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Jan Holtmann

Die Frage nach der medialen Qualität des OFFs

Ausgangspunkt meiner Überlegungen sind Fragen wie:

Was zeichnet die OFF-Szene aus?

Was soll das sein, »OFF-Kunst«?

Wo macht sie einen Unterschied zum ON?

Einen Unterschied muss sie ja machen, die OFF-Kunst, sonst würde dieser Kongress der OFF-Kunst-Häuser und -Initiativen keinen Sinn machen und man würde sich fragen, was das ganze Gerede von OFF soll.

Dem Kongressnamen folgend, wären wir eben nicht woanders.

Meine Behauptung ist es also, dass die Arbeit an der Differenz zu anderen Praxen auch Bestandteil der OFF-Kunst-Praxis sein muss.

Und mit meinen nachfolgenden Überlegungen möchte ich einige Schwierigkeiten dieser Praxis darlegen, um so auch die Möglichkeiten der Positionsbestimmung der OFF-Kunst aufzuzeigen. Denn gerade die Notwendigkeit der Arbeit an ihrer Differenz erscheint der OFF-Kunst-Praxis zum einen nicht selbstverständlich, zum anderen fällt es auch nicht leicht, diesen Unterschied zu bestimmen. Aber nur die Bestimmung der Differenz könnte die OFF-Kunst positionieren.

Die Schwierigkeiten und Diskussionen beim Namenfindungsprozess im Vorfeld des Symposiums Wir sind wo anders zeugten davon, dass es nicht einfach ist, OFF-Kunstpraxis zu fassen.

Ich benutze im Folgenden die Bezeichnung OFF / OFF-Szene / OFF-Kunst / OFF-Kultur / oder OFF-Kunstpraxis als Platzhalter, bis die Qualität der OFF-Kunst herausgearbeitet wird und dadurch die Grundlage für eine passende Namensfindung gegeben ist. Nötig ist dies schon allein, weil der Begriff OFF-Kunst negativ besetzt ist und eine Positionierung und Position er OFF-Kunst-Praxis vermissen lässt, wenn nicht verhindert.

OFF SYNONYME BESCHREIBEN DAS PROBLEM RECHT DEUTLICH

absent, cancelled, finished, inoperative, negligible, not employed, on vacation, outside, postponed, remote, slender, slight, slim, small, unavailable, bad, decomposed, disappointing, disheartening, displeasing, lowquality, mortifying, poor, quiet, rancid, rotten, slack, sour, substandard, turned, unrewarding, unsatisfactory, above, absent, afar, ahead, aside, away, away from, behind, below, beneath, beside, disappearing, divergent, elsewhere, far, farther away, gone away, not here, out, over, removed, turning aside, up from, vanishing, badly mistaken, off balance, off side, out off line, at liberty, on furlough, on holiday, on leave, on one's time, on sabbatical, on vacation, not wellknown, off eat, off the beaten track, out of the ordinary, unfrequented, unusual, unvisited, adlib, by ear, extempor-aneously, impromptu, improv, improvised, makeshift, off the hip, off the the top of one's head, offhand, spur of the moment, unrehearsed, between us, confidential, eyesonly, for no other ears, in confidence, not for publication, not to be quoted, on the qt, sensitive, unofficial, within these four walls, alternately, at irregulär intervals, fluctuating, hardly, infrequently, intermittent, irregularly, not often, off and on and off, scarcely, sometimes, sporadically, vacillating, variable, very seldom, when the mood strikes, blue, indelicate, purple, racy, salty, shady, spicy, suggestive, vulgar, wicked, asleep, asleep at the switch, derelict, flatfooted, napping, negligent, not on the job, unalert, unguarded, unprepared, unready, unwatchful, abnormal, anomalous, clinker, deviant, discordant, dissonant, divergent, inharmonious, irregular, jarring, sour, sour note, unnatural, flat, inharmonious, off-pitch, off-tone, out of pitch, out of tune, sour, unmusical, untuned, banned, barred, forbidden, illegal, illicit, not allowed, not permitted, out of bounds, outlawed, prohibited, restricted, taboo, unlawful, contretemps, evil hour, inopportune moment, poor timing, unfortunate time, unlucky day, unlucky hour, unsuitable time, abhorrent, abusive, annoying, biting, blue, crumb, cutting, detestable, disagreeable, discourteous, displeasing, disrespectful, distasteful, dreadful, embarrassing, evil, foul, ghastly, grisly, grody, gross, hideous, horrible, horrid, insolent, invidious, irritating, nauseating, objectionable, obnoxious, odious, off-color, offending, opprobrious, outrageous, repellent, reprehensible, repugnant, repulsive, revolting, rotten, rüde, shocking, stinking, terrible, uncivil, unmannerly1

