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In den Ruinen unserer neuen Schlösser?

Podiumsgespräch zu modernen Künstlerbildern

So lautete der Titel der Podiumsdiskussion, die am 30. Januar 2006 in der HfbK Hamburg zur Überprüfung aktueller Künstlerbilder stattfand. Anlässlich eines Symposiums, das Tim Voss und Tillmann Terbuyken zum Abschluss ihres Jahresprogramms in der HfbK-Galerie organisierten, diskutierten die Referenten mit dem Galeristen Jürgen Vorrath und dem Künstler Olaf Nicolai unterschiedliche Sichtweisen: Scheinbare Leistungskriterien des Kunstmarktes, die Idee der von ökonomischer Notwendigkeit befreiten Kunst sowie Forderungen, merkantile Erfolgsmodelle als Inhalte in die künstlerische Ausbildung zu integrieren. Die Redner beziehen sich in ihrer Diskussion u. a. auf James Fuentes, einen der Produzenten des »artstar-tv-Projektes« der New Yorker Deitch Projects. Zehn Künstler, ausgesucht in einem open-call, müssen sich über sieben einstündige Folgen in verschiedenen Disziplinen des Kunstbetriebs gegeneinander durchsetzen. Der Gewinner erhält eine Einzelshow in den Deitch Projects.

TeilnehmerInnen

Jürgen Vorrath (JV) Galerist, Produzentengalerie Hamburg

Michael Lingner (ML) Professor für Kunstwissenschaften, HfbK Hamburg

Olaf Nicolai (ON) Künstler, Berlin

Michel Chevalier (MC) Künstler und Musiker, Hamburg

Armin Chodzinski (AC) Künstler und Unternehmensberater, Hamburg

(Im Publikum) Rahel Puffert (RP) Kulturwissenschaftlerin, Hamburg

Moderation (MOD) Bettina Steinbrügge, Halle für Kunst e.V., Lüneburg und Tim Voss, Galerie der HfbK Hamburg

MOD: Olaf, du sprichst in deinem Katalog showcase von dem Übergang der Disziplinargesellschaft in eine Kontrollgesellschaft. Du sprichst auch darüber, dass dabei die immer wieder produzierte Differenz das Subjekt ist, »sie ist sein ganz eigenes Schicksal, sein Möglichkeitsfeld. Individualität ist dann der Stil dieses Scheiterns.« Es gibt ja einige soziologische Texte, in denen erklärt wird, warum Kunst kein Berufsfeld ist. Warum hat dieses nicht existierende Berufsfeld diese Attraktivität? Ist Künstler-Sein eine Möglichkeit, unkonventionell nach oben zu kommen?

ON: Für mich hieß unkonventionell, dass ich mir nicht vorstellen konnte, Kunst zu studieren. Ich hatte nicht das Berufsziel". Künstler. Aber ab einem bestimmten Punkt habe ich mich in der Situation wieder gefunden, wo ich meine soziale Rolle als Künstler bezeichnen musste. Als ich 1990 nach dem Fall der Mauer endlich die Kunst des Westens in ihrem Kontext kennen lernen konnte, die mich in den 80ern fasziniert hatte, war ich überrascht, dass dies akademische Kunst ist, Kunst aus Akademien. Die Unschärfe des Berufsbildes, von der du sprichst, spiegelt sich ja auch in der Ausbildung, ihrer Unspezifik oder wenn man will Offenheit. Die ist ideal für Projektionen. Künstler-Sein was heißt das? Es ist ja eine Zuschreibung, die komplexe Verhältnisse vereinfacht. Und die Veränderungen im Künstler-Bild werden nicht nur als Reflexe veränderter Produktionsbedingungen eines Berufes interpretiert, sondern als symptomatische Veränderungen. In der Diskussion der letzten 20 Jahre sind viele Charakteristika einer Neoliberalisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen im Zusammenhang mit dem role model »Künstler« diskutiert worden. Zum einen unter dem Thema »Selbstausbeutung«, mit den Attributen: flexibel, motiviert, kreativ usw. Zum anderen aber auch als Modell sozialer Dynamik. Kunst ermöglicht ein soziales Fahrstuhlfahren, oft auch unfreiwillig. Kunst erscheint als ein Paternoster. Es sieht so aus, als ob man es nur schaffen muss, in der richtigen Etage ein- oder auszusteigen. Aber er fährt wenigstens an diesen Etagen vorbei.

MOD: Ich möchte die Frage an Herrn Vorrath weitergeben. Sie arbeiten ja auch viel mit jungen Künstlern, die sich in diesem Feld gewissermaßen behaupten müssen. Wie sehen Sie denn das Bild des erfolgreichen Künstlers?

