P.
Bey Runge's Tode.
Bey Runge's Tode.
Zeugnisse 3. Der Mensch muß das Köstlichste, das Heiligste, in sich hinein still aufnehmen, treu es bewahren. In der Stille bildet sich dann die Knospe, und bricht plötzlich hervor, sich entfaltend zur schönsten Blume. So ist die Kaktus (grandiflora) ein so unscheinbares Gewächs, daß ein Unwissender es wegwerfen würde, nicht einmal Blätter treibt es; aber in sich bereitet es ein Wunder der Herrlichkeit. Zwölf Jahre schweigt es, ohne eine Ahnung dessen zu geben, was es in der Stille würkt; plötzlich bricht die Knospe, mit ihr fast zugleich das Wunder der Blume hervor, die
Herrlichkeit ist unaussprechlich. Ruhig ist ihr Einwürken, wie das eines in sich vollendeten Menschen, wie die Erscheinung unseres Otto's. Es fühlt sich, daß diese Vollkommenheit nicht lange auf der Erde weilen kann; zwölfstündig ist ihr Leben, ihr Sterben wie das eines Frommen, auch den Rohsten erfüllt es mit Ernst und Wehmuth.
Ist solch ein Leben nicht reicher, als das eines gemeinen Gewächses, das unaufhörlich Blätter und Blumen treibend ein langes und langweiliges Leben führt?
- Einseitige Geistesbildung, ohne religiösen Zweck, ist gänzlich un-würksam, etwas hervorbringen kann sie nicht. Ein so gebildeter Mensch treibt wohl hin und wieder Blüthen, doch nimmer Früchte; das Göttliche Gedeihen fehlt. So läßt Goethe feinen Faust den T. fragen, indem er sieht, wie die Hexe den Brey bereiten muß, warum er es nicht selber thue? Die Antwort ist: Der T. hat sie's zwar gelehrt, allein der T. kann's nicht machen. Sie haben die Theorie des wahren Schönen, sie müssen's anerkennen zu ihrer eignen Quaal, und sind unfähig es auszuüben, unfähig des Einflusses auf Andre.
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