Adolf Hölzel
7 Juni 1915.


7. Juni 1915. Ich dacht' ich könnte Andern Nutzen bringen, Wenn das, was ich mit Glück und vieler Mühe hatt' gefunden[,] Ich ihnen klärte. Auch wollt' ich's gerne ihnen schenken. Leis' hoffte ich dabei auf freundschaftlich Empfinden Und auf ein wenig Anteil an meinem kleinen Glück. Doch ist es anders dann gekommen, Wenn auch auf jeden Dank ich gern verzichtet hätte Es waren Die, für die ich Freundschaft herzlich gern empfinden mochte In häm'scher Weise mir zu Feinden gar geworden. Warum, ich weiss es heute auch noch nicht; Wenn nicht des Menschen falscher Ehrgeiz[,] Neid und böser Willen Ihm gar zu leicht die Sinne trüben möchte, Und Bosheit wie mit giftgem Schleier Das beste Wollen trachtet zu vernichten. Wie kannst Du nur verlangen, selbst einen Freund in kurzer Zeit zu überzeugen von dem[,] das zu erringen ein ganzes Leben Dich gekostet hat[.] Gar erst die Feinde! Niemand kann den Andern wohl jemals ganz begreifen; Denn jeder hat in Menge ja Anderes erfahren, sich anders doch entwickelt Und kann auch innerlich nie ein And'res erblicken als er im Stande ist mit eigenem Aug zu sehn Und an wie Vielem, was den Einzelnen wahrhaft, ehrlich beglücket[,] Geht ja die Mehrzahl ganz achtlos eilig vorüber und sieht Nichts. Und sieht Nichts, Wer den seltenen Vogel, die Blume nicht sieht, die Du deutlich erblickst[,] Um so gerne ihm möchtest zeigen, nickt, wenn er Freund ist, gefällig und zustimmend wohl mit dem Kopfe[.] Aber es ist auch Alles[,] was er Dir leistet[,] Denn das Ganze, das er so niemals ergründet, bleibt ihm ein Rätsel oder er hält es für Mährchen.
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