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Michael Lingner, Brigitte Neumann

Kommerzialisierung im Kunstbetrieb

Michael Lingner von Brigitte Neumann interviewt (redigierte Version)

Brigitte Neumann: Überall spricht man von Verschlankung, Rationalisierung, Effizienzmanagement. Die Ökonomisierung scheint einen Bereich der Gesellschaft nach dem anderen zu bestimmen: Nach der Wirtschaft zuallererst Schule und Bildung dann das Gesundheitswesen, sogar den Privatbereich, man spricht ja auch von Investitionen in Erziehung oder in Beziehung. Wie sieht es denn im Bereich der Kunst aus?

Michael Lingner: Die Ökonomisierung im Bereich der Kunst kennt wohl inzwischen fast jeder, weil man in allen größeren Ausstellungen den Labels von Firmen auf den Ausstellungsplakaten begegnet. Es gibt keine größere Ausstellung mehr von irgendeinem Ausstellungsinstitut das nicht von Firmen gesponsert wird. Da kann man natürlich sagen, das ist doch wunderbar, wenn die das sponsern. Nur ist vollkommen klar, dass jede Form der Mitfinanzierung, zweifellos eine Form der Mitbestimmung oder der Miteinflussnahme bedeutet, sodass sich die ursprünglich sachimmanenten künstlerischen Interessen durchmischen mit anderen Interessen, nämlich den Interessen der Geldgeber. Und es ist auch vollkommen naheliegend, was soweit durchaus in Ordnung geht, dass die Wirtschaft andere Interessen hat als der Kunstbereich. Daraus folgt die gängige Form der Ökonomisierung, die in vielen Facetten immer wieder überall auftaucht.

In letzter Zeit können wir desweiteren beobachten, dass über diese indirekte wirtschaftliche Einflussnahme hinaus die wirtschaftlichen Interessen auch unmittelbar in den Kunstbereich eingreifen, indem z.B. eben Fonds aufgelegt werden wo mit Kunst ebenso spekuliert wird wie gegebenenfalls auch mit anderen Wirtschaftsgütern, also Kunst sozusagen auch kapitalisiert und voll in das gesamte wirtschaftliche Gefüge einbezogen wird. Und da der Kunstmarkt ein relativ kleiner und überschaubarer ist, lassen sich im Kunstmarkt wahrscheinlich marktbeherrschende Positionen, auf die es ja den jeweiligen Investoren im Endeffekt aus wirtschaftlichen Gründen ankommet, vielleicht sogar schneller aufbauen als in anderen Märkten und von daher droht die Gefahr dass die kulturellen Aspekte im Kunstbereich immer stärker von wirtschaftlichen Aspekten dominiert werden.

Brigitte Neumann: Wie hat man sich das vorzustellen, man investiert in Kunst? Es gibt Kunstfonds. Heißt das auch dass der Künstler versucht für diese Fonds zu produzieren? Also marktgängig zu produzieren damit er aufgenommen wird beispielsweise.

