit einigen Beispielführungen sowohl konventioneller als auch künstlerischer Art wie etwa ein Besuch im Bucerius Kunstforum Hamburg oder die Präsentation eines Videos von Andrea Fraser. Nach der Diskussion einerseits positiver sowie problematischer Aspekte solcher Vermittlungspraktiken kamen die Studierenden bald auf erste Ideen, worin sich davon die Kunstvermittlung beim off.kunst.festival.subvision unterscheiden könnte.

Aus der weiteren Reflexion und Spekulation über die spezifischen Merkmale von Off-Kunst und unter Berücksichtigung des für subvision vorgesehenen Festivalcharakters kristallisierte sich dann für die Studierenden als konkrete Aufgabe die Entwicklung geeigneter Vermittlungsformate heraus. Motiviert war das einerseits durch pragmatische Gründe, da die an subvision teilnehmenden Off-Gruppen ihre Arbeitsergebnisse erst kurz vor Beginn oder sogar erst während des Festivals präsentieren. Zum anderen sprachen aber auch grundsätzliche Überlegungen dafür, insofern die klassische Form der belehrenden Frontalführung kaum zur Off-Kunst passt und weder deren Eigenheiten noch den damit einhergehenden Erwartungen des Publikums gerecht wird. Da es also darauf ankam, neue Formen zu finden, war Kunstvermittlung selbst als eine künstlerische Aufgabe zu begreifen.

Die weiteren Überlegungen führten bei den Studierenden zu dem Entschluss, sich auf die Konzeption von solchen Vermittlungsformaten zu konzentrieren, bei denen das Publikum eine aktive Beteiligung am Vermittlungsprozess übernehmen könnte und ebenso die bei subvision anwesenden KünstlerInnen einbezogen würden. Zudem sollten die Formate aus einzelnen Modulen bestehen, um flexibel auf wechselnde Gegebenheiten reagieren zu können und allen Beteiligten die wünschenswerte Intensität und Freude im Vermittlungsprozess zu erhalten.

Darüber hinaus kam es darauf an, die Vermittlungsformate so aufeinander abzustimmen, dass sich in ihnen ein breites Spektrum ganz unterschiedlicher Zugangsweisen zur Kunst spiegelt.

Im Wintersemester 08/09 entwickelten die Studierenden schließlich konkrete Vorschläge für das Vermittlungsprogramm. Einige davon wurden so weit ausgearbeitet, dass sie am Ende des Semesters im Kunsthaus bei einer Ausstellung der Hamburg-StipendiatInnen praktisch erprobt werden konnten. Die dabei gewonnenen Erfahrungen wurden auch unter Einbeziehung externer Experten (u.a. Goesta Diercks, Kunsthaus, Deichtorhallen) eingehend besprochen. Was die Studierenden davon an Einwänden und Anregungen aufnehmen konnten, haben sie in ihre Konzepte eingearbeitet. Jedes zielt darauf, dem Publikum eine ganz spezifische Auseinandersetzung im Spannungsfeld zwischen Verstehen, Erfahren und Geschehen von Kunst zu ermöglichen, so dass es sich für das Publikum durchaus lohnen kann, an verschiedenen Touren (ggf. auch zu denselben Exponaten) teilzunehmen.

Im SoSe 09 sind dann die Endfassungen der Vermittlungsformate erarbeitet worden, welche die Studierenden während des subvision-Festivals anbieten und durchführen wollen. Als Gedankenstütze für die Vermittlung und um die Konzepte auch als Texte lesbar zu machen, sind sie wie Drehbücher formuliert. Selbstverständlich werden die Konzepte bei subvision mündlich präsentiert und durch die persönlichen Temperamente und Haltungen der VermittlerInnen belebt. Darüber hinaus werden sie auf die Eigenheiten der dort gezeigten Arbeiten sowie auf spezifische Publikumsinteressen (etwa auch die von SchülerInnen) zugeschnitten.

Alle auf den Ideen einzelner Studierender basierenden Vermittlungsformate sind in Gemeinschaftsarbeit des team*partake entstanden, das sich im Projektverlauf gebildet hat und von dem mit folgenden Angeboten das Vermittlungsprogramm bei subvision realisiert wird:

FAQ- frequently asked questions on art

Idee/Realiserung: Anja Bischoff

Kann heute eigentlich alles Mögliche Kunst sein? Was bedeutet dieser Begriff dann noch? Wozu überhaupt Kunst? Und was bringt sie mir? Fragen über Fragen....

Neugierde, Verunsicherung, Skepsis und Faszination - bei der Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst reagiert jeder etwas anders! Diese Führung soll eine Grundlage bieten, um im gezielten Befragen von Beispielen aus der Ausstellung eigene Sichtweisen und Interessen zu formulieren und dabei alte Gewissheiten neu zu überprüfen. Lassen Sie sich auf Abwege und Umwege in der Ausstellung entführen! Entdecken Sie Ihre Möglichkeiten und Grenzen bei der Annäherung an den Suchbegriff Kunst im Gespräch!

