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Heinz Paetzold

F. E. Walthers Kunstkonzeption in kulturphilosophischer Perspektive

Der folgende Text operiert nicht im Metier der Kunstkritik. Er bewegt sich auch nicht im Medium der Ästhetik. Die Absicht meines Essays ist vielmehr, eine Auseinandersetzung über die Kunst und insbesondere über das Werk von Franz Erhard Walther in der Perspektive der Kulturphilosophie zu initiieren und zu stimulieren.

I

Wie immer man die heutige Kultur insgesamt deuten mag - sei es als post-postmodern, als zweite Moderne, als Globalisierung -, fest steht, dass wir noch immer mit den durch Renaissance und Aufklärung geprägten Tiefenstrukturen zu tun haben.

Das Kantische Modell der Kultur, das durch Max Weber, Jürgen Habermas, Niklas Luhmann und viele andere variiert und verfeinert wurde, geht davon aus, dass wir drei dominante Kulturen in einer und derselben Gesellschaft unterscheiden können: Die wissenschaftliche Kultur wird stimuliert durch Fragen nach der Wahrheit oder Richtigkeit von theoretischen Aussagen über die empirische Welt, sofern diese Anspruch auf intersubjektive Geltung erheben können. Dies gilt sowohl für die objektivierenden Natur- wie auch für die kontext-sensiblen Kulturwissenschaften. Den Wissenschaften sind direkt weder handlungsorientierende Normen noch ästhetische Werte zu entnehmen.

Eine zweite Kultur, der wir die Analyse von gesellschaftlichen und kulturellen Praktiken durch die Sozialwissenschaften, die Anthropologie, die Ökonomie und die Psychologie zuordnen können, wird geprägt durch Fragen nach den Normen menschlichen Handelns. Sie spaltet sich auf in die intersubjektive Moralphilosophie einerseits und in die im Individuum verankerte Ethik andererseits. Einen produktiven Neuansatz zur Ethik hat in unseren Tagen Wilhelm Schmid mit seinem Konzept der »Lebenskunst« vorgelegt, indem er Michel Foucaults Inspirationen zu einer »Kunst des Lebens« weiter denkt.1

Das schon klassische Modell intersubjektiver Moralphilosophie liegt in der Diskurs-Ethik Habermasschen oder Apelschen Zuschnitts vor.2

Von der Wissenschaftskultur und der normativen Moralkultur können wir drittens die artistische Kultur - Kunst, Literatur, Theater, Architektur - abheben. In ihr geht es um die Freilegung von Tiefenstrukturen individuellen Ausdrucks, die weder unmittelbar wissenschaftliche Aussagen noch moralische Präzepte anbieten, sondern visuelle, haptische, szenische oder auditive Weltentwürfe, welche einer eigenen Logik folgen und welche in unseren Alltag interaktiv eingreifen und diesen formen.

Wie immer man die Rolle der Philosophie bestimmt - als »Platzhalter« (Habermas) oder als »polypragmatic« Vermittler zwischen den Kulturen (Rorty) -, die Kultur insgesamt in drei Felder zu gliedern, erweist sich als zu engmaschig. Wir sollten vielmehr von einer Pluralität »kultureller Felder« (Bourdieu) oder »symbolischer Formen« (Cassirer) ausgehen. Denn neben Wissenschaft, Moral und Kunst finden wir Technik, Politik, Sprache, Mythos, Religion, Ökonomie, Recht, die wir nicht auf eine begrenzte Anzahl kultureller Felder reduzieren können, ohne den Reichtum der Kultur zu unterlaufen. Keinem einzigen der kulturellen Felder können wir die Rolle eines Fundamentes für die anderen Felder zusprechen.

Das bedeutet, dass wir vom poetischen Fundamentalismus der Romantik Abschied nehmen sollten, dem nach Schelling Nietzsche Stimme verliehen hatte und der sich über Heidegger und, wenn auch in reflektierter Form, über Adorno noch in unsere Zeit vermittelt; wir können ferner weder die Religion noch die Wissenschaft noch die Technik noch die Ökonomie zum neuen »Heiligen« unserer Welt verklären. Aufgabe der Philosophie ist es, die Logik der »symbolischen Formen« (Cassirer) zu eruieren, die sich in Spannung mit, aber auch in Abhebung von der »Logik« der anderen kulturellen Formen bewegt. Das Symbolische ist dabei der Schlüssel für das Erfassen der Kultur.3

Nun muss noch eine weitere Facette zur Sprache kommen, damit mein Ausgangspunkt verständlich wird. Michael Lingner und andere warnen zurecht vor dem Hang heutiger Kulturtheoretiker, Kultur insgesamt auf »Erlebnis« (Schulze), auf »Entertainment« (Adorno) oder schlicht auf trivialisierte Seichtigkeiten zu reduzieren, indem einerseits Kultur und Wissenschaft am Maßstab leicht goutierbarer »Waren« auf dem Bildschirm gemessen, andererseits Kultur betriebswirtschaftlich mit Kategorien von »Markt« und »PR« instrumentalisiert wird.