JV: Ich selber habe kein Künstlerbild. Ich habe mit Menschen zu tun, die etwas machen und die mit mir zusammen arbeiten. Ich weiß auch nicht, was ein Künstlerbild heute noch ist. Das ist wohl so. ähnlich wie bei einem Galeristen. Wenn ich heute einen Raum habe, öffne den und hänge dort Bilder hin, dann kann ich behaupten: Ich bin ein Galerist. Irgendwann kommt das Finanzamt und guckt, was macht der dort: Macht der Gewinne? Und wenn das so ist, dann akzeptiert der Staat und die Gesellschaft, dass ich ein Galerist bin, ansonsten ist es Hobby. Ich denke im Moment, dass das vielleicht bei so genannten Künstlern genauso ist. Am Anfang ist es schlichtweg Hobby, und es mag ja ein tolles Hobby sein. Bis zu dem Moment, wo sich jemand dafür interessiert. Sobald er etwas macht, was andere haben möchten, dann wird es interessant und dann sind viele in der Umgebung bereit, zu sagen, o. k., das ist vielleicht ein Künstler und es ist vielleicht auch ein Beruf, und dann bilden sich solche Wertzuschreibungen. Vor 100 Jahren hat der jüdische Kunsthändler Cassierer am Hamburger Jungfernstieg eine Van-Gogh-Ausstellung gemacht, rund 16 Jahre nach dessen Selbstmord. Aber kein Mensch in Hamburg wollte ein Van-Gogh-Bild haben. Dann hat der eben nach zwei Jahren wieder seinen Laden zugemacht und hat gesagt: »O. k., Hamburg interessiert mich nicht, ich bleibe in Berlin.« Dann war das eben ein Hobby am Jungfernstieg ...

ML: ... und nach dieser Logik wäre Van Gogh ein Hobbykünstler? Erstaunlich, welch wundersame Wandlungen der Markt vollbringen können soll.

JV: Der Direktor der Kunsthalle Hamburg Uwe Schneede hat im hiesigen Kunstverein eine Ausstellung gemacht zu dem Thema Künstler - was ist das? Er hat drei Kategorien angeboten: Forscher, Eremit und Sozialarbeiter. Kategorien wie der Künstler als Popstar oder der Künstler als Hofnarr, die heute insbesondere in England in den Mund genommen werden, tauchen dort als Bildangebot für den Künstler nicht mehr auf. Ich kann gut auf Künstlerbilder in meinem Alltag als Galerist verzichten. Für mich ist ein Künstler, mit dem ich zu tun habe ein Unternehmer, mit dem ich Geschäftsbeziehungen eingehe. Und ob er ein Künstler ist, das soll von mir aus mein Steuerberater entscheiden.

ML: Wer den Künstler flugs zum Unternehmer macht und annimmt, dies beruhe nicht auf einem Künstlerbild, behauptet implizit, ebendiese Bestimmung entspreche dem Wesen und eben nicht nur einem Bild oder einer Rolle des Künstlers. Das erscheint mir - vorsichtig formuliert -als eine sehr stark ideologische Sicht, an der allenfalls die Frage interessant ist, warum sie heute derart verbreitet ist. Ich vermute durch die Gleichsetzung des Künstlers mit dem Unternehmer soll der Mythos eines Unternehmertums beschworen werden, das faktisch längst verschwunden ist. Bei dem heute erforderlichen Kapitalbedarf konkurrenzfähiger Unternehmungen ist das eine reine Fiktion, die bestenfalls dazu dienlich ist, solche Absurditäten wie Ich-AGs zu legitimieren. Jedenfalls sind Künstler keine Unternehmer, sondern gehören zu den Freiberuflern. Sie sind allerdings zusätzlich auf Galerien angewiesen, wenn sie mit ihrer Profession auch Geld verdienen müssen oder wollen. Anders als bei Rechtsanwalts- und Ärztekammern, die nach formalen Kriterien entscheiden, ob jemand zum jeweiligen Markt zugelassen wird, sind die Selektionsmechanismen der Galerien aber völlig intransparent und auch rechtlich nicht überprüfbar. Aber solange Künstler keine Galerie finden, können sie im Regelfall wirtschaftlich nicht überleben und Galeristen wie Herr Vorrath sprechen ihnen ja sogar ab, dass sie ohne jemanden wie ihn überhaupt als Künstler existent sind. Der galerieunabhängige Künstler hat also keinen freien oder irgendwie geregelten Zugang zum Kunstmarkt. Er kann ihn sich auch nicht aus eigener Kraft verschaffen, was aber gerade die Voraussetzung für jenes legendäre Unternehmertum ist. Die Rede vom Künstler als Unternehmer ist insofern nicht nur ideologisch und bestätigt nur den falschen Totalitätsanspruchs der Wirtschaft, sondern birgt auch Gefahren, da sie zu Desorientierung und Realitätsverlust bei Künstlern beiträgt, was der Kunst schadet. Umgekehrt wird mit der Gleichsetzung von Künstler und Unternehmer, die nackte materielle Verfügbarkeit über Kapital mit den künstlerischen Insignien von Schöpferkraft, Progressivität, Modernität veredelt - getreu dem wunderbaren Motto einer Werbeanzeige: »Kunst - eine Form, in der sich ihr Geld sehen lassen kann.«

MC: There ist this text from the group »Artists Meeting for Cultural Change« from 1976 that asked the fundamental question: who wins when artists compete? I can actually latch onto this idea that artists, in order to succeed, should see themselves as companies. I see something positive about that because you're saying that we're getting away from this art-object fetish. At least we are no longer talking about somebody who is producing masterpieces and »who cares about this person (as a social actor) ?«that these objects are fantastic in and of themselves, on an ontological basis. Now it's becoming more and more a social process.

