Philipp Otto Runge
An Conrad Christian Böhndel in Kopenhagen
An Conrad Christian Böhndel in Kopenhagen
-Noch einmal, wie schön und lieblich zu Hause alle
Gegenstände an mir vorübergegangen sind, kann ich dir nicht sagen; doch von Hamburg ist mir im Ganzen
nicht genug geworden, ich und die Freunde daselbst waren nicht in gehöriger Ruhe, und daran waren die
Dänen Schuld. --
Lieber, siehe dich doch immer nur nach Menschen um, die dich ganz verstehen,' mit denen du sprechen
kannst, ohne dich in Rückhalt stellen zu dürfen, die du für besser hältst, wie du bist, und, wenn du sie
gefunden, halte dich an ihnen ohne Wanken. Freylich ist das in Kopenhagen nicht wohl zu haben, und du
solltest hieher kommen. Im Grunde ist hier schon über.haupt der rechte Ort, wo sich ein Mahler, der copiren
kann, nähren wird, wenigstens den Sommer über, wenn er nur nicht gar ein Hund ist und nur erst einige
Bekanntschaften hat. Ich hätte dich wahrlich sehr gerne hier und du bist doch in Kopenhagen der erste, an
den ich denke. Ich habe hier schon einige sehr interessante und selbst herzliche Bekanntschaften, mit denen
ich ausschließlich umgehe. So einen Architekten, der eigentlich Nummer 1 ist, dann einen Musikus Nummer
2, wir machen so Zeug zusammen was lustig ist, und auch was uns bis in die Seele ergötzt. Der Musiküs
bringt uns Geschmack an seiner Kunst bey, wir gehen Sonntags stets zum Katholischen Gottesdienst,
wobey, ohne zuviel zu sagen, vielleicht fast die schönste Capelle in der Welt ist; wir halten unsre drey Künste
gegen einander, und durch Verknüpfungen von solchen Ideen entstehen neue, die. am Ende etwas
produciren; wir suchen unter uns selbst die Einseitigkeiten in Kenntnissen und der Kunst auf, die Andre
lächerl.ich machen, und hüten uns so davor.
Die Composition des Achill's und Skamandros hat mich in dem Theile der Kunst, den es betrifft, sehr
gefördert, weil ich mich nicht scheute, sie Leuten zu zeigen, die mir ein gewichtiges Urtheil geben konnten,
und mir die Mühe nicht verdrießen ließ, das, was ich selbst von diesen Urtheilen als richtig einsah,
anzunehmen; indem doch ein guter Rath nur dann es ist, wenn er befolgt wird. Ich habe über dieses alles
jetzt eine Compostion, im Grunde eine eigne Dichtung von mir, zu Stande gebracht und aufgezeichnet und
du sollst noch was davon hören und sehen, wenn ich sie nur erst weiter werde zur Reife gebracht haben --.
Nun erlaube mir, daß ich freimütig gegen dich von dir selbst sprechen darf. -
Ich bin dir im Grunde vorzüglich darum so gut, weil du etwas auf dich hältst, d.h. weil du dich selbst
auszubilden suchst und nicht stille stehst; darüber also meine Gedanken; Wie ich deine Umstände
(oekonomische sowohl als anderweitige in Beziehung auf deine Kenntnisse) kenne, so thust du vermuthlich
sehr wohl daran, vorerst Portraitmahler zu seyn; inzwischen aber würde ich an deiner Stelle aus aller Macht
bis zur höchsten Kenntniß der Kunst streben, d.h. in jedem Dinge den Zusammenhang des menschlichen
Lebens studiren; jedes würde dich wieder in dich selbst zurückführen, und eben daß du ganz alles auf dich
selbst beziehen kannst, würde dich dem Begriff eines vollkommenen Kunstwerks näher bringen.
Dem trefflichsten Genie wird's kaum einmal gelingen,
Sich durch Natur und durch Instinct allein Zum Ungemeinen aufzuschwingen:
Die Kunst bleibt Kunst, wer
sie nicht durchgedacht,
Der darf sich keinen Künstler nennen;
Hier hilft das Tappen nicht; eh' man was
Gutes schafft, Muß man es erst recht sicher kennen." (Goethe.)
Und diese Kenntniß beruht allein auf
einem lebendigen allgemeinen Gefühl, das du in deinem Busen, verschließest. Es ist nichts.und fährt nur
gradeswegs zum Verfall der Kunst, von außen nach innen würken zu wollen. Denn wo ist das gesagt, daß
wir, wenn wir im Practischen durch äußere Umstände gehindert werden, weiterzugehen, es im Theoretischen
auch sind? Das Gefühl kann sich, abgezogen von allen Kunstwerken, selbst zu einem Ganzen bilden, und
dadurch erhält der Mensch den Zusammenhang in sich; er wird alsdann bei Erblickung eines vollkommenen
Werkes denselben Zusammenhang darin wieder finden, den er sich selbst zu verschaffen gewußt hat, er
wird es nun ruhig und, sollte es ihm auch bis in's Tiefste erschüttern, mit Wollust genießen können, es wird
ihn ewig -befriedigen; und dies ist der Standpunct, glaube ich, von welchem allein ausgegangen werden
muß, ohne den keine vollendete Composition zu denken ist.
Die Niederländer geben uns, wie mich dünkt, für diesen Satz den sprechendsten Beweis. Denn wie geht es
zu, daß ein Werk eines Italiäners oder alten Deutschen Künstlers, bey der ersten Entstehung der Kunst, oft
mehr Kunstwahrheit in sich schließt, wie das ausgeführteste Stück von Rubens? Weil sie die Kunst zuerst
gesucht haben. Die Niederländer haben diese Bilder gesellen und auf Art und Weise gedacht, wie durch
Farben dem Ganzen eine Rundung zu geben wäre; sie haben, erst wie sie die menschliche Gestalt machen
und darstellen konnten, derselben einen gewissen geistigen Begriff zu verbinden gesucht; jene andern im
Gegentheil hatten dem reinen Begriff nur ein passendes menschliches Wesen verbunden, sie haben ihm,
weil er sonst verfliegen und nicht auf die Nachwelt gebracht werden würde, nur den Stempel des
Charakteristischen und des Schönen aufgedrückt, und so den reinsten Gedanken fixirt.
Hast du also deine Kenntnisse in dein Gefühl zurückgedrängt; erscheinen sie dir nicht mehr wie zwey
gesonderte Wesen: so wirst du nach einigen Versuchen dich auch leichter ausdrücken können. Laß dir
indeß dieses alles nicht als Evangelien erscheinen. Meine Gedanken verführen mich öfter auf beiden Enden
hinaus; aber man muß doch auch die Enden erst kennen, um das rechte Mittel treffen zu können. --
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