Die Bezeichnung OFF legt eine Abgrenzung zum ON, also zu den hegemonialen Orten und Praxen der Kunst nahe. Doch worin besteht die eigene Qualität und Position der OFF-Kunst? bzw. wieso fällt es ihr so schwer, diese Abgrenzung aufrechtzuerhalten? Wo hat OFF-Kunst-Praxis die Möglichkeit, einen positiven Unterschied zu behaupten? Wo und wie kann OFF-Kunst-Praxis eine Position beziehen und darstellen? Denn diese eigenständige Position erscheint nicht selbstverständlich: Wir sind woanders, schreit das Differenzbedürfnis. Aber wo wir sind, ist unklar. Wir sind nicht - wie mal angedacht - mit dem Kongress im Kunsthaus, sondern dieser befindet sich so zufällig wie unglücklich in der Museumstraße.

AUFGABEN UND MÖGLICHKEITEN DER OFF-KUNST-PRAXIS

So erscheint mir die Arbeit an der eigenen Qualität, die über ein Wir sind woanders hinausgeht und eine eigenständige Position bildet und kennzeichnet, den vernachlässigten Kern und notwendigen Bestandteil einer ernst zu nehmenden OFF-Kunst-Praxis auszumachen. Anders gesagt, die Aufgabe, die Möglichkeiten einer OFF-Kunst-Praxis zu erarbeiten, erscheint mir als der Schlüssel zu eben dieser Praxis zu sein. Und dies vor allem deswegen, um nicht die »Positionierungsschwäche« als Kennzeichen des OFF davonzutragen.

Die unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen der Beteiligten in diesem Feld werden oft herangezogen, um eine Bestimmung der OFF-Kunst als unmöglich zu behaupten. Für mich kommt aber vielmehr der Verdacht auf, dass diese Indifferenziertheit gewollt sein könnte, dass diese Undifferenziertheit einigen auch Tarnung bietet, und zwar denen, die nichts mit OFF zu tun haben und sich hier aber aus unterschiedlichen Gründen trotzdem tummeln. Den anderen erspart die Undifferenziertheit, an den Qualitäten der OFF-Praxis zu arbeiten.

HINDERLICHE OFF-KUNST-VERSTÄNDNISSE UND DIFFERENZNOTWENDIGKEIT

Ich möchte Verständnisse von OFF-Kunst kurz skizzieren, die eine eigenständige Positionierung dieser Praxis erschweren bzw. ihr entgegenstehen und den Blick auf das notwendige Tätigkeitsfeld verdecken.

1. Ohne weiteres lassen sich in der OFF-Szene Unterschiede feststellen, die sind aber nur quantitativer Art:

Die entsprechenden Akteure haben weniger Geld oder bekommen vermeintlich weniger Öffentlichkeit bzw. Medienaufmerksamkeit.

2. Angebliche OFF-Kunst, die aber auf das hegemoniale Feld ausgerichtet ist. Hierbei gibt es die negative und die positive Ausrichtung auf das hegemoniale Feld:

a. Die negative Ausrichtung bildet nur die Kehrseite des hegemonialen. OFF sind hierbei die Ausgeschlossenen und vom ON nicht Beachteten. Hier ist OFF ein bloßes Widerfahrnis und Erlittenes.

b. Das Verständnis von OFF als Vorbereitungsbereich für das ON. Es ist auffällig, dass die Künstler, die sich heute im OFF präsentieren, morgen genauso die etablierten Institutionen bespielen. Ganz offensichtlich arbeiten diese Künstler nicht an der eigenen Qualität des OFFs, sondern sie arbeiten pro-hegemonial, aber eben (heute noch) im OFF und möglichst morgen in der Kunsthalle, im Museum, in der Galerie oder auf dem Kunstmarkt. OFF-Institutionen ermöglichen es vielen, ihre Kunst zu präsentieren. Doch ist dieses eher eine Mangelverwaltung der Möglichkeiten des ON bzw. stellt das OFF einfach ein günstiges Probier- und Selektierfeld für das ON dar.

