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Abschotten der Wirtschaft

MICHAEL LINGNER: Kunst und Wirtschaft sind schon deutlich unterscheidbare Systeme. Das hat ja überhaupt nur Sinn, wenn man mit etwas - also z.B. Kunst - in Unternehmen geht, was die noch nicht haben. Also die Differenz ist das Entscheidende. Wenn man jetzt versucht herauszukriegen, was ist denn das, das Unternehmen vor Künstlern derart abschotten lässt, dann stößt man auf die Aussagen, dass das für sie unkalkulierbar ist, unvorhersehbar, dass sie um ihre Marke Angst haben. Das heißt, entgegen der Rhetorik der Wirtschaft, die nach außen immer Kreativität und Innovation verlangt, wollen sie dann, wenn sie mit unvorhersehbaren Prozessen - und kreative Prozesse sind per se unvorhersehbar, sonst sind sie nicht kreativ - konfrontiert werden, damit nichts zu tun haben. Wenn man es psychologisch deuten würde, ist das eine Form von Zwangsneurose. Sie wollen alles unter Kontrolle haben, weil sie alle unter großem Konkurrenzdruck stehen, vor allen Dingen intern um die gut bezahlten Posten. Daher haben alle Angst, Fehler zu machen. Und natürlich werden die internen Prozesse tabuisiert: Die Wirtschaft wird es nicht mögen, wenn Künstler ernsthaft versuchen, auch nur im Ansatz sich mit wirtschaftlichen Prozessen auseinander zu setzen und sie zu reflektieren.

Also überall, wo ein ernsthafter Zugriff, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Prozessen stattfindet und einfach Fakten dokumentiert werden, da gehen die Türen zu. Das heißt, meine Erfahrung ist, im Unterschied zu vielen persönlichen Bekanntschaften oder auch Freundschaften mit Menschen, die im Wirtschaftsbereich arbeiten, die oft als Privatpersonen für die Kunst eine ganze Menge tun und sehr aufgeschlossen sind, in dem Moment, wo sie in ihrem Büro in der Firma sitzen, kann man sie vergessen.

DORIS ROTHAUER: Das, was Sie gesagt haben zum Verhältnis von Unternehmen zu Künstlern, dass sie sich sehr hermetisch abschließen, ist sicherlich richtig. Aber ich glaube, dass das schon im Begriff ist, sich zu verändern. Die Frage, wenn man irgendeine Verbindung zwischen Kunst und Wirtschaft herstellen will, ist, warum reagieren Unternehmen so und lassen Künstler und Kunstschaffende nicht an sich heran. Ich glaube, dass das zum Großteil auch im Verhalten der Künstler selber begründet liegt, in einer historisch gewachsenen Rollendifferenzierung. Die Künstler und die Kunst haben sich eigentlich immer als ein eigenes System abgeschlossen, um eine sehr elitäre Außenseiterrolle einzunehmen, die genau diese gesellschaftliche Kritik, um die es oft geht, ermöglicht. Das ist quasi diese Hofnarrenfunktion: Man darf alles machen und sagen und hat diese Freiheit auch, nicht tatsächlich in gesellschaftliche Prozesse integriert zu sein. Man ist ein Außenseiter. Hier kommt auch die Autonomie dazu. Durch diese Position hatten die Künstler die Autonomie bzw. die Autonomie hat ihnen ihr Schaffen überhaupt erst ermöglicht. Damit ist ein Künstlerbild entstanden, vor dem viele Unternehmer auch ein bisschen zurückschrecken.

Sie hatten erwähnt, dass Wirtschaftsunternehmen sich hermetisch abschließen; ich hatte schon mit vielen Unternehmen zu tun, die das wiederum umgekehrt empfinden, nämlich dass wir Kunstschaffende uns hermetisch abriegeln. Ich habe vor kurzem einen Workshop geleitet, wo wir eine Anzahl bildender Künstler mit einer Anzahl von Managern an einen Tisch gebracht haben, um sich einmal gegenseitig auszutauschen. Und da waren schon die Körpersprache und die tatsächliche Sprache so anders, jede Seite hat sich hermetisch abgeschlossen.

Unternehmer sind verschlossen vor Künstlern, und die Kunst verschließt sich vor Unternehmen.

Sie haben vorhin auch angesprochen, dass Künstler empfinden, dass ihnen Unternehmen mangelnden Respekt entgegenbringen. Das hat für mich auch mit dieser Rolle zu tun, weil Künstler einfach nicht mit Produktivität assoziiert werden. Und umgekehrt habe ich es aber auch erlebt, dass Manager empfinden, dass ihnen Künstler mangelnden Respekt entgegenbringen, bis hin zur Arroganz.


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