Philipp Otto Runge
Gedanken und Erörterungen
Gedanken und Erörterungen
Wenn wir von irgend einer Naturerscheinung, um sie uns verständlich zu machen, den Grund erkannt haben, und nun den Eindruck, welchen die Erscheinung aus uns machte, einem Andern mittheilen wollen, so daß er dieselbe als einen Total-Effect (und nicht etwa bloß als successive Erzählung) in sich sasse, müssen wir nothwendig zu charakteristischen Zeichen schreiten, die wir so zusammenstellen, wie sie uns selbst das, was wir dem Andern aus der Natur darstellen wollen, deutlicher machen.
Wenn wir so den Grund einer Erscheinung ganz begreisen, wird es uns auch möglich, zu urtheilen, wie die Verhältnisse der Grundprincipien gegen einander sich ändern und wechseln, wenn sie diese oder jene einzelne Eindrücke aus uns hervorbringen.
Wir müssen das Verhältniß der Elemente dieser Eindrücke um so deutlicher hervorheben, je bestimmter wir die Würkung, welche sie aus uns gemacht haben, Andern mitzutheilen wünschen, und alle übrigen, gleichzeitig ebensalls mit dem allgemeinen Leben in der Natur in diesen Verhältnissen würkenden Erscheinungen ganz bey Seite stellen. Durch eine solche reine Darstellung der Elemente des empsangnen Effectes wird der Andre in die Möglichkeit versetzt, aus sich selbst heraus in der Naturerscheinung die nämlichen Verhältnisse zu begreisen, welche wir darin erkennen.
Die charakteristischen Zeichen ersordern natürlich eine Analogie in ihrem besondern Charakter mit dem, was in dem ganzen Effect durch sie bewürkt werden soll; sie würden sonst nicht charakteristisch seyn. So stellt der dramatische Schriftsteller uns Charaktere gegen einander, charakteristisch entweder in der Handlung des Dra- ma's, oder dramatisch in dem Verhältniß ihrer Eigenschasten, und bewürkt aus solche Art den dramatischen Effect. Der plastische Künstler, und der Zeichner, stellen so in der Form, der Stellung und dem Ausdruck die Gestalten gegen einander, daß durch die charakteristischen Theile des Ganzen der Total-Effect hervorgebracht wird.
Das Charakteristische der Zeichen, wodurch ein Werk zu einem lebendigen organischen Ganzen vereinigt wird, hat die klarste und anschmiegendste Analogie zu der allgemeinen Idee des Menschen von seinem Verhältnisse zu Gott und zur Welt; dieses zeigen deutlich die physiognomischen Bestrebungen sowohl in den Handlungen, als den Gestalten der Menschen, wenn sie daraus hinausgehen, äußerliche Kennzeichen davon sestzuhalten, welche Gestalt oder Gebehrde die höchste Ausschwingung zum Göttlichen Frieden, und welche die tiesste und gemeinste Erniedrigung zur Welt ausdrücken, oder welches auch die von Beiden noch unberuhrten Grundzüge der Charaktere sind. Da jedes natürliche Gemüth in sich selbst den Führer zu dieser Ersorschung, und dann ebensalls die Bestätigung aller willkührlichen und unwillkührlichen Bemerkungen dieser Art jeden Augenblick sindet, so ist die Anwendung davon erst allgemeiner, dann genauer geworden, als die charakteristische Anwendung der Farbe, die zwar auch eine Eigenschaft ist, die wir besitzen, aber bewußtlos.
Da die alten plastischen Künstler rein nur mit der Form und dem Ausdruck zu thun hatten, als mit Zeichen, um dadurch die großen Ideen anzudeuten, welche sich durch das innige Eindringe in die Geheinmisse der Natur bey ihnen erzeugt hatten, und die Analogien dieser Zeichen in der Natur selbst das Mittel zu diesen Offenbarungen gewesen waren, so war es natürlich. daß sich die Ideen auch desto reiner darstellten, da alles ohne guthat eines unverstandnen Mittels (wie das der Farbe ist) geschah; und vermutlich ist hier der Grund zu suchen, woher man mit Recht nicht die Höhen der neuern Kunst mit denen der alten Plastik in Ver- gleichung stellen kann.
Als Analoges von der bündigen Reinheit und klaren Harmonie im Stil der alten Plastik mögen wir uns der Vorstellung des höchsten Alterthums von dem Weltall erinnern, wo der Ocean- strom die Erde rund umfloß und der Himmel wie eine Schale oder ein großes Gewölbe daraus stand. In diesem Universum bewegten sich die Kräfte gegen einander, wie die Leidenschaften und Kräste in der menschlichen Seele, und die Vorstellung der Grund- kräste in den Naturerscheinungen war analog den eignen Begierden und Leidenschaften; daher die so menschliche Vorstellung von den unsichtbaren Krästen der Natur. So wie sich die Weltkräste analog zu ihren Eigenschasten verhielten, so die Form des Körpers physiognomisch auch zu den Eigenschaften des Geistes. Da die Vorstellungen von Gott alle menschlich waren, und das Größte in dem Universum menschlich zuging, so konnte es auch durch die reine menschliche Figur dargestellt werden; weil die Analogie der menschlichen Form durch das Mittel der Restcrion über die eignen Grundverhällnisse des menschlichen Geistes, welche den Vorstellungen von den Göttlichen Kräften sich genau anschmiegte, eben so sich den höchsten Ideen anschloß. Und indem diese Vorstellungen plastisch also abgeschlossen in der Form rein ohne alle sremde guthat sich darstellten, so waren Gedanke, Mittel und Gegenstand ein reines unzertrennliches Ganzes.
