Adolf Hölzel
Nehmen wir


Nehmen wir nur ein Beispiel für einige Wechselwirkungen und gegenseitige Forderungen[.] Was sieht und fühlt das Auge z.B. wenn wir ein Rechteck ansehen? Eine so begränzte Fläche? [2] Man braucht dafür nur auf einem leeren Papier eine Linie zu ziehen um den Unterschied der leeren Fläche mit dem sich nun abspielenden in's Auge zu fassen[.] Durch jede Linie wird das Auge in der ihr eigenen Richtung geführt. Zwischen 2 parallelen Linien wird das Auge in der von ihnen gegebenen Richtung hin und herpendeln und es fordert einige Mühe und Unbehagen in andrer Weise zu sehen. Die Linien fordern vom Auge, dass es ihrer Führung Folge leistet, sie bestimmen die Sehbewegung[.] Bei der Rechteckigen Begrenzung haben wir 2 parallele gegenüberliegende Horizontale und ebenso 2 Vertikale. Diese sind 2 Hauptrichtungen für unser Sehen in einer so begrenzten Fläche[.] Sie spielen daher für die Herstellung und Erzeugung der Bildharmonie eine ganz bestimmte Rolle. [Einschub von rechts] Die unseren Augen vermöge der ihnen innewohnenden Kräfte das Fühlen und Sehen in der von ihnen gegebenen Richtung vorschreiben, Alle Senkrechten und Horizontalen in dieser begrenzten Fläche laufen harmonisch zu den gleichen begrenzenden Linien. Aber nicht alle sind dem Auge gleich angenehm in ihrer Betonung. Hier fordert das Auge die Ausnützung der ihm wertvolleren, angenehmeren Verhältnisse, Proportionen, die dem menschlichen Sehen, dem Menschen zusagen, mit ihm verwandt sind oder irgend eine Verbindung mit ihm haben, werden am meisten entsprechen. [3] Einerseits fordern die Mittel Bestimmtes[,] andererseits aber auch sind unsere Sehnotwendigkeiten die [?..] Aus der gegenseitigen Befriedigung und eigenartigen Ausnützung dieser beiderseitigen Forderungen dieser Wechselwirkungen ergeben sich Pflichten[,] aber auch die eigentlichen massgebenden Faktoren für eine notwendige Bildharmonie. Ein reiches Feld für die künstlerische Forschung. [verso S.1:] Stellt die Linienbegrenzung der Bilder ihre Forderungen für unser Sehen, so fordert nun das Auge, dass die im Inneren der Fläche verwendeten Linien mit der Begrenzung in irgend eine Correspondenz treten[.] Das Herstellen eines ständigen Zusammenhangs, wenigstens der wichtigsten Führungslinien im Bilde mit der Begrenzung[,] das Befestigen, wie wir sagen, der wertvollen Punkte im Bilde an der Begrenzung wird eine wichtige Aufgabe des Schaffenden sein für die Verarbeitung des im Bild Gegebenen. [4] Aber nicht allein die Senkrechten und Wagrechten[sic] der rechteckigen Bildbegrenzung[,] sondern ebenso deren Ecken, wie alle neuen, an der Begrenzung markirten[sic] Stellen, bilden Verbindungspunkte für die sich im Inneren abspielenden fühl-oder sichtbaren Bildvorkommnisse wie auch die wichtigen Vorkommnisse im Bilde; so dass im fertigen Bilde ein mehr oder weniger sichtbares Linien[-] und Formennetz harmonischer Thätigkeit durchzufühlen ist. Analysiren wir dieses in den verschiedenartigsten Meisterwerken, so kommen wir immer wieder auf die geschilderten Zusammenhänge[,] doch in der verschiedensten Art, aber immer auf solchen sicheren harmonischen Bildprincipien fussend. Insbesondere sehen und fühlen wir zu gewissen Zeiten ständige , gewissermassen gleiche gegebene Verhältnisse in den Kunstwerken, die beim Nachmessen, die Annahme rechtfertigten, dass ein Liniennetz als Führungsnetz für den harmonischen Zusammenhang mit der begrenzten Fläche von vorneherein zu Grunde gelegt war, mehr oder weniger reiche Construktionsunterlagen nachzuweisen sind. Diese Construktionen enthalten naturgemäss uns sympathische Verhältnisse an und für sich und mit der Begrenzung und fussen zumeist auf dem von unserem Auge protegirten Gleichmässigkeitsfiguren, dem Kreis, dem gleichseitigen Dreieck, dem Quadrat, dem Achteck d.h. 2 gegeneinandergestellten Quadraten[.] Sowohl das Erforschen und Auffinden solcher Gesetzmässiger [links quer]Construktionen in den Meisterwerken aller Zeiten mit der gleichzeitigen Zugrundelegung der angepassten Natur und des Gegenständlichen wie eine selbständige und eigenartige Ausnützung sind wichtige Forschungsgrundlagen der praktischen Malerei entweder als Ausgangs oder als notwendiger Schluss des Kunstwerkes.
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