J. M. Speckter
Kritiken und Berichte. Die Kunstwerke betreffend. Die Kunstausstellung der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe
Kritiken und Berichte. Die Kunstwerke betreffend. Die Kunstausstellung der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe
6. Aus dem Nieder-Elbischen Mercurvon 1815, XVI. Heft: Die Kunstausstellung der Hamburgischen^Gesell schaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe, im October 1315 (zur Feyer des fünfzigsten Jahrestages ihrer Stiftung).
- Des seligen P. O. Runge's Bildniß ist von I. G. Eiffe, nach einem Gemählde des Künstlers gemahlt. Von Runge selbst ist noch ein kleines Mädchen, am offenen Fenster auf dem Stuhl stehend, Nr. 6. Die tiefgedachte, geistreiche Anordnung, das unschuldig Wahre der Zeichnung, und das ruhige Leben in der Färbung, von lichten Sonnenstrahlen erleuchtet, läßt die bedeutenden Mängel der Farbenbehandlung und die Unfertigkeit des Pinsels (der Technik im Mahlen) wo nicht übersehen, doch leicht vergessen. - Ueber Kunstansicht und Bestrebungen dieses Mannes, der wie ein Meteor in unsrer Welt schnell aufging, und, will's Gott nicht ohne Einfluß, plötzlich wieder verschwand, einige Worte zu geben, sey hier verstattet. In der Kunstentwicklung seiner selbst wurde es ihm klar und gewiß, daß, feit dem Blüthenalter der Griechen, die Kunst der Formen, so wie in Richtigkeit und Strenge, so auch in Leben und Schönheit der Umrisse, von den Florentinern und Rafael fast erschöpft, abgeschlossen und der Vollendung nahe gebracht sey, - daß dagegen Licht, Farbe und bewegendes Leben wohl von Vielen tief empfunden und erhascht, von Manchen lebendig geahnet und empfangen, von Correggio und Einigen klar eingesehen, erkannt und ergriffen, aber bis jetzt noch von Keinem als reine Erkenntniß in Wort und Gesetz, durch Rede und That, wenn auch in größerer Weite, ausgesprochen sey. Daß Licht, Farbe und Dunkelheit der Außenwelt, in Himmel, Feuer, Wasser, Erde, Blumen, Thier- und Menschengestalten, mit Licht und Finsterniß der Innenwelt, dem Göttlichen, Gottverwandten und Ungöttlichen symbolisch verwandt und geeinigt sey, - dies war der Inhalt seiner Farbenansi'cht und das Thema in den Tageszeiten: - Menschenleben und Entwicklung von der Geburt bis zum Heimgang, - Glaube und Anschauung in Zeit und Ewigkeit. Endlich glaubte er, Gedanke, Com-position und Ausdruck in dem Gebildeten sey dem rechten Künstler, der innig und wahrhaft empfinde und empfange, und mit klarem Bewußtseyn das Empfangene in sich gestalte, so natürlich und nothwendig als Entstehen, Wachsen und Gedeihen der organischen Natur. Ihm selbst wohnte diese Natur ein, wie aus allem, was er schuf, von der leichtesten Skizze bis zu dem ausgeführten Bilde genügend zu ersehen ist: in seinen Zeichnungen war er weniger richtig, als wahr und charakteristisch, ganz vorzüglich aber in seinen Kindern und Engeln; am meisten mangelte es seinen weiblichen Figuren. In dem, was seinem Streben das Höchste war/ in der Färbung, ist er höchlich zu loben; hingegen im Farbenauftrag in der technischen Behandlung billig zu tadeln; auf einzelne Effecte ohne Gehalt hinzuwürken, war ihm als unwürdig seiner Kunst ganz zuwider. Dies Gesagte wird überzeugend dargethan durch die gemahlte Skizze des Morgens Nr. 7, durch die Originalzeichnungen der Tageszeiten Nr. 66 bis 69, durch die Studien Nr. 72 - 74, durch die sinnvolle Arabeske Nr. 76, und durch die herrlich skizzirte Waldlandschaft Nr. 70: Dichter und Quelle, in welcher die Stellung des Dichters, wenn auch über seine Offenbarung erstaunt, doch weniger in die Ecke gedrückt seyn sollte. Wie er schöpfte, Dichtungen und Volkssagen in sich aufnahm und zu eigenen Kunstgebilden gestaltete, mögen die beiden schönen Umrißzeichnungen Nr. 7l aus den vier Heym ons-Ki ndern, auch als Beleg eigner symbolischen Composition erhärten. Kaiser Karl der Große steht geharnischt in Helm und Kaisermantel, und stützt in edler freyer Stellung den Herrscherstab an die Wölbung eines auf einem Würfel ruhenden Schildes; im Rahmen halten unten zwey Adler Speere in ihren Krallen und decken mit den Flügeln in der Mitte St. Johannes mit dem Frieden bringenden Lamm in einer Einfassung, welcher gesenkte Schwerd-ter zur Unterlage dienen; um die aufgerichteten Speere winden sich Lorbeeren, Schriftrollen, Werkzeuge der Künste und des Wissens; ihre Spitzen, auf welchen Victorien tanzend schweben, sind mit Lilien, Rosen und andern Blumen umwunden; oben ruhen auf einem Kissen Kaiser-und Königs-Krone, Schwerdt und Reichsapfel. Heymon, auf dem an" dern, steht dem Kaiser, merklich kleiner, ganz gewappnet mit Schild und straffer Lanze, mit beiden Füßen festgewurzelt gegenüber; im Rahmen ist unten, in Mitte zweyer liegenden Leuen, der Heiland am Kreuz in einer Einfassung; jene halten in ihren Pratzen Speere, mit Lorbeeren, mit mannichfaltig charakterisirten Köpfen der Ungläubigen und deren Kronen verziert; Ritter und Ritterfrau stehen auf der Speere rosenumwundenen Spitzen in andächtiger Verehrung der Kreuzesnägel und der Dornenkrone, die den Helm des abgcmüheten Helden, als einziger Himmels-lohn aller Kampfarbeiten und Siege, schmücken. In dem Nachlaß des Künstlers ist noch ein halb vollendetes Doppelbild, zu diesem gehörig: einerseits zeigt es den frommen Erzbischof Turpin mit Meßgewand und Hirtenstab an den Stufen des Altars, wie er auf den Göttlichen Dulder, sich gegen das Chor wendend, hinweiset; über ihm, im Rahmen, ist der Stern des Heils in lichter Glorie, von Engelchören froh begrüßt: die andre Seite zeigt die kummervolle Frau Aja, welche die Hand gegen den, von Schwester-, Gatten- und Mutterliebe schwer gepreßten Busen drückt, in welchem sie Lilien und Rosen (sinnbildlich die dem Zorn des Vaters entzogenen Kinder andeutend) verbirgt, und, dem frommen Priester zugewandt, nach Himmelstrost sich umsieht. Das Roß Bayard, muthig springend, ist im Rahmen mit Bleystift angedeutet. Noch sollten, soviel wir uns jetzt erinnern, wenigstens zwey Bilder zu dieser Folge kommen: die Heymons - Kinder alle vier, und: Reinold mit seinem
edlen Roß, das ihn zu so manchem herrlichen Welt- und Himmelssieg
geleitete, und zulezt im Strom der Gemeinheit, mit Mühlsteinen belastet,
ersäuft wurde. I. M. S(peckter).
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