ask23 > Heid, John: Transferkunst

Klaus Heid, Ruediger John

Transferkunst

Künstlerische Forschung am Beispiel von kFP/02

Künstlerische Forschung ist, wie jede Forschung, ein Abenteuer. Hinzu kommt, dass sie nicht an vorgegebene Methoden gebunden und frei vom Zwang zur Theoriebildung ist – sie kann sich also ständig neu erfinden. In diesem Kapitel stellen die Herausgeber künstlerische Forschungsarbeit am Beispiel von ›kFP/02 - künstlerisches Forschungsprojekt 2002‹ vor.

Das Künstlerhaus Dortmund, insbesondere An Seebach, wollte seit geraumer Zeit ein Stipendium für interdisziplinär arbeitende Künstler einrichten, sprach Ende 2001 die Herausgeber an und konnte sie als externe Experten für die Untersuchung der Machbarkeit und für die inhaltliche Grundlagenarbeit gewinnen. Diese Forschungsarbeit mit abschließender Präsentation trug den Titel ›kFP/02 - künstlerisches Forschungsprojekt über Transfer- und Integrationsleistungen künstlerischer Tätigkeit im Kontext von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sowie deren Verhältnis zur gesellschaftlichen Lebenspraxis‹. Recherchezeitraum war von Januar bis August 2002, die Ergebnisse der Forschungsarbeit wurden vom 6. September bis 13. Oktober 2002 im Künstlerhaus Dortmund präsentiert. Das Grundlagenpapier der Forschungsarbeit definierte Transfer- und Integrationsleistungen wie folgt: »Transfer meint in diesem Zusammenhang die kritische Vermittlung lebenspraktischer Bedürfnisse an Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, wie auch die Kommunikation der Erkenntnisse und Effekte dieser Bereiche in der Gesellschaft. Integration ist die Verankerung von differenziertem Reflexionswissen im Alltag mit Hilfe künstlerisch-ästhetischer Strategien.«

Im Verlauf des Forschungsprojekts ließ sich feststellen, dass insbesondere auf institutioneller Ebene ein Mangel an unterstützender Arbeit bei der Vernetzung und Vermittlung zwischen den verschiedenen Disziplinen herrscht. Ein Stipendium in traditioneller Form wurde als nicht zweckmäßig verworfen, da im Rahmen dieser transdisziplinären Aktivitäten die Förderung der Kommunikation und die Kontinuität der inhaltlichen Arbeit im Vordergrund stehen muss und nicht die Unterstützung einzelner Personen. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde ein Modell für das zu gründende ›Institut für künstlerische Forschung‹ (IkF) entwickelt. Die einleitenden Absätze des Konzeptionspapiers verdeutlichen dessen Hintergrund und Aufgabenstellung:

»In der Kunst zeichnet sich immer deutlicher die Tendenz ab, gesellschaftsbezogen zu arbeiten. Künstler kooperieren mit Wirtschaft und Wissenschaft, konzipieren soziale Projekte und operieren im politischen Raum. Sie begnügen sich nicht länger mit objekthaftem Gestalten, sondern suchen unter Anwendung ihrer künstlerischen Kompetenzen nach Antworten auf gesellschaftliche Fragestellungen. Kunst bietet damit Transfer- und Integrationsleistungen an, die für die Gestaltung der gesellschaftlichen Zukunft von elementarer Bedeutung sind. Das IkF bildet das Zentrum des internationalen Austausches von interdisziplinär forschenden und agierenden Künstlern, Wissenschaftlern und Unternehmern. Am IkF erhalten Künstler die Möglichkeit, zeitlich begrenzt, finanziell ausreichend dotiert und infrastrukturell professionell unterstützt, Kooperationen mit Experten unterschiedlicher gesellschaftlicher Felder zu initiieren und zu elaborieren. Darüber hinaus dient das Institut als Archiv und Datenbank für transdisziplinäres künstlerisches Arbeiten.«

Für die Fragestellung, wie geeignete Personen für die Arbeit im Institut gefunden und ausgewählt werden könnten, beauftragten wir Prof. Michael Lingner als weiteren Experten. Auftragsgegenstand war dabei unsere Überlegung, daß die Auswahl für die Förderung nicht unzulängliche Methoden traditioneller Jurierung anwendet, sondern der Auswahlprozess als honoriertes Fachkolloquium mit den sich bewerbenden Künstlern, Wissenschaftlern und Unternehmern geführt wird. In diesem werden themenbezogene Zielsetzungen und Projekte erarbeitet, deren Umsetzung für einen bestimmten Zeitraum Personen aus dem Kreis der Teilnehmer als Aufgabe übertragen werden. Die Auswahl erfolgt somit nicht selektiv, sondern diskursiv.

