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Philipp Otto Runge

An Pauline


2,173 # im 11.Mon. 1801

An Pauline


--- Ich kann es nicht länger ertragen, daß ich so gar nichts
von Ihnen hören soll; ich kann Sie nicht sprechen, und auf einem krummen Wege mich zu Ihnen drängen,
dazu habe ich Sie zu lieb, und achte Sie zu sehr und mich auch. -Wenn Sie glauben sollten, daß es etwas
unerlaubtes sey, diese Zeilen an Sie zu richten, so bitte ich Sie, solche Ihrer Mutter zu zeigen. Ich glaube
nicht, daß es unerlaubt seyn kann, daß ich Sie liebe, und daß ich durch Anstrengung aller Kräfte es so weit
zu bringen suche, mir Ihre Liebe zu erwerben, wenn man eine Liebe verdienen kann. Ich kenne Sie eben so
wenig, wie Sie mich kennen, und Sie haben es mir nie gesagt, daß Sie mir gut sind, und doch weiß ich es so
gewiß, und wenn Sie mir es selbst auch nicht gestehen wollten, daß Sie mich doch lieb haben, und wanke
und weiche nicht von dem Glauben, den ich an Sie habe. Warum Sie mich lieben sollten, weiß ich nicht, auch
nicht warum ich Sie liebe, aber liebt man auch jemand um etwas? -Gottes Liebe gegen uns ist
unergründlich und warum liebt Gott uns? Wenn wir unser äußerstes thun, so haben wir nur unsre
Schuldigkeit gethan und sind unnütze Knechte. Ich glaube es, daß Sie mich verstehen werden, wenn Sie mich mehr kennen werden, und daß Sie einsehen
werden, daß ich nicht in den Wind fortbaue. Es ist mein innigster Wunsch, daß Sie mein werden, so wie ich
auch gewiß Sie nie vergesse, wenn Sie mich auch nicht so lieb hätten; ich weiß aber auch, daß etwas mehr
dazu gehört, mit jemand zusammen zu leben, als bloß, daß diese Flamme in uns brennt, und sie würde ohne
den festen Grund des Gemüths und unsres Glaubens an Gott doch bald ausgehen. Es ist auch nicht genug,
daß Gott uns alles Gute giebt, sondern wir müssen es auch fleißig gebrauchen und damit wirthschaften, daß
wir Ihn darin erkennen; und -wenn Sie mich lieben, und ich Sie, so ist es nothwendig, daß diese Liebe auch
auf einem und demselben Grunde beruhe. Deswegen möchte ich Sie näher kennen lernen und wohl
bisweilen mit Ihnen sprechen, wie Sie darüber denken, und da ich das nun nicht kann, so muß ich wohl
schreiben.

Meine ernstliche und wahre Meynung nun ist: alles, was Christus uns sagt im fünften Capitel St. Matthäi und
der ganzen Bergpredigt. Lesen Sie die, liebe Pauline; Das ist der Grund, auf den ich all' mein Wissen und
Thun zu bauen trachte, und von diesem Grund kann ich um keines Menschen willen , und auch wenn Sie das
für zu phantastisch hielten, mit meinem Wissen nicht um ein Haar abgehen. Ich weiß es wohl, daß es mit der
Aufklärung (der neuen, meyne ich) so zusammenhängt, daß man das für excentrisch oder schwärmerisch
hält; aber ich halte von dieser Aufklärung auch gar nichts und halte mich an die lezten Worte: "Wer nun diese
meine Lehre höret und thut, der ist einem klugen Manne gleich, der sein Haus auf einen Felsen baute u.s.w."

Eben so ist es auch damit beschaffen, daß ich für die Kunst leben will, denn auch sie ist mir nur in so ferne
etwas werth, wenn sie mir einen deutlichen Begriff unseres großen Zusammenhanges mit Gott giebt und
über unser ganzes Leben, und da muß man zwar vieles von Andern lernen, aber die rechte und eigentliche
Einsicht, die kann uns nicht gelehrt werden, die kommt uns von selbst durch den treuen Glauben an einen
bessern Lehrmeister. Ich könnte Ihnen vieles sagen darüber, wie es mit dem Treiben der meisten Künstler zu
sammenhängt u.s.w. -Es ist mein ernster und heiliger Wille, mein Leben daran zu setzen, ob ich nicht
ergründeia kann wie wir auf dem festen Grund unserer Religion eine Kunst bauen könnten; die sich dann
freylich wie die Kirchenmusik zu: Blühe liebes Veilchen u.s.w. verhalten würde. Ich weiß was ich leisten kann
und was Gott mir gegeben hat, und kann darum nicht verzagen. -Etwas halb Fertiges ist nicht einzusehen,
und ich habe mein Lebenlang an diesem Gebäude zu arbeiten, weswegen ich es auch Keinem übel nehme,
wenn er mich für einen Thoren hält. Es ist schlecht um die Menschen bestellt, die es durch Andre erst
erfahren müssen, was sie wollen und sollen, und viel besser, wenn einer das selbst weiß.

