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Michael Lingner

Exerzitien-Ornamente-Konzepte. Zur Eigenart der Schrift(sockel)bilder im "Theoretischen Nachlass" von Adolf Hölzel

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Michael Lingner

Exerzitien-Ornamente-Konzepte. Zur Eigenart der Schrift(sockel)bilder im Theoretischen Nachlass von Adolf Hölzel

Die Thematisierung von Hölzels Schriftsockelbildern im Zusammenhang mit einem Konvolut seiner hinterlassenen Aufzeichnungen, verspricht besonders aufschlussreich zu sein für das Verständnis wichtiger Aspekte seines nach wie vor unterschätzten künstlerischen Schaffens. Es werden nämlich nicht nur die Hintergründe der Erfindung seiner Schriftsockelbilder und die Genese seiner künstlertheoretischen Produktivität1, sondern auch der fast zwangsläufige Prozess seines Durchbruchs zur Abstraktion im Einzelnen nachvollziehbar. Dabei liegt diesen Überlegungen aber noch keine umfassende und systematische Auswertung des nachgelassenen Materials zugrunde. Die Gründe dafür kommen zur Sprache, wenn zunächst der Nachlass selbst und seine Historie in den Blick genommen werden.

I)

Für das Konvolut nachgelassener Aufzeichnungen aus Hölzels Hand ist erstmals 1988 vom Autor dieses Textes das Attribut theoretisch gewählt und begründet worden2, nachdem die basale Bearbeitung des Nachlass abgeschlossen war. Vorher war von diesem immer nur in unspezifischer und teilweise unzutreffender Weise die Rede, da bis dahin sein Bestand in qualitativer und quantitativer Hinsicht vielerlei Veränderungen unterworfen war. Zwar setzten erste Bemühungen, den Nachlass zu ordnen, zu erschließen und herauszugeben bereits 1935 im Jahr nach Hölzels Ableben ein. Aber erst 1939 wurden diese Bestrebungen von einem Freundeskreis des Meisters ernsthaft weiter verfolgt. Maßgeblich die beiden Hölzel-Schülerinnen Ida Kerkovius und Hildegrad Kress nahmen nun für eine geplante dreibändige Hölzel-Nachlassausgabe die vollständige Durchordnung des Konvoluts vor.

Laut eines aus dem Jahr 1941 stammenden Berichts über die Nachlass-Ordnung wurde ein Umfang von insgesamt 8309 Blättern ermittelt. Davon waren 2212 Blätter als Freie Zeichnungen, 2204 als Zeichnungen in einem Pappkarton sowie weitere 912 als Zeichnungen mit Schrift3 aufgelistet. Als kleine Auswahl aus dem Gesamtbestand wurde im gleichen Jahr ein etwa 200-seitiges, zuletzt wohl noch von Willi Baumeister durchgesehenes Manuskript fertig gestellt4, das anstelle der in den Kriegzeiten unrealisierbar erscheinenden Gesamtausgabe veröffentlicht werden sollte. Jedoch erwies es sich als aussichtslos, dafür vom zuständigen Ministerium in Berlin die Freigabe zum Druck zu bekommen. Seit 1944 existiert lediglich noch eine Durchschrift des Manuskripts bei den Hannoverschen Pelikan-Werken+ im Archiv und befindet sich nun nach deren Verkauf im Kunstmuseum Stuttgart.

