Adolf Hölzel
Eigentlich sollte Alles aus einer Empfindung


Eigentlich sollte Alles aus einer Empfindung herausgemacht sein. Das was Goethe den Werth des Moments nennt. Wie könnte man wohl den Anderen am besten erklären, dass wir für das Verständnis eines Bildes tiefer in die Kunstwerke eindringen müssen, keineswegs blos[sic] an der Oberfläche hängen bleiben dürfen? Dass dies allerdings insbesondere für den Schaffenden nötig ist, aber um ihn und ein künstlerisch Geschaffenes voll zu begreifen, doch wohl auch für den Geniessenden; wenngleich das Geniessen Nichts zu thuen hat, mit den Mühen und Erkenntnissen des Schaffens, sondern lediglich Genuss sein soll, wie wir eine köstliche, leckere Speise als etwas Herrliches wahrhaft geniessen, ohne uns irgendwie um deren Zubereitung zu bekümmern. Bei geistiger Kost mag die Sache freilich ein wenig anders liegen. Für deren Genuss, für ihren vollen, gehört jedenfalls eine eindringlichere Bildung und das Oberflächliche wird uns dann bald lästig. In den jetzigen Bildern herrscht allerdings das Oberflächliche bedeutend vor, und darum wohl haben wir hier so wenige wirkliche Kunstwerke. Denn namentlich noch im vergangenen Jahrhundert wurden die Werke der klassischen Meister wohl auf's Höchste angestaunt, aber immer nur auf ihr äusserlich Sichtbares hin, ihre Glätte und die damit zusammenhängende wirkliche, oft auch nur scheinbare Durchführung des Gegenständlichen studiert und geprüft. Erst unserer Zeit ist es mehr oder weniger vorbehalten, tiefer einzudringen und die vorhandenen Wirkungen auf ihre eigentlichen Gründe zurückzuführen. Damit steigert sich aber ohne Zweifel auch der Genuss der wirklichen Kunstwerke früherer Zeiten und der jetzigen. Denn durch dieses Eindringen und die damit zusammenhängenden Arbeiten, steigert sich gleichzeitig die Empfindung für die darin enthaltenen künstlerischen Werthe und damit ihr Genuss. Und damit meine ich, dass für einen wirklichen künstlerischen Genuss ein tieferes Verständnis unerlässlich sei, wenngleich von einem rein theoretischen Ansehen der Kunstwerke von vorneherein nur auf's Heftigste gewarnt werden muss!
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