Philipp Otto Runge
Ueber den Grund der Harmonie und der Disharmonie in den Naturerscheinungen, und wie die Dissonanzen bey der Bearbeitung eines Gegenstandes zu lösen sind
Ueber den Grund der Harmonie und der Disharmonie in den Naturerscheinungen, und wie die Dissonanzen bey der Bearbeitung eines Gegenstandes zu lösen sind
1. Ein Ding sollte man vor allen ändern deutlich zu erkennen sich Mühe geben, nämlich wie eine
Zusammenstellung von Farben, die uns, wenn wir sie vorgenommen, widerlich ist, bisweilen in der Natur
ganz harmonisch unserm Auge erscheint. Es geben diese Zusammenstellung, wie schon erwähnt worden,
vornämlich alle fünf Elemente, nämlich Schwarz, Weiß, Roth, Blau und Gelb; man sucht sie in einem
Kunstwerke, das auf Harmonie Anspruch machen soll, zu vermeiden, und durch wohlberechnet künstliche
Zusammenstellung vielmehr einen so lebhaften als harmonischen Klang zu erlangen; indessen findet man
doch, daß in der Natur nicht allein, sondern auch in großen Meisterwerken, auch ohne unsere
Da-zwischenstellungen jene Dissonanzen ganz gelöset sind, und, anstatt einen verletzenden Eindruck zu
machen, gerade den Moment geben, welcher die angenehmste Würkung hat.
Was die Harmonie in den Farben überhaupt ist, und wie sonach eine harmonische Verbindung durch
künstliche Zusammenstellungen und die Lösung der Dissonanzen, beides einen und denselben Grund nach
dem Schema unserer Farbenkugel findet, wird aus der Entwickelung derselben schon begreiflich geworden
seyn, und wir wiederholen hier nur um des Folgenden willen in aller Kürze soviel:
Wenn wir uns einen Durchschnitt durch den Farbenaequator vorstellen, so formiren die drey Farben und die
drey reinen Mischungen zwei sich durchschneidende gleichseitige Drey-ecke. Wenn man nun lebhafte reine
Farben in Harmonie zusammenstellen will, so soll man Gelb, Roth und Blau nebeneinandergestellt
vermeiden; und würde man zwischen Roth und Gelb Orange setzen, so würde solches statt einer
harmonischen nur eine monotone Verbindung seyn, indem Orange, als der Uebergang von Roth in Gelb, die
individuelle Eigenschaft jeder der beiden Farben in sich vereinigt und Roth und 'Gelb nur wie die beiden
Seiten des Orange erscheinen können
Um nun diese Vermischung des Charakters zu vermeiden, kann nichts so dienlich seyn, als das völlig
charakterlose Grau. Wir wissen ferner, daß Roth mit Blau, Blau mit Gelb und Gelb mit Roth einen Mißton
gibt; hingegen Roth mit Grün, Blau mit Orange, Gelb mit Violett, einen sehr angenehmen Eindruck macht; so
auch Orange mit Grün, Grün mit Violett, Violett mit Orange. Wenn wir aber Gelb und Roth durch Orange
verbinden wollten, so würde, da Orange der Uebergang von Gelb in Roth ist, das Charakteristische beider
Farben dadurch ineinander gezogen und die Individualität derselben geschwächt werden, welches die
Monotonie ist. Orange ist bloß der Mittelton jener beiden Farben, nicht der allgemeine Mittelton aller Farben;
dieser lez-tere, mit welchem sie alle in Verhältniß und in gleicher Differenz stehen, ist allein der
Indifferenzpunct, das Grau, und wenn wir Roth und Gelb durch Grau verbinden, so kann der individuelle
Charakter in seiner vollen Kraft erscheinen, indem Grau seinerseits die Aufhebung alles Charakters ist. Aus
demselben Grunde harmoniren alle in dem Farbenkreise sich einander grade gegenüberliegenden Farben.
Weil wir nämlich zwey Augen haben, schwimmen, wenn Roth mit Grün zusammengestellt ist, die Gränzen in
einander und bringen den grauen Mittelton hervor. Es ist nun aber auch einzusehen, daß, wenn der
Winkel (b), den Roth und Gelb mit Grau machen, stumpfer ist (in a), die Harmonie monotoner, hingegen
wenn spitzer (in c), dieselbe piquanter wird.