Es ist wahr, dass der Neoliberalismus mit seinen Schibboleths von Markt und Erfolg der neue Totalitarismus unserer Zeit zu werden droht. Sofern die neoliberale Ideologie jede Kritik an der Totalisierung des ökonomischen Marktes zu marginalisieren versucht, tendiert sie dazu, ihrerseits totalitäre Züge anzunehmen. Das ist eine Gefährdung der Kultur in all ihrer Komplexheit. In diesem Sinn hatte schon Lyotard mit seinem Konzept des »Widerstreits« (»différend«) eine »abgeschlaffte« Kultur der Postmoderne - die Postmoderne des eklektizistischen Entertainments - von einer »seriösen« Postmoderne abgegrenzt. Nur in der letzteren finden sich die utopischen Ideale der künstlerischen Moderne fortgeführt und neu artikuliert.

II

Ich schlage vor, den Beitrag von Franz Erhard Walther zur Kunst kulturphilosophisch in vier voneinander zu unterscheidenden Dimensionen zu diskutieren. Diese vier Dimensionen machen zusammen das aus, was ich Kunstkonzeption nenne. Durch namhafte Philosophen ist der Begriff der Konzeption zum Schlüssel erklärt worden, um zeitgenössische Kunstentwürfe philosophisch zu begreifen. Unter ihnen sind Theoretiker solch unterschiedlicher Orientierung, wie Arnold Gehlen, Max Bense, Pierre Bourdieu, Susanne K. Langer, aber auch Arthur C. Danto und im Zusammenhang der Konzeptkunst natürlich Michael Lingner (s. Anm. 6). Viele Künstler, von Guillaume Apollinaire über Henri Matisse, Raimer Jochims, Franz Erhard Walther, Ulrike Rosenbach und viele andere, haben mit dem Begriff der Kunstkonzeption operiert.

Eine kulturphilosophische Neufassung dieses Begriffs umfasst die folgenden Dimensionen: Bemerkenswerten Kunstentwürfen ist erstens eine Vision darüber zu entnehmen, wie die Kunst mit der Kultur der Zeit interferiert, diese modifiziert und ihr eine andere Richtung geben will. Meines Erachtens ist der springende Punkt etwa bei Joseph Beuys' Entwurf von Kunst im Sinne der »sozialen Plastik«, dass sie von dem Bestreben gesteuert wird, die demokratischen Institutionen flüssig zu halten, sie vor Verkrustungen und Verhärtungen zu bewahren.4 Walthers Impuls dagegen besteht nach meiner Wahrnehmung darin, den einzelnen Menschen zu größerer sinnlich-intellektueller Autonomie zu verhelfen. Der Mensch soll lernen, seinen eigenen Sinnen zu vertrauen und seinem Denken zu folgen. Da Autonomie sich vor allem im eigenen Handeln bekundet, sind Walthers Arbeiten vom dem 1. Werksatz über die Schreitstücke des 2. Werksatzes bis hin zu den Wandformationen und den Raumabnahmen genau auf diesen neuralgischen Punkt, auf das Handeln aus Autonomie, gerichtet. Darin scheint mir die bleibende Aktualität von Walthers bildnerischer Arbeit zu bestehen.

Der Sinn von Autonomie hat sich freilich in den letzten 30 Jahren tiefgreifend verändert. War in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts das autonome und d. h. selbst bestimmte Handeln der Menschen bedroht durch den übermächtigen Staat und seine repressiven Anmaßungen sowie durch rigide soziale Institutionalisierungen, so sind seit den 80er und den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts neue Gefahren für die Autonomie der Menschen hervor getreten: Die Verführungen durch den Konsummarkt und durch das, was Hannah Arendt die »Massenkultur« genannt hat, d. h. die Minimierung der intellektuellen Anforderungen in den komplexer gewordenen »kulturellen Feldern«. Unsere Gesellschaft ist bedroht durch einen Verlust an Urteilsfähigkeit unabhängiger Menschen. Walthers Kunstkonzeption möchte diesem Trend gegensteuern, ihn gleichsam umkehren. Die seinem Werk eingeschriebene kulturelle Vision besteht, in einem Wort, darin, die Autonomie der Menschen zu stärken.

