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Daniel Runge et al.

Die Tageszeiten




Die Tageszeiten.


1. Vier Zeichnungen, Federumrisse (Morgen, Tag, Abend, Nacht), ausgearbeitet in Dresden 1802 und 1803, und wornach daselbst von Krüger, Darnstedt und Seiffeit genau die bekannten radirten Blätter verfertigt worden, mit welchen 1803 angefangen wurde, deren gänzliche Vollendung sich aber bis in die Mitte von 1805 hinzog, und zu deren Herausgabe sich der Künstler dann erst zwey Jahre spater entschloß.

Was wir an Beschreibendem von diesen Blättern in den Briefen des Künstlers gefunden, haben wir wohl schon ziemlich vollständig in unser erstes Buch aufgenommen. Der Grund, den wir dazu hatten, war folgender: Unser Künstler hatte in Dresden einen besondern Hang zur Arabeske in sich wahrgenommen, der sich auch schon aus unserer Beschreibung seiner früheren Bilder, besonders aus den Rahmen, kundgiebt. In dem Gedanken nun, auf dieses besondre Talent, für Zimmerverzierungen verwendet, seinen ersten Broderwerb zu begründen, wollte er den so gewöhnlichen Cyklus der Tageszeiten in leichten Entwürfen andeuten; allein von Anfang an und bis an sein Ende, besonders aber damals, erhielt alles, was er begann, eine zu tiefe innere Bedeutung, die gegenwärtige Unternehmung aber vor allen andern einen so großen Gehalt, daß diese Darstellungen nach und nach seine ganze Lebens- und Kunstansicht und Gemüthswelt in sich aufnahmen; insonderheit auch, da sich an und mit ihnen der Begriff von dem Farbenganzen in ihm entfaltete, eine sehr unabhängige und selbständige Gestaltung gewannen. Da die radirten Blatter sich in vielen Händen und Sammlungen befinden, so gestatten wir uns eine Erweiterung seiner eignen Beschreibung derselben hier nicht, wohl aber werden wir in der Folge, dem Sinne des Künstlers gemäß, der gerne wollte, daß Andre sich, den reinen Eindrücken gemäß, die sie dadurch erhalten, darüber aussprechen möchten, verschiedene, von befreundeten Geistern gegebne Darstellungen oder Erklärungen mittheilen. -

Bloß zur Beschreibung der Arabesken - Rahmen, da sich von diesen bisher nichts hier vorfindet, fügen wir wenige Worte hinzu: In dem zum Morgen sieht man in der Mitte unten zwey umgekehrte brennende Fackeln kreuzweise über einander (umringt von der Schlange, die sich in den Schwanz beißt), von deren Flammen aus sich Rauchwolken verbreiten. Nach der einen Seite ein Knabe, und nach der andern ein Mädchen, mit Psycheschwingen, fliegen von diesem Erdenfeuer weg über dem schwimmenden Blatt eines Lotos nach den untern Ecken des Rahmens hin, wo diese (gelbe) Blume selbst wie ein Schiff treibt mit einem Knaben darin, der umgeben, wie von Schiffsstricken, von den Wurzeln der rothen Lilie (Amaryllis) sitzt, deren Stengel und Blätter bis gegen die Mitte des Rahmens (an jeder Seite) hinaufsteigen, wo diese Blume selbst sich entfaltet hat, und aus ihr ein Kind sich heraus zu winden strebt. Von da erhebt sich, im anmuthigen Gewinde seiner Blätter, ein Lilienstengel bis in die oberen Ecken, wo auf der weißen Lilie selbst ein Engel anbetend sich beugt und knieet vor dem Namen Jehovah (Hebräisch), der in der Mitte oben in einer reichen Glorie von Engelsköpfen (wahrscheinlich blau in blau) strahlt. -

Eben so, wie diese Glorie sich nach hintenzu in eine endlose Tiefe zu verlieren scheint, ist in dem Rahmen zum Tage unten in der Mitte eine ähnliche Fülle von Rosen, vor welchem Blumenparadiese ein Engel mit hauendem Schwerdte schwebt und das Hineindringen verwehrt. Nach jeder untern Ecke hin ist ein Kind bemüht, Kornhalmen mit Aehren, so wie Kornblumen zu pflanzen, oder doch zu pflegen. Zu den Seiten aber bis in die Mitte sprießt die Königskerzenblume auf, an welcher wie an einer Leiter ein Kind hinaufklettert, jedoch vergeblich, da die schwache treulose Spitze der Blume sich bald umbiegt. Ein leerer Himmelsraum und Gewölk scheiden diese Scene von dem über denselben schwebenden (von der Schlange umringelten) Kelch der Passionsblume #1, auf welchem zwey Engel knieend das oben strahlende Symbol der Dreyeinigkeit (Dreyeck) anbeten, über welchem der Bogen des Friedens steht. -

In dem Rahmen des Abends sieht man unten in der Mitte Kreuz (mit der Ueberschrift INRI), Kelch, und Dornenkrone, auf welcher lezteren Engelsköpfchen mit Rosenblattsflügeln stehen, und Rosen senken sich in den Kelch hinab. Vor dem Ganzen sitzt zu jeder Seite, auf Blättern der Aloe, ein trauerndes Kind, das Haupt auf die eine Hand gestützt, in der andern eine Fackel, die es umkehrt und löscht, haltend. Die Blätter der Aloe gehen nach den Seiten des Rahmens fort, wo sich ihr Stamm mit den Blüthen bis zur Mitte erhebt und Tropfen wie Blut von denselben herabfallen. Darüber ein Gewühl von Veilchen, auf welchem ein Kind steht und den blühenden Rittersporn gleich einer Standarte in die Höhe hebt. Oben in der Mitte ruht umstrahlt der kindliche Gottessohn, den Arm über ein Lamm gelegt und, wie von ihm ausgesendet, senkt nach jeder Seite ein Engel den Kelch einer Sonnenblume hinunter, dem Kinde mit der Glaubensstandarte entgegen. -

Unter der Darstellung der Nacht ist in der Mitte des Rahmens, aus angezündeten Fruchtzweigen des Oelbaums genährt, ein loderndes Feuer, das starken Rauch verbreitet; auf den Enden der Zweige sitzt in jeder Ecke des Bildes eine große Eule. Unzusammenhängend mit diesem untern Theile befindet sich zu jeder Seite , in der Mitte des Rahmens ein Blumengewinde (aus einem geflügelten Gefäß hervorkommend) von (rothen) Rosen, (blauen) Kornblumen, und (dunkelgelben) Todtenblumen. Und wieder ohne Verbindung mit dieser irdischen Farbenherrlichkeit beten oben in jeder Ecke drey Engel (Glaube, Liebe, Hoffnung?) die strahlende Taube, das Symbol des Geistes, an.