OFF-Kunst als Vorstufe des ON erscheint mir doch recht trivial und interessiert hier bei der Bestimmung einer OFF-Kunst-Praxis und ihrer Positionierung nicht bzw. ist sie vielmehr kontraproduktiv, führt zu Unübersichtlichkeit, Missverständnissen und verhindert die Arbeit an einer Positionierung des OFF.

So möchte ich nicht nur fragen, ob OFF-Kunst eine eigene Qualität hat, sondern OFF macht eben nur Sinn, wenn sie einen Unterschied macht, wenn sie eine eigene Qualität hat.

Zudem impliziert diese Frage nach der Qualität der OFF-Kunst zugleich ein eigenständiges Tätigkeitsfeld der OFF-Kunst. Anders gesagt: Wenn OFF-Kunst-Praxis einen Unterschied macht, dann hat dies FOLGEN:

Das Herausarbeiten der eigenen Qualität führt zu einem eigenen Kulturbereich! OFF wäre ein eigener Aufgabenbereich und vielleicht auch eine eigene künstlerische Gattung. Denn wenn OFF eine eigene Qualität hat, dann wäre es die Frage, ob OFF-Kunst-Praxis nicht selber ein hegemoniales Prinzip darstellt.

Und, einerseits wäre manches, was jetzt noch irgendwie zum OFF gehört, dann als Probebühne des ON zuzuordnen. Ich meine, diese sollte dann aber auch von der ON-Praxis bezahlt werden. Andererseits wäre OFF eben ein ganz eigenständiger Bereich, der, wenn man ihn hat und will, auch entsprechend gefördert werden muss. Und somit wäre es auch (kulturpolitisch für das OFF wichtig, einen Unterschied zu machen!

Wohlgemerkt: OFF-Kunst-Praxis könnte ein eigenes, hegemoniales Prinzip darstellen. OFF-Kunst heißt nicht, unerfolgreich sein. Aber erfolgreiche OFF-Kunst wäre keine hegemoniale Institution, wie wir sie kennen. Mit erfolgreicher OFF-Kunst ist eben nicht eine Praxis gemeint, die gestern OFF war und heute ist sie ON. Sondern sie wäre ein eigener hegemonialer Kulturbereich, der dem bisherigen hegemonialen Bereich entgegensteht.

Nun, so weit sind wir noch nicht, bzw. dürften die, die in der Tarnung sitzen, dies verhindern und die Tarnung noch etwas höher ziehen wollen. Oder sie würden immer mal wieder Deckung von denen bekommen, deren hegemoniale Position durch den von diesem Praxisfeld gebildeten neuen Kulturbereich gefährdet wäre.

Momentan stellt es sich aber so dar, dass OFF-Kunst gefährdet ist, von den hegemonialen Praxen überlagert zu werden und sich nicht als eigenständiger Bereich behaupten zu können. Diese Notwendigkeit der Arbeit an der Differenz für die OFF-Kunst-Praxis scheint eben nicht nur nicht selbstverständlich. Es fällt auch nicht leicht, diesen Unterschied zu bestimmen. Um dieser Vereinnahmung entgegenzustehen, wäre also schon aus strategischen Gründen ein qualitativer Unterschied vonnöten, der die Vereinnahmung unmöglich macht. Im Folgenden will ich also eine Möglichkeit aufzeigen, die die OFF Kunst Praxis in die Lage versetz, einen qualitativen Unterschied zu machen.

DAS HEGEMONIALE FELD DES ON

Nun möchte ich einen Blick auf das hegemoniale Feld werfen und dabei drei Aspekte in der Geschichte von Kunst und ihrer Ausstellung herausgreifen.2

Deren sehr knappe Darstellung erinnert erstens an die Gründung und Entwicklung der hegemonialen Institutionen, zweitens an die Schwierigkeiten, sich von diesen abzugrenzen, und drittens zeigt sie die Möglichkeit für die OFF-Praxis auf, einen qualitativen Unterschied zu machen, oder zumindest diese Aufgabenstellung genauer zu umreißen.

I. DER ÄSTHETISCH-POLITISCHE ASPEKT: DAS (BÜRGERLICHE KUNST-)MUSEUM

Die das ON bestimmende Institution ist das (bürgerliche Kunst-)Museum. Es sammelt Kunst und diese Sammlung bildet die Geschichte der Kunst ab. Es ist das Archiv, das den Vergleichsraum der Kunst bildet. Was ins Museum will, muss sich vergleichen lassen und muss einen Unterschied machen.