In einer zweiten Dimension interagieren bemerkenswerte Kunstkonzeptionen mit der visuellen Kultur ihrer Zeit, indem sie diese kritisieren, herausfordern und neu ordnen. Visuelle Kultur meint die Standards der symbolischen Darstellung, das Vorverständnis von visueller Repräsentation und Reproduktion. Walthers Einsatz lässt sich mit Bezug auf ein von Jean-François Lyotard heraus gearbeitetes Modell klären. Lyotard zufolge waren die künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts darauf gerichtet, die Bedingungen der symbolischen Repräsentation durch die Kunst Schritt für Schritt zu problematisieren und die jeweils eingespielten Modalitäten der Darstellung anzufechten. Lyotard nennt die folgenden Aspekte: »Le ton local, le dessin, 1e mélange des couleurs, la perspective linéaire, la nature du support et celle de l' Instrument, la »facture«, 1' accrochage, le musée«.5 Zu deutsch: »Lokalton, Zeichnung, die Mischung der Farben, die Linearperspektive, die Art des Trägers und des Arbeitsmittels, die Machart, die Hängung, das Museum«.

Lyotards Schema bezieht sich auf die Malerei. Wenn wir die Maler der Gruppe »Les Fauves« einerseits und Daniel Buren andererseits als Eckpunkte einsetzen, dann können wir sagen: Die einen griffen das Dogma an, dass in der bildnerischen Darstellung den »Dingen« nur eine einzige Gegenstandsfarbe, ein »Lokalton« zukommt. Buren problematisiert das Museum als einzigen legitimen Ort der Ausstellung von Werken der Kunst.

Walthers Ansatz verschiebt die Akzente nochmals, weil es ihm um die Problematisierung des künstlerischen Werkes als etwas ontisch Greifbares geht. Die Gegebenheit des Werkes wird von Walther als ein unhinterfragter Dogmatismus der überlieferten Kunst enthüllt. Der Künstler ist aufgefordert, nach Möglichkeiten zu suchen, um den Prozess der Werk-Konstitution als ein Geschehen zu strukturieren, welches dem Laien nicht vorgegeben, sondern eher aufgegeben ist. Durch autonomes ästhetisches Handeln soll der Laie allererst die Konstitution des Werkes erbringen. Dies war Walthers ursprünglicher Impuls beim 1. und 2. Werksatz. Dieser Impuls wird später neu und vielleicht komplexer artikuliert. Es ist im vorliegenden Kontext wichtig, einzusehen und im Gedächtnis zu behalten, dass der ursprüngliche Impuls in den Wandformationen-Arbeiten, in der bedeutenden Arbeit »Sieben Orte für Hamburg« (1989) und in den Raumabnahmen bei aller Transformation anwesend geblieben ist.

Walthers Innovation kommt vielleicht noch deutlicher bei der dritten Dimension künstlerischer Konzeption zum Vorschein. Hier geht es um die Genese von Werken. Gehörte es seit der Renaissance zu den illusionären Selbsterhöhungen des modernen Künstlers, sich als einen »alter deus« (Leonardo) zu verstehen und konnte daher das singuläre Werk als der adäquate Selbstausdruck des Künstlerindividuums gelten, so haben die Avantgarden des 20. Jahrhunderts dieses Selbstverständnis des Künstlers problematisiert und verhöhnt. An die Stelle des individuellen Werkes treten in der säkularisierten Kultur der Moderne Serien, Zyklen, Reihen, welche eine »bildnerische« Idee in einer pluralen Zahl von Exemplaren ausschöpfen sollen. Walther geht auch hier einen entscheidenden Schritt weiter. Er denkt über den Künstler nach als jemand, der Instrumente oder - wie es Lingner formuliert hat - »Werk-Zeuge«7 anbietet, welche der Genese von Werken Struktur verleihen. Die Selbstvergöttlichung des Künstlers wird radikal verabschiedet. Dieser Schritt führt den Künstler zurück in die laizistische Kultur demokratischer Offenheit, als welche schon Cassirer die Moderne bestimmte. Der Gebrauch von Tuch und Stoff ist zweifellos eine feminine Komponente, wodurch Walthers Dekonstruktion des allmächtigen Künstlerindividuums der Sache nach, wenn auch nicht in den Details, ein Echo findet in den Anstrengungen feministischer Künstlerinnen, wie Cindy Sherman, Ulrike Rosenbach oder Judy Chicago, um ein nicht männerzentriertes Modell der künstlerischen Symbolik und des bildnerischen Schaffens zu etablieren.