The problem is when you look at the artist as a Company, a Company is much too restrained a definition of what social interaction is! Then I would agree with Michael Lingner. This company-model is completely ideological. We have to see an artist, perhaps, as something else: as some person who seeks out constituencies, who works with groups of people and kind of organizes some energy, some kind of commitment, and this has do with the history of art, with what we have inherited from the history of art. Not just Visual takes, or style-history, but how artists functioned over time and sort of closes off ... I see a lot similarities between art and political activism, other fields which are not economically remunerated. I think it's the task of artists who don't want to work in the gallery System, to discredit the gallery system and discredit what we are gettingnow on this commerciallevel; and that means criticizing the patrons of this art, and atthe same time tryingto mobilize our own audience, a counter-audience.

AC: Man mag Freiberuflern unternehmerische Handlungsmodelle attestieren, aber sie zum Unternehmer zu stilisieren, wäre vielleicht -Herrn Lingners Kritikpunkte positiv gewendet - wünschenswert, ist aber stand heute falsch. Die Frage, welches Rollenmodell die Künstler eigentlich noch erfüllen, bringt uns aber nicht weiter. Letztlich ist die Frage »Künstler oder Unternehmer« alt und langweilig. Fakt ist: Kunst gibt es. Die Frage ist nur: Welche Funktion hat sie oder braucht sie?

ON: Sicher meint Künstler-Sein ein Rollenverständnis. Aber warum funktioniert das eigentlich? Wird da nur eine doppelt freie Lohnarbeit kreativ aufgewertet, oder hat es damit zu tun, dass man als Künstler in einem Feld tätig ist, das für Gesellschaften essenziell ist - imaginärer Kitt? Es ist ja nicht die Frage, ob ein Künstler sich so nennen darf, ob er eine Ausbildung hat. Es geht nicht so sehr um den Autor als um die Verhältnisse, in denen ein Autor/Künstler möglich und notwendig wird.

MC: The phenomenon of imposed fatalities comes from a hegemonic discourse. To do that, I mentioned Bourdieu's theory of symbolic violence which, according to his definition, extorts submission without this being perceived as such because symbolic violence rests on collective expectations, beliefs which are socially-inculcated, that is, orchestrated, and therefore arbitrary, at the end of the day. It's important for me to do the opposite which is sort of to raise awareness and deactivate these proccesses of symbolic violence. And we have alotofthisat the moment. not just in the universities, but in the art world. This neoliberal view that everything has to go in the direction of competition, in the direction in some kind of efficiency or some very naive view of quality, where quality is transferred by some kind of media effect, like, I look at it and I feel »wow!« this is kind of what we saw in the Artstar video.

MOD: Hans Abbing, ein Künstler und Ökonom aus Rotterdam, der »why are artists poor?« publiziert hat, sagt, dass dieses Anreizsystem Kunst nur funktioniert, weil es eben nur 5-6 % schaffen, in dieses elitäre Kunstfeld aufgenommen zu werden. Wenn aber jetzt z. B. 50 % in dieses Kunstfeld mit aufgenommen werden würden, würde dieses Feld überhaupt nicht mehr funktionieren. Welche Rolle spielt da eigentlich die Ausbildung, also die Kunsthochschule? Insbesondere für den Künstler, der sich später auf dem Kunstmarkt nicht behaupten kann.

ML: Es ist unabdingbar, dass in den Hochschulen möglichst unterschiedliche und ernst zu nehmende künstlerische und theoretische Positionen vertreten sind. Den tiefen Sinn davon sehe ich allerdings weder in der Praktizierung eines indifferenten Pluralismus, der den Studierenden ein postmodernes »anything goes« signalisiert, noch in einer vermeintlich liberalen, unverbindlichen Tolerierung der unterschiedlicher Positionen, was faktisch bedeutete, dass sie sich letztlich sich nur gegenseitig ignorieren. Vielmehr kommt es darauf an, dass alle Positionen über die Grenzen ihrer jeweiligen Disziplinen hinweg sich möglichst in einem permanenten Fachdiskurs befinden, an dem die Studierenden beteiligt sind. Dabei ist es für die Entwicklung der unterschiedlichen Positionen und damit auch für die Findung einer Künstlerrolle wichtig, dass nicht nur das analysiert und diskutiert wird, was es empirisch an Rollenangeboten in der Kunstwirklichkeit so gibt. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, sich gleichsam normativ damit auseinander zu setzen, wie bestimmte Positionen und Künstlerrollen beschaffen sein sollen. Die Diskussion von Wertvorstellungen, also von Qualitätsfragen, welche auf dem Markt als gleichsam geschäftsschädigend vermieden wird, sollte zumindest in einer Kunsthochschule größte Wichtigkeit haben. Dabei plädiere ich für den Mut zur Diskussion normativer Urteile über Kunst, nicht um bestimmte Wertvorstellungen möglichst allgemeinverbindlich zu normieren, sondern dafür, deren Differenzen deutlicher kenntlich zu machen, also die Wahlfreiheit des Einzelnen zu erhöhen.

