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Philipp Otto Runge

Farbenkugel B. Anhang. Ein Versuch, die sinnlichen Eindrücke aus den Zusammenstellungen der verschiedenen Farben mit dem vorhin entwickelten Schema zu reimen.


1809

Farbenkugel B. Anhang. Ein Versuch, die sinnlichen Eindrücke aus den Zusammenstellungen der verschiedenen Farben mit dem vorhin entwickelten Schema zu reimen.


1. Vorzüglich bey Betrachtung der Scheibe, welche den Durchschnitt der Farbenkugel im Äquator darstellt,
und indem man sich erinnert, daß alle einander auf derselben Grade gegenüber liegenden Farben als Kräfte
anzunehmen sind, welche einander entgegenstehen, und sich durch ihre Vermischung zerstören in Grau,
wird man bemerken müssen, daß, wenn man diese sich entgegengesetzten Farben auf einer Fläche neben
einander hinstellte, solche eben daher die allerlebhaftesten Contraste bilden werden. Zugleich aber macht
diese Gegeneinanderstellung einen sehr angenehmen Eindruck. Man vergleiche auf einer beygelegten
Farbentafel 1. Blau mit Orange, 2. Gelb mit Violett, 3. Roth mit Grün.

2. Der Eindruck aber wird sehr verschieden, wenn man 4. Blau mit Gelb, 5. Gelb mit Roth, und 6. Roth mit
Blau zusammenstellt. Diese Zusammenstellung wird das Auge mehr reizen und auffordern, als demselben
Vergnügen gewähren.
3.Würde man nun Roth mit Violett, Violett mit Blau u.s.w. paaren, oder die Farben 7. alle so neben einander
stellen, wie sie an der Scheibe (im Farbenkreise, oder auch im Regenbogen) auf einander folgen, so
entsteht, auch bey der schönsten Lebhaftigkeit der Farbe, eine Eintönigkeit.

4. Die erstere Zusammenstellung, von entgegengesetzten Farben, ist harmonisch zu nennen.
5. Die zweyte Zusammenstellttng, von den drey reinen Farben, disharmonisch.
6. Die dritte Zusammenstellung, von den Farben in der Folge, welche sich an der Farbenscheibe, oder im
Regenbogen befindet, monoton.
7.In dem ersten Falle muß eine Beziehung liegen auf das, mit welchem alle Farben in Beziehung stehen;
und diese Beziehung zweyer Farben auf das eine, zu welchem das Verhältniß allen gemein ist, ist die
Harmonie.

8. Im zweyten Fall muß eine individuelle Würksamkeit von zwey völlig verschiedenen Kräften auf einander
stattfinden; welches Disharmonie
9. Und im dritten Falle müssen bloß die beiden neben einander gestellten Farben mit einander in Beziehung
stehen, ohne die allgemeine Beziehung; welches Monotonie ist.
10. Wenn man drey Farben oder gefärbte Felder 8. so auf einander folgen läßt, wie Blau, Grau, Roth; so ist
Grau als ein Zwischensatz. zu betrachten, welcher die beiden Gegensätze Blau und Roth verbindet, und
beruhigt; indem Grau der Punct ist, zu welchem alle Farben des ganzen Kreises in gleicher Beziehung
stehen.
11. Wenn man aber 9. Blau, Gelb, Roth auf einander folgen läßt, so steht Gelb, als Zwischensatz oder
Verbindung betrachtet, eben so isolirt in seiner individuellen Würksamkeit, als Blau und Roth. Ja man möchte
sagen, eine jede von diesen drey Kräften sucht den Übergang, durch welchen sie sich mit der benachbarten
verbinden möchte; der Streit wird also nur vermehrt, und es bleibt ein disharmonischer Effect.
12. Und wenn man die Folge 10. von Blau, Violett, Roth, hinstellt, so bezieht sich zwar Blau, wie auch Roth,
auf den Zwischensatz, indem Violett beide in sich vereinigt. Allein Violett ist nur der Beziehungspunct dieser
beiden, nicht aller übrigen Farben, und zieht solche, anstatt den allgemeinen Beziehungspunct ahnen zu
lassen, bloß in sich zusammen; daher ist die Würkung monoton.
13. Man erinnere sich, daß zwey neben einander gestellte Farben, wenn sie vermischt werden, entweder
feindselig auf einander würken, oder sich freundschaftlich zu einander neigen; oder drittens, sie vereinigen
sich produktiv, und verlieren sich beide in ihrem Producte.
14. Das erste ist der Fall mit Roth und Grün, welche sich durch ihre Vereinigung vernichten in Grau.
15. Das zweyte mit Roth und Orange, welche sich in einander ziehen und neigen.
16. Das dritte mit Roth und Gelb, welche durch ihre Vermischung Orange erzeugen, und in demselben ihre
Individualitäten vereinigen
17. Durch einen Zwischensatz nun von Grau, da es der Gegensatz aller Individualität, und die eigentliche
Allgemeinheit ist, wird insoferne eine harmonische Verbindung zuwegegebracht werden, da die Individualität
einer jeden reinen Farbe oder Mischung mit derselben im Contraste stehet, die Individualität also stärker und
beruhigter hervortritt, und zugleich doch alle in gleicher Beziehung zur Allgemeinheit stehen.
18. Wenn man hingegen Roth mit Blau durch Violett verbindet, so erscheint beides, Roth wie Blau, nur als
die beiden Seiten des Violetten, indem ja Roth wie Blau mit Violett nicht bloß wie mit Grau in Beziehung
stehen, sondern im Violetten vereint würksam sind, und auch so erscheinen. Roth und Blau werden also
durch die Zwischenstellung von Violett an ihrer individuellen Erscheinung und Kraft einbüßen.

