Adolf Hölzel
Jedoch: Klar siehet wer von ferne sieht Und


Jedoch: Klar siehet wer von ferne sieht Und nebelhaft wer Anteil nimmt. Diese Grundwesenheit, zwiefältig ist Eins etc. Lieber Freund! Sie fragen mich, wie ich über das künstlerische Erlebniss denke und schreiben dazu, dass Sie manches Ihnen grossartig erscheinende Erlebniss zu haben glauben, ohne ein glückliches Resultat zu erreichen. Die Antwort hierauf scheint leicht, denn entweder haben Sie nicht das richtige künstlerische Erlebniss gehabt, oder Sie konnten es noch nicht künstlerisch verarbeiten. Erst in der Gemeinsamkeit eines glücklichen Gedankens mit seiner wahrhaft künstlerischen Verarbeitung werden wir zu bedeutenderen Resultaten kommen können [Einfügung von unten] Die Idee[,] dass ein Erlebniss Alles ausmacht und alles Andere durch unsere künstlerische Empfindung geschieht[,] bedarf der Richtigstellung.[Ende Einfügung] Eine grosse Weltumfassende harmonische Gesammteinheit können wir im bildlichen Kunstwerke nur durch ein glückliches Gegeneinanderstellen und das Spiel polarer oder nahezu polarer Gegensätze erreichen! (Ich habe Ihnen einen Theil des ersten Lao Tse schen Spruch's nach der Alexander Mar'schen Übertragung an die Spitze gestellt[,] aus dessen tiefgründigster Weisheit auch wir für uns schöpfen können. Ein wahrhaft künstlerisches Erlebniss kann immer nur das sein, das sich in seiner Art künstlerisch verarbeiten lässt, also für eine bildliche-Verarbeitung, im Sinne der künstlerischen Mittel, keinesfalls eine lediglich literarische Idee. Doch wenige Menschen nur, auch Maler, können im Sinne unserer Ausdrucksmittel denken und fühlen. Und damit sind auch unsere künstlerischen Erlebnisse begrenzt. Mit unseren Mitteln können wir aber künstlerische Ideen in ihrer Reichhaltigkeit erst ausdrücken, wenn wir die künstlerischen Mittel voll beherrschen, oder jeder schaffende Künstler kann nur jene Gedanken ausdrücken, die sich mit den von ihm beherrschten künstl. Mitteln decken. Sie werden hierüber nachdenken können. Wie in der Musik ein grosser musikalischer Gedanke gleich dem einfachsten Thema immer im Sinn musikalischer Grundlagen und ihrer elementaren Kraft gedacht erscheint, so ähnlich werden die künstlerischen Gedanken für ein Kunstwerk der Malerei sich nur zu künstlerischer Höhe führen lassen, wenn sie mit der Wucht elementarer künstlerischer Möglichkeiten auszudrücken sind, ohne dass diese Mittel in ihrer Wirkungsmöglichkeit gehemmt oder eingeschränkt werden. Dies geschieht so leicht etwa durch literarisch gegenständliche Ideen, die wir ja rein menschlich, schon gemäss unserer Erziehung am leichtesten zu fassen gewohnt sind. Ein in diesem Sinne erfühltes Erlebniss[,] das sich besser mit anderen als den dem Maler zur Verfügung stehenden Mitteln ausdrücken lässt, kann also für ihn und für einen rein künstlerischen Ausdruck von vorneherein als Hemmnis wirken. Erlebnisse für eine künstlerische Verarbeitung können sehr vielseitig sein. Vielleicht aber dürfte das, was ich Ihnen hier schreibe[,] für Sie einen Anhaltspunkt geben[.] [verso:] und hierzu sind unsere wichtigsten Erlebnisse zu suchen
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