Ich würde nicht durchkommen, wenn ich mich nun auch bürgerlich auf diese Kunst verlassen wollte; wir
müsen auch eine Zeitlang hacken und graben, und es liegt auch gar viel Gutes in einer ordentlichen
bürgerlichen Arbeit, und das Beste schmeckt erst wieder recht darauf. Nun weiß ich zwar recht sehr aus
eigner Erfahrung, daß Gott uns nicht verläßt, wenn wir es nur recht glauben; aber es kommen doch
Augenblicke und Tage im menschlichen Leben, wo uns der Muth auch so gar verläßt; eine Zeitlang können
wir's wohl aushalten, daß wir für Narren gehalten werden, und wir so allein stehen, aber dann ist uns doch
eine Seele nothwendig, die uns bis in das Innerste kennt, und die es weiß, daß wir es gewiß nicht sind. -
Gott müßte mich mit Blindheit geschlagen haben, wenn ich nicht Ihre ganze Seele in Ihnen lesen könnte und
daß Sie das sind, wofür ich Sie halte. Sie sind noch zu jung, um zu wissen, auf welche Weise und wie
wunderbar wir zur Einsicht in unsre eigne Seele gelangen; aber das herzliche Verlangen, sich selbst
erkennen zu lernen, wird Sie auch dahin führen, und deswegen wünschte ich so sehr, Sie bisweilen zu
sprechen. -Aus diesen Grunde sollen wir alle unsre Kenntnise studiren, und einsehen lernen, sonst steht
unser Haus auf dem Sand.

Ich weiß aus einigen Aeußerungen von Ihnen, daß Sie glauben, ich hätte zuviel Verstand und ich würde Sie
nicht so achten und nicht so sehr Ihr Freund seyn können, wie es wohl seyn sollte. Mit meinem Verstand ist's
aber gar eigen bestellt. Ich weiß wohl, daß viele'berühmte und unberühmte Leute mir so etwas auch
bisweilen sagen, und ich habe sie oft mit der Nase darauf gestoßen, daß es nicht das, daß es bloß der rechte
Glaube ist, daß wir für etwas bestimmt sind; sie sind aber darüber hinweg gegangen; -und so, Liebe,
würden Sie alle meine Wissenschaft sehr leicht, wenn nicht executiren, doch einsehen lernen. Was ich Ihnen
geben will, ist auch nicht mein Wissen, sondern mich selbst und wie ich in diesem Wissen nur mich begreife,
und da müssen Sie freylich das Zutrauen zu mir haben. -Ich bin zwar nicht soviel nutze, als ich wohl seyn
könnte, und es befällt mich auch oft eine Angst, wie ich das vor Gott und meinen Lieben verantworten soll;
aber ich bin in meinem Leben niemand untreu geworden: das stärkt mich in unglücklichen Stunden. Es hat
doch auch noch niemand, dem es ein Ernst darum gewesen, und der mich würklich lieb gehabt, das gereut,
und zu Hause und in Hamburg freuen sie sich doch alle, daß ich denke, wieder zu ihnen zu kommen, und da,
denke ich, sollten Sie mich doch auch nicht so leicht satt darum kriegen, weil ich Sie lieber habe, als jemand
in der Welt. ---Ueberhaupt, auf dem bürgerlichen Fuß, denke ich, muß ich fest stehen, das versteht sich
so sehr von selbst, daß ich jetzt nichts mit Ihnen darüber spreche. Wenn ich mich erst gegen Ihren Vater
erkläre, so muß ich das auch sagen.

Liebe Pauline, vergessen Sie es nicht, daß ich alle meine Glückseligkeit in Ihre Hände lege, und daß ich
Ihnen alles geben will, was ich habe, daß ich mit Ihnen und durch Sie Gottes Wesen, wie es in der Welt
würkt, möchte begreifen lernen; und sagen Sie mir wenn es Ihnen möglich ist durch ein Wort, ob Sie mit mir
leben wollen oder nicht ? ich werde auf jeden Fall Sie nicht vergessen und kann Sie nicht vergessen. -Den
beygelegten Brief von Karoline Perthes [K.P.] geben Sie mir, wenn Sie wollen, wieder, sonst behalten Sie ihn
zu meinem Andenken. Ich hätte Ihnen noch wohl sehr viel zu sagen, una würde nicht zu Ende kommen,
wenn ich das große Thema: Wie ich Sie liebe , bis auf's äußerste ausführen sollte; das werde ich Ihnen aber
practisch durch mein ganzes Leben, es falle aus wie es wolle, beweisen, auch wie ich würklich daran
gezweifelt und mich schon ordentlich darin ergeben hatte, daß Sie mich nicht liebten, und doch Ihr Bild immer
lebendig in mir blieb. Eben so gewiß kann und werde ich Sie nun auch nicht vergessen, da ich jenes würklich
und gewiß glaube. Wie ich Ihnen auch diesen Brief zustellen werde -wer ihn an Sie bringt, dem danken Sie
in meinem Namen. Ewig Ihr getreuer Otto Runge.


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