Cross-over

Idee/Realisierung: Kirstin Burkhardt

Statt von Werken spricht man heute im Zusammenhang mit Kunst eher von Arbeiten. Was aber steckt hinter der Verwendung dieses Begriffes? Was soll das eigentlich sein eine künstlerische Arbeit? Und wie lässt sich ihre Qualität überhaupt bewerten? Tritt diese möglicherweise gar nicht immer sichtbar in Erscheinung? Denn das Kunsthafte muss sich schließlich nicht in ihrer Materialität erschöpfen. Um sich einer Beantwortung dieser Fragen zu nähern, wollen wir gemeinsam den alltäglichen Arbeits-Begriff auf den künstlerischen Kontext beziehen und seine jeweilige Verwendung untersuchen.

Blind Date - Begegnungen mit Künstlern und ihrer Kunst

Idee/Realisierung: Inke Schlör

Was passiert, wenn man als Kunstbetrachter nicht nur die Kunstwerke, sondern auch die Künstler befragen kann - wenn einem also der Künstler als Kenner seiner eigenen Arbeit selbst Zugänge zu seinen Werken eröffnet?

Wenn man davon ausgeht, dass der Künstler als Experte bei der Kunstvermittlung hilfreich, vielleicht sogar nötig ist, liegt die Frage nah, wie seine Kunst überhaupt entstanden ist: Die künstlerischen Arbeitsprozesse geraten in unseren Blick. Den Weg von der ersten Idee über verschiedene formale Umsetzungen bis hin zur fertigen materiellen Manifestation gilt es zu befragen. In dieser Führung wird die besondere Möglichkeit gegeben sich zum einen mit ausgewählten Arbeiten zu beschäftigen und zum anderen mit dem jeweiligen Künstler darüber in ein Gespräch zu kommen.

Multiple Choice - Entdecken, wodurch Kunst zur Kunst wird

Idee/Realisierung: Julia Ziegenbein

Unter welchen Voraussetzungen wird etwas als Kunst angesehen und/oder als solche erfahren? Und was hat die so genannte »Vermittlung« eigentlich damit zu tun?

Eine performative Vermittlungsaktion, die sich auch über den Rahmen der Ausstellungsräume hinaus auf die Suche nach immer wieder auch anders möglichen Antworten auf diese Fragen macht. Auf überraschende und vielfältige Weise werden Sie durch die Verwicklung in ein gemeinsames Ausstellungsgespräch Kunst neu erleben.

Fast Food - Menü 1-3

Idee/Realisierung: Nora Klumpp

Was ist subvision? Und was bedeutet off eigentlich genau?

In 3 etwa fünfzehnminütigen Kurzführungen wird versucht, beiden Fragen näher zu kommen.

Menü 1: Die Teilnehmer dieser Führung haben die Möglichkeit, aus vier thematischen Aspekten denjenigen auszuwählen, der bei der anschließenden Führung schwerpunktmäßig behandelt werden soll. Zu jedem Aspekt werden ein oder zwei dafür typische Künstlerinitiativen präsentiert.

Menü 2: Diese Führung ist ein Spaziergang durch Subvision. Er dient der ersten Orientierung auf dem Gelände. Die Teilnehmer haben Gelegenheit, Fragen rund um Subvision zu stellen und bekommen einen ersten Überblick über die ausgestellten Künstlerinitiativen vor Ort.

Menü 3: Besucher erhalten in dieser Führung die Gelegenheit, persönlich einen Künstler bei seinen Arbeiten zu besuchen. Sie haben so die Chance, den Künstler und seine Intentionen direkt kennen zu lernen. Abschließend besteht auch die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Foto mit dem Künstler.

Die Menü-Führungen sind darauf angelegt, auf unterschiedliche Weise einen ersten Eindruck von subvision und dessen Kontext zu gewinnen, um im Anschluss gezielt tiefer in die Thematik einsteigen und subvision für sich entdecken zu können.

SUBMARINE - Ein Tauchgang in die Tiefen der Kunst

Idee: Johannes Mentzel

Wie wäre es, den Museumsbesucher gegenüber dem Kunstobjekt seiner so dominanten optischen Wahrnehmung zu berauben und damit eine Konzentration auf alle anderen Sinneswahrnehmungen zu erzielen? Könnte es während einer Führung nicht gerade interessant, das Gesagte zunächst auszublenden und das, was vermittelt werden soll, jeden mit seinen eigenen Augen selbst entdecken zu lassen?

First Aid - Erste Kunsthilfe

Idee: Dorothea Brettschneider/Realisierung:team*partake

Die Grundidee besteht darin, eine Art Sanizelt auf dem Ausstellungsgelände zwischen den Containern und Werken aufzustellen, in dem Kunstsanitäter bei Bedarf erste Hilfe leisten können. Das Ziel ist es, den BesucherInnen eine Anlaufstelle zu bieten, die es ermöglicht, sich an professionelle HelferInnen mit den eigenen in der Ausstellung entstandenen Fragen, Unklarheiten, Unzufriedenheiten oder Irritationen zu wenden.

* Anja Bischoff, Kirstin Burkhardt, Michael Lingner, Inke Schlör, Julia Ziegenbein (zeitweilig: u.a. Dorotha Brettschneider, Nora Klumpp, Johannes Mentzel)


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