Als Anfang der 50er Jahre dem Kunsthistoriker Walter Hess der Nachlass zur Bearbeitung übergeben wurde, hatte sich dieser zwischenzeitlich in Ordnung und Umfang offenbar erheblich verändert. Von den o.g. etwa 5000 Blättern, die als künstlerisch besonders wertvoll gegolten haben mögen , war bestenfalls noch ein Bruchteil vorhanden und 464 eigens erwähnte farbige Arbeiten fehlten fast völlig. Jedenfalls veranschlagt Hess, der nach seinen Angaben das Nachlass-Material nie systematisch erfasst und »nicht geordnet«5 hat, nur noch wohl an die tausend Blätter und mehr.6 Seinen auf wenigen »stenographischen Abschnitten« basierenden, 1963 erschienenen Aufsatz Zu Hölzels Lehre7 bezeichnete Hess als das Ergebnis (s)einer Beschäftigung mit Hölzel8, auch wenn er in eben diesem Text einräumt, dass man Hölzels Lehre nur in einer geordneten Ausbreitung seiner aphoristischen Niederschriften vorlegen9 kann. Diese Weiterbearbeitung ist dann aber unterblieben, weil Hess es später nicht mehr möglich und sinnvoll erschien, aus den nachgelassenen Texten ein ganzes Buch zusammenzustellen, das die »Hölzel-Theorie« enthalten könnte.10 So gibt er das gesamte ihm überlassene Material letztlich unbearbeitet an die Erbin zurück.

Bei einer dann Ende 1983 durch Wolfgang Venzmer11 vertrauensvoll vermittelten Übergabe an den Verfasser befand sich das, was als Nachlass nun noch vorhanden war, in einem beklagenswerten und chaotischen Zustand. Die dringend erforderliche sorgfältige Sichtung, Sicherung und systematische Sortierung des Nachlasses zielte -soweit möglich- auf eine Reorganisation der ursprünglich von Kerkovius und Kress vorgenommenen und glücklicherweise auch dokumentierten Ordnung. Darüber hinaus wurde parallel mit einer vollständigen Transkription der Autografen begonnen, was alles in allem bis zur Fertigstellung mehr als 10 Jahre dauerte.12 Die mit der Zeit immer verlässlicher vornehmbare Bestimmung des Bestandes ergab entgegen der Einschätzung von Hess doch einen Umfang des Nachlasses von über 2000 Original-Blättern, welche 1996, nachdem alle transkribiert waren, die Staatsgalerie Stuttgart von der Erbin angekauft hat.

Eine weitere Erschließung oder gar kritische Herausgabe ist dann aber aufgrund der Besonderheit des Nachlasses unterblieben. Denn dieser besteht nicht nur aus einer immensen Fülle zumeist kürzerer Notizen und Texte Hölzels, sondern schon in einem Dokument kommen oft derart zahlreiche und verschiedenartige Themenkomplexe vor, dass ohne eine Digitalisierung der Transkriptionen oder eben mit einem enormen Personalaufwand nicht an eine chronologisch und inhaltlich genügend detaillierte Erfassung zu denken war. Erst mit Unterstützung der Stiftung Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg und der Stiftung Kunstmuseum Stuttgart konnten schließlich alle Transkriptionen als Bild- und Textdateien zunächst für die Autoren des vorliegenden Kataloges seit August 2008 in Kooperation mit der Staatlichen Hochschule für bildende Künste Hamburg online zugänglich gemacht werden. Auf der dort bestehenden Internet-Plattform ask2313 wird der Verfasser das inzwischen von der Staatsgalerie Stuttgart erworbene Transkriptionswerk voraussichtlich bereits bei Erscheinen dieses Kataloges auch allgemein verfügbar gemacht haben, so dass dann auf eine umfassende und systematische Auswertung des Nachlasses zu hoffen ist.

Jedenfalls hat die bei ihrer Digitalisierung erfolgte numerische Erfassung der Transkriptionen eine Anzahl von exakt 2290 Blätter/Dateien ergeben. Da jedoch für die Transkriptionen aller auf den Dokumenten-Rückseiten befindlichen Aufzeichnungen jeweils separate Blätter/Dateien angelegt worden sind, liegt die noch nicht endgültig ermittelte Anzahl der Original-Dokumente des Nachlasses niedriger. Fakt ist indes, dass von den in der damaligen Nachlass-Ordnung unter Theorie rubrizierten 520 Dokumenten fast alle und von den 1008 theoretisch besonders ergiebigen Aufzeichnungen mitBetrachtungen und Selbstgesprächen noch die allermeisten vorhanden sind. Insofern ist ein künstlertheoretisch wesentlicher Teil des Konvoluts zweifellos nachgeblieben, so dass der gesamte nun gesicherte Bestand mit gutem Recht als der Theoretische Nachlass des Adolf Hölzel gelten darf.

