Philipp Otto Runge
Die Elemente der Farben oder auf wieviel Theile sich alle Farben und Schattirungen etwa reduciren lassen
Die Elemente der Farben oder auf wieviel Theile sich alle Farben und Schattirungen etwa reduciren lassen
und wie sich die Elemente zu einander verhalten. (Fragment.)
Wenn wir die Natur auf irgend eine Weise
nachahmen, oder ähnliche Erscheinungen wie sie hervorbringen wollen, so müssen wir uns bemühen, in der
unendlichen Mannichfaltigkeit und Beweglichkeit, welche in der Natur ist, die einfachen Theile zu entdecken
und abzusondern, aus welchen diese Mannichfaltigkeit hervorgeht, und die Ordnung oder den Rhythmus zu
bestimmen, in welchen sich die Dinge bewegen und durch welche die Erscheinung bewürkt worden; und so
kann es uns vielleicht gelingen, mit ähnlichen Mitteln, die wir in Händen haben, auch ähnliche Erscheinungen
hervorzubringen. Es kann auf eine solche Weise z. B. ein Gemählde gleichsam wie eine eigne, zweyte
Schöpfung in der Natur dastehen, deren Vollkommenheit desto größer seyn wird, je tiefer der Mahler in die
Elemente der Naturerscheinung eingedrungen; und je einfacher das Wesen derselben ihm erschienen, je
richtiger kann auch die Ordnung seyn, in welche wir unsre Mittel stellen, und je inniger wird der
Zusammenhang in einem Werke seyn, das durch solche Mittel hervorgebracht ist.
Es ist indessen, um die
Natur in einem Gemählde wiederzugeben, nicht genug, daß wir in die Erscheinung eindringen und uns solche
in der Natur erklären können; sondern es ist eben so nothwendig, daß wir in die Natur unseres Materials,
oder der Mittel, durch welche wir an unserm Theile die Erscheinung bewürken wollen, eindringen, und daß
wir wissen, welche Aehnlichkeit unsre Mittel mit denen haben, durch welche die Naturwürkung
hervorgebracht worden.
Indem wir nun so das Nützliche suchen, werden wir unwillkührlich von dem innigen Verhältniß angezogen, in
welchem alle Dinge mit einander stehen; mit innigem Vergnügen verweilen wir bey dem Gedanken eines
größeren und innigeren Zusammenhanges unsrer Mittel mit der Natur, und so bringen wir, indem uns unser
Studium in das Wesen der Dinge hineingeführt hat, statt einer bloßen correcten Wissenschaft noch das
Bewußtseyn mit zurück, daß unsre Mittel dieselben lebendigen Kräfte sind, welche in der Natur würken, und
daß eine nothwendige Ordnung darin dieselben Würkungen erzeugen muß. So wird dann die Art des
Hervorbringens eins mit dem, das hervorgebracht wird; es hat der Geist die Mittel überwunden, indem in
ihnen nur ein und eben dasselbe wie in der Natur gilt und die Kunst wie eine zweyte Natur dasteht.
Diese bestimmte Ordnung und den vollständigen Zusammenhang zwischen unsern Mitteln und der Natur zu
entdecken, erfordert jedoch eine größere Wissenschaft, wie ich sie besitze, und kann vielleicht nur dadurch
bewürkt werden, wenn diejenigen, welche von verschiedenen Seiten in denselben Gegenstand eingedrungen
sind, sich ihre Entdeckungen gegenseitig mittheilen. Ich lege daher auf die nachstehenden Ideen keinen
größeren Werth, als auf isolirte Einfälle gelegt werden kann, aber sehr freuen würde es mich, wenn Andre
mit mir nicht bloß in den Ideen und der Intention Übereinstimmten, sondern auch selbst Erfahrungen und
Versuche gemacht hätten, welche das, was bey mir nur bloß in Andeutungen steht, anschaulicher machten,
und wenn sie das, was ich nur ungeschickt anzugeben weiß, besser zu sagen vermöchten.[*>]
"Es giebt nur
drey Farben, und aus diesen, nebst Weiß und Schwarz, entstehen alle Mischungen."
