Philipp Otto Runge
Gespräche über Analogie der Farben und Töne*
Gespräche über Analogie der Farben und Töne*
1. A. Ist nicht die Tonleiter in der Musik das, was die
Abstufung der Farben in Weiß und Schwarz? B. Um dies bestimmt zu sagen, muß ich wissen, ob der
einzelne Ton in der ganzen Claviatur nur immer höher oder tiefer wird, oder ob das Verhältniß des Tons zur
Octave nicht ein anderes ist, als das Verhältniß desselben zur ganzen Höhe und Tiefe? A. Ich merke, Sie
setzen das Verhältniß der ganzen Octave zu hoch und tief gleich dem Verhältniß des Farbenkreises zu Weiß
und Schwarz. B. Nicht zu Weiß und Schwarz, sondern zu Licht und Finsterniß; sonst setzen wir die Pigmente
für die Idee. -Sie können durch Ihre Stimme nur eine kleine Anzahl Octaven hervorbringen; würden Sie die
Höhe und Tiefe, welche Sie umfassen, als die Höhe und Tiefe an sich selbst setzen? A. Das nicht; ich,
reiche schon mit den Instrumenten weiter. Ich muß also wohl die größte Höhe und Tiefe, die ich vernehmen
kann, als die Pole setzen?
2. Fr. Wollen Sie mir wohl einige Bemerkungen deutlicher machen? Ich hoffe, das, was Sie über das
Verhältniß der Farben zu Weiß und Schwarz gesagt, verstanden zu haben; doch da ich noch nicht wie Sie in
diese Verhältnisse eingedrungen bin, so möchten wir uns wohl eher gegenseitig verständigen, wenn wir
versuchten, die Analogie des Verhältnisses in der Musik aufzusuchen. Ist nicht die Tonleiter in der Musik
dasselbe, was das Verhältniß zwischen Weiß und Schwarz in den Farben? Ich. Ich bin nicht musikalisch,
glaube aber Ja! sagen zu können; nur möchte ich wissen: Verhalten sich nicht die Töne einer Octave auf
andre Weise zu einander, wie sie sich zur Höhe und Tiefe im Allgemeinen verhalten? Fr. Allerdings; und so
wäre die Octave im Verhältniß zur Höhe und Tiefe im Allgemeinen wohl wie der Farbenkreis, und die Höhe
und Tiefe wären wie die Pole anzunehmen? Ich. Wie die Pole freylich, aber nicht wie die Pole Weiß und
Schwarz, denn Weiß und Schwarz sind bloß für unsre Vorstellung der bestimmte endliche Ausdruck, oder
Abdruck, der unendlichen Idee von Licht und Finsterniß, und stehen nur in dem Verhältniß zur Farbe bey der
Vorstellung dieser leztern als vollkommen undurchsichtiger Pigmente. Höhe und Tiefe sind also wohl nicht
analog mit Weiß und Schwarz, sondern mit Hell und Dunkel; wie jene sich zur Octave verhalten, verhalten
sich Hell und Dunkel zu dem Farbenkreise -; und ich glaube, wenn ich Ihnen nun noch eine Bemerkung
mittheile, werden wir uns schon besser verstehen.
Wenn Sie eine Drahtsaite spannen, so werden Sie die Stärke der Spannung nur gewahr, dadurch daß Sie
einen Schlag auf die Saite führen. Sie würden diese Stärke aber sehr unbestimmt oder gar nicht gewahr
werden, wenn der Schlag auf das Ende der Saite geschähe, nämlich längs der Saite hin geführt. Die Linie
des Schlages steht also im Kreuz oder Contrast mit der Ausdehnung oder Spannung der Saite. Sie werden
dieselbe Saite durch die ganze Octave spannen können; eine schwache Spannung wird einen verworrenen
Ton abgeben, und eine zu starke einen kreischenden; einerseits wird die Saite schlaff, anderseits springt sie.
Die Stärke der Spannung muß also in Verhältniß zu der Länge der Saite stehen. -Auf dieselbe Weise
verhälts sich nun nicht bloß mit dem Ton der Luft, sondern auch mit dem Ton jeder durchsichtigen Masse, in
welcher das Auge gefangen wäre. Wenn die Sonne roth untergeht, so sehen wir hinter uns, der Sonne
gegenüber, dasselbe Roth, nur schwächer; auf beiden Seiten ist der Himmel grün; so wie er blau wäre, wenn
die Sonne orange unterginge. Der Sonnenstrahl setzt sich also in Contrast mit der Spannung der Luft.