II)

Der um die allermeisten Zeichnungen auf seinen schriftlichen Kern reduzierte Hölzelsche Nachlass enthält dementsprechend nur noch eine recht geringe Anzahl von solchen Blättern, die im klassischen Sinn zu den Schriftsockelbildern gezählt werden können. Während diese sich dadurch auszeichnen, dass jeweils ein Textblock und ein darüber gesetzter Bildbereich gestalterisch so organisch aufeinander abgestimmt sind, dass sich aus Bild- und Schriftzeichen eine werkhafte Einheit bildet, weisen die allermeisten überhaupt mit Zeichnungen bereicherten Blätter des Nachlasses ganz verschiedenartige und oft eher lose Beziehungen von Bild und Schrift auf. Zumeist sind auf diesen Blättern mehrere in ganz unterschiedlicher Weise und nicht selten fragmentarisch bleibende so wie verkehrt zueinander stehende Anordnungen von Text- und Bildelementen zu finden. Ihr Zusammenhang ist eher inhaltlich als formal und auch durchaus zufällig gegeben und sie sind häufig in solcher Flüchtigkeit notiert und skizziert, dass sich die Linien zu nicht eindeutig lesbaren Zeichen formieren. Bei aller Vielfalt lassen sich gleichwohl verschiedene Typen solcher Schriftbilder im Theoretischen Nachlass unterscheiden. Diese sind insgesamt Ausdruck einer für Hölzels Schaffen originären künstlerischen Arbeitsform, während die eigentlichen Schriftsockelbilder daraus zu einer originellen Werkform weiterentwickelt worden sind.

Um einen Einblick in Hölzels künstlerischen Arbeitsprozess zu bekommen, wird dieser im Folgenden in seinen verschiedenen Aspekten und Ausformungen eingehender, aber auf eine kursorische Weise betrachtet: Wie Hölzel einerseits gefordert hat, das notwendige Intellektuale (dem Schaffen) vorhergehen14 zu lassen, so hat er aber gleichermaßen die Beherrschung der künstlerischen Mittel+ als eine dafür wichtige Voraussetzung angesehen und sich sogar der rein manuellen Seite seines Metiers intensiv gewidmet. So begann er über Jahrzehnte das künstlerische Tagewerk mit Morgenübungen+, den täglichen tausend Strichen+, die er mit Pinsel, Feder oder Stift zumeist auf gebrauchtem Papier ausführte. Das von ihm mit den Fingerübungen eines Musikers verglichene Training unternahm er anfänglich nur in der Absicht einer technischen Vervollkommnung seiner Hand. Die von Hölzel regelmäßig verrichteten Exerzitien bestanden aus mehr oder minder gleichmäßigen parallelen, rhythmischen Schwingungen der zeichnenden Hand. Dabei kam es ihm bald auch darauf an, sich möglichst organisch in Übereinstimmung mit seiner Anatomie zu bewegen, um durch diese Empfindung das Seelische der Hand und damit auch ganz und gar das Persönliche zum Ausdruck bringen15 zu können. Darin hat er auch die gleichsam kathartische Funktion begründet gesehen, die er seinen Kritzeleien zuspricht: Wenn ich mich befreien will von allen weltlichen, auch schmerzlichen und boshaften Gedanken, dann beginne ich mit meinen Übungen. Und da ist es bald, als löse sich das Irdische ab und nur künstlerische Gedanken quellen hervor... Ich empfehle dieses tägliche geistige Bad.+