Der vielleicht heikelste Punkt meines Diskurses tritt bei der vierten Dimension der Kunstkonzeption Walthers zutage. Hier geht es um das Verhältnis eines Kunstentwurfes zur Geschichte der Kunst. Jeder produktive Entwurf lässt die Geschichte der Kunst in einem neuen Licht erscheinen. Galt indessen für den strengen Modernismus - sagen wir eines Mondrian, eines Le Corbusier oder eines Kasimir Malewitsch - die Annahme, dass das konsequent moderne Werk die Geschichte der Kunst zu einem definitiven Abschluss bringt, diese gleichsam von ihren Mängeln erlöst, so hat die reflektierte Postmoderne neue Modelle erbracht, welche die modernistische Konstruktion einer einzigen »grand narrative« infrage stellen. So halten etwa Bilder von Jonathan Lasker das den heroischen modernen Künstler prägende Pathos anarchistischer Rebellion, das etwa das Ethos Jackson Pollocks war, für nicht länger verbindlich. Die Bilder von Jonathan Lasker folgen deshalb dem Muster einer pluralen Konstruktion, welche den gestischen »wilden« Strich mit ausbalancierenden planen Farbaufträgen vermittelt.

Sieht man Walthers späte Arbeiten nicht einfach als Zurückbleiben hinter dem radikalen Impuls der frühen »Werke«, sondern wertet diese als gereifte Durcharbeitungen der Geschichte, dann kann man die frühe, dem Pathos der Moderne verpflichtete Konzeption von einer komplexen postmodernen unterscheiden. Für die frühe Konzeption lässt sich die von Michael Lingner angebotene Genealogie — von der radikalen Reflexionskunst der Frühromantik über den späten Cézanne, Bretons écriture automatique zu Pollock und Wols6 - namhaft machen.

Die komplexe postmoderne Konzeption schert aus diesem Schema keineswegs aus, sondern introduziert eine reflexive Dialogizität zwischen »Betrachter« und »Werk«, die prinzipiell offene Reflexion bleibt, also nicht zu einem abschlusshaften Ende führt. Philosophisch gesprochen, die Autonomie des handelnden Subjektes ist nach wie vor das Ziel, aber diese lässt sich nicht länger mehr durch eine einzige »große Erzählung« stützen, sondern bedarf des Sich-Öffnens des Subjektes für die mehrdimensionalen Ansprüche des »Anderen«.

Dies ist ein heikler Punkt. Es gibt zweifelsohne eine Sicht auf Walthers Werk, die besagt, dass der späte Walther die Radikalität des frühen aktionistischen Handelns in den Handlungsentwurf, d. h. in die Virtualität des Handelns zurücknimmt und damit einen Tribut zollt an die Permanenz der Institution Kunst. Aber die dazu konträre und vielleicht plausiblere Lesart entziffert diesen Vorgang als Gewinn an Komplexität. Das Spätwerk ist keineswegs nur »a soft Version« von Minimal. Es ist vielmehr poetischer, weil die Materialität der Stoffe und ihre Farbigkeit an Subtilität gewinnen. Außerdem lässt sich ein Differenzgewinn gegenüber einer allzu leichten Vereinnahmung durch gefälliges Design konstatieren.

Walther vollzieht auf seine Weise die, wie ich meine, für jede kritische Kulturphilosophie unaufhebbare Differenz zwischen »authentischer« Kunst und Kulturindustrie, wie auch immer dieser von Adorno eingeführte Gegensatz heute gefasst werden müsste. Nur dass er auf die eine oder die andere Weise beibehalten werden muss, darin ist Bourdieu gegen Shusterman im Recht.

