Philipp Otto Runge
Bestimmung. 18011803
Bestimmung. 1801.1803
Ich habe mich immer von Jugend auf darnach gesehnt, Worte zu finden, oder Zeichen, oder irgend etwas, womit ich mein inneres Gefühl, das eigentlich, was sich in meinen schönsten Stunden so ruhig und lebendig in mir auf und ab bewegt, Andern deutlich machen könnte, und habe immer bey mir gedacht: wenn sich auch niemand für dein Gefühl sonderlich interessirt, das muß der Andre doch auch haben, in sich, und wenn einer das den Andern einmal gesagt hätte, so müßte man es sich so anfühlen können, wenn man sich die Hand giebt und in die Augen sieht, wie sich das nun in unserm Gemüth bewegt, und der Gedanke war mir immer mehr »erth als viel mühsame Wissenschaften, weil es mir so vorkam- dies wäre so recht das, warum alle Wissenschaft und Kunst doch eigentlich nur da sind. Ich habe aber recht wenig Menschen gefunden, die mich verstanden haben; anfangs dacht' ich, es verständen mich alle Menschen, und thäten nur zum Schein anders, weil sie keine Kinder mehr wären, hernach aber fand ich es würklich so, daß sie keine Kinder seyn mochten und das für albern hielten; ich that da so, als wollte ich es auch nicht seyn und da habe ich «cht gut die herausfinden können, die mich eigentlich was angingen und sich bloß anders stellten; ich habe viel recht gute Menschen gefunden, bey den meisten war's aber mit viel Gelehrsamkeit versetzt, in manchen war die gute Natur recht stark und schämten sich derselbigen und sprachen ganz anders wie sie's meynten, damit man ihnen ihr Kleinod nicht nehmen sollte; das ist eine recht vorsichtige Art und kam mir vor, wie Hos einmülhiqe Beysammenseyn bey verschlossenen Thüren, wo der Herr mitten durch feste Mauern und trotz Schloß und Riegel zu den Jüngern trat und sagte:
Friede sey mit euch! . Das Wort Hab' ich mir immer gesagt, wenn es an den Wanden pochte und polterte, und mich recht still gehalten. . Nun habe ich seit mehr Jahren schon die Bemerkung gemacht, daß es würklich solche Worte gebe, wodurch man sich recht bis in's Innerste verstehen könnte, daß aber auch der eigentliche Gebrauch dieser Worte fast ganz aufgehört hat und man die Schriftzüge bloß als etwas ganz wunderliches und als rare Sachen aufhebt und nachmacht, auch wohl verschiedentlich zusammensetzt, weil man doch gehört hat, daß vor Zeiten was damit geschrieben sey; ob die Dinger nicht noch sollten einen Laut von sich geben? Das Zusammenstellen muß es aber wohl nicht ausmachen. Man klagt recht darüber, da man nun alle die Ae- gyptischen Graber aufgemacht, worin so viele Hieroglyphen sich befinden, daß man nichts davon versteht; ich kann mir das denken, wozu wären es wohl auch Gräber, wenn nicht der Geist und alles, selbst die lebendige Gestalt der Hieroglyphe mit darin begraben wäre? Und sollten wohl die Bilder aus allen Ita- liänischen Schulen verstanden werden? Mich dünkt immer, sie wollen nur die Schrift verstehen, nicht die Worte, die damit geschrieben sind; es sind zu ihrer Zeit selbst schon viele Leute auf's Schreiben verfallen, die bloß so an der Schrift Vergnügen gefunden haben, und das ist nicht viel besser, als wenn ein Co- pist Minister seyn könnte, weil er die Verordnungen in's Reine schreiben kann: wenn man aber das, was jene rechten Leute schreiben wollten, auch in sich hat, so versteht man auch ihre Schriften, denn man muß doch auch Verstand haben, wenn man verstehen will, sonst wäre es ja gleichviel, ob Leuten oder Bänken gepredigt wäre.
So habe ich fast meine besten Freunde, ja gewiß die allerbesten, unter den Menschen gefunden, die nicht mehr leben, und es kann mich recht in die Seele freuen, wenn ich mich selbst eben so wieder da antreffe; es muß, dünkt mich, für die Leute auch eine recht schöne Freude gewesen seyn, wenn sie jemand nun so verstanden hat, und haben sich mit Andern einverstanden über die tiefen Wunder in ihrem Gemüth so recht freuen können. . Ich bin auch ohne viel Umstände darauf gekommen, daß das wohl die eigentliche Kunst sey, so sich auszudrücken; wenn man das aber recht will, so muß auch was auszudrücken da seyn, und die lebendige Kraft, wodurch Himmel und Erde geschaffen sind, und deren Abbild unsere ledendige Seele ist, muß sich auch recht in uns regen und bewegen, und muß reckt gedeihen in uns, daß wir alles recht erkennen, wieviel Liebe in uns und um uns allenthalben herum liegt, und, wenn wir es recht einsehen und glauben, uns aus jeder Blume und jeder Farbe und hinter allen Zäunen und Büschen und hinter den Wolken und bis zu den sernsten Sternen versteckt immer sreundlich in die Augen sehen will. So dünkt mich, es müßte eine rechte herzinnigliche Freude seyn, wenn wir zu diesem Gesühl in uns würklich Sprache hätten, und sollte es auch bloß ein Familiengespräch geben; so eine Familie, darin man so mit einander sprechen könnte, da wäre gewiß gut, darin zu wohnen, und man müßte ein rechter Narr seyn, wenn man sich nicht damit begnügen wollte, selig zu seyn. Nun dünkt mich, als hätten die Apostel, die srommen Musici, die großen schönen Dichter und Mahler, würklich im Sinne gehabt, solch einen Fa- miliencirkel zu bilden, . den Aposteln ist es gelungen, den andern aber nur theilweise; was ihnen theilweise gelungen ist, verstehen wir nicht recht mehr, da viel Provinzialismen mit unterlausen, daran sollten wir uns aber nicht kehren, sondern nur suchen, erst das eine was noth thut in uns zu haben, und dann es auszusprechen mit dem treuesten Gewissen und Fleiß, so würde doch unsre rechte Glückseligkeit gewiß besördert. Man sollte sür diese Kunst, die ich meyne, und die doch wohl die eigentliche ist, sur's erste nicht so sehr daraus sehen, w i e einer etwas sagte, sondern daß er auch würklich etwas sagte und zu sagen hätte, sonst wird die Suppe besser als der Fisch und die soll denn doch die Sache nicht seyn, man hält aber zur Zeit viel aus Saucen. (1801 in Dresden.)
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