Zweifellos zeigen sich hier bereits deutliche Anzeichen für das später zum wesentlichen Merkmal des Surrealismus gewordene automatische Schreiben ("l´ecriture automatique"). Dieser Gestus liegt der abstrakten Malerei Hölzels latent zugrunde und prägt sie zutiefst. Ihre erstaunliche Verwandtschaft zu den erst Jahrzehnten später entstehenden, aber auch von diesem surrealistischen Verfahren inspirierten informellen und tachistischen Bildern wird so erklärlich. Wo zudem der kontinuierliche Fluss der bevorzugt verwendeten Feder eine besondere Intensität erreicht und sich unkontrolliert zu vielgestaltigen Liniengefügen verdichtet, entstehen fast beiläufig auch schon erstaunliche, in bizarr und archaisch anmutende Figurationen übergehende Zeichnungen, die mit traditionellen Kunstvorstellungen unvereinbar sind. Aus den unwillkürlichen, unendlich kreisenden Zeichenbewegungen Hölzels mit ihren Wiederholungen, Reihungen und Symmetrien einfachster Art erwachsen aber auch so etwas wie ornamentale Urformen ähnlich dem Typus der bekannten kalligrafischen Schnörkelschwünge. Noch vor 1900 verdichten sich die linearen Bewegungsspuren durch das Ausschöpfen der grafischen Mittel in eigendynamischer Weise auch bereits zu komplexen abstrakten Ornamenten+. Zunächst noch jugendstilartig an figürliche Formen oder Buchstaben angelehnt und isoliert für sich stehend, bezieht Hölzel die ornamentalen Formen im Wechselspiel von Figur und Grund später auch auf das gesamte Blatt. So entsteht eine über jede konventionelle kalligrafische Gestaltung hinausgehende Bildhaftigkeit, die gleichwohl von jeder Nachahmungsabsicht frei ist.

Dass sich diese Entwicklung einerseits sowohl als Verlust wie andererseits auch als Entfaltung der Ornamenthaftigkeit interpretieren lässt, ist bezeichnend für den dialektischen Charakter, der dem Ornament und seinem Begriff innewohnt. Während es einerseits als die einzige Kunstgattung gilt, "welche autonom nicht bestehen, ja nicht einmal gedacht werden kann"16, wird andererseits in seiner Autonomie gerade nicht das Ende, sondern die Wesenserfüllung des Ornaments gesehen: "Das echte Ornament, das Ornament von Bedeutung und Wert, (kann) nur das abstrakte sein, das heißt jenes, welches [...] organisch aus dem Stoff heraus sich seine Form schafft."17 Indem die Ornamente in autonome abstrakte Bilder übergehen, vollzieht sich zunächst zeichnerisch eine zugleich als Aufbewahrung, Auflösung und Aufwertung zu begreifende Aufhebung des Ornamentalen. Damit entfernt sich Hölzel endgültig von der naturalistischen Darstellung und leitet die dann von Kandinsky programmatisch formulierte "Epoche des großen Geistigen"18 in der Kunst des 20. Jahrhunderts ein. Mit der "Komposition in Rot" gelingt Hölzel 1905 jedenfalls sein endgültiger Durchbruch zur künstlerischen Abstraktion auch in der Malerei, die er damit zu einem relativ gegenstandsunabhängigen Ausdrucksmittel macht. Der Gegenstand verliert infolgedessen seine einstige "harmoniebildende"+, bisher notwendige Funktion für die formale Organisation des Bildes; ganz im Gegenteil: das Bild selbst "stellt [...] Forderungen, die aus der Natur im landläufigen Sinn nicht ableitbar sind."19