III

Zur Abrundung meiner Überlegungen sei auf einen letzten Punkt verwiesen. Die Intention einer kulturphilosophischen Theorie der Kunst besteht darin, die Kunst in das weitere Geflecht der Kultur einzubetten. Welchen Ort nimmt die Symbolik der Kunst in der Kultur ein? Wie interferieren Kunstentwürfe mit der sie umgebenden visuellen Kultur? Dies sind die Fragen.

Bei der Bestimmung des Rationalen einer gegebenen Kunstkonzeption können wir uns einer Einsicht des späten Wittgenstein bedienen. Dieser hatte die Idee seines Frühwerks, demzufolge die Aufgabe der Philosophie darin besteht, eine ultimative gereinigte Sprache herauszupräparieren, aufgegeben, indem er von einer Pluralität von Sprachspielen statt von einer fundamentalen Sprache ausging. Sprachspiele sind nur aus dem Kontext des alltäglichen Handelns zu verstehen. Sie sind pragmatisch und vielsinnig. Man kann nicht das eine Sprachspiel gegen ein anderes ausspielen. Sondern es gibt lediglich eine Familienähnlichkeit von Sprachspielen, die es erlaubt, die sinnvollen von den weniger sinnvollen zu unterscheiden.

Dieser Aspekt des Wittgensteinschen Sprachdenkens kann auf den hier vorliegenden Kontext angewendet werden. Sinnvoll ist die Annahme, dass es zu einem gegebenen Zeitpunkt nie nur eine einzige legitime Kunstkonzeption gibt, sondern dass sich immer verschiedene Konzeptionen nebeneinander befinden, die nicht immer konfliktfrei und friedlich neben einander bestehen, sondern sich oftmals gegenseitig dementieren. Um jedoch einen unplausiblen und wenig überzeugenden Dogmatismus zu vermeiden, ist es methodisch geboten, mit einander konkurrierende Konzeptionen im Sinne der Wittgensteinschen Familienähnlichkeit neben einander zu stellen und - wie es Lingner hier intendiert hat - auszudiskutieren.

In diesem Sinne sollte man, um die Spezifik von Walthers Kunstkonzeption zu umgrenzen, diese etwa mit derjenigen von Lygia Clark vergleichen. Vielleicht ergäbe sich dann eine ähnlich spannende Konfrontation, wie sie in der zeitgenössischen interkulturellen Philosophie zu verzeichnen ist. Ich denke an die Konfrontation der Philosophie Karl-Otto Apels mit derjenigen von Enrique Dussels.8

Anmerkungen

1 Vgl. Wilhelm Schmid: Philosophie der Lebenskunst. Eine Grundlegung. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998.

2 Karl-Otto Apel: Diskurs und Verantwortung. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988. Jürgen Habermas: Erläuterungen zur Diskursethik. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991.

3 Vgl. meine Bücher zur Ästhetik: Ästhetik der neueren Moderne. Stuttgart: Steiner Verlag 1990 und: Profile der Ästhetik. Zum Status von Kunst und Architektur in der Postmoderne. Wien: Passagen Verlag 1990, sowie meine Bücher zur Kulturphilosophie: Die Realität der symbolischen Formen. Ernst Cassirers Kulturphilosophie im Kontext. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994 und: The Symbolic Language of Culture, Fine Arts and Architecture. Consequences of Cassirer and Goodman. Trondheim: FF Editions 1997 sowie: Symbol, Culture, City. Five Exercises in Critical Philosophy of Culture. Maastricht: Jan Van Eyck Akademie 2000.

4 Vgl. meine Analyse in: Ästhetik der neueren Moderne, S. 140-158.

5 Jean-François Lyotard: Le Postmoderne expliqué aux enfants. Correspondance 1982-1985. Paris: Èditions Galilée 1988, S. 27.

6 Vgl. Michael Lingner: Kunst als Projekt der Aufklärung jenseits reiner Vernunft. In: das haus in dem ich wohne. Die Theorie zum Werkentwurf von Franz Erhard Walther. Herausgegeben von M. Lingner. Klagenfurt: Ritter Verlag 1990, S. 15-59, hier: S. 41-42.

7 Vgl. Michael Lingner: Funktion der Diagramme für das WERK. In: Kunstforum International Bd. 15/1976.

8 Vgl. Hans Schelkshorn: Diskurs und Befreiung. Studien zur philosophischen Ethik von Karl-Otto Apel und Enrique Dussel. (=Studien zur interkulturellen Philosophie Bd. 6. Series Editors: H. Kimmerle u. R. A. Mall) Amsterdam Atlanta GA: Rodopi 1997


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