Adolf Hölzel
30.5.15. Max wies darauf hin und erzählte sehr interessant,


30.5.15. Max wies darauf hin und erzählte sehr interessant, dass die feindl[.] Artillerieen sich gegenseitig nicht sähen und schwer finden. Bei aller notwendiger artilleristischcher Kenntniss kommt es auch noch darauf an[,] die notwendigen Überraschungen sich auszudenken. Also nicht die blosse eingehende Kenntniss der Waffe[,] sondern eine Summe praktischer Erfahrungen und eine ausserordentliche Geistesgegenwart sind notwendig[,] und dazu eine gewissermassen geniale Überlegenheit. Auch in der Kunst gehört zunächst ein grosses Können, Wissen und Empfinden zusammen; aber erst in einer besonderen überlegenen Ausnützung wird der eigentliche künstlerische Erfolg liegen. Dieses müssten sich alle Jene sagen[,] die annehmen es wäre nicht nötig in der Kunst viel zu wissen; da doch eine geniale Verwertung eben nur mit den besten und gründlichst gekannten Mitteln möglich ist. Wir sehen in den einzelnen klassischen Schulen immer Diejenigen als die Führenden[,] die das Gemeinsame der Schule am intelligentesten zum Ausdruck bringen. Dann aber, dass Diejenigen[,] die eine besondere andersartige, dann neu erscheinende Combination vorhandener Mittel einführen, dass diese als die eigentlichen künstlerisch Führenden angesehen werden. Auch hier verblüfft eine neue Überraschung und verleiht das Übergewicht. Alles nur möglich oder bis zu den äussersten Consequenzen zu führen, durch eine möglichste und glänzende Beherrschung und Kenntniss der beruflichen Mittel. 30.5.15. Nachmittag "Alte Herren Ihr dürft nicht so faul sein", rief ein jüngerer jenem zu, der ihm wütend vorhielt, dass die moderne Kunst keine Kunst[,] sondern nur ein widerlicher Bluff sei: "Ihr sollt noch weiter lernen und nicht blos verlangen, dass nur das, das Richtige und Einzige sei sei[sic!], was man Euch in Eurer Jugend eingepaukt hat".- Als der Jüngere älter wurde, 20 Jahre später, war er gerade so unduldsam gegen das Neuere wie der erste Alte gegen seine Zeit; nur mit dem Unterschied, dass er nur das gelten liess, was er gelernt und genauer gekannt hatte. Auch er lernte nicht weiter. Und er verlangte von den jetzt Jungen, sie sollten vor Allem die Kunst seiner Zeit treiben und er wäre auch in Paris gewesen und hätte dort die modernen Meister studiert. Das Neuere wäre Blödsinn. Man sollte deutsche Kunst treiben und die Natur studieren. Als man ihm vorhielt, dass er doch besonders, wie seine Zeit, von Paris, andere seiner Zeit aber von den alten Italienern[,] Titian u.s.w. beeinflusst sei, da erwiderte er, wir haben eben ernstlich alles was sich uns bot studiert! Aber wir machen ja auch nichts Anderes, sagte der jetzt Junge und wollen ja auch nichts Anderes dazu, als die Forderungen unserer Zeit noch mit erfüllen! Man ist doch nicht nur dann ein deutscher Künstler, wenn man das treibt[,] was vor 40 Jahren in Paris getrieben wurde. Da war der Ältere beleidigt und rief das Publikum und die Zeitungen zu Hi1fe, die künstlerische Jugend zu vernichten. Und die Kritik schäumte und lobte nur das Alte, das ja nun wohl noch ermüdeter als früher erschien, so lustlos als es gemacht und wohl auch eigentlich nicht verstanden war vom Künstler[,] der zu wenig gelernt hatte. Von den Jungen bekamen nur solche einige Lobstriche, die sich tief vor ihm, dem ganz Unverständigen[,] verneigten. Und Publikum und Presse waren einig, dass man die Jüngeren nicht aufkommen [?.], ja vernichten müsse. Deutschland seien sie u. nicht die Jungen, die dafür kämpfen(.) [linker Rand querstehend] So kommt es, dass man hier besser tut, die Kunst aufzugeben oder möglichst wenig darin zu lernen. Diese Geschichte wird sich immer wiederholen. Es wird auch immer mehr Schreier und Selbstsüchtige geben unter den Künstlern, als solche[,] die es für sich und die Weiterentwicklung wahrhaft ernst nehmen.
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