Bei der Auseinandersetzung mit dem Problem, ein Äquivalent für die bisherige bildkompositorische Funktion des Gegenstandes zu finden, erweisen sich die Morgenübungen+ Hölzels erneut als überaus fruchtbar. Auf der Suche nach flächengestaltenden Organisationsprinzipien für seine abstrakten Bilder kommt es Hölzel zu Hilfe, dass er seine zeichnerischen Präludien vor allem auf gebrauchtem, bereits bedrucktem oder beschriebenem Papier ausführt. So ergibt sich aus zahllosen zufälligen Überschneidungen ein Liniengewirr, in dem er mithilfe von Transparentpapier und Durchpausverfahren Vereinfachungen und Akzentuierungen vornimmt. Auf diese Weise kristallisieren sich die all seinen abstrakten Bildkompositionen zugrundeliegenden, vielgestaltigen konstruktiven Gerüste heraus, die er als "Konzepte"+ und auch Formeln+ bezeichnet. Indem sie die formalen Regeln enthalten, nach denen die Bildsprache generiert wird, haben sie einen gleichsam übersprachlichen Charakter. Erstaunlicherweise ist das dem Unbewussten entstammende ornamentale, in Hölzels "handlichen Übungen"+ sich äussernde vorsprachliche "Lallen der Malerei"20, ebenso der Ausgangspunkt für sehr bewusste und sogar theoretische begriffssprachliche Formulierungen: Während sich die Hand zumeist zeilenweise über das Blatt bewegte, gingen die frei kreisenden Linienschwünge oft in eine regelrechte Schreibbewegung über, die sich aber auch wieder ins Zeichnerische auflösen konnte. Hölzel hat solche Prozesse, in denen Buchstaben sich bildeten und sogar zu vollständigen und zusammenhängenden Wörtern und Aussagen wie im Theoretischen Nachlass formierten, selbst genau beschrieben: "Weiter gleitet die Feder, nicht wie Du willst, sondern wie sie mag, oft weiter als Du es ahnst, und es entstehen ganze Wortgebilde, von denen Du nicht weißt, wer und was sie sind, bis ein Wort zündet und Deinen Geist leitet in andere Regionen [...] So kann es dann sein, daß Sätze sich bilden [...] Es ist eine Dichtung auch in der Prosa, die mehr dem Gefühl entspringt als verstandesmäßiger Überlegung."21

Hölzel verfügt mit seinen zeichnerischen Exerzitien also über ein Medium, das ihm einen andauernden gleitenden Übergang von der auch als Therapeutikum fungierenden manuellen Übung über die Poesie zeichnerischer Formung zur Prosa begrifflichen Denkens ermöglicht. Völlig organisch in sein künstlerisches Tagewerk integriert, hat Hölzel seine Übungen weder bloß mechanisch absolviert noch artifiziell zelebriert, sondern im Grunde als eine Lebensform praktiziert. Diese zumeist übersehene existenzielle Seite macht die besondere Qualität seiner Exerzitien und der zusammen mit diesen entstandenen, auf die Analyse der künstlerischen Mittel gerichteten theoretischen Reflexionen aus. Was Hölzel über Jahrzehnte aufgezeichnet hat, ist also im herkömmlichen Sinne kein schriftlicher Nachlass und enthält trotz aller kunsttheoretischen Substanz wahrscheinlich auch keine ausformulierte Theorie oder gar Lehre. Vielmehr handelt es sich dabei um eine ganz eigene, andersartige Ausformung künstlerischer Praxis, die sich in den Zeichnungen mit Schriftsockel sogar zu einer speziellen Werkform entwickelt hat. Insofern ist es durchaus angebracht, den Theoretischen Nachlass Hölzels auch als Gegenstand ästhetischer Erfahrung anzusehen und zu lesen. Es besteht keine Gefahr, sich dadurch einer Verleugnung schuldig zu machen, wie es etwa Derrida von Bourdieu vorgeworfen wird, weil er die Kantische Kritik der Urteilskraft wie ein Kunstwerk behandelt22. Dass sich auch die weitere Erschließung des Nachlasses gleichwohl an wissenschaftlichen Standards zu orientieren hat, sollte nicht zu einer beschränkt wissenschaftsförmigen Rezeption führen, die den eigentümlichen Quellgrund der Text- und Bildnotizen Hölzels außer Acht lässt.23

Anmerkungen:

(1) Künstlertheoretisch meint hier das kontinuierliche, ambitionierte und um Allgemeingültigkeit bemühte Theoretisieren eines Künstlers und lässt offen, ob und inwiefern es dabei tatsächlich zur Formulierung einer Theorie gekommen ist.