Michael Lingner: Das kann man pauschal so nicht sagen, aber sicher bedeutet es zunächst, dass diese Fonds in Werke investieren und natürlich darauf spekulieren, dass die Werke in ihrem Wert steigen. Da diese Wertsteigerung sich nicht in einer relativ kurzen Zeit, die für heutigen Investoren relevant ist, vielleicht 5 bis 10 Jahren, oder auch überhaupt nicht automatisch ergeben würden, ist es ganz klar, dass versucht wird, solche Wertsteigerungen zu forcieren. Es gibt verschiedene Mechanismen wie diesstattfindet. Eine eher harmlose besteht darin, dass man Werke in renommierten Museen unterbringt. Ein Werk in der Hamburger Kunsthalle aufgehängt, in einem Katalog publiziert, nach 5 Jahren aus der Kunsthalle herausgenommen, hat in der Regel eine erhebliche Wertsteigerung, die in den 5 Jahren, wenn dasselbe Werk im Archiv gelegen hätte, natürlich nicht zu erreichen ist. Das heißt jede solche finanziell motivierte Operation bedeutet zwangsläufigerweise eine Beeinflussung der Wertbildung im Kunstbereich. Das Problematische daran ist, dass diese Wertbildung nicht nur den monetären Bereich der Kunst betrifft, sondern dass dieser monetäre Wert ja auch immer zugleich Geltung als ein kultureller Wert bekommt. Eigentlich besteht dazwischen aber ein Unterschied, denn das, was kulturell einen Wert hat, muss sich nicht, und kann sich eigentlich auch gar nicht unbedingt in Geld ausdrücken und ausdrücken lassen. Insofern kommt es zu dem Dilemma, dass die materielle, materialistische Fixierung die kulturelle Auffassung überformt und zu dominieren droht. Es ist dann sehr fraglich, ob im Kulturbereich durch ästhetische Bildung überhaupt noch ein sensus communis, ein als Kitt der Gesellschaft fungierender Gemeinsinn noch gestiftet werden kann. Ob also durch solche Überformungen ideeller Wertbildungen mit materiellen Wertsetzungen der Gemeinsinn einer Gesellschaft, ein gemeinsames kulturelles Selbstverständnis nicht dadurch in Frage gestellt oder möglicherweise sogar zerstört wird.

Brigitte Neumann: Bevor wir darauf zurückkommen würde ich ganz gerne nochmal wissen: Wie umfangreich sind denn diese Kunstmarkt-Fonds? Wie viele gibt es davon?

Michael Lingner: Das Feld übersehe ich auch nicht wirklich, das ist eine relativ neue Tendenz. Wenn man sich die Werbung anschaut für solche Kunstmarkt-Fonds dann ist aber davon auszugehen dass das ein Feld ist, was zunehmend an Bedeutung gewinnt, weil es z.B. eben noch eine Lücke darstellt. Es wird damit geworben, dass Investitionen in Kunst als eine Ergänzung des normalen Portfolios von vermögenden Menschen heute eigentlich zwangsläufig mit dazu gehören sollten. Insofern handelt es sich im Moment im Bereich der Geldanlage um einen wachsenden Markt.

Brigitte Neumann: Die Künstlersozialkasse gab kürzlich bekannt dass das gemeldete durchschnittliche Monatseinkommen der selbstständigen Künstler von 2005 auf 2006 um 11 Prozent gesunken ist. Die KSK-Mitglieder gaben für 2006 ein geschätztes Jahreseinkommen von 9879,- € an. Andererseits ist es aber so dass die Macher der kürzlich zurückliegenden Kunstmesse in Basel von explodierenden Preisen sprechen. Ein Klimt wurde verkauft für eine horrende Summe. Wie passt denn das zusammen?

Michael Lingner: Das passt eigentlich sehr gut zusammen, wenn man davon ausgeht, dass die Kapitalinteressen dazu neigen, in Werte zu investieren die schon einen hohen Wert haben, also relativ sicher sind, um das Risiko zu minimieren, und andererseits die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass dieser ohnehin schon relativ sichere Wert noch durch ähnliche Spekulationsabsichten weiter gesteigert wird. Dadurch dass dann immer mehr Menschen jetzt z.B. den Kunstmarkt als einen Anlagemarkt entdecken, entsteht natürlich eine Konkurrenz, die den Charakter verdirbt aber das Geschäft belebt und die Preise im Hinblick auf die gesicherten Werte steigen lässt. Darum wird auf diesem Markt, von dem wir jetzt sprechen, im Wesentlichen mit historischem Material gehandelt. Der Markt der ungesicherten Werte zeitgenössischer Kunst ist ein ganz anderer, da sind die Preise sehr viel geringer und die Risiken erheblich höher. Vor allem aber ist der Zugang zu diesem Markt der zeitgenössischen Kunst für die heutigen Künstler extrem reguliert und reduziert. Im Unterschied zu Unternehmern, mit denen Künstler heute fälschlicherweise gern verglichen werden, kann nicht jeder Künstler einfach seine Waren auf für ihn relevanten Märkten anbieten. Rein rechtlich gesehen sind Künstler zwar Freiberufler, aber während ein Arzt oder ein Rechtsanwalt einen geregelten Weg hat über seine Kammer um eine Praxis aufmachen und seine Leistungen anbieten zu können, ist der Weg des Freiberuflers Künstler, um sozusagen an seine Kundschaft zu kommen nicht abgesichert. Er ist davon abhängig dass er irgendwie von Galerien vertreten wird und hat keinerlei Rechtsanspruch oder die Möglichkeit. überhaupt Zugang zu diesem Kunstmarkt zu finden. Und die Bedingungen unter denen das bestenfalls geschieht, sind für die normalen Künstler in jeder Hinsicht sehr mäßig, mal vorsichtig ausgedrückt.