Schon im Winter 1802- 1803 faßte der Künstler den Gedanken, diese Zeichnungen als Skizzen zu mahlen; gewann aber nicht allein nicht in Dresden die Ruhe dazu, sondern selbst nicht in Hamburg in dem folgenden Winter auf 1804, wo er gleichwohl anfing, sie zu dem Zweck (in einer Höhe von mehr als 5 Fuß bestimmt) auf grundirte Leinewand mit Kreide, Bleystift, und sehr zart mit feinem Röthel in Contouren genau aufzuzeichnen, was bey der Vergrößerung der Figuren und Gruppen solche ungemein anziehend gemacht hat. Es sind aber diese Aufzeichnungen bloß von dem Morgen und dem Abende (wo auch in dem Rahmen ein schwacher Anfang zur Färbung gemacht worden) emigermaaßen fertig, und ist die weitere Ausführung durch eingetretene Störungen leider gänzlich unterblieben. So auch die gemeinschaftlich mit Tieck früher beabsichtigte poetische Erklärung. Eine Hauptursache des Unterbleibens war die lange Entbehrung der Hauptzeichnungen, während die Stecher darnach arbeiteten. Von der Laube (mit der Mutter und den Kindern) aus dem Tage hat er eine Ausführung in Oel auf Goldgrund versucht. -

Sehr interessant sind die, größtentheils früheren Entwürfe zu den vier Zeichnungen und zu einzelnen Theilen derselben, theils bey Vergleichung der Abweichungen in den einzelnen Gedanken, theils auch, weil einzelne Figuren beträchtlich größer gezeichnet erscheinen. Besonders merkwürdig aber vier Zeichnungen, welche die Figuren nur ganz allgemein gehalten, hingegen sehr strenge und genaue geometrische und perspectivische Linien über das Ganze enthalten. -
Ein Umriß in Oelfarbe von den Kindern, die auf den Staubfäden der Lilie im Morgen stehen, zeigt deren auffallender Weise nur zwey, statt drey.


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2. Der Morgen. Große Untermahlung (gegen 6 Fuß hoch, und das Verhältniß der Breite zur Höhe größer als in den früheren Entwürfen). l809 in Hamburg.

3. Desgleichen. Völlige Ausführung als Oelgemählde (Höhe 44 1/4 Zoll, Breite 34 3/4 Zoll, Hamburger Maas, im Lichten). 1808 - 9 in Hamburg.

Nachdem die weitere Fortführung der Tageszeiten seit dem Jahre 1803 gestockt hatte, schrieb, wie wir finden, der Künstler den 19. Nov. 1805 an Schildener :

"So sehr, wie mich der Entwurf und die Gedanken in meinen Zeichnungen von den vier Tageszeiten noch anziehen, und ich möchte sagen, ergreifen, so wenig bin ich doch gesonnen, sie herauszugeben, oder so wie sie da sind als etwas zu produciren. Sollten Sie ein Eremplar haben mögen, so will ich es Ihnen schicken, doch bitte ich eine Erklärung davon mir zu ersparen, bis ich Sie von Angesicht sehe, und Sie auf Standpuncte führen kann, die klarer sind, und aus welchen Sie sich hineinfinden können; versteht sich, wenn Sie meine Individualität soviel interessiren sollte." 1806 vom August bis November aus Wolgast an Verschiedene, daß sein Vorsatz bestimmt sey (was doch damals nicht geschehen konnte), im Winter etwas von den Tageszeiten zu mahlen, in welche Erscheinung er sich nun so ziemlich wieder versetzt habe; auch am 4, December an Goethe, wie er diesen Vorsatz gehegt habe, sich auch nicht eher beruhigen werde, als bis er alle vier vollendet haben werde, wobey der Gegensatz der Töne mehr herauskommen müsse. 1807 den 26. Juny aus Hamburg an Quistorp , er arbeite nun täglich Studien für die Ausführung seiner Skizzen aus; ferner: "Ich habe jetzt Abdrücke von meinen Skizzen machen lassen; sie werden nächstens angezeigt werden. Wenn Sie darüber zu sprechen kämen, bitte ich, die Sache als einen Versuch zu entschuldigen, den ich indeß durchzuarbeiten mich verbunden halte." 1807 den 18. August an Tieck : "In alle der Zeit her bin ich durch viele Arbeiten, Versuche, Erfahrungen und Bekanntschaften gekommen, und will vorerst nun alle Muße und Arbeit nur auf die weitere Ausführung der Ideen, welche in den vier Blättern von mir angegeben sind, wenden. Diese sind mir durch die lange Abwesenheit entrückt, und ich bin so weit los von der hervorgebrachten Gestalt; durch herzliche Sehnsucht aber zu dem, was mir unbekannt, nun gereizt, zu suchen und zu arbeiten, ist die Lust in mir neu geworden, und es gestaltet sich nun, da ich die Verhältnisse der Farben beschaue, mehr in die Tiefe. Ich benutze jede Stunde, die mir übrig ist, um es herauszuarbeiten ; ich bin sehr allein darüber und die verwandten Klänge aus denen, die auch produciren, fehlen mir sehr, wenn auch nicht die, die mich verstehen würden, wenn es nur da wäre. Rumohr ist mir sehr nahe, ich kann nur nicht zu ihm, und er ist auch nicht zu Hause. Wenn ich einmal mit Ihnen wäre, ich dürste nur die Saiten anrühren, die zusammenklingen wollen, und in Ihnen würde ich mich verstehen." - Nachdem nun die kleinere Ausführung in Oel von dem Morgen hinter ihm lag, schrieb er an seinen Bruder Karl den 28. Oct. 1808, er fange das große Bild nun würklich an, sey mit den Studien dazu am Rande und habe jetzt rechte Lust, die Sache fertig zu sehen.
Bey der Ausführung in Farben entstand sofort eine Schwierigkeit aus den Arabesken-Rahmen. Diese sollten nämlich ebensowohl in Farben und Lufttönen landschaftlich gemahlt werden, und da durften sie für den Beschauer nicht zu leicht mit den innern Bildern zusammenfließen. Dem wurde in dem kleineren Velgemahlde dadurch abgeholfen, daß erst eine starke Rahmenleiste, wie aus schwarzem Holze, zunächst um das innere Bild, und in dessen inneren beiden oberen Ecken ein Engelskopf und Ornamente, wie aus demselben Holze geschnitzt, gemahlt wurden. Dies leichte aber für die größere Ausführung noch nicht aus. Für diese wurde demnach ein würklicher schwarz und goldner Gemahlderahmen des inneren Bildes bestimmt; um diesen sollte dann der Arabesken-Rahmen als besonderes Bild auf Holz gemahlt kommen, und würklich sind die bereits grundirten Bretter dazu vorhanden, die Figuren auf denselben aber nur erst als Bleystiftcontoure. Weiter um das Ganze wäre dann ein sehr großer Gemahlderahmen gekommen, und die sämmtlichen vier Bilder in dieser Weise und Größe ausgeführt würden ein sehr imponirendes Ganzes gegeben haben.
Das Gemählde des Morgens (in beiden Ausführungen ziemlich dasselbe) weicht nun in Hinsicht der darin vorkommenden Gestalten sehr bedeutend von den früheren Zeichnungen ab. Wir wollen versuchen, vornamlich nach dem größeren Bilde, dieses mit wenigem anzudeuten: Ganz unten in der Mitte des blumigen Vordergrundes liegt auf dem Rücken ein eben erst gebor-nes Kindlein. Demselben reicht schon etwas weiter in den Mittelgrund hinauf von jeder Seite ein in ziehendem Nebel knieen-der Knabe eine Rose hin. Noch weiter nach hinten auf jeder Seite schwebt ein solches Kind, das ein aus würklichen Rosen bestehendes Gewölk in grader Linie nach der Mitte des Bildes hineinwiizt. Die ebene Landschaft des Vordergrundes geht von unten herauf wie nach einem unermeßlich fernen Horizont in