Wir können drei wesentliche Ergebnisse feststellen:

• Die Grundlagenforschung für den Themenkomplex Kunst – Wirtschaft – Wissenschaft erhält mit dem Forschungsprojekt und der vorliegenden Publikation einen wesentlichen Impuls. In diesem Zusammenhang wird ›Transferkunst‹ als neuer Terminus verankert.

• Die visuell-ästhetische Umsetzung des Forschungsprozesses und seiner Ergebnisse eröffnet für die Bereiche Wirtschaft und Wissenschaft neue Perspektiven im Prozess- und Projektmanagement. Transferkunst steht für eine Methode ästhetisch-reflexiver Erzeugung und Vermittlung von Erkenntnissen und Bedeutungen; Reflexionsarbeit wird dabei in ästhetischer Form geführt und daraus gewonnene Erkenntnisse in den inhaltlichen Diskurs zurück transferiert.

• Der Zukunftsentwurf eines ›Instituts für künstlerische Forschung‹ – wo immer es realisiert werden wird – öffnet den Horizont künstlerischer Tätigkeit hin zu fundiertem gesellschaftsorientierten Arbeiten und bietet Wirtschaft und Wissenschaft die Chance, von qualifizierter künstlerischer Kompetenz zu profitieren. Der Mehrwert, der daraus entsteht, ist nicht nur ein ökonomischer, sondern ein im umfassenden Sinn kultureller. Der Schlüssel dafür ist Kunst als Transferdisziplin – kurz: Transferkunst.

Im Folgenden werden die bei dem Forschungsprojekt kFP/02 spezifisch praktizierten Vorgehensweisen der Recherche- und Assoziationsarbeit hin zur Präsentation aufgezeigt.

Praxisbericht kFP/02

Künstlerische Forschungsarbeit ist vor allem auch prozessual, woraus sich sich zwei wesentliche Folgerungen ergeben. Erstens kann der Arbeitsauftrag im Verlauf der Forschung modifiziert, Umwege und Seitenwege können eingeschlagen werden, wenn sie ein qualifiziertes Ergebnis vermuten lassen. In unserem Fall bedeutete dies bspw. die Erweiterung des Auftrags hinsichtlich der Grundlagenforschung: Welche die anderen Disziplinen tangierenden, kooperativen Ansätze werden in Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft theoretisch angedacht und praktisch umgesetzt? Zweitens ist der Forschungsprozess ergebnisoffen. Für kFP/02 hieß das, dass die Ausgangsfrage nach der Einrichtung eines Stipendiums nicht bedeutete, dass dieses auch eingerichtet werden musste. Vielmehr entwickelten wir aus dem Forschungsprozess heraus, als weitaus vielversprechendere Alternative, die Vision eines ›Instituts für künstlerische Forschung‹, dessen Realisierung an jedem geeigneten Ort erfolgen kann.

Subjektives Interesse, fachliche Kompetenz und externes Expertentum sind die Grundlagen für erfolgreiches Arbeiten. Die professionelle und persönliche Unabhängigkeit der Forschenden gegenüber der Institution bzw. dem Auftraggeber muss – abgesehen von der Finanzierung – insoweit gewahrt bleiben, als die Beauftragten nicht Teil der beauftragenden Kultureinrichtung, eines Wirtschaftsunternehmen oder einer wissenschaftlichen Einrichtung sind. So werden interne Interessenkonflikte ausgeschlossen und Arbeitsergebnisse erzielt, die an der Sache orientiert sind.

Unser Forschungsprojekt beschäftigte sich weder mit den, die Wirtschaft betreffenden, Themen ›Sponsoring‹ und ›Corporate Collecting‹, noch mit illustrativen Ansätzen aus dem Bezugsfeld Kunst und Wissenschaft. Es ging und geht um innovative Möglichkeiten operativer Kooperationen, deren Grundlagen und Zukunftsperspektiven. Erkenntnisse anderer Forschungen zum Thema ›Transfer- und Integrationsleistungen künstlerischer Tätigkeit im Kontext von Wissenschaft und Wirtschaft sowie deren Verhältnis zur gesellschaftlichen Lebenspraxis‹ gab es bisher nicht – somit betraten wir Neuland.

