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Philipp Otto Runge

Von der Doppelheit der Farbe


1809

Von der Doppelheit der Farbe


Wenn wir uns, um zu einer Ordnung in unsrer Anschauung zu kommen, die Abstraction von aller materiellen
Bedingung in den Farben haben gefallen lassen, so haben wir dafür eine bestimmte Gewißheit über die
Verhältnisse der Elemente zu einander gewonnen, deren Nothwendigkeit in der Form wir sogar zugeben


mußten; und dennoch fühlt jeder die Schwierigkeit, diese Einsicht mit dem, was er täglich gebraucht und
bedarf, zu verweben, daher es natürlich erfordert wird, die Nothwendigkeit der Abstraction immer aufs neue
zu erörtern.

Wir haben in der Form der Kugel die fünf Theile als die Elemente der gesammten Erscheinung, nur
abgerechnet die Einwürkung des Lichts, angenommen. Wenn wir aber die Erscheinungen in der Natur
nachahmen wollen, so finden wir, daß diese fünf Theile weder in diesen Erscheinungen, noch in unserem
Material, schon als die lezten Elemente gelten können, und daß wir die Gränzen und Kräfte derselben sowohl
im Sehen als in der Arbeit überschreiten. Wir müssen daher noch suchen, genauer zur Erkenntniß der
Elemente des Totaleindruckes, den wir durch unser Auge erhalten, zu gelangen, und erst wenn diese
Erkenntnis zu einer gewissen Bestimmtheit in uns gediehe, würden wir zugleich einsehen können, wie sich
unser Material dazu verhielte.

Wenn in dem Verhältniß der Kugel das reine Roth, Blau oder Gelb so angegeben ist, daß es zu keiner
andern Farbe, noch auch zu Schwarz oder Weiß übergehe, so ist es auch schon in einer bestimmten
Helligkeit angenommen. Wir sehen nun aber bald, daß es in sehr großer Reinheit und Kraft in einer großen
Helligkeit und in einer tiefen Dunkelheit existiren kann ohne Beymischung von Weiß oder Schwarz, daß also
die reine Farbe auch in sich noch beweglich ist; ja sogar, wenn wir sie uns auch nur in einer und derselben
Helligkeit und Reinheit vorstellen wollten, so würde sie sich doch noch modifiziren können nach
Beschaffenheit der Materie (Glas, Papier, Atlas, Tuch, einer Wolke, Stein u. s. w.), in welcher sie erscheint;
sie würde uns, abgesehen von aller Form, diese Materie, an welche sie gebunden, angeben, ja mit derselben
eins und dasselbe seyn. Diese Veränderlichkeit möchte uns bewegen, zu fragen, wozu nun die Abstraction
und das Verhältniß der verschiedenen Tincturen zu einander, da wir das Element selbst nicht festzuhalten im
Stande sind ? -Wir werden aber den Grund dieser Beweglichkeit bald in einer bestimmten Ordnung
erkennen, wenn wir die Farbe überhaupt ihrer Natur nach als doppelter Art annehmen: durchsichtig und
undurchsichtig. Die völlig undurchsichtige Materie läßt die Qualität der Farbe nur auf der Oberfläche
erkennen; bey der durchsichtigen aber erkennen wir die Quantität sowohl wie die Qualität, und unterscheiden
also auch ohne Form die Qualität der Materie, an welche die Farbe gebunden ist. Ein völlig undurchsichtiges
Material also, da es die Farbe nur auf der Oberfläche zeigt, wird bei einer und derselben Erleuchtung
dieselbe in einer unbeweglichen Stellung zeigen; so wie hingegen die durchsichtige Farbe sich immer
verändern wird, je nachdem sich die Quantität des Materials verändert.

Jene Unbeweglichkeit der undurchsithtigen Farbe (da sie von der Undurchsichtigkeit des Materials herrührt)
kann man also als das Abstractum des Elementes ansehen, wie es bey der Kugel angenommen wurde; wo
auch Schwarz und Weiß, mit welchen es in Beziehung steht, eine gleiche Undurchsichtigkeit voraussetzen.