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der Mitte des Bildes fort, wo sich am äußersten Rande eine ko
lossale nackte weibliche, auf den Beschauer zu vorschreitende Ge-
stalt erhebt; sie ist, zumal an der linken Seite, von oben bis
unten von einer Fülle von Haaren umflossen (die noch an bei
den Seiten parallel mit dem Horizont wie weiße Molgendünste
weiter wallen), an und in welchen die Luft - und Lichtscheine
spielen, und hält mit der linken Hand eine emporsiatternde Locke
dieses Haares über ihrem Haupt. Gleich hinter diesem Haupt
erhebt sich nun die weiße Lilie, mit den musicirenden Kindern
auf ihren Blättern und den drey Kindergruppen auf den Kelch
blättern, ziemlich in der Art wie in der ersten Zeichnung, hoch
empor; darüber (in dem kleineren Gemählde bloß drey Engels
köpfe, in dem größeren aber) drey sich umschlungen haltende Kin
der in ganzer Figur, über welchen der Morgenstern, nur ganz
klein, steht. (In einigen der Studien greift höchst anmuthig ei
nes der Kinder mit dem Handchen nach dem Sterne, um ihn
auszulöschen.) Von den Tönen in dem Bilde sagen wir nur so
viel: Eben über dem Horizont ist eine graublaue Wolkenbank,
dann ein schmales Streifchen weißlichen Gewölkes (die vorbe
schriebenen wallenden Haare); der Ton geht vom röthlichen durch
gelb bald (ohne grün zu werden) in blau (Ultramarin) über, das
stets dunkler nach oben hin wird; die auf diesem Luftgrunde be
findlichen Figuren sind alle von unten auf röthlich angeschienen,
bis auf den obersten Theil der oberen drey Kinder, auf welchen
von dem Morgensterne herab noch das Licht kalt bläulich weiß
fällt. - Was den Rahmen betrifft, können wir bloß nach dem
kleineren Gemählde sprechen. Unten in der Mitte steht eine
Sonnenscheibe, zum allergrößten Theile durch eine verfinsternde
dunkle Scheibe bedeckt; diese ist es, von welcher die beiden Ge
nien rechts und links nach dem Lotosschiff in den Ecken hin flie
hen ; die Seiten des Rahmens sind, schön in Farben ausgeführt,
wie in der ersten Zeichnung; die Glorie von Engclsköpfen oben
hat eine stets lichter werdende Mitte, aber ohne den Namen Ie-
hovah's. - Einen in Tusch ausgeführten Entwurf zu diesem
kleineren Gemählde, in den Einzelnheiten wenig abweichend, sandte
der Künstler im Frühjahr 18(19 an seinen Freund Steffens; der
Herausgeber ließ diese Zeichnung 1V5 durch Erwin und Otto
Speckter in Steindruck, und diesen durch die Perthes'sche Buch
handlung in's Publicum bringen; auch hat 1837 der Mahler
Hr. Milde ein paar Exemplare des Steindrucks geschickt nach
dem Velbilde colorirt. s M??" ->