19. Ein jeder wird die Bemerkung gemacht haben, daß zwey hart an einander abschneidende
Farbenflächen, wenn wir sie aus einiger Entfernung ansehen, auf der Gränze etwas in einander fließen. Am
besten wird man diese Erfahrung sich zu eigen machen bey Mosaikbildern, oder gewürkten Tapeten, wo die
Mischungen durch neben einander isolirt stehende Puncte oder Linien hervorgebracht werden, die durch
Entfernung in einander fließen. (Ob dieses nun durch die zwischentretende Luft geschieht, oder dadurch, daß
die von den verschiedenen Farben in unser Auge dringenden Strahlen sich in demselben kreuzen, davon ist
hier die Rede nicht.)
20. Durch dieses Ineinanderfließen aber entsteht ein Zwischensatz von selbst; und leicht ist einzusehen,
daß, wenn ein blaues Feld an einem gelben abschneidet, sich durch das Ineinanderfließen auf der Gränze
ein grüner Rand zeigen wird.
21. Stellte man nun Grün und Roth zusammen, so wird Grau auf der Gränze bemerkbar werden. (Man kann
dieses am deutlichsten darthun, wenn die Flächen sich in Winkeln gegen einander neigen, so daß die eine
Farbe an die andere reflectiret. Wenn ein Gewand grün und roth changeant ist, und die beleuchteten Stellen
etwa alle roth erscheinen, die Schatten aber grün, so wird die eine erleuchtete Falte in dem Schatten der
andern graue Reflexe zuwegebringen.)
22. Da nun Grau, welches sich zwischen Roth und Grün zeigt, keine Individualität, sondern die allgemeine
Auflösung entgegengesetzter Kräfte ist, so liegt in dem Streite zweyer entgegengesetzten Farben schon von
selbst die Harmonie, nämlich die Beziehung auf die Allgemeinheit.
23. Hingegen der zwischen Blau und Gelb eintretende grüne Übergang stört, als eine neue Individualität, die
Würkung des Blauen wie des Gelben, indem die ganze Individualität derselben für ihr Product in Anspruch
genommen wird. Es muß also, da Grün (auf welches Gelb und Blau mit ihrer ganzen Kraft dringen) nicht
bestimmt erscheint, eine Unruhe in den beiden reinen Farben nothwendig erfolgen; und die Unruhe in dieser
Zusammenstellung ist würklich eine Dissonanz, welche durch einen bestimmten Zwischensatz aufzulösen ist.
(Auch hat man, im Gefühl dieses Verhältnisses, eine solche disharmonische Zusammenstellung immer
gewählt, wo das Auge mehr gereizt und aufmerksam gemacht, als vergnügt werden sollte, z. B. bey
Monturen, Flaggen, Wappen, Spielkarten u.s.w.)
24. Überlegt man, daß alle Farben, welche vermischt sich in ein völliges Grau auflösen, einen lebhaften und
harmonischen Contrast bilden; daß die reinen F arben durch ihre Zusammenstellung als eine Dissonanz das
Auge reizen; die monotonen Übergänge im Regenbogen den Sinn am ruhigsten lassen; so wird man sich
vorstellen können, daß eine verständig gewählte Zusammenstellung von lauter brillanten Farben, ohne daß
es nöthig wäre, die Folge derselben durch graue und schmutzige zu unterbrechen, wegen eben dieser
Eigenschaften geschickt ist, in die Bedeutsamkeit und den Eindruck eines Kunstwerks einzugreifen; wie die
Tenne der Musik in den Sinn und den Geist eines Gedichts.
25. So wie man die Größe der harmonischen Contraste auch noch durch eine Neigung beider Theile, des
einen in's Dunkle, des andern in's Helle vermehren kann, und solche dennoch immer in Beziehung auf den
Mittelpunct (Grau) bey ihrer Würkung auf einander bleiben, so giebt es auch in diesen Contrasten
Übergänge, wo die Beziehung auf den Mittelpunct sich in irgend eine Farbe neigt. Wie 11. Orange mit Grün;
oder 12. mit Violett; oder auch 13. Violett mit Grün: indem Orange mit Grün vermischt ein gelbliches Grau
geben würde; Orange mit Violett ein röthliches; und Violett mit Grün ein bläuliches. Wie durch die siebente
Figur bey der Construction der Farbenkugel bewiesen wurde.
26. Wenn man nun zwey reine Farben durch einen grauen Zwischensatz gewissermaaßen verbindet oder
beruhiget, indem dieser als das Allgemeine der Farbe mit der Individualität jener im Contrast stehet, und sie
also in ihrer ganzen Würksamkeit erhält; so füllt der Zwischensatz zwar eine Lücke aus, und trennt die
beiden Farben, bringt aber keine eigentliche harmonische Verbindung zu Stande, da in ihm die Individualität
völlig aufgehoben ist, also auch alle active Erscheinung.
27. Hingegen, weil Orange und Grün bey einander einen harmonischen Contrast bilden, so wird man in der
Folge 14. von Blau, Orange, Grün, Roth, zwey reine Farben durch den Zwischensatz von einem
harmonischen Contraste (Orange und Grün) mit einander zu eigentlicher Harmonie vorbinden können, wenn
Grün neben Roth, und Orange neben Blau zu stehen kornmt. Dieser Accord enthält die volle individuelle
Würksamkeit der drey Farben; die Dissonanz ist aufgelöset, und die Eintönigkeit vermieden. Dasselbe
erfolgt, wenn 15. Gelb, Violett, Orange, Blau; und 16. Roth, Grün, Violett, Gelb, abwechseln.
28. Wenn man bey Betrachtung dieser drey Folgen auf die siebente Figur zur Construction der Farbenkugel
zurückgeht, wird man nicht ohne Vergnügen gewahr werden, wie die Ordnung, in welcher hier je zwey