Wir werden uns nämlich Weiß nicht einmal als durchsichtig vorstellen können. Ob man zwar freylich von
einem weißen Lichte (als Strahl) spricht, so versteht man darunter doch höchstens ein farbloses, und sollte,
wenn man eine Sache bestimmt erörtern will, nicht zwey verschiedene Erscheinungen mit dem selben Worte
bezeichnen. So eclatant, wie bey Milch und Wasser der Unterschied des Weißen und des bloß Klaren und
Farblosen erscheint, kann seiner Natur nach der des Schwarzen (oder der Finsternis) von der Dunkelheit
nicht erscheinen, da das eine wie die andere sich dem Sehen mehr entzieht; wenn wir indeß den früher
angeführten Unterschied zwischen einer abgeschliffenen Kohle und einem dicken durchsichtigen Glase hier
wieder in Erinnerung bringen, und wie dieses leztere, immer an Dicke zunehmend, zulezt die Kohle an
Dunkelheit selbst übertreffen würde, so würden wir, wenn wir auch nichts mehr darin erkennten, den spezifischen
Unterschied zwischen Schwarz und klar oder durchsichtig doch daran ebensowohl begreifen können,
als den zwischen Weiß und Klar. Es stehen also Weiß und Schwarz auf alle Weise in dem Verhältniß nur zu
der undurchsichtigen Farbe, wie es in der Kugel ist angegeben worden.

Die durchsichtige Farbe steht im Verhältniß zu dem Licht und der Finsternis, zur Helligkeit und Dunkelheit,
nach Maasgabe ihrer Quantität und Qualität. Wenn wir nun die fünf Theile der undurchsichtigen Farbe in
Parallele stellen wollen mit den Elementen der durchsichtigen, als: Helligkeit, Dunkelheit, und die drey
Farben, so folgen die undurchsichtigen in Betracht der verschiedenen Helligkeit so auf einander:

2 3 4 5 Weiß, Gelb, Roth, Blau, Schwarz, und so übertrifff jeder Theil der durchsichtigen
diese fünf Theile sowohl an Helligkeit, als an Dunkelheit. Nämlich: Ein klarer Krystall wird ganz von dem
Lichte durchströmt; nicht so das Weiße. Wenn die Sonne es auch so hell machen kann, daß es die Augen
blendet, so kann ihr Licht doch von demselben nur zurückprallen, nicht hindurch dringen. Zugleich ist die
Tiefe des klaren Wassers von einer solchen Dunkelheit, daß eine Kohle mit demselben in dem nämlichen
Verhältniß, wie das schon angeführte, stehen würde. Mit andern Worten: Eine dunkle durchsichtige Materie,
die wie ein unendlich großer Raum alles Licht in sich verschlingt, und nicht, wie ein undurchsichtiges
Schwarz die Strahlen an der Oberfläche zurückhält, wird das Schwarze an Dunkelheit übertreffen,


ebensowohl wie ein durchfallender Lichtstrom die Kraft und Gewalt des Weißen sowohl, wie jeder
undurchsichtigen Farbe, hinter sich zurückläßt. Wenn wir uns einen dunklen Rubin oder rothen Granat von
der Größe einer Faust vorstellen, so wird die tiefe Gluth der Farbe in demselben schon in einer größeren
Dunkelheit wie Schwarz erscheinen, und würde er so dünn wie ein Papier geschliffen, so würde er, obgleich
noch dasselbe Roth, doch so sehr vom Lichte erhellt werden können, daß er Weiß sehr überträfe; nicht zu
gedenken, daß, wenn in der glühenden Tiefe eines Rubins ein Lichtstrahl zurückgeworfen wird, derselbe eine
solche brennende Gewalt ausübt, daß er uns alle undurchsichtige Farbe wie fade dagegen erscheinen muß.
Mit einem blauen oder gelben Krystall würde es sich eben so verhalten. Sollte es zwar dem ersten Anschein
nach etwas Sonderbares haben, wenn ich sagte, daß Gelb an Dunkelheit das Schwarze übertreffen könne,
so muß ich doch dagegen erinnern dürfen, daß hier nicht von der sinnlichen Erscheinung die Rede ist,
sondern davon, wie die Erscheinung sich zu dem Wesen verhalte, das sich unsern Sinnen entzieht, das sich
aber wohl begreifen läßt.