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Auf seinem Sterbelager trug der Künstler dem Herausgeber auf, das unfertige größere Bild zu zerschneiden und zu vernichten, weil manches unrichtige in demselben nur Irrthum würde verbreiten können. Auf die Bitte des lezteren nahm er dieses Verbot zwar zurück; der Herausgeber jedoch, welcher sich gar wohl erinnerte, wie der Verstorbne in Folge der Bemerkungen einiger Freunde geäußert hatte, daß er das Bild noch wieder im Innern ganz werde umbauen müssen, fühlte sich bewogen, darüber an Freund Böhndel nach Schleswig zu schreiben. (Die weibliche Figur in der Mitte des Bildes, welche Runge bald Aurora, bald Venus zu benennen pflegte, hat in dem kleineren Ge" mihlde, so wie in mehreren großen Zeichnungen von derselben, eine sehr anmuthige Wendung, in dem großen Bilde aber eine sehr grade, hart symmetrische Stellung.) Hr. B. antwortete hierauf sehr freundlich: "Noch sehr wohl erinnere ich mich, was ich damals gegen Dtto über sein Bild des Morgens äußerte. Diese ganze Arbeit kannte ich ja von ihrer ersten Entstehung schon in Dresden an; und was die Composition des Ganzen, wie die Gedanken im Einzelnen anlangt, bewunderte ich, und freute mich herzlich daran, in so weit als ich seine Gedanken fassen und begreifen konnte. Was nun aber mehr den mechanischen Theil der Kunst betraf, darüber urtheilte ich (spater in Hamburg) mit mehr Dreistigkeit und darin hatte er sich nach meiner Ueberzeugung nur in einigen Stellen der Untermahlung geirrt. Insonders rieth ich ihm, die Hauptfigur des Bildes heller zu untermahlen und sie in der Zeichnung zu berichtigen; denn ohne im mindesten die Stellung derselben zu verändern, mußten nach meinem Bedün-ken nur die Verhältnisse richtiger und schöner geformt werden. Nach seinen Aeußerungen schien er auch damals meiner Meynung."
Was für gewaltige Pläne für die Zukunft unser Künstler an die Ausführung dieses Bildes zu knüpfen im Stande war, davon mögen zwey abgebrochene Aufsatze: Maaßen in den Tageszeiten, zeugen wie folgt:
l. "Im Morgen: Die Höhe zur Breite wie 4 zu 3, nämlich 18 Fuß breit, 24 F. hoch. - Die mittlere Linie grade durch von unten bis an den Rand des Horizonts 3 Fuß. Von dort bis zum Augenpunct oder bis zur Mitte der Venus 4 Fuß; oder besser bis zu deren Haupt ? Fuß. Von dort bis zum Anfange der Lilie 3Z Fuß. Die Lilie 3ß Fuß. Die sitzenden Figuren 2 Fuß. Bis zum Haupt der drey obersten Figuren 4 Fuß.

II. B.

Von bort bis an den Rahmen 1 Fuß. - Die Größe der vordersten Figur kommt circa zu 5 Fuß aus (mit dieser Größe müßten die Figuren im Rahmen übereinstimmen); ihre Größe ist bis an die Augenpunctlinie; das Verhältniß ist von 5 Kopflängen. - Es möchte die Größe der Lilie, so wie der hinteren Figuren überhaupt etwas kleiner ausfallen. - Die Größe der Lilien-knospen ist 2z Fuß."
2. "Morgen: Das innere Verhältniß 18 Fuß breit, 24 hoch, oder wie 3 zu 4. - Das Verhältniß der dunkleren Figuren von unten bis über der Hand der Venus wie 18 Fuß breit, 13z hoch (wie 3 zu 4): diese 13i Fuß in 3 Theilen, nämlich 4z bis an den Horizont, 4Z bis zum Augenpunct, 4i bis an die Hand; die doppelte Breite hievon giebt die Breite des mittleren Verhältnisses, worin die Venus und das Kind, wie 2 zu 3. Die Nebenräume für die drey vordersten Figuren ebenfalls wie 2 zu 3, bis über dem Kopf. Bis über der Hand ist von unten 7j, und bis an die Bank 8 Fuß. Das Kind hebt sich über die Grundlinie 1I Fuß, parallel mit dem Fuß der vordersten Figur. Von dem- Augpunct bis zu dieser Ecke ist für das Maas der Figur eine Linie. Das Maas der Venus geht von i Fuß über der Bank, oder 1Z über dem Horizont, bis zu 8 Fuß über dem Horizont. Die Größe der Kinder ist bis an den Nabel der Venus. Die vordere Figur geht von 1i Fuß über der Linie aus dem Augpunct an bis zur Linie, die perspectivisch durch den Nabel geht. Die zweyte Größe 1 Fuß über der Horizontallinie und der dritten hin 3 Fuß; zu 5 Kopflängen alle.- Die Kinder im Rahmen wo möglich eben so groß wie die vordersten Figuren. - Bey der Proportion von 5 Kopflängen ist zu merken ungefähr: Der Arm 2z Kopf (mit der Hand), das Bein 2ß, die Hand kaum H, Unterarm voll S, Oberarm I. - Die Breite der unteren Flammenhaare in dem Verhältniß von 2 zu 3 zu der Höbe der ganzen Figur, nämlich über der Hand von der Bank an 8 Fuß; also auf jeder Seite 2j Fuß. Die Haare liegen auf diesen Linien, und die Hand halt die oberen ^ Fuß über dem Augpunct; 2 Theile von oben liegen die mittleren, welche auf jeder Seite 1^ Fuß Ausladung haben. - Von dem untern Verhältniß bis zu der Lilie ist 15 Fuß; die Lilie 3 Fuß; bis an den Bogen der Knospen 1 Fuß; die sitzenden Figuren 2 Fuß; die Lilie von unten zu sehen 1 Fuß; die oberen stehenden Figuren 3 Fuß; übriger Raum 1 Fuß. Die Breite des Kelches 3 Fuß, der ganzen Lilie 4 Fuß, die Ausladung der Knospen

Die Tageszeiten.

jede 3^ Fuß. Der Bogen zur Musica*) ist aus dem Augenpunct und der Linie der Figuren die Radien; die erste ist 3z Fuß vom Kelche und die zweyte 3z^Fuß von dieser. - Das äußere Verhältniß des Rahmens ist 28 und 36 Fuß oder wie 7 zu 8; der äußere und innere Rand l Fuß; der Rahmen 3 und 4 Fuß. - Unten die Kugel ist 1H Fuß im Halbmesser; li Fuß bis an die Schulter der Psyche; die innere Linie des Kindes die der Wurzel; des Horizontes die der Zwiebel; die Hälfte des Ganzen die der Mitte der Amaryllis. - Der Mittelpunct der Glorie ist dann der innere Rand des inwendigen Randes. - "

