Adolf Hölzel
Können, Wissen, Empfinden. Kunst kommt von


Können, Wissen, Empfinden. Kunst kommt von Können, Kunst ist eine Wissenschaft, Kunst ist Empfindungssache. Oft werde ich gefragt, ob die alten Meister nicht alles blos aus der Empfindung gemacht haben; trotzdem ich die complicirtesten Construktionen nachweisen kann. Natürlich hätten sie diese Construktionen und gewisse Verteilungsprinzipien niemals verwendet, wenn ihre Empfindung durch dieselben nicht befriedigt worden wäre. Aber eine Construktion[,] die cirkelmässig und mit dem Lineal nachgemessen stimmt[,] rein aus dem Gefühl machen wollen, oder auch nur die Möglichkeit anzunehmen ist Unsinn. Wir haben bis jetzt viel zu wenig Werth darauf gelegt, dass Kunst auch eine Wissenschaft ist. Und dass dieses die grössten Meister deutlich aussprechen. Allerdings eine Wissenschaft, die auf's Innigste mit unserem Auge und seinen Empfindungsmöglichkeiten und Forderungen zusammenhängt; aber ebenso mit den Mitteln rechnen muss, mit denen allein wir in der Kunst etwas auszudrücken vermögen. Und dass dieser Ausdruck gleichzeitig durch ein künstlerisches Können unterstützt werden muss. Können, Wissen [,] Empfinden bilden die Grundlagen für die Forschungen des schaffenden Künstlers[,] und in deren glücklichen Vereinigung nur kann ein Kunstwerk werden. Dass die Befriedigung unserer Empfindung das Wichtigste ist, zeigt sich ebenso sehr daran, dass eine zu starke intellektuale Verarbeitung selbst im Sinne des oben Gesagten uns nicht so anspricht, als das Einfache, und dass uns schliesslich und endlich die primitiven Meister besser gefallen, als die complicirteren, wenn wir erst in die Kunst eingedrungen sind. Ebenso geht es ja auch mit den gegenständlichen Stoffen, die für ein Bild nicht einfach genug gewählt werden können. Es müsste sonst nur sein, dass ein bildliches Kunstwerk an sich schon so complicirt ist, dass wir für eine plötzliche Verständlichkeit, die einzelnen Theile nicht einfach genug concipiren können. Denn es ist immer zu berücksichtigen, dass das bildliche Kunstwerk im Gegensatz zur Musik, oder einem Buch oder einem Theaterstück nicht hintereinander, also als Zeitfolge[,] sondern auf einmal genossen wird.
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