Für die Grundlagenforschung wurde eine Liste mit Gesprächspartnern aus Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft erstellt, die von den Mitgliedern der Forschungsgruppe kontaktiert und interviewt bzw. um ein Statement gebeten wurden. Die Auswahl erfolgte nach den Gesichtspunkten fachlicher Qualifikation und Praxisorientiertheit. Klar war von vorne herein, dass damit nicht das gesamte Spektrum des Themenfeldes abgedeckt werden konnte. Die vorliegenden Texte zeichnen sich jedoch nicht nur durch dezidierte persönliche Positionen aus, sie bilden ein qualifiziertes Informationsspektrum ab, auf dessen Basis eine weitere thematische Vertiefung erfolgen kann. kFP/02 missverstand sich nicht als ein Projekt, das die Transfer- und Integrationsleistungen künstlerischer Tätigkeit abschließend dokumentiert und bewertet; vielmehr öffnet es entsprechend seinem prozessualen Charakter den Blick auf innovative Ansätze und zeigt Perspektiven für zukünftige Handlungsoptionen auf.

Bilder aus der Präsentation

Die Forschungsgruppe hatte im Vorfeld drei Bereiche und Räume definiert: den Präsentationsraum, in dem die Ergebnisse der Grundlagenforschung gezeigt wurden; die Partnerlounge als exklusiver Kommunikationsraum für die Projektpartner; und die Nachtbar als offener Chill-out-Bereich. Jeder dieser Räume stellte ein zielgruppen- und ambientespezifische Kommunikationsangebot dar.

Die Wände des Präsentationsraumes, traditioneller Anbringungsort für Kunstwerke, werden zur Benutzeroberfläche, auf der die Quellentexte installiert sind. In chronologischer Reihung können die Entwicklung des Forschungsprojektes, vom ersten Arbeitstreffen bis zum Entwurf des ›Instituts für künstlerische Forschung‹ sowie die Texte und ihre Auswertung nachvollzogen werden. Jede Ebene der Erarbeitung wird dokumentiert und damit transparent: Von der ersten Liste der Gesprächspartner über Termine stattgefundener Gespräche, Absagen auf Gesprächsanfragen, bis hin zu Audio-CDs aufgezeichneter Interviews. Erste Abschriften auf Papier sind mit Klebestreifen an den Wänden befestigt, nachdem sie von den Herausgebern ausgewertet und mit Textmarkern kommentiert wurden.

Mit blauem Klebeband sind die verschiedenen Interviews an Stellen inhaltlich übereinstimmender oder sich ergänzender Schlüsselthemen miteinander ›verlinkt‹. Darüber sind diejenigen, auf Transparentfolie ausgeplotteten Texte gehängt, die bereits von den Interviewpartnern autorisiert wurden. Die Folienoberfläche kennzeichnet eine Ergebnisebene, durch die hindurch die verschiedenen Arbeitsebenen transparent bleiben. Die blauen Linien durchziehen den Raum als begehbares, semantisches Netz und prägen, gemeinsam mit den anderen Komponenten der Installation, die skulpturale Qualität der Präsentation. Der Kontext des Projekts und sein Work-in-Progress-Charakter werden so atmosphärisch verdichtet, zugänglich und erfahrbar.

Im Zentrum des Präsentationsraumes befindet sich eine Lese- und Kommunikationsinsel. Dort liegen die Interviewtexte in Heftform, Notizblöcke und Kugelschreiber für die Besucher sowie kopierte Zeitungsartikel aus, die die Herausgeber im Verlauf des Forschungsprojektes gesammelt hatten. Berichte, Interviews und Essays aus den Bereichen Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik bringen den Betrachter auf den aktuellen Stand des öffentlichen Diskurses. Ein, vor der direkten Einsichtnahme geschützes Lesemöbel ermöglicht das ungestörte Studium der Unterlagen in bequemer Position. Der Boden ist mit einem hellgrauen Teppichboden ausgelegt; bereits durch diesen unspektakulären, aber sowohl in optischer wie akustischer Hinsicht wirkungsvollen Eingriff, ist der Raum von seiner ursprünglichen Funktion als traditioneller Ausstellungsraum freigestellt.