Wir maaßen uns zwar nicht an, die hier bestimmten Puncte und Linien alle verstehen und auf dem Bilde nachweisen zu können. Auch ist nicht eben nothwendig anzunehmen, daß der Künstler sich eine Ausführung in so ungeheurem Maasstabe gedacht habe, sondern 24 Fuß, statt 6 vielleicht, anzunehmen war etwa eine Zahl, welche die daraus gefolgerten kleineren Verhältnisse mehr in ganzen und weniger gebrochnen Zahlen bequemer ergab.
Sehr schön sind meistentheils die Studien in Oel zu diesen
beiden Ausführungen; vor allen eines, welches die Lilie mit der
Musica vollständig enthält, die einzelnen Figuren in verschiedenen
harmonischen Farben, der Lustton grau statt blau; ein anderes
auf ganz dunkelblauem Grunde die Lilie und Staubfäden mit
allen Figuren., sämmtlich und alles gelb in gelb gemahlt (allen
fehlen noch die Haupthaare), mit 2 Figuren aus der Musica
mit lebhaftem Roth an ihren Flügeln; ferner giebt ein Bild nur
die drey Staubfädenkinder mit dem Morgenstern über sich und
unter denselben eine schwache Andeutung der Lilie (als der Künst
ler hernach in dem kleineren Gemählde des Ganzen diese drey
Kinder in bloße drey Engelsköpfe verwandelt hatte, ließ er sich
durch die Vorliebe des Herausgebers für die ganzen drey Fi
guren bewegen, solche in dem großen Bilde, nur in breiterer
Ausladung, wieder aufzunehmen); die Lilie und Musica mit der
oberen Hälfte der Venus; die Venus mit dem ganzen Vorgrun-
de; die Venus allein; der vordere Knabe rechts im Vorgrunde;
noch ein Blatt Vorgrund; zwey Studien bloß von den Lufttö
nen am Horizont. Ungemein reich ist dann auch, wie wohl
zu erachten, der Vorrath von gezeichneten Studien und Entwür"
*) Go nannte der Künstler der Kürze wegen den Bogen der Knospen zusammen mit den musiciienden Kindern"

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fen zu diesen Bildern. Es stechen darunter besonders hervor fünf Blätter auf braunem Papier, saubre Zeichnungen mit schwarzer und rother Kreide, weiß gehöht, darstellend: die ganze Lilie mit den Figuren auf und über derselben; einen Genius aus der Musica rechts; einen andern links; die Venus; den Knaben mit dem Rosengewölk rechts: alles genau wie auf der großen Un" termahlung (eben so finden sich genaue Federumrisse von allen diesen). Ferner auf solchem Papier in schwarzer Kreide der dem Kinde die Rose darreichende Knabe rechts. In Federumrissen auf weißem Papier die einzelnen Theile des Arabeskenrahmens, sowohl nach oder zu dem kleineren Gemählde, als der großen Untermahlung, worunter die obere Glorie aus der großen Zahl von Engelsköpfen. - Mehrere sehr abweichende erste Entwürfe zu der neuen Komposition des Morgens, und zu einzelnen Theilen und Figuren derselben, insonderheit zu der Venus; alles theils in Federumrissen, theils getuscht, worunter ein, bloß auf den Beleuchtungseffect berechneter von 1808; einige ungemein große Tuschzeichnungen zu dem Vorgrunde u. s. w.

