Philipp Otto Runge
Aufsätze 4
Aufsätze 4
4. In dem Menschen, welchen ein liebendes Talent treibt, etwas hervorzubringen, entsteht gar öfters der
Wunsch und das natürliche Gefühl, wenn er z. B. ein Zeichner oder Kupferstecher ist, daß er die vor sich
habende Fläche nun doch bis auf den kleinsten Punct mit Leben ausfüllen möchte, oder daß am Ende in
seinem Product nicht soviel Raum übrig bliebe, als man mit einem Finger bedecken kann, und wäre das Bild
auch noch so groß, aus dem nicht die Liebe zu dem Gegenstand auf irgend eine Art zu spüren wäre. Es
entsteht aus diesem Triebe, wenn er in dem Menschen fortgesetzt thätig bleibt, ein so genaues Erfassen der
Gegenstände bis in's kleinste Detail, daß es möglich wird, daß eine sehr verwickelte Composition doch bis
auf die kleinste Kleinigkeit mit einer Liebe und einem Geist durchgeführt werden kann, die dem Beschauer
eine stille heitre Beruhigung in ihrem totalen Eindruck, und ein fortwährendes Interesse an den einzelnen
Theilen gewähren.
Derjenige, welcher sich an eine solche fleißige Liebe gewöhnt hat, oder der, wenn ich so sagen darf, in allem
lebt, was er hervorbringt und auf keine andre Weise etwas hervorbringen möchte, ist in dieser Eigenschaft
seßhaft, oder zu Hause, und ihn hindert es nicht, sondern ist ihm sogar förderlich, in einer Composition die
großen Theile zu erblicken, welche den Gedanken ausdrücken; er wird im Stande seyn, die großen Linien
und Massen zu finden, welche eine mit Lebendigem erfüllte Fläche in Ordnung halten. Um dem lebendigen
Trieb in sich zu genügen, wird er selbst genöthigt seyn, in die Elemente seiner Composition einzudringen und
sie eben so deutlich zu begreifen, und den Nachdruck darauf zu legen, wie er die einzelnen Theile Lust hat
lieblich und natürlich darzustellen. Einem solchen Menschen ist es nun nathürlich, die bestimmte
Anschauung von den Theilen zu haben, durch welche er diesen oder jenen Gedanken, der ihm als Bild
gekommen ist, darstellen kann; ohne solches wird es ihm unmöglich, denselben auszuführen. Seit Lionardo
da Vinci und länger sind Versuche gemacht worden, der Behandlung der Farben in der Mahlerey durch einen
festen wissenschaftlichen Grund über die Farbe in der Natur einen Halt zu geben; und durch die
erstaunenswürdigen Entdeckungen und Bemühungen der Künstler sowohl, als der Gelehrten, vorzüglich
Newton's, ist es unmöglich geworden, länger unbefangen sich bloß darin seinem Gefühl zu überlassen. Die
Lehre von der Brechung der Lichtstrahlen hat den Mahlern nun zwar vermeynte Einsicht in diese
Naturerscheinung gebracht, aber die Angst vor der Unüberwindlichkeit der Mittel nur vermehrt, Sie griff
meistens nur in das Wissen des Mahlers ein, ließ ihn aber in der practischen Anwendung noch viel hülfloser,
und es wird nun unmöglich, wieder frey zu werden, wenn wir uns nicht durch die bestimmteste Klarheit
hindurch arbeiten *).
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