Brigitte Neumann: Gilt zwischen Künstler und Galerist fifty/fifty ?

Michael Lingner: Ja, zumeist Fifty/fifty, aber es gibt z.B. nur sehr selten Verträge, aber oft auch noch teils versteckte Beteiligungen der Künstler an den Galeriekosten . Und es gibt nur noch in absoluten Ausnahmen den Fall, dass etwa Galeristen die künstlerische Produktion vorfinanzieren. Das heißt die Künstler sind in der Produktionsphase vollkommen auf sich gestellt und müssen dann sehen ob sie jemanden finden, der ihnen den Zugang zum Markt überhaupt verschafft. Die Funktion von Galeristen etwa in den 60er und 70er Jahren, als unsere heutigen Großkünstler, wie etwa Richter, Baselitz, Polke ins Geschäft kamen, bestand u.a.darin, eine Zeit lang etwa den gesamten Lebensunterhalt von Künstlern im Zweifelsfalle auch mitsamt ihrer Familien vorzufinanzieren. Dass dann solche Galeristen wie etwa Heiner Friedrich in Köln oder Konrad Fischer in Düsseldorf sich ein Exklusivrecht auf die in der entsprechenden Zeit produzierten Werke sicherten, war akzeptabel. Heute ist es so, dass die Phase der künstlerischen Produktion den wirtschaftlichen Verwertungsbereich überhaupt nicht interessiert geschweige denn von diesem mitfinanziert wird, sondern jegliches wirtschaftliches Interesse bezieht sich ausschließlich auf die fertigen Werke. Wie diese Werke in die Welt kommen interessiert eigentlich überhaupt niemanden. Die Bedingungen unter denen, und das ist ja das, was sie zitieren aus der Erhebung der Künstlersozialkasse, die Bedingungen unter denen Kunst heute produziert wird, also sozusagen die nachkommende Ware, diese Bedingungen sind äußerst schwierig, problematisch und nicht gerade dazu angetan, dass das kreative Potential zum Erblühen kommen kann.

Brigitte Neumann: Das heißt es interessiert sich keiner für Nachwuchsförderung, sondern die Großen, Alten werden für sehr viel Geld verkauft und gehandelt.

Michael Lingner: Natürlich gibt es eine Reihe von Stipendien für jüngere Künstler, aber um Nachwuchsförderung im Sinne der mittel- und langfristigen Investition in die künstlerische Arbeit wird sich nicht gekümmert. Und da die Altersgrenze für die entsprechenden Stipendien bei 35 liegt, stellt sich die Frage, ob denn bis zu diesem relativ zarten Alter überhaupt solche Werke entstehen können, wie wir sie aus der Geschichte kennen, brauchen und lieben. Die Großen Meister der Moderne wie Cezanne oder Matisse haben ihre Werke, also die Werke, in die heute besonders gern investiert wird, jenseits der 60 produziert. Kunst ist ja etwas, was als ein geistiger Prozess, auch einer Reife bedarf, einer menschlichen Reife, die vielleicht auch mit Lebensalter zu tun hat, und einer Reife, sich selbst und sein Metier zu beherrschen. Solche geistigen Entwicklungen und organischen Prozesse meint man sich aus wirtschaftlichen Sicht nicht leisten zu können . leider sogar dann nicht, wenn es um Kultur geht.