JV: Ich versuche mal zu beschreiben, wo ich da so ein Problem mit einem Qualitätsbegriff von Kunst habe. Ich sagte ja schon: Ich habe kein Künstlerbild, für mich ist der Künstler der Geschäftspartner. Ich habe aber auch keinen abstrakten Qualitätsbegriff von Kunst. Ich halt mehr mit so Leuten wie Werner Hofner die sagen: Es gibt keine Kunst, es gibt einzelne Kunstwerke und ich kann mich über einzelne Kunstwerke die jemand macht, unterhalten. Wie sieht das nun im Alltag aus ? Wenn ich hier durch die Hochschule gehe während einer Jahresausstellung und ich habe einen Sammler dabei, der guckt sich die Dinge an, dann kann ich in der Regel davon ausgehen, dass dieser Sammler ein sehr romantisches Künstlerbild hat. Das muss ich ihm doch nicht verbieten und ich muss ihm auch nicht erklären, dass der Künstler für mich ein Unternehmer ist. Da diskutiere ich auch nicht Qualitätsstandards, sondern ich ermögliche die Begegnung zwischen diesem Menschen, der sich für Kunst interessiert und vielleicht hier ein Kunstwerk kauft und Lust hat, einen jungen Künstler in seinem Atelier zu besuchen. Und vielleicht entwickelt sich daraus etwas.

ON: So wie wir hier über ein Kunstsystem reden, reden wir meiner Meinung nach nur über einen ganz kleinen Teil der Kunstproduktion. Das Kunstmarktsystem ist ein ökonomisches System des 19. Jahrhunderts, das unter den Bedingungen des 21. Jahrhundert interessanterweise gut funktioniert. Vor allem für eine happy few-Oberschicht, die den Katalysator bildet. Es ist Luxusproduktion und hat auch die ökonomischen und symbolischen Folgen einer Luxusproduktion. »Luxus« ist ja nicht einfach das »Zu viel«. Werner Sombart spricht sogar von der Geburt des Kapitalismus aus dem Geiste der Verschwendung. Obwohl es - streng ökonomisch betrachtet - antiquiert ist, formatiert es emotional up to date. Und das betrifft nicht nur die Oberschicht.

MOD: Ist die Funktion der Kunst denn, einem ganz bestimmten kleinen Markt gute Gefühle zu verschaffen? Worin besteht der gesellschaftliche oder auch individuelle Wert von Kunst? Worauf kann sich der Künstler hier berufen?

RP: Ich gehe - abweichend von Herrn Vorrath - davon aus, dass der gesellschaftliche Wert, das hohe Ansehen von Kunst, welches sich u. a. in ihrem Preis ausdrückt, mehr Menschen betrifft als nur diejenigen, die in direktem Kontakt zu ihr stehen oder sie tatsächlich kaufen.

ON: Was animiert jemanden denn, z. B. in ein Museum zu gehen, ein Gedicht zu lesen oder eine Musik anzuhören? Es ist das Imaginäre, unsere Möglichkeit, symbolisch zu agieren und uns emotional in einer symbolischen Aktion zu involvieren. Das ist Berührung, Emphase, Schönheit. Dies interessiert mich, deswegen habe ich von der Funktion der Kunst gesprochen. Wenn eine ökonomische Umformatierung stattfindet, werden auch Phänomene in der Kunst emotional »verhandelt«, die vorher noch nicht einmal als Phänomene wahrgenommen worden sind. Eine Handlung. Wie kann eine Handlung auf einmal zum ökonomischen und ästhetischen Objekt werden? Das ist ja nur möglich, weil sie mit einer emotionalen Bindung versehen ist, die für jemanden etwas bedeutet, jenseits einer merkantilen Spekulation. Pierre Klossowski sagt das sehr schön: Jeder Gebrauch setzt einen Brauch voraus. Er nennt die ökonomischen Normen nur eine Substruktur der Affekte. Die Transaktionen muss einen Wert besitzen, der nicht erst durch sie entsteht. Wert klingt sehr normativ, auf Bedürfnisse und Interessen bezogen. Aber es gibt auch Wert-Konstellationen, die sich in Handlungen materialisieren, die nicht in dieser diskursiven Ebene artikuliert werden, sondern in den Modi der Äußerungen, ihren Formen. Um die geht es.

ML: Dies genau halte ich für einen fundamentalen Irrtum: Wird in der Kaufhandlung nur den je eigenen Interessen und Bedürfnissen gefolgt, so haben wir es mit einer zustandsgebundenen Entscheidung, aber nicht mit einer Qualitätsdiskussion zu tun. Weil der Käufer das, was er für seine Interessen und Bedürfnisse hält, mit einem pekuniären Gegenwert realisieren kann, müssen diese Egoismen aber noch lange nicht sinn- und wertvoll sein.

RP:Werte werden produziert. Die Frage, die sich stell ist: in welchem Verhältnis steht eine breitere Öffentlichkeit zu diesen Werten und welche Möglichkeiten hat sie, an diesen Werten zu partizipieren, an der Wertbildung teilzuhaben oder gar Wertbildungen selber zu bestimmen? Meines Erachtens - und das mag hoffnungslos naiv sein - hat die Institution oder jede Form von öffentlicher Einrichtung die Aufgabe, dafür zu garantieren, dass die Entstehung von Werten zumindest nachvollziehbar wird.