Vor der Französische Revolution, vor der bürgerlichen Kulturrevolution, gab es Kunst in unserem Sinne nicht. In den privaten, feudalen enzyklopädischen Sammlungen bzw. Wunderkammern oder Kunstkammern wurde alles gesammelt und in engem Nebeneinander präsentiert: Naturfundstücke, Exotisches, wissenschaftliche Apparaturen, Reisemitbringsel usw. befanden sich ohne erkennbare Ordnung in einem großen Durcheinander in einem Raum. Hier waren Malerei und Skulptur nur ein Bestandteil von vielem, das gleichwertig nebeneinander stand und göttliche Schöpferkraft repräsentierte.

Erst das Bürgertum sammelte Dinge nicht mehr wegen ihrer dienenden oder religiösen Funktion, sondern aufgrund ihres ästhetischen Wertes. Es löste die enzyklopädischen Sammlungen auf und schaffte Spezialsammlungen. Die Reisemitbringsel kamen ins Völkerkundemuseum, die Naturfundstücke ins Naturkundemuseum usw. Malerei und Skulptur blieben übrig, sie kommen ins Kunstmuseum und werden Kunst im heutigen Sinn. Und ab diesem Punkt stellt sich die bis heute aktuelle Frage: Was ist Kunst?

Oft wird OFF-Kunst-Praxis nicht nur als politische Aktion verstanden, sondern OFF-Kunst fordert einen politischen Selbstanspruch ein. Nun zeigt aber die bürgerliche Kunstsammlung und ihre Institution, das Kunstmuseum, die bis heute das ON bestimmt, dass das Sammeln und Bewahren von Artefakten aufgrund seiner ästhetischen Eigenschaft selbst schon als politische Handlung verstanden werden muss. Das Bürgertum vernichtet nicht die Kunst der von ihr bekämpften feudalen Klasse, sondern es recycelt deren Werke und schafft sich aus ihnen ein eigenes Kulturgut: das autonome Einzelwerk. Wenn schon die ästhetische, zweckfreie Kunst Politik macht, dann reicht es nicht, sich politisch zu geben, dann fordert es von der OFF-Kunst-Praxis eine präzise Bestimmung und Exposition ihres politischen Postulats.

II. DER FORMAL-MEDIALE ASPEKT DER MUSEALEN PRÄSENTATION

Im Museum und in Ausstellungen hatte das bürgerliche Kunstwerk erstens lange keine eigene Form der Präsentation. Die Präsentation entsprach immer noch der feudalen enzyklopädischen Hängung. Die Werke hängen ohne Ordnung dicht bei dicht, eng über- und untereinander. Das einzelne Bild geht in der Fülle der Bilder unter.

Zweitens widerspricht gerade diese Form der Präsentation der Idee des ästhetischen Einzelwerks. Das Einzelwerk ging in der Masse der Bilder unter, es hatte keine Luft zum Atmen, es konnte seine ästhetischen Eigenschaften nicht zum Wirken bringen. Die Präsentation nimmt auf das Einzelwerk keine Rücksicht und entzieht den Werken eher den Blicken, als dass sie die Aufmerksamkeit auf sie lenkt.

Es dauerte lange, bis eine eigene Form konzipiert und entwickelt wurde.

Um es auf den Punkt zu bringen: Es waren Künstler, die daran arbeiteten, eine dem autonomen Einzelwerk entsprechende Form zu finden. John Ruskin und seine Vorstellungen des idealen Ausstellungsraums möchte ich hier als einen Paten anführen: »Ich würde eine Galerie bauen, die das Vorbild für alle zukünftigen Bildergalerien abgeben könnte (...). Ich würde sie einstöckig bauen und in Form eines Labyrinths, damit ich auf engerem Raum ihre Gänge so lang machen kann, wie ich will, Licht soll von oben kommen, und große Räume sollen auf Gänge folgen wie Perlen an einer Kette. In den großen Räumen soll man die großen Bilder aus angemessener Entfernung betrachten können, und alle Bilder sollen in Augenhöhe angebracht werden, niemals ein Bild über dem anderen. Jedes Bild soll das Licht gesondert empfangen, jedes Bild in seiner eigenen, kleinen Kammer. Jede Zeichnung in einem eigenen, goldenen Kasten mit Verschluss und Aufsehern in jedem Raum, die dafür sorgen, dass diese Kästen wieder geschlossen werden, wenn niemand die Zeichnungen betrachtet (...). So wären die Gegenstände von Interesse so weiträumig verteilt, dass sich nirgendwo eine Ansammlung von Besuchern ergibt, keine Menschen, die einander bedrängen (...); Raum wäre für jedermann, jedes Ding zu sehen.«3

