Adolf Hölzel
Was ist denn eigentlich künstlerische Empfindung?


[recto:] Mit dem Wort Empfindung allein kann man Nichts machen. Er empfindet den Ton sehr feine[,] d.h. einige Töne, denn ich habe es oft erlebt, dass diese selben mit der Farbe wenig anzufangen wussten[,] d.h., wenn sie farbig sein wollten sehr unangenehm wurden. Es ist das nur damit zu erklären, dass ihnen die zweckentsprechende Erfahrung und Übung und das hiezu notwendige Wissen fehlte. Die Empfindung für eine feine Zusammenstimmung war zweifellos vorhanden. Jene notwendige Empfindung, die so vielen Beschauern[,] Kunstkennern und Kritikern fehlt. In anderen Fällen[,] aber ähnlich dem Vorhergehenden[,] fehlt es in gleicher Weise woanders (Formgefühl, Raumverteilung[,] Sinn für Harmonie, Sehen des Ganzen u.s.f. u.s.f.). [verso:] [1] Was ist denn eigentlich künstlerische Empfindung? Kannst Du mir das sagen? andeuten? Nicht definiren. Unser Empfindungsorgan in der Malerei ist zunächst als Wichtigstes, das Auge. Indem wir aber ein Bild, eine Zeichnung anfangen, sehen wir doch zunächst das Ganze noch nicht. Wir können also auch mit dem empfindungsvollsten Auge noch das Ganze nicht beurteilen, in diesem Falle empfinden. Was das Auge sieht oder empfindet[,] kann eine ausgebildete Hand machen. Wir müssen also in 2ter Linie mit der Hand empfinden. Aber ohne Verstand[,] ohne festem Vorsatz oder ohne dass das Auge diktirt u. verlangt, oder Vernunft und Verstand dies tut, sind das[,] was die Hand an und für sich macht, doch nur willkürliche Striche. Aber auch diese können dem künstlerisch gebildeten Auge empfunden erscheinen. Ja mehr oft, als wenn sie etwas Gegenständliches ausdrücken sollten! So ist also das Auge nur der mit Empfindung begabte Richter und die durch Herz, Vernunft und angeborne Geschmeidigkeit gebildete Hand das eigentliche Empfindungsorgang[sic!]. Dann ist es am besten[,] die Hand zweckentsprechend laufen zu lassen wie sie mag und zum [2][links quer] Schlusse mit Aug' und Verstand corrigiren. Damit wäre das empfindungsvolle Schaffen gekennzeichnet; das eben erst sein{sic!] Höhepunkt erreichen kann[,] wenn man weiss[,] also erfahren hat[,] was Zweckentsprechend das Beste sein wird. Also gehört zu Allem viele [3][über 1] Erfahrung, die wieder nur im künstlerischen Berufe durch vieles Sehen, eingehendes Studium und fortgesetzte dahinziehende Arbeit erreicht werden kann. So ist die schliessliche höchste künstlerische Empfindung ein Resultat vielfacher Faktoren[.] Reden allein tut's nicht. Aber klar ist es, dass die einfachsten Re[4][rechts quer]sultate dieses endlichen höchsten Empfindens nur von Wenigen verstanden werden. [5] Diese Empfindung muss eine allgemeine, also auch anzuerziehende sein; da das menschliche Auge damit verknüpft ist und schliesslich eine grosse Anzahl von Menschen, auch Nichtma1er[,] Gutes vom Sch1echten wohl zu unterscheiden vermögen. Sonst wäre ja Kritik eines Nichtmalers ein Unsinn u. dergl. Kunstgelehr[6][unter 1]samkeit in Verbindung mit Kunstverständniss u. Kunstempfindung(.)
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