Philipp Otto Runge
Aufsätze 3
Aufsätze 3
3. Der lebendige Zusammenhang eines reinen Kunstwerkes wird unwillkührlich aus der überströmenden
Fülle der Empfindung geboren; dadurch aber, daß die Reflexion den Zusammenhang der äußeren
Gestaltung mit der tiefen, innersten Bewegung ergründet, erhält es seine Vollendung. Wenn nun Empfindung
und Reflexion in einem Kunstwerke sich auf das innigste durchdrungen haben, wird es den Rohen, den
Dilettanten, und den Künstler, einen jeden auf seine Weise, ergreifen. Welcher dann, mit lebhaften
Empfindungen und schönen Talenten, von der hohen Vollendung in dieser herrlichen Erscheinung entzückt,
dem Drange sich hingiebt, das, was ihn entzückt, wieder darzustellen, der wird in seinem Werke, indem ihm
die Gestaltung des ersten imponirte, wie ein gefärbter Spiegel alle Gegenstände in seiner Farbe wiedergiebt,
so sich in dem Kreise der Gestaltung bewegen, die ihn gefangen hält. Aber wenn gleich auch durch
lebendige Mannichfaltigkeit solcher Producte die Kunst bereichert und die Geschicklichkeit erhöhet würde, so
wäre dieses doch, auch bey aller Anstrengung der individuellen Natur des zweyten Künstlers, kein Fortschritt,
den die Kunst gemacht hätte, Wer aber selbst aus seinem geistigen liebenden Drange producirt, und so mit
geübtem Blick in die lebendige Kraft des eignen Gemüthes geschaut hat, wenn dieser, mit der tiefen
Empfindung, die im Entzücken von der innern Gestaltung des Geistes bewegt ist, vor ein solches vollendetes
Kunstwerk tritt, dem wird, wenn er mit rechtem Ernst die Idee und die Vollendung, die Production und
Reflexion desselben durchdrungen, der Zusammenhang dieses Werkes mit der Na-tur aufgehen, er wird es
so gleichsam in sich selbst reproduciren, und die ganze Herrlichkeit der Gestaltung desselben erscheint ihm
als ein Mittel, sich reiner und umfassender auszudrücken in dem Zusammenhange, den er innerlich und
äußerlich wahrnimmt.
Und so wird derjenige, welchem die schönsten Kunstwerke vergangner Zeit als potenzirte Naturprodukte
erscheinen, die Kunst würklich neu begründen können; denn indem nun die Getaltung umfassender und
tiefer eingreift in das Wesen aller Erkenntniß, und der Geist sich befreyt fühlt von den conventionellen
Banden der Anschauung, wird auch die Practik sich freyer und kühner bewegen.Ich sage, dieses bloß auf die
Oelmahlerey beziehend: Wenn wir von der Methode, in welcher die herrlichen Werke von Correggio,
Rembrand, Rubens, van der Neer hervorgebracht sind, uns so angezogen fühlen, daß es uns auch würklich
gelingt, uns solche zu eigen zu machen, und wir in diesem Medium, solches als das rechte anerkennend,
unsre besten Empfindungen ausdrücken, und alles, was wir in der Natur sehen, in der Art des einen oder des
andern mahlen möchten, dann werden wir nur jenem ersteren gleichen, der die Kunst auf eine freundliche Art
bereichert, aber damit doch nie, weder das, was wir so in der Natur erblickten, noch selbst die Methode,
deren wir uns doch bedienten, erreichen; oder aber, wenn nun unsre Kräfte es versuchen, die verschiedenen
Methoden jener Meister zu vereinigen, so müssen wir uns innerlich nach der Idee einer allgemeinen Practik
sehnen, und wir werden nun erst die Bande fühlen, in denen wir, uns unbewußt, gefangen waren. Es kann,
sage ich, keinen Zweifel erleiden, daß, wenn wir das tiefe Gefühl, welches jene großen Künstler im Innern
trieb und die Methode in ihnen erzeugte, in der Natur unseres eignen Triebes erkennen zu lernen suchen,
sowohl wie auch in den großen Erscheinungen der Natur, die Idee der gesammten Practik und als ein
lebendiges Mittel, das mit allen unsern Empfindungen verwandt seyn muß, erscheine. Dies ist gewiß die
einzige Art, wie wir sicher einen Fortschritt machen, und aus dem Labyrinth eines Hin-und Herschwankens
zwischen Bildern und der Natur kommen.
Indem ich die herrlichen Werke, in denen die lebendigen Effecte so kühn ergriffen sind, beschaue, und in sie,
wie in eigentliche Naturanschauungen hineingehe, komme ich sehr natürlich auf eine Vergleichung der Mittel,
wie die Natur, und mit welchen die Kunst einen und denselben Gegenstand hervorgebracht haben. Wenn
nun gleich in den Kunstwerken hie und da es wie ein reiner Klang heraustritt, dessen Hervorbringung ich
ganz verstehe, so führte mich doch solcher tief in die Natur, als auf seinen lebendigen Urquell, und eröffnet
mir die belebende Aussicht, daß sich mit immer bestimmterem Bewußtseyn das Verhältniß unsrer Mittel zur
Natur in mir aufthun wird. Die bestimmte Einsicht in die Elemente, welche die ganze mögliche Würkung
meines Materials umfassen, dringt mich, daß ich ringe und kämpfe, um auch in den Mitteln der Natur ihre
Ideale zu erkennen, und da ich mit meinem Herzen und allen Sinnen darnach trachte, recht in die
lebendigsten Elemente der Erscheinung einzudringen, ist mir in der Analogie der Elemente des Materials die
Idee erschienen, in welcher alle nur ein Ganzes sind und sich mit Lust in einander auflösen. Wenn ich dir nun
zeigen soll, was ich sehe, so mußt du, wie schwer es dir auch werden mag, dich abwenden von der Kunst zur
Natur, und der Drang, etwas Schönes in der ersteren hervorzubringen, muß dich erst antreiben, dich fähig zu
machen, die reine Freude an der Gestaltung der Erscheinung selbst zu finden, die dir dann auch deine
innerste Gestaltung aufschließen wird, daß du nicht mehr fragen magst: warum? oder wozu? [*>] Hast
du nun Lust, durch die herrliche Erscheinung mit mir zu wandeln, und die Dinge zu schauen, die Gott
gemacht hat, so wirst du hernach wissen, was du siehst, und auch das Licht in deinem Kämmerlein wird dir
nicht vergebens leuchten, daß du nicht mit Freuden die Gegenwart deines Gottes fühltest.
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