Fünf Vignetten in Federumrissen zu den, von Tieck bearbeiteten und 1803 bey Reimer in Berlin erschienenen Minneliedern (radirt von Köbcke) konnten, wie R. am 6. April l8N3 an D. schreibt, "allenfalls schon als Vorahnung oder Prolog für das Publicum zu den großen Radirungen gelten." Auf dem Titelblatt zwey sich küssende Kinder in einem Rosenkranze; über dem ersten der Lieder ein trauernder Knabe zwischen gebrochnen Lilien und Rosen sitzend, vielleicht in näherer Beziehung zu dem zweyten Liede, Herzogs Heinrich von Breslau: Ich klage dir Meye (wenn wir ja annehmen wollten, daß R. eine oder die andre dieser Vignetten selbst radirt hätte, müßte es wegen der größeren Unmittelbarfeit des Ausdrucks wohl diese hier seyn); ferner anderswo im Buche zwey Kinder auf aufgeblühten Rosen sitzend, die die Finger an der Flamme einer Kerze verbrennen, welche der Ring der Ewigkeit umgiebt, oben ein Bogen vor" Sternen; ein Kind hält sich selbst eine kleine Rose vor, aus welcher ein Engelchen hervorkommt, es sitzt dabey unter dem Schirmdach einer Lilie, die mit ihren Staubfäden sich zu dem Namen Iehovah's in einer Engelglorie hinbeugt; endlich am Schlüsse umarmen sich zwey, aus Rosen hervorkommende Kinder, zwischen welchen eine Lilie aufgesprossen ist^ und ein Doppelftanz von Blumen schwebt über ihnen. Auf den drey lezten Zeichnungen befindet sich alles auf dem Abschnitte einer Erdkugel, wie man
solche in den Figuren in Jacob Böhme's Schriften zu finden
pstegt. ^
Eine Reminiscenz aus den Tageszeiten ist auch ein Delbild über einer Nische in einem Zimmer des Hauses von Perthes in Hamburg damals, in welcher ein Sopha stand. Das
Brett, worauf R. es mahlte, hat die Form
In jeder der untern Ecken sitzt ein Knabe, der einen Mohnstengel halt, wovon die Blume sich nach der Spitze in der Mitte hin senkt, in welcher grade der Mond aufgeht.
Wir schließen hieran einiges über die Blumenstudien unseres Künstlers, ohne noch der in Papier in größter Fülle aus-geschnittnen zu gedenken, womit er sich sein ganzes Leben lang, selbst in den zerstreuendsten Augenblicken, mit der ausgezeichnetsten Geschicklichkeir beschäftigte. - Mit der Feder und dem Bleystift, theils äußerst genau, theils flüchtig aufgezeichnet, sind: eine Kornblume (zum Behuf des Kranzes im Tage) von oben hineingesehen 2 bis 3 Zoll im Durchmesser; desgleichen im Prosit. Ferner Nasturtien, Iris, Lilien, Wasserlilien, Winden, Cactus-blüthen, Aurikeln, Mohn, Passionsblumen, - Waizenähren (vergrößert), Hafer, Disteln nebst Blumen und Blättern, Ahornblatt (von diesem, wie von dem Nasturtium und dessen Blattern geometrische Uebersichten). Ferner in Oel eine Amaryllis formo-jWma mit der Zwiebel, nach der Natur gemahlt. Mehrere Oel-mahlereyen, 1808 und 18W, von Blumen, zum Behuf von Sti-ckereyen auf Stuhlpolster, für seine Nichte Wilhelmine Helwig (hernach verheirathet an den Freyherrn v. Langermann auf Dah-len in Mecklenburg - Strelitz - m dessen Besitz sich diese Bilder vielleicht noch befinden, - und verstorben). Der Herausgeber erinnert sich unter andern noch einer derselben, worauf mit sehr lebhaften Tönen eine weiße Calla Aethiopika mit einer Amaryllis vereinigt waren. Eine andre, die nur als Untermahlung fertig geworden, befindet sich in Hamburg; es ist eine Compo-sition von Nasturtien, wo immer jedes Blatt, jede Blume, und auch das Ganze selbst, ein Sechseck formirt; auch eine Federzeichnung davon. - R. schrieb den 1. Aug. 1807 an Wilhelmine H. : "Sage mir doch, ob du noch an die Ausführung der Stühle und des Sopha's denkst; wenn das ist, will ich dir sagen" wie du es machen sollst. Gustaf Brückner zeichnet und mahlt Blumen allerliebst, von diesem laß dir einmal rathen und Blumen zeigen und wähle zu dem Sopha allerley große und kleine, jedoch einige so große breite, die in der Mitte eine Masse bilden, so daß sie mit den kleinen ein Bouquet formiren. Dann, wenn du solche wähltest, die er in seiner Sammlung hatte, oder ihn beredetest, daß er die mahlte, die er nicht hätte, und ihr schicktet mir die Sammlung, würde ich es componiren und in Del mahlen auf einen Grund von derselben Farbe und in der Art, wie du sie sticken müßtest. Die Stühle, dachte ich, könnten immerhin verschieden seyn, wenn nur eine Art von Gleichheit darin wäre, z. B. immer drey Blumen von verschiedener Größe und Farbe: etwa eine kleine blaue, eine etwas größere Dränge, und eine violettrothe; dann in den Blättern eine abwechselnde Verschiedenheit, rund, langblättrig, und schilf- oder grasartig. Wenn dasselbe immer in anderen Modulationen vorkommt, wird es dir auch beym Sticken nicht so langweilig." Den 28. December an Brückner : "Es ist mir lieb, wenn du von den Farben einigen^Gebrauch hast machen können, der Effect macht, und stehe, wenn du mir nur die dir fehlenden Materialien sagen willst, mit Rath und That ferner zu Diensten. Es freut mich erstlich, daß Mine H. noch die Stickerey unternehmen will, und zweytens, daß du Blumen mahlst und mahlen willst. Was deinen Kummer betrifft, daß es mir zu viel Zeit kosten würde, sage ich dir, daß die Oelmahlerey darin ein wahres Himmelreich gegen die Art, wie du arbeitest, ist, und du dich, wenn du Lust hast, was rechtes zu machen, nothwendig auf diese legen mußt; nur mußt du den rechten Grund von den Verhältnissen des Materials zu der Natur erkennen, und da müßte ich dich eine Zeitlang in Aufsicht haben, sonst verdirbst du dir mit Schmieren die beste Zeit und richtest nichts aus. Auch sage ich dir, daß ich die Blumen, die du mir schickst, und die ich wegen der botanischen Deutlichkeit brauchbar fände, nicht (in Beziehung auf die Stickerey) auf's äußerste auszuführen brauche, sondern nur so weit, wie es das Muster erfordern würde, da nämlich in der Stickerey durch die große und freye Behandlung der Effect hervorgebracht wird. Denn es sollte mir leid seyn, wenn über den cunventionellen botanischen Kennzeichen, die doch nur Register sind, nicht weit lebendigere Gestaltungen und Analogien der Form dich angezogen hätten. Diese lebhaste Beweglichkeit in den Formen der Blumen und Gewächse,

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die von ihrer ersten Keimung bis zur Reife der Frucht wie ein Epos darin sich offenbart, ist der genaue Zusammenhang, der durch die analoge Veränderung der vier Tages- und Jahreszeiten sie mit unserm eignen Leben, Wachsen und Würken in Verbindung bringt, welchen Zusammenhang ich wie eine einzige Blüthenentfaltung in der Vollendung meiner Bilder (der Tageszeiten) darstellen möchte. Da es mir nun für diese auf die botanischen Theile, bey einer ausführlichen Behandlung, und vorzüglich wenn man genöthigt ist, die Form zu extravagi" ren, wesentlich ankommt, und besonders den Charakter der Ge" schlechtstheile herauszuheben, so würden mir deine Bemühungen sehr zu statten kommen. Auch, da die Blumen, welche ich in meinen Bildern gebrauche, alle von keiner geringen Bedeutung sind, könnten sie zu jener andern Arbeit ebenfalls angewendet werden. Ich hätte dir schon lange deswegen geschrieben; da ich aber diesen Sommer keine Zeit hatte, zu der Arbeit zu kommen, welches sich jetzt ändert, so geschah es nicht. Könntest du mir also schicken oder machen, als; 1) eine schöne weiße Lilie; 2) eine gelbe Mumme lk (Wasserlilie, ^m^kaea iutea XIII.), wie sie auf den Mühlenteichen wachsen; 3) eine Lilia Amaryllis formosissima; 4) eine recht schöne Distel, man hat so welche mit großen bunten Blattern; allenfalls nur 5) eine Adebar's-(Storch-) Blume oder Iris, gelb; 6) eine Hyacinthe, weiß; 7) eine blaue Glockenblume; 8) eine Kornblume, blau; 9) eine Königskerze? Vorerst brauchten es nur die drey ersteren zu seyn und was du sonst vorrathig hast, ich würde dich dann bald sehen lassen, was ich daraus machen könnte. Du darfst kein Mißtrauen darin setzen, da'ß du deine Zeichnungen nicht, oder beschädigt wieder er" hieltest, es ist meine Sache nicht, so zu seyn; es würde mir im Gegentheil das größte Vergnügen machen, dich auf die Wege zu bringen, wie du dir viele Mühe ersparen könntest, und daß du lerntest, das, was du siehst, frey ohne alle Aengstlichkeit wieder zugeben." Den 23. März 1808 an denselben : "Lieber Freund, du hast mir durch deine Sendung ungemein viel Vergnügen gemacht, besonders aber noch durch deinen Brief. Ich hoffe, daß du einen ernstlichen Vorsatz hast, etwas recht tüchtiges in der Welt zu thun, daß du also auch dich selbst erforschen wirst, wozu du gemacht bist, und dich von keinen Hindernissen wirst abschrecken lassen, den rechten Boden zu finden, worin du mit allen geistigen Kräften Wurzel fassen kannst. Die Amaryllis for-mosissima habe ich schon nach der Natur gemahlt. Ich frage