Dasselbe tritt ein, wenn man in einer Glasglocke in die Tiefe des Meeres fährt: In einer großen Tiefe von 11
Klaftern (nach Beschaffenheit der Durchsichtigkeit des Wassers) ist das Licht, welches auf die Hand fällt, ein
tiefes prächtiges Roth, wie der Schatten ein eben so schönes Grün. So wie, wenn man auf dem Rasen liegt,
so, daß die Sonne uns nicht in die Augen scheint, und man die Hand hinauf in die reine Luft hält, die
beleuchtete Seite schön gelblich Orange wird, der Schatten aber ein eben so schönes blauliches Violett ---
Die gutmüthige Toleranz, womit Männer von Kenntnissen und Talent die Ideen eines jungen Genie's
betrachten, das mit durchgreifendem Geist in die ersten Principien der Wissenschaft einzudringen strebt,
muß mit der Zeit für beide Theile sehr deutlich bewähren ob das Leben selbst ihnen mehr werth war, als ihr
wissenschaftliches Bestreben? d.h. ob ihr wissenschaftliches Bestreben der Spiegel ihres heiligsten Wollens
gewesen, oder ob es nur wie ein vom Leben abgesondertes Gewerbe gestanden hat? "
Warum besonders in diesem letzten Abschnitte der, die Farbenlehre betreffenden Abteiluhng die
Entwicklung der Idee des Verfassers in so gar häufiger Wiederholung mitgeteilt worden, darüber glaubt der
Herausgeber einige Rechenschaft geben zu müssen. -Es hatten unserm Künstler die Anweisungen der Meister, mündliche sowohl als die schristlichen und gedruckten, über Farbenbehandlung, zum bey weitem größten Theile bloß empirische Vorschriften dargeboten, die ihm in der Ausübung nichts als ein müh« und unseliges, stets unbesriedigendes Erperimentiren übrig zu lassen schienen. So wurde es denn Bedürsniß und Zweck sür ihn, sich nach Ruth und Hülse umzuthun in einem, wo möglich zu erlangenden sesten Begriff von der wesentlichen Natur der Farben in ihrem ganzen Umsange, in wie serne näm» lich diese Bestrebung der Kunst dienstlich werden könnte; und man wird gesehen haben, wie weit er dahin aus seinem Wege gelangt ist. Es versteht sich von selbst, daß er nun auch hat bemüht sepn wollen, die in seinen Gedanken sestgestellten Sätze durch Anwendung zu erproben; daß ihm unter allen practischen Versuchen die durch das Mittel seiner Kunst, ja welche von derselben nun sogar ersordert wurden, und sür das allererste in der Aussührung seiner Tageszeiten" in Ge- mählden, am nächsten lagen; und ich glaube nicht, daß er vor dieser Aussührung, die er denn würklich auch begann, die Vollendung seiner schriftlichen Entwürse zu einer öffentlich herauszugebenden Abhandlung vorgenommen haben würde. Wie aber die Sache jetzt vorliegt, schien es mir, vornömlich zum Behus derjenigen, welche den Gegenstand, sey es nun in sreundlicher oder antagonistischer Absicht, weiter zu versolgen heilsam und sich berusen finden möchten, durchaus das zweckmüßigste, jene Entwürse in allen, oder doch den meisten Wendungen, die ihnen der Vers. gegeben, auszunehmen.
Schließlich noch eine Bemerkung: Newton's weißes laicht" oder weißer Strahl, welcher nichts anders als das lebendige Licht selbst ist, und in welchen er alle durch Brechung hervorgegangenen sarbigen Strahlen nach Aushebung dieser Brechung wieder zusammensaßt, muß doch wohl nicht verschieden seyn können von der sarblosen Klarheit und Tiese" unsers Versassers, in welcher alle durchsichtigen Farben, wenn sie sich decken, vereint zusammensallen als in einen Mitte lpunct. Nur daß Newton nun auch strebte, dasselbe Verhällniß in dem tobten körperlichen Weiß darzuthun, das doch offenbar vielmehr eine Abstraction und Entblößung von aller Farbe ist, und welche Bemühung unmöglich gelingen konnte, da sich in einer Darstellung des Ganzen der Farben dieses Weiß nur polarisch nachweisen lassen wird. Des Schwarzen vollends zu geschweigen.)
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