Dies mündet in der uns allen bekannten weißen Zelle, dem White Cube. Diesen Punkt will ich noch einmal anders formulieren: Mit der Arbeit an der Form der Präsentation wird das Medium Ausstellung als Träger der autonomen Einzelwerke entwickelt. Das Werk und sein Medium, die künstlerische Präsentation, sind zwei Seiten derselben Medaille: Das autonome Einzelwerk, das frei und eigenständig ist, kann seine Wirkung und ästhetischen Eigenschaften nur im Medium des von Künstlern entwickelten White Cube entfalten.

Diese Form der Präsentation vollendet die Idee der musealen Kunst. Gleichzeitig hat sich die autonome Kunst in die Abhängigkeit der neuen Institution des bürgerlichen Kunstmuseums gebracht, dessen Kulturgut, eben dieses autonome Einzelwerk, erst in dem White Cube zur Wirkung kommt. Die gerade befreite Kunst, ist so verwundbar, dass sie eine neue Abhängigkeit mit sich bringt. Sie ist so empfindsam, dass ihr Wert ohne einen Träger, eine Präsentationsform infrage steht. Dieser Träger ist der White Cube, der mittlerweile die gesamte Präsentation von Kunst bestimmt und zu einer Universalie geworden ist.

Will OFF-Kunst sich vom ON unterscheiden, erscheint mir die Übernahme der musealen Präsentationsformen nicht nur sehr ungeeignet, sondern unter Einbeziehung des vorherigen Aspektes als eine politische Bankrotterklärung.

III. ASPEKT:

ABLEHNUNG UND KAPITULATION VOR DEM MUSEUM

Auf den Aspekt des Medialen will ich auch in diesem Punkt zurückkommen, da er meiner Meinung nach von den Museumsstürmern übersehen wurde. Immer wieder wenden sich Künstler vom Museum ab. Die Liste der Museumsstürmer ist lang. Immer wieder haben Künstler versucht das Museum, die Institution der bürgerlichen Kunst, anzugreifen. Doch ich denke, man kann, auch ohne diese Beispiele noch einmal aufzuzählen, sagen, dass die Museumsstürmer dem Museum nicht entkommen sind. Bestenfalls sind die Museumsstürmer wieder im Museum gelandet.

Das Projekt Wir sind wo anders steht also unter keinem guten Stern. Und somit kommt auch die Frage nach den eigenen Qualitäten des OFF in dieser Argumentation an ein plötzliches Ende, wenn Kunst doch den hegemonialen Institutionen nicht entkommen kann.

Ich denke jedoch, dass die Opposition zum Museum kein chancenloses Unterfangen darstellt. Vielmehr möchte ich den medialen Aspekt der Kunst noch einmal aufnehmen, und dabei auf Boris Groys' Begriff der Innovation zweiten Grades zurückgreifen.

INNOVATION ZWEITEN GRADES

Boris Groys unterscheidet zwischen einer Innovation ersten Grades und einer Innovation zweiten Grades.4

Eine Innovation ersten Grades ist eine neue Arbeit, die sich vor der (kunstgeschichtlichen) Folie des Bestands abhebt und in das Archiv aufgenommen wird. Dabei ist das Werk notwendig eine Innovation. Es muss neu sein, damit es überhaupt vor der Folie des historischen Bestands sichtbar ist. Die Innovation ersten Grades ist ein zusätzliches Zeichen, das die Historie des bestehenden Archivs weiterführt.

Die Innovationen zweiten Grades führt Groys in dem Aufsatz »Im Namen des Mediums: Politik der Avantgarden« ein. Eine Innovation zweiten Grades stellt die Kriterien des Vergleichs selbst in Frage und führt den Vergleich in einem neuen Medium durch. Dieser neue mediale Vergleichsraum ist mit dem üblichen Gebrauch des Bestandes des Archivs unvereinbar. Groys macht dies an den Bildern der avantgardistische Künstler fest, die neue Kriterien des medialen Vergleichs einführen. Hier macht die neue mediale Ebene die künstlerische Relevanz der Bilder aus.

