Philipp Otto Runge
Aufsätze 1
Aufsätze 1
(Die nun hintereinander folgende Aufsätze, vermuthlich aus dem Jahre 1806, scheinen Entwürfe zu Einleitungen einer Abhandlung über die Farben zu seyn, die aber in solcher Weise nicht zu Stande gekommen ist)
1. Wenn es dir Ernst ist, etwas Rechtes zu thun, oder hervorzubringen, das den Stempel der treuesten
Rechtschaffenheit und Gründlichkeit an sich trägt, daß, wenn es da steht, es das treue Abbild deines
innersten Zustandes sey; so wird aller Nothbehelf von Mitteln, alle Unkenntniß des Materials dir so zuwider
seyn, wie die Lüge der Wahrheit; Worte, die du nicht verstehst, und womit du doch etwas sagen willst, was
sie nicht sagen, lässest du nicht allein besser ungesagt, sondern es ist auch die größte Qual es zu thun,
wenn die Umstände dich zwingen. Wenn du nun diese gründliche Aversion in dir trägst, so wirst du wohl bald
merken, daß du den Kampf nie ganz bestehen wirst, daß dieses der Pfahl im Fleisch ist, der Kampf auf
Leben und Tod, daß, wenn du dich tapfer darin gebrauchst, dich der alte Sieger, der Tod, zulezt selbst
achten, und dich in die klare Ruhe bringen wird, aus welcher dich gewiß der Klang der Posaune erweckt. So
betrachte nun die bunte Welt um dich her, wo alle Gestalten in diesem Sinn dich wie Brüder begrüßen, wo
dieselbe Sehnsucht in allen Gegenständen (den kleinsten, wie den größten) um dich verborgen liegt, und
suche, wie du den ewigen Ursprung findest, aus dem alle Verschiedenheit geflossen ist. Richtest du bloß auf
die Farben der Gegenstände um dich her den Blick, so wirst du in der unendlichen Mannichfaltigkeit doch
bald viele finden, welche sich einander nähern, und indem du die Spur einer Farbe, die dich am meisten
anzieht, verfolgst, wirst du sie sehr verbreitet entdecken.
Wenn du zuerst das Violette suchst, wirst du es bald in der zarten Helligkeit der Levkojen, bald in den
dunkeln Schatten an den tiefen Veilchen entdecken, und der Sinn wird nicht wissen, welches er mehr liebt,
denn bald leuchtet eine Farbe so schön in der Helligkeit, und bald zieht sie dich in die stille Tiefe zu sich.
Wenn so dich das Grün der Wiesen, die saftige Vegetation in dern thauigen Grase, und das zarte Weben
eines jungen Buchenwaldes, wie die krystallene Woge lockt: wann leuchtet es dir am schönsten entgegen, in
der Helligkeit des Sonnenscheins, oder in der Stille, des Schattens? Wenn aus den Blüthen, von dem
zartesten Roth bis in den gewaltigsten Brand, von dem anspruchlosen Blau bis in -
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