Farben und zwey Mischungen stehen, ein regelmäßiges Resultat aus dem gesammten Verhältniß auf der
Scheibe ist. Denn wir haben hier zwey reine Farben, (z. B. 14. Blau und Roth) und der Contrast, durch
welchen diese verbunden sind (Orange und Grün), erweckt die Ahnung der dritten. Es würde aus der
Vermischung von Orange und Grün ein gelbliches Grau (d. h. die Neigung des allgemeinen Mittelpunctes zur
dritten Farbe, Gelb) entstehen; und so läßt auch der bloße Anblick uns auf Gelb, als den gemeinschaftlichen
Charakter von Orange und Grün verfallen.

29.Wer da weiß, wie Dissonanz, Harmonie, und Monotonie, in einem Kunstwerk dahin gehören, wo sie durch
den Sinn der Composition erforderlich sind, der wird es diesen wenigen Bemerkungen ansehen, daß ich
durch dieselben nur einen Anknüpfungspunct suchte, um zu zeigen, wie die nothwendige Construction der
Farbenkugel dieses und noch viele andere Verhältnisse an die Hand giebt. So wie die scheinbare Trivialität
solcher Bemerkungen mir bey der Prätension bestehen könnte, als sollte hier eine vollständige Theorie der
mahlerischen Harmonie gegehen werden; welches doch so wenig der Fall ist, als ich meinen Aufsatz
überhaupt für eine neue Farbentheorie auszugeben gemeynt bin.Da die Kugel aber die nothwendige Figur ist,
welche die Construction des Verhältnisses der fünf materiellen Elemente: Weiß, Schwarz, Blau, Gelb, Roth,
zu einander, umfaßt, so möchten sich durch diese gefundene Figur in der Folge vielleicht die reinen
Einsichten in die innere Natur dieser Erscheinung bestimmter ausdrücken lassen. *

*Die dem obigen Anhange in der Ausgabe von 1810 beygegebne Tafel von den Farbenzusammenstellungen enthalt die folgenden Rubriken :
Harmonische Würkung, in den directen Contrasten der drey reinen Farben bestehend; Fig. 1, 2 und 3. - Disharmonische Würkung/ in der Zusammenstellung der reinen Farben; Fig. 4, 5 und 6"
- Monotone Würkung, indem die Farben durch ihre Mischungen
(Producte) in einander übergehen; Fig. 7.
Auflosung der disharmonischen Würkung: Beruhigung oder Trennung der Disharmonie, durch Indifferenz; Fig. 8"
- Vergrößerung der Disharmonie durch die dritte Farbe; Fig. 9. -
Schwächung der Disharmonie durch einen Uebergang oder Product; Fig. 10. - Indirecte harmonische Contraste zweyer Mischungen; Fig. II, 12 und 13. - Auflösung disharmonischer Wartungen, durch indirecte harmonische Contraste zweyer Mischungen, in einen harmo nischen Accord; Fig. 14, 15 und 16.

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