Bei den von Groys angeführten Beispielen Kandinsky oder Malewitsch erzieht das Bild den Blick des Betrachters, in einer Weise, die diesem erlaubt, den medialen Vergleich, den die Russische Avantgarde vorgibt, auf andere Bilder anzuwenden und die unterschiedlichsten Bilder allein nach ihren materiellen, medialen Beschaffenheiten zu vergleichen... denn alle Bilder sind eine Kombination von Farben und Formen.5

So geht es bei der Innovation zweiten Grades nicht um die neue Beschaffenheit des avantgardistischen Bildes, sondern das neu geschaffene Bild eröffnet einen neuen Vergleichsraum eine neue mediale Ebene aller Bilder des bestehenden Bestandes die nun neu geordnet werden müssten.

Zwei Punkte, erstens Unvereinbarkeit der Innovation zweiten Grades mit dem bestehenden Archiv, zweitens die neue mediale Ebene, der neue Vergleichsraum und Gebrauch des Bestandes, des Archivs durch die Innovation zweiten Grades sind für die Ausgangsfrage nach der eigenen Qualität des OFF folgenreich.

Der zweite Punkt, die Eröffnung des neuen Vergleichsraums für den gesamten Bestand des bestehenden Archivs, erscheint in dieser Argumentation zunächst fraglich, weil OFF ja vermeintlich nicht auf das ON, das Archiv, auf das Museum und seine Neuordnung ausgerichtet sein sollte, und bedarf einer gesonderten, diesen Text sprengenden Überlegung. Hier sei nur Folgendes angemerkt.

- Museumsstürmer sind unter anderem deswegen dem Museum nicht entkommen, weil sie keine eigene Archivform entwickelt haben. Bzw. habe ich oben kurz dargelegt, dass die autonome Kunst die feudale Kunst durch die Entwicklung einer eigenen Präsentationsform überwand und durch die Erarbeitung des eigenen Mediums Ausstellung ihre Idee erst vollendetet.

- Wenn OFF-Kunst keine eigene Archivform hat, wäre das eher ein Indiz dafür, dass sie auf der medialen Ebene nichts anzubieten hat und dann auch zum ON in keiner zwingenden Opposition steht. Wobei die Archivform der OFF Kunst eben nicht heißt, dass OFF Kunst ein eigenes Museum bekommt. Denn hier würde sie ja wieder musealisiert und so der bürgerlichen Kunstvorstellung unterworfen werden. Erst die mediale Ebene der OFF Kunstpraxis, den Vergleichs- und Handlungsraum den diese Ebenen eröffnet, ordnet den Museumsbestand neu und macht einen neuen Gebrauch von ihm.

- Eine Innovation zweiten Grades ist nicht ein Angriff auf die einzelnen Bestandteile des Archivs, sondern auf das bestehende Archiv selbst, auf seine Ordnung, auf den von ihm vorgegebenen Vergleichsraum und Umgang mit dem Bestand. Die Möglichkeit, dass eine Innovation zweiten Grades durch einen neuen Vergleichsraum die hegemoniale Archivform infrage gestellt wird, kann von dieser nur als Angriff und Bedrohung angesehen werden und begründet die Spannungen zwischen ON und OFF.

Der erste Punkt, die Unvereinbarkeit der Innovation zweiten Grades mit dem bestehenden Vergleichsraum des Archivs, ist für mich vorerst der entscheidende, er erschließt der OFF-Kunst-Praxis ihre Bestimmung und Möglichkeiten:

Mit Groys könnte man sagen, das Medium der OFF-Kunst eröffnet einen neuen Vergleichsraum, der quer zum Vergleichsraum der bestehenden Kunst steht. OFF-Kunst, die im Namen ihres Mediums arbeitet und dieses Medium darbietet, steht quer zum ON und ist mit ihm unvereinbar.

Und OFF-Kunst kann an dem Medium der OFF-Kunst-Praxis arbeiten, um so einen Unterschied zu machen. Bis jetzt waren es Künstler, die sich der Aufgabe stellten, das Medium ihrer Kunst zu exponieren. Nicht zuletzt waren es Künstlerkonzeptionen, aus denen der White Cube, das Medium des autonomen Einzelwerks, entwickelt wurde. Und so ist es Künstlern auch zuzutrauen, dass sie am Medium der OFF-Kunst arbeiten können.

