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Julia Ziegenbein

Multiple Choice

Entdecken, wodurch Kunst zur Kunst wird

Unter welchen Voraussetzungen wird etwas als Kunst angesehen und/oder als solche erfahren? Und was hat die so genannte »Vermittlung« eigentlich damit zu tun?

Eine performative Vermittlungsaktion, die sich auch über den Rahmen der Ausstellungsräume hinaus auf die Suche nach immer wieder auch anders möglichen Antworten auf diese Fragen macht. Auf überraschende und vielfältige Weise werden Sie durch die Verwicklung in ein gemeinsames Ausstellungsgespräch Kunst neu erleben.

max. 12 Personen

Dauer: ca. 75 Minuten

1. IDEE

Es ist davon auszugehen, dass der Kunstkommentar(1) - neben den Institutionen, den Betrachtern, der Kunstgeschichte, der Kunstwissenschaft, dem Kunstmarkt usw. - Kunst maßgeblich kulturell mitkonstruiert und mitdeterminiert. Dann ist die Kunst mit den um sie herum organisierten räumlichen, sozialen und ökonomischen Rahmungen als verschränkt anzusehen, insofern sie ohne diese ›an sich‹ nicht existiert.(2)

Wenn Vermittlung als eine dieser Rahmungen an der kulturellen Konstruktion von Kunst beteiligt ist, dann gehört der vermittelnde Kommentar bereits als ein Moment unter vielen zur Konstitution von Kunst.

Wenn sich die Frage nach dem »Dasein und Sosein«(3) der Kunst im Grunde als Frage nach den sie mitkonstruierenden Blicken entpuppt, erweisen sich dann nicht Fragen nach der Verfasstheit der Kunst und nach der Verfasstheit der Erfahrung, die durch sie ermöglicht wird, als zwei Seiten einer Medaille?(4)

Um diese Fragen durch eine Führung zu thematisieren, sollen die Exponate gerade nicht als jeweils von ihren Kontexten unabhängige ›Werke‹ vorgestellt werden, sondern als bereits relativierte Medien im Sinne von ›Werkzeugen‹, die selbst schon zwischen sichtbarer Materialität und vornehmlich unsichtbarem Kontext vermitteln.

Wie aber auch eine Brille nicht zu schärferem Sehen verhilft(5), indem sie bloß betrachtet wird, so lässt sich auch Kunst nicht ohne »Anwendung« durch die BesucherInnen als solche erfahren, sodass sie letztlich nicht objektivierbar ist.(6)

Daher sollen den BesucherInnen durch die performative Vorführung eines breiten Spektrums an o.g. Rahmungen vielerlei Anschlussmöglichkeiten geboten werden, die sie zu immer neuem und anders möglichen Hinsehen ermutigen, sie motivieren, selbst in den vermittelnden Kommentar einzustimmen und sich damit am Diskurs aktiv teilnehmend erfahren zu können. Bestenfalls ergibt sich daraus ein gemeinsames Entdecken sowohl des ›Werks‹ als auch der ›Vermittlung‹ als sich einander notwendig bedingende und gegenseitig aufzeigende Mittel zur Erfahrbarkeit von Kunst.

2. ABLAUF (am Beispiel von subvision)

1st Choice - ca. 10 min. (»Kunsthistorikerin«)

Mit strenger Frisur, silbern gerahmter, schlichter Brille und einem schwarzen Anzug mit gut lesbarem Namensschild: »N.N., Kunsthistorikerin« ausgestattet, nimmt die Vermittlerin vor der Gruppe eine zentrale Position ein und begrüßt die TeilnehmerInnen im Eingangsbereich:

„Herzlich Willkommen bei subvision. Mein Name ist N.N., ich bin Kunsthistorikerin [Hand zeigt deutlich auf das Namensschild] und führe Sie in den nächsten 75 Minuten durch die Ausstellung. Ich freue mich, Sie heute hier in einem der xy Container [ausladende Handbewegung in Richtung der Wände; Hände beschreiben deutlich und recht »zackig« einen Kubus] begrüßen zu dürfen, die einerseits den globalen Austausch von Waren und Gütern und seinen internationalen Fokus symbolisieren, als auch für die Kompaktheit des Festivals stehen“ [überprüft den Sitz ihrer Brille].

„Einleitend möchte ich aus dem offiziellen Ausstellungskonzept zitieren: Dem Festival geht es nicht um individuelle Künstlerpositionen, sondern um eine Auswahl aus weit über 300 Künstlerinitiativen, die in unterschiedlichen Formaten und Disziplinen arbeiten. Im Fokus dieser Initiativen stehen wiederum jeweils Formen von kultureller Produktion, die sich jenseits etablierter Institutionen und ungeachtet kommerzieller Verwertbarkeit entwickeln: Etwa Artist-Run-Spaces, nomadische Projekte, Archive, Research Projects und selbst organisierte Vermittlungsnetzwerke.