Da nun Grau der allgemeine Ton ist, mit welchem alle ändern in gleicher Differenz stehen, so kann man
durch dasselbe alle Farben des ganzen Kreises vermitteln, die mit einander vermischt sich beschmutzen
würden, jetzt aber in eine allgemeine Harmonie übergehen. Wenn ich mich nach der Figur der Kugel darüber
ausdrücken soll, so geht der Streit oder die Vermischung von Violett und Orange in die Tiefe und den
geheimen Zusammenhang, dahingegen die Vermischung von Blau und Gelb auf der Oberfläche bleibt und
ein drittes, nämlich Grün hervorbringt, welches in der Zusammenstellung mit jenen nicht bloß die
Individualität der Grundfarben schwächt, sondern auch Verwirrung im Anschauen durch die
Zwittererscheinung erzeugt, da weder Gelb, Grün, noch Blau bestimmt erscheinen können.
2. Immer aber noch wird man durch alles Obige die gleich im Anfange aufgeworfene Frage nicht gelöset
finden, welche wir hier bestimmter so aufstellen: Wie die Harmonie zu begreifen und auch wiederzugeben
sey, in welcher uns in der Natur oft die allergrellsten Nebeneinanderstellungen von Farben, hellen und
dunkeln, weißen und schwarzen, erscheinen; ja wie auch in vorhandenen Kunstwerken oft in ganz scharfen
Abschnitten Roth neben Blau, Blau neben Gelb, Gelb neben Roth, Roth, Blau und Gelb neben Schwarz und
Weiß, Schwarz neben Weiß haben gestellt werden können, ohne sich zu schaden, ja vielmehr in einem
kräftigen harmonischen Effect?" Wissen können wir bis jetzt nur soviel, daß alle diese Theile mit Anwendung
von Kunst und Mühe durch zwischenkommende graue und gebrochene Töne zu verbinden sind, diese
Verbindungen als Kunststücke aber nie mit Sicherheit ohne eine richtige Erkenntniß der Natur der Farben an
sich werden zuwegegebracht werden. Wissen sollten wir aber auch, daß in der durchsichtigen Farbe alle
Elemente: Roth, Blau, Gelb, Grün Orange, Violett, sey es hell oder dunkel, immer in Harmonie stehen, und
daß in dieser Region kein Widerspruch ist.
Die Elemente der undurchsichtigen Farbe stehen ohne Dazwischenkunft von grauen Tönen immer, wie wir
wissen, in Disharmonie. Wäre, wenn diese Töne dazwischen gebracht, oder wenn zwey feindliche Farben
damit übergössen oder gebrochen würden, beides in der Würkung vielleicht einerley? Zwar wird die Hülfe
des Dazwischenschiebens dann immer vorzüglich in Anspruch zu nehmen seyn, wenn man eine große
Composition von farbigen Gewändern ausarbeitet und alles mit festen und undurchsichtigen Farben mahlt. In
ändern Fällen aber dürfte, wer sich das Folgende bemerkt, sich in die Erscheinungen zu finden wissen, und
wird das, was schwierig schien, sich in harmonische Klänge auflösen und eine innere Lust erwecken
müssen.
Was die Harmonie in den Farben überhaupt ist, und wie sonach eine harmonische Verbindung durch
künstliche Zusammenstellungen und die Lösung der Dissonanzen, beides einen und denselben Grund nach
dem Schema unserer Farbenkugel findet, wird aus der Entwickelung derselben schon begreiflich geworden
seyn, und wir wiederholen hier nur um des Folgenden willen in aller Kürze soviel: Wenn wir uns einen
Durchschnitt durch den Farbenaequator vorstellen, so formiren die drey Farben und die drey reinen
Mischungen zwei sich durchschneidende gleichseitige Dreyecke. Wenn man nun lebhafte reine Farben in
Harmonie zusammenstellen will, so soll man Gelb, Roth und Blau nebeneinandergestellt vermeiden; und
würde man zwischen Roth und Gelb Orange setzen, so würde solches statt einer harmonischen nur eine
monotone Verbindung seyn, indem Orange, als der Uebergang von Roth in Gelb, die individuelle Eigenschaft
jeder der beiden Farben in sich vereinigt und Roth und Gelb nur wie die beiden Seiten des Orange
erscheinen können. Um nun diese Vermischung des Charakters zu vermeiden, kann nichts so dienlich seyn,
als das völlig charakterlose Grau. Wir wissen ferner, daß Roth mit Blau, Blau mit Gelb und Gelb mit Roth
einen Mißton gibt; hingegen Roth mit Grün, Blau mit Orange, Gelb mit Violett, einen sehr angenehmen
Eindruck macht; so auch Orange mit Grün, Grün mit Violett, Violett mit Orange.