Brigitte Neumann: Wenn die wirtschaftliche Situation der Künstler so schlecht ist, dann reagieren ja manche Hochschulen darauf, indem sie Kurse wie z.B. Existenzgründung, Selbstmarketing, Eventmarketing, Buchhaltung, Pressearbeit, anbieten. Sie sind Professor an der HfBK in Hamburg. Bieten sie hier auch so etwas an?

Michael Lingner: Alles was Sie genannt haben in dem ausdrücklichen Sinne nicht, aber auf andere Weise versuchen wir die Studierenden auf die realen Bedingungen, die sie im Kunstbereich erwarten, so gut es geht vorzubereiten - in erster Linie gedanklich. Wenn ein Künstler all die von ihnen genannten ja gleichsam nur Sekundär-Tugenden darstellenden Fähigkeiten beherrschen und ausüben wollte, die aber mit dem eigentlichen Metier des Künstlerischen überhaupt nichts zu tun haben, wann und wie soll er da noch als Künstler professionell arbeiten ? Ich bin der Letzte, der etwas dagegen hätte, wenn das jemand kann, weil er sich darüber möglicherweise finanzieren kann. Aber es ist keinesfalls originärer Bestandteil der künstlerischen Ausbildung und sollte es nach meiner Überzeugung auch nicht werden. Und wenn alle Künstler nun auch noch ein betriebswirtschaftliches Grundstudium absolvierten, verbessert sich ganz sicher nicht die Qualität von Kunst aber auch nicht die Konkurrenzfähigkeit des Einzelnen, da dieses Wissen ja dann alle haben. Und ob nun ein Galerist einem Künstler eher den Zugang zum Markt verschafft, weil er noch ein bisschen Betriebswirtschaft kann, das wage ich auch zu bezweifeln.

Das Marktvolumen für zeitgenössische Kunst ist sehr gering, wird gering bleiben und nach wie vor werden um diesen kleinen Kuchen sehr viele Kreative konkurrieren. Allerdings hatten wir etwa hier an der HfbK Hamburg in den 80er Jahren zu Zeiten des großen Booms der neuen wilden Malerei unter dem Eindruck wirtschaftlicher Prosperität durchschnittlich 800 Studienbewerber, für die damals noch sog. Freie Kunst. Inzwischen ist es weniger als die Hälfte mit abnehmender Tendenz. Also realisieren die jungen Leute schon, dass die Bedingungen schlechter geworden sind, erstens faktisch und zweitens hat die Kunst auch von ihrem früheren Nimbus der Freiheit, des Anderen, des Alternativen, des Kritischen, des Avantgardistischen verloren. Sie hat viel von all diesen positiven Momenten, mit denen sich die Wirtschaft heute gerne noch schmückt, eingebüsst und zwar in dem Maße, wie durch die Wirtschaft diese Werte verwertet und dabei eben entwertet wurden.

Brigitte Neumann: In einem ihrer Aufsätze, den ich im Internet gefunden habe, schreiben sie: "Die internen Kriterien der Kunst werden nun von wirtschaftlichen Kriterien überlagert." Welches sind denn die internen Kriterien der Kunst die sie da meinen?

Michael Lingner: Da hat so jede Epoche ihre eigenen Kriterien. Es gibt ja in der Kunst nicht ewige Regeln und Gesetze der Schönheit, das würde zu einem sehr antiquierten Kunstbegriff gehören. Der entscheidende Punkt ist, dass in der Kunst überhaupt über künstlerische Qualität und nicht nur über Preise und Personen diskutiert wird. Und dazu gehört auch die Diskussion der Frage, ob man etwas für Kunst hält oder nicht. Als Anfang der 60er Jahre Paul Wember, der damalige Direktor des Museums Haus Lange in Krefeld, die ersten monochromen Bilder von Yves Klein, heute auch ein gesicherter Wert, ausgestellt hat, wurde in den damaligen Pressereaktionen noch gleichsam existentiell darüber diskutiert, ob dies nicht möglicherweise den Untergang des Abendlandes bedeutet. Also da wurde die künstlerische Qualität und die Frage, ob etwas Kunst sei oder nicht, ernsthaft als eine kulturelle Wertvorstellung diskutiert. Heute, und das ist eine Tendenz, die auch die Dominanz des Wirtschaftlichen mit sich bringt, wird jede Diskussion über Qualitätsfragen als geschäftsschädigend angesehen und tabuisiert. Das Label Kunst wird je nach Geschäftslage mehr oder minder beliebigen Produkten im Sinne einer Aufwertung übergestülpt ohne sich ernsthaft zu fragen: Wenn dies Kunst sein soll, kann dann eigentlich auch jenes Kunst sein? Diese Frage wird aus wirtschaftlichem Desinteresse soweit wie möglich ausgeblendet und über künstlerische Werte und Qualitäten immer seltener diskutiert, da als relevanter Kunstbeweis für ein Werk einzig sein Verkauf zählt und alles andere nur für idealistisches Glasperlenspiel gehalten wird.