Den traditionellen Formen des Kunstbetriebs, seinen Kunstmessen, Biennalen und Großveranstaltungen werden bewusst alternative Formate und experimentelle Weisen der (Re-)Präsentation entgegengesetzt. Verbindendes Element dieser etwa 30 teilnehmenden, heterogenen, überwiegend projektgebundenen Zusammenschlüsse ist oftmals eine kollaborative, kollektive Arbeitsweise sowie die Betonung situativer Interventionen. - Zitat Ende. Quelle: www.subvision-hamburg.de“(7) [etwas ernster und forscher:] „Aufgrund des engen zeitlichen Rahmens konzentrieren wir uns auf einige wenige ausgewählte Arbeiten. Diese Tour ist weniger als Überblicksführung gedacht, sondern dient zur grundlegenden Orientierung, um sich die Ausstellung danach selbst besser erschließen zu können. Bevor ich mit der eigentlichen Führung beginne, möchte ich sie aus versicherungstechnischen Gründen darum bitten, in der Ausstellung keine Trennlinien zu überschreiten, sowie bitte unbedingt mindestens 20cm Abstand zu den Kunstwerken zu halten. Tragen Sie ihre Rucksäcke vor dem Bauch und lehnen Sie sich bitte auf keinen Fall gegen die Wände. Bleiben Sie möglichst zusammen und folgen sie mir nun bitte sogleich.“

2nd Choice - ca. 10 min. (»kuratorische Assistentin«)

Anschließend begibt sich die Vermittlerin zügig zu zwei benachbarten Arbeiten, die im Folgenden betrachtet werden sollen und wechselt dabei ihr silbernes Brillenmodell gegen ein anderes mit auffällig abweichender Form und Farbe (z.B. ein schwarzes großes Kunststoffmodell). Das Jackett wird auf dem Wege abgelegt, sodass darunter ein weißes Hemd zum Vorschein kommt, auf dem ein neues Namensschild angebracht ist. Darauf steht nun: »N.N., kuratorische Assistentin«. Dann bleibt sie stehen, dreht sich um, schaut für einen kurzen Moment aufmerksam in die Runde und sagt zu den TeilnehmerInnen:

„Nachdem ich Sie nun quasi »gefangen genommen« und genau genommen »ent-führt« habe, möchte ich [Hand deutet auch hier wieder deutlich auf das neue Namensschild] Ihnen ein paar grundlegende Informationen der kuratorischen Leitung vorstellen“ [ein Kassettenrekorder mit integriertem Lautsprecher wird hervorgeholt, hoch gehalten und eingeschaltet. Aus dem Gerät ertönt die Stimme der Kuratorin Brigitte Kölle]: „Der Begriff Off kommt aus dem Bereich der Filmtechnik und umschreibt das, was man hören, aber nicht sehen kann; also das, was sich außerhalb der Filmleinwand abspielt – off camera – aber doch wahrnehmbar und wichtig ist. […] Die angelegten Wege zu verlassen und querfeldein zu laufen ist ein schönes Bild dafür, routinierten Abläufen zu entgehen und offene Strukturen zu schaffen, in denen Möglichkeiten neu verhandelt werden können und müssen. Es geht nicht unbedingt darum, sich gegen etwas zu entscheiden, sondern seinen eigenen Weg dazwischen oder daneben zu finden. […] Wenn man sich als BesucherIn nicht unbedingt sofort einen Reim auf das Gesehene machen kann, es einen aber gerade dadurch nachhaltig beschäftigt und umtreibt, hat subvision genau den Gesprächsbedarf gefördert, den wir uns wünschen. Und hat aufgezeigt, dass die Kunst spannende, ungeahnte und auch streitbare Wege geht.“(8)

Im Anschluss wendet sich die Vermittlerin an die BesucherInnen:

„Sie haben nun die Möglichkeit, sich diese beiden Arbeiten in Ruhe anzuschauen [deutet jeweils einladend auf die zwei benachbarten Arbeiten]. Genau genommen haben Sie dafür fünf Minuten Zeit. Danach werde ich Sie bitten, wieder zusammen zu kommen.“

3rd Choice - ca. 20 min. (»Gallerina«)

Während die BesucherInnen sich diese beiden Arbeiten anschauen, wechselt die Vermittlerin ihr Outfit in auffälligerer Weise. Der schwarze Anzug wird gegen ein modisches Kostüm getauscht, das bisherige Schuhwerk gegen Ballerinas und die Brille wiederum gegen eine andere mit auffallend abweichender Form und Farbe. Auch das Namensschild trägt eine neue Aufschrift: »N.N., Gallerina«.

Sobald die Gruppe sich wieder zusammen gefunden hat, folgt quasi ein »Zoom« an die zwei Arbeiten heran, die eben angeschaut wurden.

