Adolf Hölzel
Es wird überhaupt hervorzuheben


Es wird überhaupt hervorzuheben sein, dass in der Kunst, also auch in der Malerei[,] das Gesetz eine hervorragende Rolle übernimmt. Sagen wir das durch das Gefühl regulirte Gesetz. Und da die Formel das ins Wort oder in die Zahl übertragene Grundgesetz bedeutet, so werden wir ihr auch in der Malerei die grösste Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Am unanfechtbarsten ist die richtige mathematische Formel. Worte kann man immer anfechten und es geschieht dies auch. Auch wenn sie richtig gesetzt sind[,] können sie verkehrt ausgelegt werden. Alles was sich aber auf zahlenmässige Formeln zu stützen vermag[,] kann am wenigsten angegriffen werden können. Man könnte schließlich noch den Werth des Gesetzmässigen überhaupt leugnen; aber bei einigem Nachdenken wird man diesen bald als Fehler einsehen; denn ein Gesetz ist ja niemals um seiner selbst willen entstanden, es ergiebt sich erst als Folge des empirisch Gefundenen und Empfundenen als Resultat des Nachdenkens und logischen Schliessens. Ist in der Kunst[,] in welcher Empfindung und Gefühl eine so grosse Rolle spielt, das gefühlsmässig Gefundene durch die Formel geklärt und uns für die Folge gesetzmässig erschlossen, so ist eine solche Formel dem elementaren Ausdruck unseres Gefühls gleichzustellen und vertritt dem entsprechend einen Empfindungsstandpunkt von dem aus wieder ein solider Weiterbau ermöglicht wird. Die Formel ist also auf's Innigste mit dem jeweiligen künstlerischen Gefühl verbunden. Freilich wird ihr hoher Werth vom Schaffenden besonders empfunden werden, genau in der Kunst wie etwa in den technischen Berufen, die ohne mathematische Formeln undenkbar sind. Dem gewöhnlichen Bewunderer einer Brücke etwa wird es wohl nie beim Beschauen einfallen[,] sich über alle hier zu Grunde liegenden rechnerischen Formeln Aufklärung oder Rechenschaft zu geben. Aber der Schöpfer der Brücke hätte ohne Kenntniss dieser Formeln sein vielleicht in der Phantasie entstandenes Werk niemals zu exakter Ausführung bringen können. Wenn übrigens in der Malerei einige Künstler über das Gesetzmässige in der Kunst spötteln, so ahnen sie nicht, wie viel Gesetzmässiges in schlichterer, scheinbar unkenntlicher Form ihnen im Unterricht, Caffehaus und Kneipengesprächen übergeben worden ist. Dieses sehen wir[links quer] erst, wenn wir zum Beispiel im Lionardo nachlesen, der ja bemüht sich über alle wichtigen Vorkommnisse Aufklärung zu schaffen, und hier finden, dass das[,] was uns als selbstverständlich für die Malerei notwendig übergeben und überliefert ist[,] mit emsiger Gewissenhaftigkeit schon längst gesetzmässig erforscht war.
[Ende Seite 1]
Alle Rechte vorbehalten.
URL dieser Ressource: http://ask23.de/resource/ah_transkriptionen/hoelzel_06_NT_T81_Seite1_2