(2) Lingner, Michael: Über Adolf Hölzels theoretischen Nachlass. In: "Hölzel. Pastelle und Zeichnungen". Katalog Galerie Römer. Zürich 1988. S.23 ff. http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv/ml_publikationen/kt88-7.html

(3) Venzmer, Wolfgang : Adolf Hölzel. Leben und Werk. Stuttgart 1982. S. 199

(4) Venzmer, W. a.a.O. S.199 (s. Anmerkung 2)

(5) Hess, Walter: Brief vom 4. Juli 1983 an den Verfasser. Privatarchiv M.L.

(6) Hess, Walter: Zu Hölzels Lehre. In: Der Pelikan. Heft 65/April 1963. S. 19.

(7) Hess, W. a. a. O., S. 18-34.

(8) Quelle: s. Anmerkung 4

(9) Hess, W. a. a. O., S. 19.

(10) Quelle: s. Anmerkung 4.

(11) Venzmer, W. a. a. O., S.199 (s. Anmerkung 2)

(12) Mein besonderer Dank für ihre langjährige Unterstützung gilt dem Hamburger Kunstsammler und förderer-Ehepaar Elisabeth und Gerhard Sohst.

(13) ask23 ist ein vom Verfasser als Leiter des Labor:Kunst&Wissenschaft an der HfbK Hamburg maßgeblich unter Mitarbeit von Ulf Treger und Christiane Wehr entwickeltes DINI-zertifiziertes kunstwissenschaftliches Archivsystem. Der Hölzel-Archivbereich hat folgende web-Adresse: http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv/ah_transkriptionen/

(14) Hölzel, A.: Theoretischer Nachlass: hoelzel_06_NT_T70 http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv//ah_transkriptionen/hoelzel_06/hoelzel_06_NT_T70.html

(15) Hölzel, A.: Aufbruch zur Moderne. Katalog Museum Villa Stuck. München 1980. S. 22

(16) Sedlmayr, Hans: Die Revolution der modernen Kunst. Hamburg 1955. S. 46

(17) Roeßler, Arthur: Das abstrakte Ornament mit gleichzeitiger Verwertung simultaner Farbkontraste. In: A. Hölzel. Katalog der Kestner-Gesellschaft Hannover 1982. Hrsg. C. Haenlein. S. 78

(18) Kandinsky, Wassily: Über das Geistige in der Kunst. Bern 1952. 10. Auflage S. 143.

(19) Hölzel, A: (1853-1934). Katalog der Gedächtnisausstellung zum hundertsten Geburtstag. Ausstellungskatalog München 1953. o. S.

(20) Loos, Adolf: Ornament und Verbrechen. In: A. Loos: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Franz Glück. Wien / München 1962. S. 276

(21) Hölzel, A.: Theoretischer Nachlass: hoelzel_GE-DIV-2_NT-1_05 http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv//ah_transkriptionen/hoelzel_01/hoelzel_GE-DIV-2_NT-1_05.html

(22) Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt/M. 1984. S. 775

(23) Dass Hölzel mit seiner unvergleichlich weit vorangetriebenen Integration von künstlerischer Theorie und Praxis auch für die heute notwendiger denn je erforderliche Entwicklung transdiskursiver Theorieformen Aktualität und Bedeutung hat, dazu siehe:

Lingner, M.: Text-Transformationen. Exemplarische Übergangsformen zwischen künstlerischem Schaffen und begrifflichem Denken. Eleonora Louis/Toni Stooss (Hg.): Katalog der Kunsthalle Wien: "Die Sprache der Kunst", Wien 1993. S. 101 ff

(+) Von diesem Manuskript liegen dem Verfasser zwei seinerzeit im Archiv der Pelikan-Werke kopierte Versionen vor: Eine reine Textfassung und eine mit Abbildungen ergänzte Fassung, die sich im Wortlaut aber kaum unterscheiden. Die mit + versehenen Zitate und Wendungen stammen aus diesen Manuskripten. Ein exakterer Nachweis ist aufgrund uneinheitlicher Seitenzählung nicht möglich.

Abbildungen:

Die Abbildungen 1-8 zeigen verschiedene Phasen in Hölzels Arbeitsprozess (siehe: Textteil II) im Übergang von Exerzitium-Ornament-Text-Konzept

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