Mine nur noch nach der Form der Stuhlpolster, so werde ich auch bald etwas schicken. Ich hoffe, daß ich aus den hiesigen Gewächshäusern mich besser werde mit Blumen versorgen können, wie du es kannst. Sehr erfreulich ist mir aber die Aloe wegen der wunderlichen Gestalt und der Fratzen, die da heraus" gucken; du wirst mir einen besondern Gefallen erweisen, wenn du mich aufmerksam machen kannst auf solche Gewächse von besondern Formen, da solche mir in der Nacht zu den Träumen tauglich sind. Da du über die Schwierigkeit der Heraushebung der Geschlechtstheile bey den Blumen sehr vernünftig sprichst, so muß ich dich auf etwas aufmerksam machen. Dein Zeichen" Meister hat dich vor solcher Ausführlichkeit gewarnt, welches auch recht gut gemeynt ist; nimm aber an, daß ein Mahler (wie Rafael), der die lebendigste Bewegung der Seelenverhältnisse dar" stellte, doch eine große Zeit hinter sich haben mußte, die ihm vorgearbeitet hatte, um, wie die ganze alte Kunst in ihrer Blüthe, leicht mit den tiefsten Erforschungen spielen zu können; so sehen wir, daß zwey Männer eben vor ihm die Zeichnung vollendet hatten, Lionardo da Vinci und Michelangelo, der erstere arbeitete Tag und Nacht über die Physiognomie und wenn er einen Menschen von besonderer Form sah, konnte er ihn meilenweit verfolgen, der andre verschloß sich drey Jahre lang unter Thier-und Menschen - Cadavern und spürte den verborgenen Ursachen der Bewegung nach, und so, indem der eine sich in den leichten und mannichfaltigsten Erscheinungen der Außenwelt herumzutreiben schien, und der andre unter Verwesung und in Grabern lebte, und auf solche Weisen beide sich von der äußern Kunstübung völlig absonderten, gewann die ganze Kunst doch durch diese tiefsinnigen Forschungen erst die Fähigkeit, sich mit einemmale zu entfalten und in tausend wunderbaren Blumen, gleichsam ohne Mühe und Arbeit, dazustehen. Das Nachspüren der Eigenschaften einer Sache kann immer nur starken Gemüthern angehören, die trotz der Einseitigkeit ihrer Beschäftigung den Glauben an die Würkung ihrer Bemühungen nie verlieren; wer hingegen schwach ist, wird immer nur suchen, so bald wie möglich sich zu produciren, um doch auch zu glänzen. Ich will dir noch ein Beyspiel herschreiben, das dir vielleicht den Sinn näher bringt. Wenn die Aloe, die achtzig Jahre lang nicht müde wird, Blatter zu treiben, unter den andern Blumengeschlechtern dasteht und dasselbe Blatt immer wieder treibt, hat sie die Blume im Sinn, die größte und wunderbarste, die es giebt. Die kleinen Blüm-