Die unendliche
Mannichfaltigkeit der Farben, von hellen und dunkeln, brillanten und matten u.s.w., läßt sich sehr wohl auf die
einzelnen Theile reduciren, durch deren Vermischung sie entspringen, und man kann diese Theile in ihrer
Elementareigenschaft dreist auf fünfe festsetzen, durch deren Vermischung eine unendliche Menge Nuancen
hervorgebracht wird und welche wenigstens schon in großer Aehnlichkeit die Totalwürkung umfassen, die wir
durch unser Auge erhalten. Diese fünf Theile oder Elemente sind Weiß und Schwarz; und die drey Farben:
Roth, Gelb und Blau.
Durch die Vermischung von Schwarz und Weiß entsteht Grau, und ist der Uebergang von Schwarz nach
Weiß, oder umgekehrt. Eben so gehen Blau und Gelb in Grün über, Gelb und Roth in 0range, Roth und Blau
in Violett. Wenn man nun bemerkt, daß, indem z. B. Roth nach Blau, anfangs ein wenig und zulezt immer
stärker übergeht, in dem Violetten erstlich das Rothe, hernach das Blaue überwiegend ist, es aber auf
diesem Wege natürlich auch einen Punct giebt, wo Roth und Blau sich das Gleichgewicht halten, so muß auf
diesem Puncte die Mischung als eine Farbe für sich erscheinen, e man, im Gegensatz von den übrigen
röthlichen oder bläulichen Mischungen, das reine Violett nennen kann; und eben so bestimmt sich ein reines
Grün, und ein reines Orange, auch ein reines Grau (obgleich dieses auf eine andre Weise, wie sich durch
eine weitere Entwickelung zeigen wird). So wie es nun auch verschiedene Abstufungen giebt zwischen den
Farben und Weiß oder Schwarz, so giebt es deren natürlich auch zwischen jeder reinen Mischung aus je
zwey reinen Farben in deren Uebergange nach Weiß oder Schwarz, oder nach dem reinen Grau. Wie hier
durch Weiß jede Farbe oder deren reine Mischung blaß, und durch Schwarz jede solche finster wird, so ist
dieses auch überhaupt mit jeder Mischung der Fall, welche zwischen je zwey reinen Farben liegt, so wie auch
in der Neigung jeder nach Grau jede Farbe und Mischung beschmutzt wird, und, so wie ich vorhin die drey
Mischungen:
Grün, Orange, und Violett, auf dem Puncte, wo die Urfarben Blau, Gelb und Roth im Gleichgewicht stehen,
die reinen nannte, man im Ganzen eher alle zwischen Blau, Gelb und Roth liegenden Mischungen im
Gegensatze von den mit Grau versetzten die reinen nennen könnte; indem ja z. B. der kleinste Theil aus der
Stufenleiter zwischen Blau und Gelb, wenn er nach Grau hin sich neigt, zwar immer ein Grün bleibt, welches
aber je näher an Grau je schmutziger seyn wird, bis es zuletzt gar in Grau verschwindet.
Wenn wir nun eine
Art von Aufzählung der Menge von Nuancen versuchen wollten, die durch jene fünf Elemente hervorgebracht
werden, und zu diesem Zwecke willkührlich jede der nachgewiesenen Stufenleitern in sechs Theile theilten
(noch sechs Mischungs-puncte zwischen jedem der angedeuteten neun Puncte: Blau, Gelb, Roth, Grün,
Orange, Violett, Schwarz, Weiß, Grau, stellten) so hätten wir zuvörderst:
[hier fehlt die Tabelle mit den Mischungsverhältnissen]
Es wird sich aber leicht begreifen
lassen, daß auch bey der Annahme von je sechs Zwischenstufen noch nicht alle Richtungen erfaßt sind, in
welchen noch neue Mischungen entspringen würden, und daß wir auf diese Weise immer noch sehr im
Blinden tappen müßten, wenn wir von einer tabellarischen Weise, das ganze Verhältniß der fünf Elemente
gegen einander zu übersehen, uns nicht eine figürliche Vorstellung zu bilden suchten, welche uns die
allgemeine Regel aller und jeder möglichen Mischungen aus den fünf Elementen vor Augen brächte.
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