Adolf Hölzel
Jeder Mensch hat seine Weltanschauung und kann


Jeder Mensch hat seine Weltanschauung und kann seinen Erlebnissen wie seinen Erfahrungen entsprechend, nach seinen wissenschaftlichen und künstlerischen Errungenschaften, keine andere haben. Jedes Frauenzimmer (Weib, Frau, Mädchen) hat dementsprechend die seinigen, die sich wesentlich von jenen der Männer unterscheiden werden. Man muss nur den Unterhaltungen junger Mädchen und ihren Lebenstendenzen zugehört haben. Alles dieses muss vom Staat und seinen Leitern für ein notwendiges Zusammenleben unter einen Hut gebracht werden. Daraufhin sind auch alle seine Erziehungsmassregeln eingerichtet. Aber dieses ist weit entfernt von dem, was nötig ist, um geistige und künstlerische Höchstleistungen zu erreichen und im Staate zu kultiviren, ja zum grossen Theil diesem entgegengesetzt. Denn auch unter Jenen, die sich einem geistig hochstehenden Beruf gewidmet haben, sind es ja nur ganz Wenige[,] die seine wirkliche Höhe erfassen und anstreben. Also eine verschwindende Minorität auf die keinerlei Rücksicht genommen werden kann, wenn nicht der ganze Staatsaufbau leiden sollte. So ist die vom Staate gepflegte Bildung keineswegs eine massgebende Grundlage für höchste Culturfortschritte, wie sie unserem Menschengeschlechte geziemen, wenn es seiner Einbildung entsprechend eine [?.] Gottähnlichkeit erringen möchte[,] soweit solches überhaupt möglich ist. Dadurch steigern sich Qualen und Unzuträglichkeiten für den Ernststrebenden in's Unendliche; da nicht nur Weg und Ziel unbekannt, sondern von Anfang an alle Schutzmassrege1n wie Geländer und Handhaben mangeln und der Sturz [quer am linken Rand]in den tiefen Abgrund menschlicher Unzuläng1ichkeit ohne den nötigen Willen stündlich erfolgen kann und muss, da wir in Folge unserer Erziehung zu wenig wissen und begreifen können.
[Ende Seite 1]
Alle Rechte vorbehalten.
URL dieser Ressource: http://ask23.de/resource/ah_transkriptionen/hoelzel_04_NT_72-1-V