Der Witz ist ja nun aber, dass kulturelle Wertvorstellungen eben nicht von der Absicherung mit Geld leben, sondern sozusagen ist das Gold kultureller Wertvorstellung ein gemeinsamer Konsens und eine gemeinsame Überzeugung, dass eine solche Wertvorstellung gelten soll. Wenn ich die Geltung rein an materielle Werte binde, ist diese ja nicht im Bewusstsein einer Gesellschaft, im Bewusstsein der Menschen vorhanden, sondern ist sozusagen verdinglicht, vergegenständlicht. Aber kulturelle Werte sind nun mal als solche innere Werte, sie können nicht durch Materialisierungen leben. Insofern lauert hinter jeder extremen Form von Verwirtschaftlichung die Gefahr dass jegliche innere Werte, die den Kern des Menschlichen ausmachen, wie immer man ihn auch weltanschaulich interpretiert, gar nicht mehr ernst genommen werden, oder zumindest nur solange, wie dies den Geldinteressen entsprechen.

Brigitte Neumann: Ich habe vor zwei Jahren eine österreichische Autorin kennen gelernt, die heißt Kathrin Röggla und hat eine Art O-Ton Roman geschrieben mit dem Titel "Wir schlafen nicht". Da hat sie 30 Unternehmensberater begleitet über mehrere Wochen lang und hat mit denen geredet und das Ergebnis liest man in diesem Buch. Das sind alles Menschen die wir als Charaktermasken bezeichnen würden, die in einem Hamsterrad leben, da sind Chefs, die ihre Privatadresse nicht mehr kennen, weil sie so oft umziehen und weil sie so lange arbeiten. Es sind Leute die sich mit Sekt und Pillen und Kokain über Wasser halten. Dieses Klischee wird da voll erfüllt. Kathrin Röggla meint aber, dass sie selbst als Autorin eigentlich genauso lebt und dass sie viele Kollegen, Schriftstellerinnen kennt die auch so leben. Dass also dieses Leitbild des Managers auf die Kunstszene vollkommen übergegriffen hat und dass diese Ausbeutung des Ich dort auch existiert. Sehen sie das auch so, wenn sie hier ihre Studenten angucken, oder das was daraus wird?

Michael Lingner: Im Hinblick auf Studierende, die in der Entwicklung sind, da scheue ich mich, solche Urteile zu fällen oder Prognosen abzugeben. Aber völlig klar ist doch, dass die Verwirtschaftlichung nicht äußerlich bleibt, sondern in die Struktur der Menschen übergeht. Wenn die Marktbedingungen, wie sie sonst für die anderen Märkte jenseits der Kunst gelten auch auf den Kunstmarkt übertragen werden, übertragen sie sich auch auf die Verhaltensweisen der Menschen. Allemal auf die von solchen eher sensibleren künstlerischen Naturen, die ursprünglich ja mal was anderes im Sinne hatten als Krämerseelen zu werden, da sie einfach diesem Anpassungsdruck unterliegen. Wer seine 5 Sinne beisammen hat und in dieser Gesellschaft und auf dem Kunstmarkt irgendwie zurechtkommen will, der wird automatisch bestimmte Verhaltensweisen übernehmen müssen.