Dl" Tageszeiten. Ml,


chen um sie her aber sind bald fertig und haben ihren Spaß an
der Pedanterie und dem Mysticismus des alten Großpapa's, den
sie schon von ihren verstorbenen Großeltern her kennen; aber so
lieblich und artig sich auch die Kleinen gebehrden mögen, sucht
die Alte doch sich nur bereit zu halten auf die Stunde, die alle
ihre Mühe und Arbeit belohnt, und wie gewaltig und erhaben
steht sie am Ende da! wie kommt selbst das Beste an allen übri
gen einem nur wie Spielwerk dagegen vor! Dieselben Charak
tere wirst du auch unter den Menschen finden, und nicht bloß
unter den Menschen; sondern wenn du das eine, wozu du ge
macht bist, recht gefunden hast, und ihm nachgehst, wird alles
Ding um dich her dir nicht mehr todt dastehen, sondern du wirst
vernehmen, daß alles sich nur bemüht, auf seine Art den ewigen
Grund des Lebens zu finden, und die Einsamkeit wird aus seyn.
- Da du sagst, daß du es bedauerst, mich auf unsrer Reise
(nach Rügen) noch nicht recht gekannt zu haben, so wäre es un
recht von mir, zu glauben, dies sey dein Ernst nicht, und ick
verspreche dir, daß ich dir immer gerne schreiben will, wenn dir
etwas fehlt, wo du glaubst, daß ich dir etwas sagen kann. Du
bist aber noch sehr jung und es liegt in der Natur der Sache,
daß du selbst noch nicht weißt, was du willst. So ist es auch
recht gut, daß du dich in allerley versuchst und probirst, nur be
halte das im Sinn, daß du nur eines tüchtig und kräftig thuest,
sonst thust du nichts. Wenn du etwas liesest, halte dich von
der Mittelmäßigkeit entfernt und suche lieber das Beste in der
Poesie erst zu verstehen, z. B. Goethe. Ich weiß nicht, ob dir
es je schon durch den Sinn geschossen, ein Gedicht gründlich zu
verstehen. Wenn das ist, so sage mir, was das Gründliche von
dem Verständniß ist? Ist es nicht wie folgt? Du nimmst
das Linnäische System bey den Blumen als etwas Gründliches
an, und ist auch recht; doch suche den Grund des Systems zu
sehen. So ist es mit allem Gründlichen, etwas müssen wir im
mer erst auf Treu' und Glauben annehmen, doch ist das die
Sache noch nicht, sondern nur die Form. Der Grund der Form..
aber liegt so gut in deinem, wie in des Menschen Gemüth über
haupt ; so suche denn auch etwas aus dir selbst zu gestalten und "
du wirst erst die rechte Achtung bekommen vor den Leuten, die
etwas gethan haben. - Soll ich nun dein Freund werden, so
betrage dich tapfer und scheue dich vor keiner Schwierigkeit, denn
du selbst mußt es thun, und durch die Quaal und Angst der Er
kenntniß mußt du allein durch; so wie du ja auch selbst sterben
mußt, so mußt du auch selbst leben. Wenn ein Urtheil oder dergl. dich empfindlich trifft, so suche just das schmerzhafte darin zu erforschen, nicht es zu widerlegen. - Sollten dieses nun alles Sachen styn, die dir weit von dem abzuliegen scheinen, worüber du dich mit mir zu unterhalten wünschest, so glaube nur, daß die Dinge weit näher mit einander verwandt sind, wie es scheint. Schreibst du mir, so warte nur nicht immer darauf, daß ich dir gleich antworte, sondern schreib' nur wieder, ich habe nicht immer Zeit oder Lust, so lange du aber ein Herz hast, werde ich dich nicht vergessen. Die Blumen schicke ich dir wieder, wann ich sie nicht mehr brauchen werde." Den 15.Juny an seinen Bruder Karl: "An Minchen H. bitte ich zu berichten, daß ich ihr die Quadrate mit Zwirn über das Muster gezogen; sie muß das Tuch in den Rahmen spannen, und den Stramey darüber, dann mit Zwirn über den Stramey dieselben Quadrate ziehen und in diese die Blumen mit Kreide zeichnen und mit einem Pinsel mit recht schwarzer Tusche nachziehen. Wenn sie selbst zu wenig gewandt dazu wäre, sind die werthqeschatzten Oncles wohl so gütig, es zu unternehmen. Im Sticken fängt sie mit der rothen Blume an, und zwar die dunkelste Ecke zuerst bis in's Helle hinein, die Staubfäden zulezt, wenn das grüne Blatt fertig ist."

Im Sommer von 1808 kam aus Leipzig das Verlangen, eine Idee gezeichnet zu erhalten zu einem Grabmal in Sculp-tur, das einer 19-jährigen, im zweyten Kindbette gestorbenen Frau gesetzt werden könne. Die Zeichnung dazu in Federumn'ß ist gegenwärtig im Besitz des Hrn. Mettlerkamp in Hamburg. Unten eine verzierte Nische, von Efeuranken umhängen, in welche sich Wurzeln verschlingen, die aus dem untern Theile eines darüberstehenden zwiebelförmigen Gefäßes hervordringen, in und auf welchem Nasturtien - Blumen und Blätter liegen. Von diesen heraus grade in die Höhe geht ein Bündel von Lilienstengeln und Blättern, über welchen deren Knospen und aufgeblühte Blumen. Diese weiden von einer viereckten Platte wie von einem Grabstein bedeckt und belastet, und auf dieser kniet ein Kind mit Psycheflügeln, beide Arme zum Gebet kreuzweise über die Brust gefaltet und nach oben hinaufsehend, die Haare sich wie eine spitzige Flamme über dem Haupt erhebend. Das Ganze baut sich ungefähr wie ein Candelaber, auf welchem dieses Haar die

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Kerzenstamme bildet. Viel zu kunstreich aber war es gedacht und geformt, um damals und dort zur Ausführung kommen zu können.

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Aus dem Briefe an Goethe vom 1.Febr. 1810 im vorigen Buche wird man gesehen haben, daß R. den Gedanken hatte, einige Studien von Lufteffecten u. s. w. bloß als Beweise für seine Theorie zu mahlen. Schon früher, vielleicht 1805, hatte er es wenigstens mit einem solchen versucht, nämlich mit der Darstellung in Oel eines (im obigen Briefe gleichfalls mit aufgezählten) Sonnenauf- oder Unterganges (was für diesen eigenthümlichen Zweck keinen besondern Unterschied machte). Eine kahle, hügligte Gegend, Thon- oder Sandboden, gelblich, im Mittelgrunde ein kleiner See, an welchem unter anderm eine Frau mit hochrothem Rocke geht. Am Horizonte ist ein kleines Stückchen der Sonne sichtbar, über welche her in stets größer werdenden Kreisbögen lebhafte Farben genau abgemessen in der Ordnung, wie es nach der Theorie seyn mußte, aufeinander folgen. - Dieses Bild schenkte er 1808 dem Director Tischbein auf dessen Verlangen, in dessen Nachlaß es sich.vorgefunden haben muß. Derselbe Tischbein hatte sich in die^ Lufttöne des Morgens in der großen Untermahlung stark verliebt; er wollte, im November 1808 von Hamburg nach Eutin zurückreisend, grade eine solche Luft Morgens gesehen haben, ja er hatte den wundersamen Einfall, dieses Bild als Landschaft copiren zu wollen, indem er alle Figuren auf demselben in bloße Morgenwolken verwandelt hatte!

1 In der Originalzeichnung sieht man, statt der Passionsblume und des Gewölkes unter ihr, die beiden Gesetztafeln, von der Schlange umgeben, woraus ein zackiger Blitzstrahl in Wolken nach unten schießt. Ueber diese Darstellung ist aber die obige, in die Radirungen gekommene geklebt.


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