Und da in der OFF-Kunst Künstler die Betreiber der Off-Kunstinstitutionen sind, kann dies Vorhaben gelingen. Bzw. wird es nur gelingen, wenn sie denn, wie anfangs dargelegt, überhaupt auf OFF-Kunst abzielen und dies nicht als Vorbereitungsfeld für das ON betrachten.

ZWEI FRAGEN ZUM SCHLUSS

Erstens bleibt die Frage, was nun das Medium der OFF-Kunst ist?

Das Medium der OFF-Kunst könnte vieles sein. Nicht nur »Farbe« oder »Malerei« oder »Ausstellung« lässt sich als Medium auffassen. Was das Medium der OFF-Kunst ist, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Vielmehr wäre die Arbeit am Medium der OFF-Kunst die die OFF-Kunst bestimmende Praxis: Die Fragen, was das Medium der OFF-Kunst ist, ist grundlegender Bestandteil der OFF-Kunst-Praxis.

Auf ein mögliches Medium sei an dieser Stelle aber doch verwiesen: Auswahlverfahren. Dass die Hamburger OFF Kunst Initiativen sich in letzter Zeit verstärkt Gedanken zu Auswahlverfahren machen, könnte ja mehr sein, als ein Reaktion auf das Ärgernis der Mangelverwaltung der Budgets der Hamburger OFF Kunstszene. Das Medium der Selektion ist als solches vom ON Instituten nicht beachtet worden. A sollte es OFF Kunst Praktiker aufhorchen lassen, wenn eine Gestaltung in diesem Bereich abgelehnt wird. Das Verwerfen, Protestieren, Anfechten, Mäkeln und Rügen oder einfach auch nur Ignorieren der Arbeit an Auswahlverfahren kann also auch als Bestätigung des Angriffs auf den bestehenden hegemonialen Vergleichsraum gesehen werden. B heißt das nicht, dass Auswahlverfahren nicht Bestandteil des ON sind, vielmehr würde eben die Gestaltung, Sichtbarmachung und Anwendung von Auswahlverfahren das ON entscheidend verändern.

Zweitens: Was ist, wenn man die Frage umdreht? Was ist das Medium des ON? Hierfür eine Antwort zu finden ist nicht Aufgabe dieser Überlegungen, , bzw. schenkt das ON der Darbietung und Gestaltung seines Mediums, als die dieses ON begründende Ebene auffällig wenig Beachtung. Aber vor allem stellt sich mit einer Innovation zweiten Grades gegen die empirische Frage, ob denn die ON-Kunst nicht auch an ihrem Medium arbeitet, eine theoretische Antwort: Das ON kann nicht am Medium arbeiten. Gelingt es ihm, dann stände es quer zu seinem eigenen Vergleichsraum und wäre mit diesem unvereinbar. Somit ist die Arbeit am Medium nicht nur eine künstlerische, sondern sie ist mit dem On auch nicht vereinbar. Für uns ergibt sich so ein praktischer Imperativ: Sei Künstler, sei Off und arbeite an dem Medium deiner OFF-Kunst-Praxis!

Anmerkungen

1 http://thesaurus.reference.com/browse/off

2 Diese Darstellung der Geschichte der Ausstellung gründet sich auf: Georges Bataille: Museum (1929), in: Kritisches Wörterbuch, hg. und übersetzt von P ainer Maria Kiesow / Henning Schmidgen, Berlin 2005; Walter Grasskamp: Museumsgründer und Museumsstürmer. Eine Sozialgeschichte des Kunstmuseums, München 1981; Brian O'Dorethey: In der weißen Zelle, Berlin 1996.

3 John Ruskin: Letters from Venice, 1851-52. (Hrsg.): J. L. Bradley, New Haven 1955, S. 121

4 vgl. Boris Groys, Im Namen des Mediums: Politik der Avantgarden, in: Topologie der Kunst. Carl Hanser Verlag, München 2003, S. 221 ff.

5 vgl. Boris Groys, Im Namen des Mediums: Politik der Avantgarden, in: Topologie der Kunst. Carl Hanser Verlag, München 2003, S. 226, 228, 230


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