AC: Die Transparenz der Wertbildung als institutionelle Aufgabe ist eine schöne Idee. Aber ist die Kunst-Institution nicht vielmehr der Ort, der den Wert selbst produziert und deshalb gar nicht transparent sein kann? Der verhandelte und in Relation gesetzte Wert ist doch ein anderer als derjenige, der sich außerhalb der institutionellen Rahmenbedingungen bildet. Angesichts einer Diskussion, die in einer Kunsthochschule geführt wird, interessiert mich nicht so sehr, welche Wertbildungsmechanismen und welche Archivierungssystematiken ausgedacht werden, um den Markt intellektuell und ökonomisch interessant zu halten. Interessanter ist doch, von welcher Hoffnung die Gesellschaft beseelt ist, einen Ort zu finanzieren, der nur 5-6 % der Funktion zuführt, die draußen dran steht, namentlich der Kunst. Der Kunstmarkt ist ein Ort, an dem Luxusartikel verhandelt werden. Die Institution Kunsthochschule basiert auf einem gesellschaftlichen Konsens, der breitflächig durch Steuergelder getragen wird. Die Institution hat einen kulturellen Bildungsauftrag. Eine mögliche Antwort wäre der Verweis auf die Praxis: Eine Kunsthochschule ist ein Ort gemeinschaftlichen und diskursiven Rumsitzens in einem relativ abgesicherten sozialen Raum. Die Entsprechung in der Ökonomie wäre der Think Tank á la Daimler Chrysler: Eine Gruppe von 20 bis 25 Angestellten denkt gemeinsam darüber nach, wie sich der Autoverkehr in der Zukunft entwickelt. Was für eine schöne Aufgabe?! Wenn der Konsens Kunsthochschule von dieser Idee getragen würde, brauchte man eben Sofas anstelle von Staffeleien.

MC: Olaf Nicolai spoke about the polarization between market and art. You can also look at this from another perspective like the question of hierarchy, selection, elite on one side, and democracy on the other, and I think it's important for us to see what kind of reJation markets have to democracy or to the lack of democracy. There's been a lot of research into this, some economists like Michael Albert and Robin Hahnel say that markets are, unfortunately, not very compatible with freedom, that voluntary exchanges in competitive situations are coercive because it\'abs bargaining power that decides outcomes.

MOD: Wenn die Zugangsbedingungen des Kunstmarktes also keine demokratischen sind. Welche Kriterien stellt dieser dann auf? Gibt es hier gar eine allgemeine Strategie zum Erfolg?

ML: Um in einem Markt erfolg zu haben, gibt es nur die Strategie der mehr oder minder rational unterfütterten Spekulation. Aber das können Börsianer besser als Künstler. Oder anders formuliert: Aus der bloßen Absicht, reich zu werden, lassen sich keine guten Kunstwerke, sondern bestenfalls gute Geschäfte machen. Dies gilt umso mehr, als die Dominanz des Marktes einhergeht mit einer Entprofessionalisierung des Kunstbetriebs. Der Kunstmarkt wird selbst von seinen Profiteuren als ein chicer Wanderzirkus und das Verhalten des typischen Käufers auf den Messen als ein distinguierter Konsumrausch (Kokain statt Heroin) beschrieben. Kaufentscheidungen beruhen nicht auf Kennerschaft, Ausnahmen bestätigen nur die Regel, sondern sind hochgradig kontingent. Wenn ein derart entfesselter Markt die Macht in der Kunst übernimmt und die Museen zu dessen Handlanger werden, fehlt den Künstlern jedes Gegenüber, das künstlerische Qualitäten noch zu schätzen wüsste.

ON: Dem möchte ich widersprechen. Nicht zuletzt Museen sind aus Marktmechanismen heraus entstanden. Genau diese Institutionen, die heute als freie Biotope beschworen werden, sind Produkte dieser Zusammenhänge. Außerdem: Viele Sammler sind im Gegenteil extrem spezialisiert oder holen sich Spezialisten. In den Ankaufskommissionen, die auf den Messen die großen Sammlungen beraten, sitzen auch Museumsdirektoren. Warum die Museen hier nicht mehr mithalten können, liegt nicht an deren Refugiumscharakter. Sie würden, wenn sie könnten. Sie sind praktisch fast handlungsunfähig da sie zum Teil gerade noch ihre laufenden Betriebs kosten decken können.

JV: Ich sehe das nicht so, dass der Markt nicht demokratisch sei. Vielmehr ist es doch so, dass es einen nur sehr kleinen Markt gibt. Ganz wenige Menschen interessieren sich für bildende Kunst. Jedes mittelmäßige Bundesligafußballspiel wird von mehr Menschen besucht als eine hochkarätige Kunstmesse an 4 bis 5 Tagen. Und diesem kleinen Markt steht eine Unmenge an künstlerischer Produktion gegenüber. Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit ist schon bei jungen Künstlern bitterhart. Wenn junge Künstler nun die Möglichkeit haben, in kleinen Schritten an diesem Wettbewerb teilzunehmen und ins Gespräch zu kommen, dann ist das ein völlig ideologiefreier Wettlauf und ein Versuch, auf diesen kleinen Markt zu kommen. Was ist eigentlich los mit dem Phänomen, dass eine Gesellschaft nur so wenig bedarf an Kunst hat und die Hochschulen dagegen jede Menge Künstler produzieren. In keinem anderen Bereich wird so ungenau geguckt. Was passiert eigentlich mit den Menschen die wir ausbilden? Ich finde es bedenklich, dass das Thema Kunstmarkt kaum an einer Akademie vorkommt.

MOD: Olaf, wo erlebst du in deinem eigenen System, deiner Produktion und in deinen Schnittstellen, wie deiner Galerie Eigen&Art, gewisse Brüche zwischen einem Anspruch deinerseits und einer Wirklichkeit außerhalb? Werden Erwartungen an dich gestellt? Oder bist du der von ökonomischen Bedingungen befreite Künstler?

