Philipp Otto Runge
An Unbekannt
An Unbekannt
Lieber Freund, es ist schon einige Zeit, daß wir uns
nicht gesehen haben. ich war damals sehr zerstreut und bin es seither immer gewesen, Es war natürlich, da
sich meine ganze Lage und alle Verhältnisse änderten, und sich zu dem, was sonst in mir alles in
bestimmten Richtungen sich bewegt hatte und mich immer in einer tliätigen Gemüthsruhe gelassen, so viele
neue Dinge und Bedürfnisse hinzufanden, die mich zerstreuen mußten. Meine alten Arbeiten sind liegen
geblieben und ich habe neue angefangen, und noch ältere angefangne ausgeführt; dies hat mich von dem
ruhigen Gange, in welchem mir jeder,Schritt Musik war, abgeführt und ich sehne mich wieder dahin. Da ich
innerlich meine Ruhe verloren, so hat auch alles und jedes, das* mich umgiebt, seinen Glanz nicht mehr, und
selbst das, was meine dumpfen Sinne zuerst er weckte, steht grob und platt vor mir. Die Blicke meiner
Lieben dringen vergeblich in mich, es will die alte Flamme sich nicht entzünden. Ist denn alles, was ich
dachte, was ich sah, wie ich in die lebendige Tiefe meines Geistes hinabfuhr und die Wunder erblickte von
Angesicht zu Angesicht, die mir das Räthsel aufschlossen über den Zusammenhang, der uns in der Kunst
gegeben ist, ist denn das nur Täuschung gewesen? In mir ergrinime. ich über diese Frage: Nein, ich bin
nicht ausgeschlossen, die Wahrheit zu sehen, in mir regt sich die alte Sehnsucht zur Poesie, die mich lehrte,
mich selbst erblicken und führen.
Recht von ganzem Herzen kann ich danach verlangen, mit dir einmal so wieder zusammen zu seyn, wie wir
in Dr. waren. Oft will ich mir die Gespräche wiederholen, aber mir ist wie inwendig dumm geworden, und
nüchterne abgeschinackte Sachen kommen nur in mein Gedächtniß; vergebens will ich es festhalten, was
mich so glücklich machte. So stehe ich da und weine über mich, daß ich mich verloren habe; doch kann ich
nicht verzweifeln. Mir kommt oft in die Gedanken, Gott wolle mich prüfen, ob ich feststehe im Glauben an
ihm, und wenn das in mich kommt, stehe ich und schäme mich, daß ich es nicht wertli gewesen bin, wie
große Liebe er an mich gethan hat, und gestehe es mir, daß es Zeit geworden ist, meine Eitelkeit zu büßen,
daß ich lehren wollte und zusammenfassen in ein Gebäude den lebendigen Geist, der ohne alle Gestalt in
uns lebet. Nun kommt dafür die Dummheit in mich, und ich will es dir bekennen, wie es damit ist. (Der Brief
ist hier abgebrochen und nicht abgeschickt.)
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