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"In der Kunst zählt das schnelle Geld"

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"In der Kunst zählt das schnelle Geld"

Museen suchen zunehmend Partner in der Wirtschaft. Kunsttheoretiker Michael Lingner befürchtet den Ausverkauf der künstlerischen Unabhängigkeit

Michael Lingner ist Professor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Der Kunsttheoretiker, der sich speziell mit Fragen künstlerischer Autonomie beschäftigt, hat in letzter Zeit verstärkt auf die problematischen Seiten der Verbindung von Kunst und Wirtschaft hingewiesen. Er sieht in der wachsenden „Verwirtschaftlichung" von Kunst eine Gefahr.

Welt am Sonntag: Was stört Sie daran, wenn ein Kunstmanager wie Hubertus Gassner in der Kunsthalle Ausstellungen mit Hilfe von Unternehmen wie E.on finanziert?

Michael Lingner: Es geht mir dabei nicht um mich und um ihn, sondern um den Schaden für die Kunst und ihr Publikum. Die Geschäftspolitik von E.on, in diesem Fall überhöhte Gaspreisrechnungen, wird massiv kritisiert und steht vor Gericht. Wer kann da noch glauben, rein im Interesse der Kunst zu handeln?

Tut er das nicht?

Lingner: Was man gewinnt, etwa eine schöne Caspar-David-Friedrich-Ausstellung, geht zugleich durch Entwertung verloren. Es werden faktisch romantische Ideale instrumentalisiert, die im krassen Widerspruch zu den Werten heutiger Ökonomie stehen, um die Imageschäden einer zweifelhaften Geschäftspolitik abzufedern. Wenn Sie an einem Ort wie den Deichtorhallen heute das neueste Modell von DaimlerChrysler und morgen künstlerische Werke mit einem ganz anderen geistigen Anspruch präsentieren, dann ist dieser Ort für solche ideellen Werte gewissermaßen verbrannt. Das kulturelle Potential, das eine Gesellschaft braucht, wird durch solche Unglaubwürdigkeit beschädigt.

Wird Kunst immer abhängiger von der Wirtschaft?

Lingner: Seit die in den 80er Jahren beginnende neoliberale Politik dafür sorgt, daß der Staat sich aus der Kulturfinanzierung zurückzieht, beobachte ich überall einen zunehmenden Prozeß der Ökonomisierung: Wirtschaftliche Logik bemächtigt sich auch der Kunst. Während es der Wirtschaft zunächst um Image- und Machtgewinn ging, haben wir es ab etwa 2000 mit einer regelrechten Kapitalisierung der Kunst zu tun. Unternehmen wollen nun auch direkt von der Kunst finanziell profitieren. Weltweit entstehen derzeit Fondsgesellschaften, die mit Kunst spekulieren und damit unvermeidlich und knallhart auch die künstlerische Produktion beeinflussen.

Besonders scharf haben Sie den Art Pension Trust (APT) kritisiert.

Lingner: Im Fokus dieses Fonds, der sich als eine Art Künstlersozialversicherung geriert, stehen potentiell erfolgreiche Künstler zwischen 30 und 40, die sich zur Abtretung der Exklusivrechte bestimmter ihrer Werke vertraglich verpflichten.

Sie haben schon im März daraufhingewiesen, daß der Direktor des Hamburger Kunstvereins, Yilmaz Dziewior, im Auswahlgremium von APT Berlin sitzt.

Lingner: Das Problem besteht darin, daß er prozentual an APT beteiligt sein soll. Als Mitglied des Kunstvereins möchte ich nicht nachblättern müssen, ob die ausstellenden Künstler jeweils auch bei APT gelistet sind. Es besteht die Gefahr von Interessenkonflikten, in der Wirtschaft würde man sagen, von Insidergeschäften. Zu der Problematik sollte man sich endlich mal im Kunstverein verhalten. Aber auch die Kulturbehörde als öffentlicher Geldgeber ist gefordert, hier ihre Verantwortung wahrzunehmen.

Gibt es positive Alternativen zu APT?

Lingner: Für mich stellt sich nicht die Frage nach der Alternative zu, sondern nach der Notwendigkeit von APT. Und die sehe ich nicht. Auch wenn wir in der Kunst alle auf Einzelkämpfer gedrillt sind und die Netzwerke, in denen sich Künstler organisieren, nicht überleben, wenn sie es nicht schaffen, sich irgendwo an die großen Geldflüsse anzudocken, muß man sich ja nicht gleich verkaufen.

Gab es, zum Segen der Kunst, nicht immer kunstinteressierte Geldleute?

Lingner: Schon. Aber die großen Galeristen früher, zum Beispiel Heiner Friedrich oder Konrad Fischer, haben in bestimmte Künstler nach deren Studium jahrelang investiert. Primär aus Überzeugung und auch in der vagen Hoffnung, das Kapital würde im Erfolgsfall irgendwann zurückfließen. Heute ist mir kein Galerist bekannt, der seine Künstler und vielleicht noch deren Familien angemessen finanziert. Möglichst wird sogar noch ein Teil der Ausstellungskosten auf die Künstler abgewälzt. Risikokapital war gestern. Heute zählt, auch in der Kunst, das schnelle Geld.

Ginge es ohne Global Player der Kunst wie Friedrich Christian Flick oder Charles Saatchi besser?

Lingner: Wir sollten über die allgemeinen Strukturen reden, nicht über einzelne. Und da lautet die Frage: Was ist von einem System zu halten, in dem kreative Menschen ihre professionelle Freiheit nur bewahren können, indem sie ihre wirtschaftliche Existenz riskieren? Die einzige Möglichkeit, dem kunstfremden Einfluß von finanzkräftigen Anlegern zu entgehen, besteht für viele Künstler doch im Rückzug. Es wird ja immer klarer, daß uns Freiheit zur Zeit nicht geschenkt wird, auch Künstlern nicht. Wir können sie nur verwirklichen durch die Bereitschaft, auf etwas zu verzichten. Damit sind viele überfordert.

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