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Philipp Otto Runge

An Schildener


Hambg 1,066 # im 03.Mon. 1806

An Schildener


Lieber Freund, es war mir sehr lieb, nach langer
Zeit einmal wieder etwas von Ihnen zu hören, und daß Sie, wie Sie sagen, durch das schöne Wetter an mich
erinnert worden. Mir geht es mit mir selbst so: wenn ich mit Sehnsucht an mich denke, d. h. daran, was ich
will, so ist es eben auch die Sehnsucht nach dem Frühling. Möchte es wahr seyn, daß Sie mich unter dem
Frühling zu sehen begehren, und möchte ich einst lebendig und ewig seyn können in allen Jahreszeiten und
nicht darin erliegen! Mir rauscht das Jahr in seinen vier Abwechselungen: blühend, erzeugend, gebärend und
vernichtend, wie die Tageszeiten so beständig durch den Sinn, daß meine einzige Sehnsucht nach diesem
ewig fortwährenden Wunder sich eben so immer von neuem erzeugt, und nach Künstlerweise sollte dann
das lezte immer der Frühling seyn, die blühende Zeit, welche gerettet aus der vernichtenden
hervorgegangen, und irdischer Weise wieder andre Zeiten erzeugt, aber leider stehen wir mit der jetzigen
Weltzeit im Herbst, auf welchen die Vernichtung folgt; selig der, welcher daraus auferstehen wird! Ich
schicke Ihnen hiebey die vier Radirungen, und bitte Sie, über das Stümperhafte, das doppelt entstanden,
erstlich durch meine Federzeichnung, und dann durch die Nachahmung des Kupferstechers, gütig
hinwegzusehen. Stellen Sie es sich so golden und schön in allen Theilen vor, wie es Ihre Imagination Ihnen
verstattet, darin herumzusegeln. Suchen Sie die vier Gestalten lieber erst als Totalität anzuschauen, ehe Sie
ins Einzelne gehen, und das Gute was Sie hineinbringen, und ich nicht habe hervorbringen können, theilen
Sie mir hernach So gerne mit, wie ich Sie jetzt bitte, bey diesem kleinen Geschenk mir die Mängel nicht
vorzurücken, die ich so gern ändern möchte.
Die Nachtigal habe ich meinem Bruder geschenkt und könnte dieses Gemählde nicht mitbringen, wenn ich
es auch wollte. Mit dem Publicum +) stehe ich in wenigem Verkehr oder in gar keinem, und wünschte doch,
daß es damit anders seyn möchte, wenn nur das Publicum eben so bereit wäre, über die gute Meynung die
Unvollständigkeit zu vergessen, als ich über die unvollständige Bezahlung (die ich als Unterstützung nur
ansehen möchte, um ganz im Stande zu seyn, etwas zu thun, und für jemand anders als mich zu thun) die
Mühe und Arbeit zu vergessen, und als ich alles gern weggeben wollte; welches ich ohnehin schon zu viel
thue, so daß ich immer kahl bin, wenn ich jemand was zeigen soll. Das wäre das, was ich vom Publicum
wünschte, und will mir auch gern, bevor dieses von seiner Seite geschieht, alle mögliche Mühe geben, ihm zu
zeigen, was ich ihm dafür wieder gebe; aber wenn ich es nun im Leibe fühle, daß es honorig ist , wie ich's
meyne, und mich gerne noch mehr plagte, bloß um jemand zu finden, der sich das in's Herz gehen ließe,
wovon mir der Mund überläuft, sollte es da wohl recht seyn, wenn das Publicum verlangte, nicht bloß was
überlaufen sollte (denn das ginge noch), sondern auch wie ? ey der tausend nein, das geht nicht, da zieh'
ich mich zurück und treib' mein Geäst an dem Spalier und in dem engen Raum, den mir die Umstände
lassen, und lasse mich von Frau und Kindern quälen, weil sie mich doch lieber haben, wie's Publicum hat,
und wenn dann das Gericht und der Winter über mich weht, wird Gott doch wohl stehen lassen, was nützt
denn Der ist die eigentliche Hauptperson, wofür man arbeitet, daß der Schatz in uns größer werde; damit
stimmt aber nicht immer das Verlangen eines Dritten zusammen.

Es hat mir sehr gefallen, was Sie mir von dem Albrecht Dürer schreiben, auch ist wohl nicht unrecht, was Sie
darüber meynen +), nur reicht das nicht zum Hervorbringen aus, es erfordert jedes, was hervorgebracht
werden soll, eine isolirte Anschauung, ohne welche es nicht entsteht und besteht; die Ueberlegung und
Ansicht erzeugt es nicht und hat bloß ihr beschieden Theil dabey; wer es erfahren hat, wie es zugeht, den
dünkt es wunderbar und der Mund weiß es nicht zu sagen, er betet Den an, der ihn hält und trägt und der
alles würkt. ---Nun noch einiges über die Radirungen. Ich habe nochimmer den Vorsatz, sie zu mahlen, und
werde dieses, wo möglich, wann ich nächsten Herbst wieder hierher kommen sollte, in's Werk richten, und
daher möchte ich keine eigentliche Herausgabe dieser Blätter eher und habe mir nur einige Abdrücke davon
machen lassen. Das erste (den Morgen) bitte ich Sie, ungefähr in dem Effect zu betrachten, wie die Sonne,
die sich aus dem Morgennebel heraufhebt; so daß der Kugelabschnitt der Erde sich wie ein ferner Berg vor
der Morgenröthe im Nebel wälzt; die Gestaltung vorn nur als eine Arabeske zu dem Hintergrunde darauf
anspielend. Das zweyte (der Tag), ein reiner Sonnenschein bey heiterm Himmel, wo der Blüthenstaub in der
Luft schwebt und sich regt, und die Blumen ihre Existenz in einander erweitern möchten und in einander
äußerlich die Wurzel finden, und so das Leben ungesehen unter ihnen verrinnt und sie vertrocknen.

Das dritte (der Abend) sollte in den Farben hinten so zusammen-kommen, als wenn die Abendröthe mit dem
Mondschein am Himmel gleich helle ist, so daß sich beider Schein begegnet; die Farben der Blumen und die
Töne der Instrumente würden dieses nachahmen. Das vierte (die Nacht) sollte unten in Feuer brennen, das
aus Blumen bestände, die in den stillen Schlafenden gesammelt wären, welche von Rauch und Thau
bedeckt liegen, der Liebe und des Schutzes gewiß, die von oben kommen, erwartend die Klarheit des
Unendlichen, das über uns ewig und ruhig ist, und aus welchem von neuem im ewigen Cirkelschlag alles
aufblühen, zeugen, gebären und wieder versinken wird. Die Rahmen sind Beziehungen ferner und näher,
und Uebergänge von dem einen Bilde zum andern. Lassen Sie sich aber nicht in diesen wenigen Linien
halten, sondern schweifen Sie in Gottes Namen darüber hinaus, mir ist's schon recht und gönne es Ihnen
gern, was in jeder Stimmung Ihnen einfallen mag, und welche Variationen Sie in sich selbst darüber machen,
oder wie Sie sich vorstellen, daß es noch seyn könnte.


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