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Philipp Otto Runge

Aufsätze 2


1806

Aufsätze 2


2. Die Farbe ist eine so freundliche Erscheinung, daß ich immer mit neuem Ergötzen sehe, wie sie sich in
allen ihren Tönen wie mit Geistern des Lichtes allem Körperlichem anschmiegt und es durchdringt, um ihm
das himmlische Vaterland näher und näher an das Herz zu legen, so daß auch, je geistiger und
durchsichtiger die Substanz des Körpers ist, er tiefer und inniger mit der Farbe vereinigt und vom Lichte
durchdrungen wird. Und so muß auch ich, wenn ich in diese Erscheinung mich vertiefe, mich mit allen
Bestrebungen und Kräften willig der süßen Vernichtung des Lichtes hingeben, um im gewissen Glauben
zulezt,die Gluth der geistigen Gedanken zu empfangen. Wenn sich unter meinen Händen das Material
verändert und verwandelt, und ich nun mit Genauigkeit, um mich zurechtzufinden, die Elemente desselben
durchforscht habe, wird bald sehnsüchtig das Auge erfreut werden von der Gluth des Goldglanzes in
Metallen, und im schwelgenden Genuß an saftigen Früchten, oder angezogen von der herrlichen saftigen
Kühle eines sammtnen Gewandes, so wie von der lebendigen Bewegung der Blumenfarben; wenn aber die
erröthende Wange, der brennende Mund, und die zarte Verfließung des weißen Halses und Busens, in dem
Blitz des Auges dich mit einemmal ergreift und durchleuchtet, wohinein möchtest, du dich lieber tauchen, als

in die glühende Tiefe des Weins, daß die stillen Geister die Sprache in dieser klingenden Tiefe fänden und
du dann heimisch in diesem Himmel Auge, Mund, Wange und Busen im süßen Gespräch belauschtest im
Hinterhalte des sehnenden Herzens, dem das Leben und alle Himmel sich nur tiefer und tiefer entschließen,
je mehr du dich sehnst?

Wie das ewige Licht im Anfange alle Creatur und alle Farbe erzeugte, daß es sich selbst erschauete in seiner
innersten Herrlichkeit so auch würket die innigste Sehnsucht des Gemühtes, daß es alle Creatur in Liebe
durchdringe, damit sie in ihrer tiefsten Erkenntniß dem eigensten Seyn, das über alle Erkenntniß hinaus in
uns liegt, sich zum würdigen Opfer bringe. Wenn du aber, mein Herz und Sinn, eins bist in dem Geist, was
will wohl die ruhige Seele, die aber von allem Entzücken des Daseyns wogt, glühet und funkelt, wie die
sinkende Sonne, die nun mit Erd' und Himmel in Nacht versinkt, was willst du, Seele, als verstummen, wie
alle Himmel stumm waren, ehe das Wort von Anfang gesprochen war

----Wie sollte ich nicht in
Begeisterung gerathen über die herrliche Erscheinung, die vor mir liegt und worin Erde und Himmel sich
erschlossen hat? Es ist aber, wenn man eine Sache deutlich sehen will, das nothwendigste, daß man sich
zähmt und nicht gleich auf einmal die Enden zusammenfaßt; sonst kommen wir gleich von vornherein in das
Chaos zurück, aus welchem uns der Verstand und die Zeit retten, und dadurch zu noch größerer Herrlichkeit
der Anschauung führen wollen.


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