Die Realisierung zukunftsorientierter Forschungs- und Kooperationsansätze ist nicht zuletzt von deren finanzieller Ausstattung abhängig. Die Faktoren Zeit und Geld spielen eine entscheidende Rolle. Künstlerische Projekte sind jedoch in den meisten Fällen, ebenso wie dieser Forschungsauftrag, unterfinanziert. Rechnet man vom Gesamtbudget die Kosten für die Präsentation und die Ausgaben für Reisen zu den Interviewpartnern, Abschriften u.v.a. ab, so blieb den Forschenden ein Honorar, dessen Höhe in keiner Weise vergleichbaren Dotierungen entspricht. Hier greift die notorische Selbstausbeutung im künstlerischen Arbeitsfeld, ohne die Projekte wie das vorliegende nie realisiert würden.

Die Durchführung künstlerischer Projekte, ja selbst das Überleben von Kulturinstitutionen, ist heute ohne unbezahlte ›Hilfskräfte‹ nicht mehr denkbar – und diese Situation wird sich noch verschärfen. Dieser gesellschaftliche Aspekt veranlasste uns, das Thema offensiv anzugehen, soziostrukturelle Vorüberlegungen zu treffen und u.a. die ästhetische Kompetenz von Praktikantinnen als Mitarbeiterinnen in den Gestaltungsprozess mit einzubeziehen. An der dreiwöchigen Vorbereitung der Präsentation beteiligten sich vier Praktikantinnen. Außer im Präsentationsraum waren sie an allen wesentlichen gestalterischen Maßnahmen aktiv beteiligt, darüber hinaus auch an der Konzeption und Durchführung der Vermittlungsarbeit – von der Gestaltung der Namensschilder für die Mitarbeiter über die Erstellung des Dokumentationsvideos bis zur Begleitung des Publikums innerhalb der Präsentation.

Die Wände der Partnerlounge sind in Felder eingeteilt, die von Partnern (Sponsoren) für den Ausstellungszeitraum gebucht werden konnten, um dort ihre Logos zu platzieren. Durch die Vielzahl der ausgewiesenen Werbeflächen erscheinen die Logos nicht mehr exklusiv, sondern werden in der Gesamtheit als ›Bild‹ bzw. als Pop-Art-Tapete wahrgenommen. Dadurch wird die Wirkung rein kommerzieller Werbeauftritte in den Bereich einer konkreten, ästhetischen Anmutung verschoben. Zugleich wurde damit jedoch traditionelle Ausstellungsfläche (Wand) der Präsentation entzogen. Besucher der Präsentation, die sich nicht als Partner ›eingekauft‹ hatten, konnten den Raum nur durch einen zweiten, entsprechend gekennzeichneten, Eingang betreten und den exklusiven Loungebereich innerhalb einer Absperrung stehend betrachten. Damit wurde die Exklusivität einer kommerzialisierten Beziehungssituation und die dieser auch innewohnende Absurdität kommentiert. Als visuell-ästhetischen Dienstleiter beauftragten wir mit der Beratung für die Möblierung die Agentur Freizeitgeber, Köln.

Die zeitgenössischen Möglichkeiten aggressiven Marketings werden mit einer szenischen Intervention ausgelotet, die im Rahmen der Dortmunder Museumsnacht vom Jungen Theater Hagen realisiert wurde. Ein ›Fliegender Strassenhändler‹ hatte im Foyer einen mobilen Museumsshop auf einer Decke ausgebreitet. Er pries, in freundlich-aggressivem Promotion-Slang, diverse, von Praktikantinnen in direktem Bezug zum Forschungsprojekt entwickelte und hergestellte Waren so erfolgreich an, dass diese nach wenigen Stunden ausverkauft waren. Das Sortiment umfasste Produkte, die einerseits dem devotionalienhaften Angebot klassischer Museumsshops entsprachen, andererseits Forschungsgegenstand und -projekt symbolhaft interpretierten. Darüber hinaus mischte sich ein ›Schwarzhändler‹ unter das Publikum, der fiktive ›illegale Schnäppchen‹ so überzeugend im Flüsterton feilbot, dass zwischenzeitlich die Gefahr bestand, dass das Publikum sich eher für den Kofferraum seines »gleich um die Ecke geparkten Daimlers« interessierte, anstatt für die Ausstellung.


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