Da Schwarz und Weiß die Pole der drey Farben sind, und Grau mit allen fünf Elementen in derselben
Differenz steht, die fünf Theile aber sich auf der Oberfläche durch Stufenleitern in einander fügen, so macht
zwar die leztere Verbindungsart in jedem Fall durch einen Theil aus solcher Stufenleiter einen monotonen
Effect, weil darin die Individualität der in einander fließenden Elemente gleichsam verwischt wird; die
Verbindung durch das indifferente Grau aber erhält die volle Individualität derselben. Wenn der Uebergang
von Roth in Blau in sich selbst unbedeutend und ohne Würkung seyn soll, so erhält man dieses durch
Zwischenstellung des indifferenten Grau (b). Soll er beidedoch noch verbinden, so bewürkt man dieses durch
das sich in den monotonen Uebergang neigende Grau (a). Soll er endlich bemerkbar bleiben, aber zugleich
piquant die Individualität der zusammenzubringenden Farben vermehren, so gehe das Grau in den, der
monotonen Verbindung (a) gegenüberliegenden Winkel (c) über. Noch einmal: Der Gegensatz und die
zerstörende Würkung der einander gegenüberliegenden Farben sind im Aequatorial-Durchschnitt am
vollständigsten einleuchtend. Wir finden dann, daß die fünf Elemente ihrer Natur nach sich monoton
verbinden, aber dadurch zugleich ihre Individualität aufheben; und daß sie, um harmonisch ihre individuellen
Charaktere erhalten zu können, Grau mehr oder weniger zwischen sich stellen müssen, welches der
Repräsentant des Charakterlosen ist. So wie dieses aus der Kugelform folgt, so folgt die volle Harmonie und
Einigkeit der durchsichtigen Farbe aus dem Wesen ihrer Natur.
Wenn die unendliche Klarheit als das Element der durchsichtigen Farbe jede Farbe in sich entzündet, oder in
die tiefe Dunkelheit sinkt, oder im farblosen Licht erhellt wird, so hält die Eigenschaft der Durchsichtigkeit, als
die ungreifbare allgemeine Wesenheit derselben, alle diese Zustände in sich umschlossen; die individuelle
Farbe, so wie Helligkeit oder Dunkelheit, bleiben im Verhältniß zur Durchsichtigkeit völlig gleichgültig, und nur
die Masse der Durchsichtigkeit kommt in Betracht, um die gleichartige Natur der Individuen in Harmonie zu
erhalten. Wem dieses nicht deutlich genug ist, dem aber doch die Regel der Harmonie, wie sie in der
undurchsichtigen Farbe beschrieben, eingeleuchtet hat, der stelle sich die Kugel aus durchsichtigen Farben
vor und versuche daran dieselbe Methode. Er wird finden, daß der In-differenzpunct der durchsichtigen
Farben die tiefe Dunkelheit ist, diese stellte hier aber auch zugleich das Schwarz vor und da sie sich durch
das Licht zu vollkommener Klarheit erleuchten läßt, auch das Weiß, fiele also mit den Polen zusammen, und
in ihrer Erleuchtung erleuchtet sich auch jede Farbe: also stehen Farbe (Peripherie), Pole und Mittelpunct,
wenn auch neben einander, doch ihrem Wesen nach in sich einig da, und das Bild der Kugel muß, um hier
noch bezeichnend zu bleiben, auseinandergerissen werden, um die Erscheinung des Wesens zu formen.
Damit läßt sich denn wohl recht begreifen, wie z. B. in der Natur über einer blendend weißen Stirne ein
schwarzes Haar liegen kann, und wie solches in dem einen Bilde hart, widerlich und außer aller Harmonie
erscheint, während es in dem ändern scharf gegen einander abgeschnitten dennoch wohl thut, wie in der
Natur. Die Harmonie wird hier natürlich entstehen, wenn man dieses Weiß und Schwarz sich da begegnen
läßt, wo die reinste Klarheit des Schattens ist.
Alle Rechte vorbehalten.
URL dieser Ressource: http://ask23.de/resource/por/por_05_the_1809_009
Das ist die Originalversion der Ressource: Verfügbar gemacht von christiane am 2009-10-22, Hashwert da39a3ee5e6b4b0d3255bfef95601890afd80709