ON: Ich habe den Luxus, mich der Illusion hingeben zu können, dass ich mir doch einige Dinge aussuchen kann. Es interessiert mich, wer kauft meine Arbeiten, wo werden sie ausgestellt, in welchem Zusammenhang werden sie bleiben? Und es gibt Konstellationen, wo ich »Nein« sage. Ich wähle auch bewusst Kontexte, in denen ich sein möchte, die mir die Möglichkeit eröffnen, Dinge zu produzieren, die faszinieren und begeistern, die die soziale Perspektive nicht komplett ignorieren, wo Leute sind, mit denen ich arbeiten will, deren Reaktionen mir wichtig sind. Und derartige Strukturen gibt es zum Glück immer mehr. Das heißt aber nicht zu homogenisieren. »Glamour und Gerechtigkeit« wäre ein schöner Slogan. Mich interessiert die Ambivalenz. Eben weil ich sie erfahre, an mir selbst.

MOD: Die Leistungsvorgaben der zukünftigen BA/MA-Studiengänge Fine Arts schränken das, was ich als eine autonome Ausbildung beschreiben würde, wesentlich ein. Was heißt das, wenn durch BA/MA eine solche, ganz neue Künstlergeneration ausgebildet wird?

ML: Es stellt sich die Frage, ob es sich dabei überhaupt noch um etwas handelt, was den Namen Studium verdient. Die angestrebte internationale Kompatibilität der Studienleistungen ist nur ein Instrument ihrer Normierung auf niedrigem Niveau. Den BA/MA-Studierenden wird ein selbstständiges oder gar kritisches, d. h. auf Kreativität und Optimierung ausgerichtetes Agieren in ihrem Gebiet arg erschwert. Darauf kommt es in den künstlerischen und geisteswissenschaftlichen Fächern aber doch vor allem an, sonst kommt nur ein Heer von weisungsabhängigen, kulturellen Dienstleistern heraus. In jedem Fall geht aber BA/MA mit einer erheblichen qualitativen Reduzierung des Studiums und seiner Bedeutung sowie einer beträchtlichen Dezimierung der Studienzeiten und Personalkosten einher. Dies istja wohl auch der primäre politisch gewollte Zweck von BA/MA.

AC: Die Kunstgeschichte lehrt, dass der Markt und die Galerien die Kunsthochschulen letztlich gar nicht zwingend brauchen, dass sich der Markt seine Künstler selber produziert. Und das ist doch auch kein Problem, sondern eine Chance. Überlassen wir es doch dem Markt und seiner liberalen Tradition, sich zu überlegen, wo er seine Künstler herbekommt, wie er sie sortiert, ordnet und in Wert setzt. Man kann die Kunsthochschule von diesem Anspruch doch einfach freisprechen und kommt ohne Professionalisierungsseminare aus - die bei einer Durchschuss-Rate von 95 % sowieso herzerweichend ineffizient wären Da bliebe die Kunsthochschule übrig. Ein Ort d irgendwie da ist, von dem nicht klar ist, was er behauptet, außer dass er gesellschaftlich getragene Macht behauptet, weil er das Geld der Gesellschaft verbrennt. Wunderschön. Die Hauptaufgabe bliebe dann nicht herauszufinden was produziert werden soll, sondern vielleicht ausschließlich, wie produziert werden soll. Auf was will die Kunsthochschule antworten? Oder ist sie eigentlich nur ein Haus, das - wie Michel Chevalier gesagt hat - dazu dient, aus Gründen der Sozialversicherung eingeschrieben zu sein und eine gute Zeit zu haben. Man muss den ganzen Ort namens Kunsthochschule diskursiv in die Waagschale werfen, solange man ihn noch hat.

MC: I have to be a little bit cynical when I think about the art school. I mean, a few moments ago, Armin asked: why is the art school here? and I kind of said, in a way, why, during my speech (earlier): when I looked into the statistics and I saw who is attending the art school, as best as I could, people who are receiving this BAföG social-assistance and saw the proportion of people receiving this social-assistance, these government stipends, is much lower in this school than in the universities, right? It's 10 percentage points lower at the HfbK than else where. In Hamburg, one of the lowest figures for enrollment of foreigners is at this school, where in Germany, usually, being a foreigner has socio-economic background implications. So I can say: The artschool is maybe here because it serves as a reproduction instrument of, you know, the bourgeois-elite.

MOD: Wir haben heute den Vortrag von James Fuentes gehört und Ausschnitte aus dem Artstar-Projekt gesehen. Handelt es sich hier nur um eine reine Inszenierung, eine zynische Überspitzung des Kunstmarktsystems und seines Zugangs?

ON: Ich finde das eigentlich ein sehr schönes Beispiel, wie kritisch Formen wahrgenommen werden können, ohne dass sie explizit Kritik formulieren. Das Problem ist ja nicht neu: Es gibt von Goya dieses wunderbare Bild eines Großinquisitors. Und es wurde positiv vom Auftraggeber aufgenommen. Analysen rühmen heute die subtile Kritik in diesem Bild. Wie wird die eigentlich transportiert? Hat man die nicht gesehen damals? Oder wenn doch, warum haben sie nicht darauf reagiert? Es ist diese Intelligenz der Form. In ihr artikuliert sich mehr als alle Beteiligten in dem Moment artikulieren können. Sie »antwortet« auch im Zukünftigen, »spricht« scheinbar erst im Nachhinein. Ich finde explizite Kritik wichtig. Aber sie im Feld der Kunst als alleinige Möglichkeit zu betrachten, entzieht sie auch anderen Feldern. Kunst hat andere Möglichkeiten. Das erste kritische Journal der Romantik war das Athäneum. In ihm wurden Gedichte als Kritik verstanden. Das Kunstwerk selbst als Kritik, nicht als Mitteilung von Kritik.