Dies mag auch moralisch, ist aber vor allem rein funktional gesehen ein Problem. Denn systemtheoretisch betrachtet leben Systeme aus der Differenz, aus den Unterschieden zwischen unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen, unterschiedlichen Mentalitäten, unterschiedlichen Charakteren. Wenn alles durch Ökonomisierung gleichgeschaltet wird, geht der Reichtum der Gesellschaft verloren. Das Leben wird schlicht schlechter und zumindest mittelfristig ist auch zu befürchten, dass die Überlebenschance der Gesellschaft insgesamt schlechter wird. Dass die Leute etwa heute keine Lust mehr haben Kinder zu kriegen, ob mit oder ohne Elterngeld, das hängt mit dieser Art totalitärer Struktur zusammen und damit, dass wir letztlich im Krieg leben, auch wenn er sich in unseren Breiten als relativ gewaltfrei darstellt. Von jedem Menschen wird erwartet und um seines Überlebens willen meint er auch nicht anders zu können, als diese eine Form der Ökonomie, wie sie im Moment in unserer Gesellschaft herrscht, akzeptieren zu müssen. Das Diktat dieser Ökonomie ist ein verinnerlichtes.

Brigitte Neumann: Künstler sein ist ja ein Lebensstil, das ist ja kein Beruf so wie man beispielsweise Finanzbeamter oder Bäcker wird, und deswegen denke ich, dass jeder Künstler einfach aus einer inneren Getriebenheit heraus schon unkonventionell, eigensinnig und privat sehr radikal sein muss und deswegen vom Markt nicht so leicht zu vereinnahmen ist.

Michael Lingner: Diese Eigenschaften die sie jetzt nennen, die müssen sich ja erstmal in einer Lebensgeschichte ausbilden, es werden ja nicht Künstler als eigensinnige Menschen geboren, sondern eine Gesellschaft bietet Möglichkeiten dass sich die Eigensinnigkeit vom Menschen entwickeln kann oder nicht. Es wird bedauerlicherweise zwar immer irgendein Michael Koolhaastum geben. Aber damit Eigensinn, Unkonventionalität, Unangepasstheit, Obsessionen sich auf eine konstruktive und positiv zu sanktionierende Weise entwickeln können, bedarf es eines geeigneten, offenen und geduldigen gesellschaftlichen Umfeldes, in dem der Einzelne freiwillig existentielle Risiken eingehen mag. Die möglichen großen Leitbilder aus der Vergangenheit wie große Künstler oder große Schriftsteller, an denen man sich orientieren könnte, werden allenfalls zu ihren runden Geburts- oder Todestagen medial wahrgenommen und sogleich musealisiert und kommerzialisiert, so dass sie ihre Funktion als Attraktoren ür die eigene persönliche Entwicklung verlieren. Ich befürchte, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich Menschen zumindest in ihrem eigenen Metier als Künstler, Mediziner, Juristen frei entfalten können, immer geringer wird, denn wer kommt schon als Widerstandskämpfer oder als Mutter Theresa oder als Hyperidealist auf die Welt oder will derart heroisch enden, nur um anders sein und arbeiten zu können. Eine Gesellschaft, in der Menschen um kleiner Abweichungen willen schon extrem kämpfen müssen sowohl um das mental zu überstehen als auch um wirtschaftlich zu überleben, ist wenig menschlich und alles andere als kreativitätsfördernd. Vielmehr trägt dies dazu bei, dass bei jedem ständig eine innere Uhr tickt -wie beim Arzt seine Fallpauschalen und beim Künstler sein Marktranking- und er einer inneren Zensur unterliegt, die zwar gewaltfreier aber auch unerbittlich wirkt.

Brigitte Neumann: Wenn es aber so ist dass Kunst tendenziell eher für den Markt oder immer mehr für den Markt produziert wird, dass sie ihre Unkonventionalität verliert, dass sie also auf den Erfolg schielt, dann hat sie sich doch im Grunde selbst erledigt. Denn das ist ja nicht das, was Kunst sein soll und das ist auch nicht das, was der Markt von der Kunst will und das ist auch überhaupt nicht das, was der Kapitalismus von der Kunst will, da der ja auch vom Kampf und von der Reibung an etwas Anderem lebt.