Wie ich nämlich aus dem nothwendigen Verhältnisse der fünf Theile die Kugelform dargestellt habe, da der
Uebergang von Schwarz in Weiß sich zu dem Verhältniß der drey Farben zu einander wie die Axe zum
Aequator verhalte; und wie die Folge der fünf Theile ihrer Helligkeit nach Weiß, Gelb, Roth, Blau, Schwarz
ist, so will ich, um den Unterschied der undurchsichtigen und der durchsichtigen Farbe, oder das Verhältniß
der Form zu dem Wesen zu zeigen, jetzt versuchen, wie ich aus den ähnlichen fünf Theilen in der
Durchsichtigkeit: Hell, Gelb, Roth, Blau, Dunkel dasselbe herausbringen möge, indem ich in einer
Parallele damit verfahre.

Die drey undurchsichtigen Farben gehen in einander über durch Violett, Grün und Orange. -Dasselbe
geschieht auch in den durchsichtigen.

Wenn die drey undurchsichtigen Farben zu gleichen Theilen und in gleicher Kraft zusammen gemischt
werden, so heben sie sich auf in Grau; welches auch die Linie zwischen Weiß und Schwarz ist, daher sich
diese Linie wie die Axe zu dem Kreise verhält, den die drey Farben bilden. -Wenn die drey durchsichtigen
Farben zu gleichen Theilen zusammen gemischt werden, so daß sie sich einander aufheben, so fallen sie in
eine durchsichtige Dunkelheit, die dreymal so tief ist, wie jede Farbe.

Denn: Wie das Grau, welches die undurchsichtigen Farben produciren, in Hinsicht der Helligkeit der
Durchschnitt der drey Farben ist, indem sich diese Qualität derselben mit einander vermischt, der Charakter
der Farbe sich aber zerstört so bleibt auf der Oberfläche nichts anders übrig als die Qualität (und das Ganze
in einer Form). -

Bey der durchsichtigen Farbe aber sehen wir nicht bloß die Qualität, sondern auch die Quantität, und wenn
sich hier nun auch die Farben aufheben, so bleibt doch die ganze Quantität aller drey Qualitäten sichtbar,
welches die farblose durchsichtige Dunkelheit ist, die, um eine Kugel formiren zu können, als ein Pol
angenommen wurde, der Natur der Farbe nach aber auch Mittelpunct ist. Da nun auf der undurchsichtigen
Kugel diejenigen Farben, welche sich einander aufheben, wie Grün und Roth einander gegenüber liegen, so
würde dieses auf eine durchsichtige angewandt sogleich Alles an derselben aufheben, indem ich die
Antipoden zugleich sähe; es würde alle Unterschiedlichkeit wegfallen und nur eine lebendige Qualität übrig
bleiben, oder das Wesen ohne eine Erscheinung, in welcher das Verhältniß ruhte. -Die Figur des
Verhältnisses kann sich also nur in der undurchsichtigen Farbe offenbaren, daher solche auch in einem
Verhältniß steht mit Weiß und Schwarz, welche die Figur sind von Licht und Finsterniß, wie die
undurchsichtige Farbe die Figur ist der durchsichtigen; -daher denn auch das abstracte Verhältnis der
undurchsichtigen Farbe wenig gemein hat mit dem Material, indem alles Material verschiedener Qualität ist.
Nun muß man aber merken, daß so gewiß und unendlich die lebendige Eigenschaft der Farbe, eben so
gewiß auch das Verhältniß ihrer Figur ist, denn das Vollendete kann sich nur im vollendeten Bildnis
offenbaren; es ist dem Wesen unmöglich, ohne Figur zu erscheinen, eben so unmöglich ist aber der Figur
ein qualitatives Seyn ohne (ein Wesen der) Erscheinung, denn das Bild trägt sein Leben im Bilde und das
Wesen sein Leben im Wesen; über sich kann keines hinaus.

Die Figur (die Form) sind die Pole (Schwarz und Weiß) und die drey Farben; wollen sich diese durchdringen,
so fallen sie in Grau, als den Tod.

Das Wesen aber ist die durchsichtige Qualität, in welcher das Licht die Farben entzündet. Diese Qualität
trägt die Fähigkeit der Entzündung durch den Lichtstrahl in sich und ist die Quantität der drey Qualitäten der
Farbe. -Die drey Farben, welche gesondert von starker oder schwacher Farbe seyn können, kann man
annehmen, als könnten sie ihre Quantität in Qualität zusammenziehen. Wenn nun die drey Farben von
gesättigter Quantität ineinander fließen, so wird in der farblosen Substanz ihrer Qualitäten unter Einfluß des
Lichtes sich die Gewalt der ganzen zusamengezogenen Quantität entzünden.


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