MC: I thought what was interesting about the video from Deitch Projects is that I can imagine a lot of the people standing in line are coming from very modest backgrounds, little ones that really have this big hope. And there is a problematiccycle that Starts happening with this spectacularization of art: I have this category »wow!« out in the hall (mural). This sort of Jeff Koons, very populistic art which very cynically deactivates critical potential in society. This art will actually succeed, you know? And will be seen, as you mentioned earlier, Mr. Nicolai, as a form of social promotion and then, in a very strange way, actually gets support from the lower classes. They say »wow! I want to be an Artstar too. I am for art (art that in a way actually disempowers me, because I don't understand it)«. We know this theory of Bourdieu's »allodoxia«. So that's a cycle that I see happening now, and it's very complex.

JV: Es gibt eine Sache, die vielleicht untergegangen ist. Da gibt es jemanden, der handelt z. B. mit dem Basquiat oder Picasso, erwirtschaftet einen Überschuss und tut den hinein in andere Projekte. Man kann eine Galerie ja auch immer als eine Umverteilungsmaschine sehen. Eine kleine Gruppe von künstlerischen Positionen, die, ausweichen Gründen auch immer, am Markt bestimmte Preise erzielen, ermöglichen, dass man andere Positionen, die überhaupt keine Preise erzielen, zur Ausstellung bringen kann.

MOD: Wir führen hier immer wieder einen Begriff von Kritik in der Kunst an. Wie verhält es sich mit der Kritik? Dient sie im Sinne Boltanski/Chiapellos lediglich dazu, dass System weiter zu optimieren?

AC: Kunst ist die Projektionsfläche einer unbestimmten Hoffnung. Welcher Hoffnung? Das System zu optimieren? Ein besseres Leben zu führen ? Durch den neuen Geist des Kapitalismus weht genauso viel Kunst und kritische Reflektion wie durch den alten. Kritik in seiner künstlerischen Form scheint etwas zu sein, das nicht nur Hoffnungen nährt, sondern auch leicht vereinnahmbar ist. Vielleicht auch deshalb, weil häufig die künstlerische Kritik gleichzeitig ein neues Produkt oder eine neue Produktionsmethode einführt. Ist es Kritik, ist es Kritizismus oder Kritik als Selbstzweck? Geht es um das Reflektieren von bestimmten Verhältnissen? Vielleicht von allem ein bisschen ... Wo kann über was nachgedacht werden? Was ändert die Tatsache der systemoptimierenden Funktion von Kunst?

RP: Nun, derzeit erleben wir ja geradezu eine Inflation der kritischen Reflexion von Kritik, wobei unter Kritik dann meist eine Art selbstzweckhaftes Nörgeln verstanden wird. Ich finde, man muss unterscheiden zwischen einer kritischen Arbeit und der Funktion von Kritik für die Produktion von Kunst. Es gibt unterschiedliche Verfahren, die, wenn sie gut gemacht sind, im Sinne von kritischer Theorie und kritischer Kunst mir die Möglichkeit geben, über die Selbstverständlichkeiten hinaus Welt zu verstehen. Zu einer künstlerischen Praxis gehört es dazu, dass sie zumindest auf kritischen Grundlagen gebaut ist. Wenn Kunst heute, da Kunst sich thematisch auf gesellschaftliche Prozesse eingelassen hat, dazu eingesetzt wird, so etwas wie eine Kritik am Kapitalismus zu formulieren, dann sollte man das nicht mit einer kritischen Praxis per se oder reiner Lust am Kritisieren verwechseln. Eher handelt es sich dabei um den Einsatz der notwendigen Form, die in einem gesellschaftlichen Raum jene Effekte produziert, die künstlerische Erfahrungen in einem aufklärerischen Sinn hervorbringen. Kunst lässt sich dabei nicht darauf reduzieren, die Verhältnisse zu reflektieren, sondern diese Reflexion ist dazu angetan, in einer anderen Art des Umgangs zu münden. In Kulturproduktion in einem besseren Sinn. Es geht ja nicht darum, Kunst anzugucken und zu sagen: Ah ja, so sieht die Welt also aus!, sondern sie als Mittel zu betrachten, dass einem zur Verfügung gestellt wird, um etwas anders zu machen.

ON: Das ist das, was ich mit einer anderen Ökonomie meine ...

RP: Ja genau, aber da muss man ja erst mal hin. Wenn man schon vorher geblockt wird, aha, kritisch, nee, das geht nicht - dann kommt man nicht weiter.