Michael Lingner: Das war jedenfalls das bisherige Credo, auch des kapitalistischen Denkens, dass zumindest in Sonderbereichen, wie etwa der Kunst, so eine Unkonventionalität als ein gewisser Innovationsmotor der Gesellschaft erhalten werden sollte. Die Frage ist ob dieses Credo eigentlich unter den heutigen Renditeerwartungen noch gilt oder ob eben auch aus einem anderen Zeitbewusstsein heraus, dass man eben nicht mittel- und langfristig denkt, sondern nach der Philosophie von Hedgefonds etwa ein Zeitraum von 5 Jahren schon durchaus für eine lange Zeitspanne hält, man dann eben wirklich nur noch ausschließlich auf den kurzfristigen Gewinn setzt und alles andere schlicht vernachlässigt. Also Geschäftsfelder, wie auch die Kunst, solange sie etwas hergeben, ohne an ihr Danach zu denken, einfach abgrast und dann weiter zieht.

Brigitte Neumann: Aber Hölderlin hat gesagt: "Wo Gefahr ist wächst das Rettende doch".

Michael Lingner: Ja, die Hoffnung stirbt zuletzt. Und wir sind gesellschaftliche Wesen, die, jedenfalls noch, dem demokratischen Selbstverständnis nach an der Gestaltung der Prozesse beteiligt sind, auch wenn uns ständig suggeriert wird, alle Entscheidungen der Politik seinen alternativlos. All dieses, was wir erleben ist ja von Menschen gemacht und wird ständig durch das Betätigen von so genannten Stellschrauben, wie die Politik so schön sagt, in eine bestimmte Richtung gestellt oder eben nicht gestellt. Und im Moment muss man doch sagen ist der Trend die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereiche zu kapitalisieren, zu verwirtschaftlichen, vollkommen ungebrochen. Deswegen gibt es im Moment noch keinen Grund irgendwie große Hoffnungen zu hegen, allenfalls die, dass die kommende Katastrophe nicht zu groß wird.

Brigitte Neumann: Sie sehen auch kein Nest des Widerstands hier an ihrer Hochschule?

Michael Lingner: Wie soll man denn Widerstand leisten, wenn wir den Feind verinnerlicht haben ? Das ist das große und neue Problem.

Brigitte Neumann: Indem man anders ist.

Michael Lingner: Anders "ist" ist gut, also istmit st oder mit sz, auch im Sinne von Essen. Beides gehört ja zusammen und beides ist sehr schwierig und erfordert ein hohes Maß an Konsequenz und letztlich auch an Leidensfähigkeit. Jede Form von Freiheit, und das ist, denke ich, die einzige Form von Widerstand, die vielleicht heute möglich ist, liegt in der Bereitschaft, auf bestimmte Dinge freiwillig und aus Überzeugung zu verzichten. Die Erwartung, Freiheit geschenkt zu bekommen, können hoffentlich zumindest noch manchmal Kinder gegenüber ihren Eltern mit Recht hegen. Ansonsten muss man realistisch davon ausgehen dass man heute weniger denn je Freiheit geschenkt bekommt sondern nur erlangen kann durch die Bereitschaft zum Verzicht.

Insofern könnte die konkret mögliche Form des Widerstandes von Künstlern und Künstlerinnen darin bestehen, dass sie auf bestimmte Angebote, die lediglich an der wirtschaftlichen Wirksamkeit ihrer Kunst interessiert sind, verzichten. Aber das ist sowohl psychisch als auch existenziell sehr, sehr schwierig und unwahrscheinlich. Nur sehr wenige Menschen werden diese Kraft überhaupt aufbringen können und noch weniger werden die Kraft und die Gelegenheit haben, sich nicht nur abzugrenzen und anders zu sein, sondern in diesem Anderssein auch noch produktiv zu werden und etwas zu schaffen was über ihr Anderssein hinausgeht. Das grenzt schon an die Quadratur des Kreises oder bedarf einer neuen Drift, als dessen Ursprung ich mir im Moment nur den unendlichen Überdruss an der Diktatur des mainstream vorstellen kann.


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