Als nun aber die Mahlerey austrat, oder da man ein Fremdes, die Farbe, der Form noch hinzuthat, als Zierde, mußte, da diese nun bald geistreich angewandt wurde, der geschlossene Cirkel aus seiner Gränze rücken, und das, was die Vollendung schmücken sollte, war es in einer Zeichnung die geistvolle Aussüllung der Lust oder des Raumes um eine Gestalt, oder waren es an der Gestalt selbst bedeutend gewählte Farben und Farbeneffecte, mußte mit der Zeit das reine Maas der innern Harmonie, und das Ur- theil über das Schickliche in dem Felde der Bearbeitung uiUergra- ben. Dieses hatte zwar so lange noch keine Noth, und der völli- ge Ruin der alten Kunst trat nicht ein, ehe nicht die Vollendung in der reinsten Darstellung der Linie bestand. Ob diese nun bey dm Alten durch Apelles, oder bey den Neueren durch Rasael erreicht worden, kann einerley seyn, eben so wie hier der Streit gleichgültig ist, ob schon die Alten so schön gemahlt haben, wie die Neueren, da nämlich doch aus Allem, was man von den Werken der Alten weiß und sieht, erhellt, daß die Vollendung ihrer Fertigkeit immer die Linie war. Man erkennt es überdem ja auch in der neuern Zeit zu deutlich, daß der Ruin da ansängt, wo die Vollendung der Linie überschritten wurde, oder wo man ansing, in der Vollendung der Farbe etwas Größeres oder Bedeutenderes zu suchen.
Es war natürlich, daß man über die Linie, als eine Gesährtin der Alten in reiner Harmonie, welche in der Form der Götter durchaus vollendet erschienen war, sich bey ihnen noch immer Raths erholen konnte. Da aber den Menschen in dem Centrum der Farbe, im Licht, das Herz ausging, da das Höchste über der Form und außer dem menschlichen Herzen lag, so mußten sie den Boden unter den Füßen verlieren, und dieses von der Form aus repariren zu wollen, konnte immer nur die elendeste Verwirrung hervorbringen.
Die Kunstausübung ersordert eine reine, durchaus klare Er- kenntniß der Mittel, ohne welches keine Harmonie möglich ist. Da nun die Menschen die Reinheit der alten Mittel in der Plastik kannten, so sind alle neuen Entdeckungen in der Farbe ihnen als Kunststücke verächtlich geworden, obgleich das Alte ruhig vor ihnen dasteht und sie dahin doch nicht zurück können, es auch ihnen in den neuen Entdeckungen nichts helsen kann. Es sehlt ihnen so der Muth, das Alte zu verlassen und den uralten ewigen Grund in dem Neuen zu ersorschen, womit sie nicht eine Neuerung begehen, sondern zu etwas älterem, als selbst das Alte ist, gelangen würden. Das wenige von der Form, was sie noch immer den Alten nachleyern, ist wie die Pseisen am Dudelsack, womit sie vorne quinkeliren, während die große Pseise hinter ihnen immer mächtiger wird, und sie es weder verstehen, noch Finger genug haben, um daraus zu spielen.
Es ist unmöglich, daß jemand so ein Stock seyn kann, daß er sich damit beschäftigt, Gegenstände durch Farbe und mit der Farbe darzustellen, und nicht gewahr wird, daß es keine Materie wie ein Stein ist, oder wie Holz, woran man nur die Formen schneidet, sondern daß sie sür sich eine Beweglichkeit und eine Na- turkraft ist, die sich zur Form verhält, wie der Ton zum Wort; daß es eine Welt ist, die in sich ein Wunder von Leben verschlos sen hält. Es ist notwendig, wenn wir solche in ihrer lebendigen Wirksamkeit erkennen wollen, daß wir auf die Fälle merken, wo sie solche eigenthümlich ausübt, und darin wild der Mahler, der in seinen Versuchen irgend einen Effect hervorzubringen wünscht, die meiste Gelegenheit haben, wenn sich durch die Verschiedenheit des Auftrages Farben «anders darstellen, und durch Mischungen die Farben sich erzeugen, oder aufreiben. Man sieht leicht ein, daß nichts wünschenswerther wäre, als eine Ordnung entdeckt zu haben, wodurch sich in der Natur alle Phänomene, die wir durch den Sinn des Gesichts ergreifen, erklären ließen, und welche zugleich die Mittel, welche wir haben, um etwas darzustellen, so zusammenstellte, daß die Analogie derselben mit den Nalurkräften eingesehen werden könnte.
Obgleich es am Tage liegt, daß die Italiäner von der Zeit des Correggio's an, und die ganze Niederländische Schule, von den Gesetzen, wie die Farben müssen aufgetragen werden, wenn man gleichmäßig damit verfahren will, wie die Natur es macht, eine sehr vollständige practische Erkenntniß hatten, so ist doch aus dem Erfolge, daß nämlich diese, für Mahlerey einzig wichtige Wissenschaft in Vergessenheit und auf Abwege gerathen konnte, sicher zu schließen, daß sie die Sache nicht mit der Klarheit eingesehen haben, daß sie dadurch eine völlige harmonische Gestaltung in dem Kunstgeist bewürkt hätten.
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