ON: Es ging mir ja auch um einen bestimmten Begriff von Kritik, der eingeführt worden ist. Ich bin der Meinung, dass politische Intentionen im Feld des Künstlerischen artikuliert, aber nicht politisch durchgesetzt werden können. Sie kann man nur im politischen Feld durchsetzen. Deshalb hat Beuys auch eine Partei mitbegründet. Ob das ein erfolgreiches Modell ist oder nicht, ist eine andere Frage. Außerdem entsteht der merkwürdige Effekt eines abstrakten Radikalismus. Man ist kritisch und hat sich dabei sogar mit gutem Gewissen eingerichtet. In einem neuen Stück von René Pollesch schreit eine der Personen immer wieder: »Ich muss jetzt unbedingt links und kritisch sein, sonst kauft mich heute keiner mehr!«

MOD: Was meinst du hier mit einer »anderen Ökonomie«? Welcher Handlungsspielraum ergibt sich abschließend eigentlich aus diesen Analysen?

ON: Bei der Diskussion fällt mir die starke reaktive Haltung auf. Man will behalten, man möchte Refugien schaffen, anstatt selbst Modelle zu entwickeln und dementsprechende Forderungen stellen. In den Argumentationen gibt es eine starke Tendenz zur Trennung zwischen Ökonomie, Kunst und Markt einerseits und ein anderen, »freien« Art von Kunst. Warum sind eigentlich die Ökonomie und die Ökonomisierung Schreckgespenster? Geht es darum, sich dem zu entziehen, oder darum, eine andere Art der Ökonomie zu praktizieren? Wenn es um eine andere Ökonomie geht, dann halte ich es für sinnvoll zu fragen, wie hat die bisherige denn funktioniert? Also auch die Verbindungen zwischen Emanzipation und Kommodifizierung zu betrachten. Eva Illouz spricht in ihren Untersuchungen von deren unwiderruflichen Verwobensein, betont aber auch, dass beide Prozesse nicht zu verwechseln sind. Ich glaube, dass wir den Entwurf einer anderen Ökonomie nur formulieren können, wenn wir fragen, was bedeutet diese Verwobenheit und wie funktioniert das.

ML: Dabei gilt es festzuhalten, dass die herrschende Lehre jede andere Art der Ökonomie als antiökonomisch diskriminiert, so dass alle Träume zumindest individuell etwa eine Ökonomie des »guten Wirtschaftens« zu verwirklichen, angesichts der realen Machtverhältnisse, schnell verblassen. Unabhängig davon wünsche ich mir die Kunst als einen Bereich, wo die künstlerischen Werte nicht primär pekuniär generiert werden; wo also nicht antiökonomisch, sondern idealerweise möglichst ohne Bezug zum Geld Wertvorstellungen diskutiert und behauptet werden können. Andernfalls herrscht ein mehr oder minder zivilisiertes Barbarentum ohne Geist und Kultur. Jeder Künstler steht vor der grundsätzlichen Frage, ob er eigentlich geistige oder materielle Werte schaffen will. Aus der Priorität für den Geist folgt aber keineswegs das vulgärmarxistische Verdikt, ein Kunstwerk dürfe keine Ware sein - um die Krämerseelen gleich zu beruhigen. Selbstverständlich kann ein Kunstwerk auch Ware sein, oder besser: zur Ware werden. Entscheidend ist, dass es eben nicht wie holländische Tomaten produziert wird, für deren Beschaffenheit ausschließlich der Waren-, aber nicht der Genusswert zählt. Wozu sollte auch noch in der Kunst dieser Unsinn wiederholt werden.

JV: Um das mal klar zu stellen: Jeder Galerist weiß, dass der Wert eines Kunstwerks sich nicht nur in pekuniären Dingen ausdrückt.

MC: As an artist at one point, you have to decide about what is going to be the ... not just your vision of your art, the vision about how it's going to hang on the wall but how it's going to be distributed and how other people are going to have access to it. For me, as an artist, I just have to realize, you know (and this is not a new idea, this is what Baudelaire said in the 1850s): patronage, an eighteenth-century style patronage, is just naive. It's problematic. We have to go into some other direction. And if I'm going to be producing art for an elite ...

ON: He was a big admirer of the commodity ...

MC: He had his different days ...

ON: Commodification was something like religion for him ...

MC: Yeah, he had different gigs, sometimes he was against l'art pour l'art, sometimes he was for l'art pour l'art.

ON: But that's the interesting thing, that he's switching.

MC: Well ... you can find it interesting, I have another description for that switching. As far as production, artists have to ask: what am I going to do, am I going to be providing objects which are going to give legitimacy to people who are organizing social space in a way that is actually against my interests or am I going to try to produce an art which doesn't reinforce social processes that I disagree with? And so we really have the question of self-determination.


Quellen

STEPHAN SCHMIDT-WULFFEN: Plädoyer für Bakkalaureat und Magister an der Akademie der bildenden Künste Wien, 2. Februar 2005

ARTSTAR TV: www.artstar.tv

OLAF NICOLAI: Show Case, 1999, Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg

HANS ABBING: Why are artists poor? the exceplional economy ofarts, 2002, Amsterdam University Press

LUC BOLTANSKI, EVE CHIAPELLO: Der neue. Geist des Kapitalismus, 2003, Konstanz UVK

PIERRE KLOSSOWSKI: Die lebende Münze, Berlin 1998

EVA ILLOUZ: Gefühle in den Zeiten des Kapitalismus, Frankfurt am Main 2006

WERNER SOMBART: Liebe, Luxus und Kapitalismus, Berlin 1996

Die vollständige Transkription des Gesprächs erscheint im Jahrbuch 05/06 der Galerie der HfbK Hamburg.



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