Die Vermittlerin stellt beide Arbeiten als Exponate von KünstlerInnen bzw. KünstlerInneninitiativen vor, die sie als Galeristin vertritt. Diese sollten sich in möglichst unterschiedlicher Weise mit experimentellen räumlichen Präsentationsmöglichkeiten von Kunst beschäftigen, welche die im Kunstbetrieb üblichen und besonders in Galerien gepfl egten Ausstellungs-Formen hinterfragen. Der in sich widersprüchlich gehaltene Eingangsmonolog der Vermittlerin könnte in dieser Situation beispielsweise wie folgt lauten:

„Hier sehen Sie Arbeiten von KünstlerInnen, die durch unsere Galerie vertreten werden [Hand deutet langsam und deutlich auf das neue Namensschild]. Diese Arbeit hier [tritt links neben das erste Exponat; Hand umreißt es zusätzlich, um es in seiner gegenwärtigen Funktion als Ausstellungsobjekt hervorzuheben] von ›The Hex Projects‹ im Londoner Stadtteil Hackney ist an das häusliche Leben der beiden Betreiber Maria Zahle und Jason Dungan unmittelbar angebunden. In loser Folge werden in der Wohnung der beiden jungen Künstler Ausstellungen von befreundeten Künstlern präsentiert, die sie für fördernswert und im gängigen Kunstbetrieb für unterrepräsentiert halten.“(9)

Dann hält die Vermittlerin kurz inne, überprüft den Sitz ihrer Brille und schaut in Richtung der TeilnehmerInnen. Dann fährt sie wie folgt fort:

„Andere Initiativen [tritt allmählich zwischen die beiden Arbeiten] verstehen sich als ›Projekträume ohne Räume‹. Sie haben sich ein nomadisches Leben zu eigen gemacht, und nisten sich jeweils dort ein, wo es möglich und nötig erscheint. Eine Initiative aus Sydney [Hand umreißt deren ›Werk‹ ebenfalls und markiert es damit in einer Weise, wie zuvor beim ersten geschehen] trägt den Namen ›squatspace‹. »to squat« bedeutet ja interessanter Weise »besetzen« [hält erneut kurz inne und überprüft wieder den Sitz ihrer Brille]. Der so genannte guestroom ist immer dort anzutreffen, wo Ideen umgesetzt und Projekte realisiert werden sollen, das kann eine Plakatwand sein, eine Buchbinderei, oder das Londoner Atelier der beiden Künstlerinnen Maria Benjamin und Ruth Höflich.“(10)

An dieser Stelle sollte der Monolog, der nun deutlich in einem verkaufsfördernden Stil fortgeführt wird, um weitere grundlegende Informationen zur Herkunft und Haltung der KünstlerInnen, zu ihrem jeweiligen Bekanntheitsgrad sowie insbesondere zu »ihrem« Marktwert im Allgemeinen ergänzt werden.

Um dem Publikum als potentieller Käuferschaft die eben kurz vorgestellten ›Kunstwerke‹ »schmackhaft« zu machen, setzt die Vermittlerin weiterhin beide Arbeiten vergleichend in Bezug. Deutlich im Vordergrund stehend, betont sie dabei diesen oder jenen Aspekt, indem sie das Gesprochene mit entsprechenden Gesten unterstreicht, wendet sich erneut dem Publikum zu und spricht hin und wieder eine ausgewählte Person direkt an.

Um darüber hinaus die BesucherInnen in ein kurzes gemeinsames Gespräch einzubinden, könnte zum Beispiel wie folgt vorgegangen werden:

„Aus meinen Erfahrungen in Galerien kann ich berichten, dass viele Kaufinteressenten Kunst als Investitionsobjekt oder auch als Dekoration ansehen, vorwiegend aus Liebhaberei und seltener aus Kennerschaft erwerben oder auch – was zunehmend vorkommt – zu Zwecken ihrer eigenen Repräsentation und damit zu ihrer Statuserhöhung nutzen. So ist es auch für uns Galerien von großem geschäftlichem Interesse, in persönlichen Kontakt mit den Künstlern zu kommen [hält kurz inne und überprüft den Sitz ihrer Brille]. Stellen Sie sich jetzt bitte vor, sie könnten die Arbeit von ›The Hex Projects‹ oder ›squatspace‹ erwerben. Dann würde mich nun vor allem interessieren, worin eigentlich Ihr persönliches Interesse bestünde, zeitgenössische Kunst, wie zum Beispiel die gerade gesehene zu kaufen - oder ggf. eben gerade nicht! Sie haben nun, sofern Sie bitte mitbieten möchten, die Möglichkeit, in aller Ruhe auf einem dieser Zettel ein anonymes Gebot abzugeben [verteilt derweil Stifte und Notizpapier]. Ich gebe Ihnen, wie Sie auf dem Zettel sehen können, den Startpreis von xy,- bzw. yz,- Euro vor [Hand deutet dabei vom Zettel aus auf die jeweilig gemeinte Arbeit]. Bitte vermerken Sie außerdem unter der von Ihnen auf dem Zettel gewählten Arbeit unbedingt eine kurze Notiz, aus der hervorgeht, aus welchem Grund Sie diese Arbeit erwerben möchten. Ich werde mich derweil für ein paar Minuten zurückziehen. Sobald ich Sie abhole, um die nächste Arbeit mit Ihnen anzusehen, sammle ich ihre Zettel ein. Wir werden sie im Laufe der Führung noch brauchen. Ich komme darauf an anderer Stelle zurück.“

4th Choice - ca. 15 min. (»Kunstjournalistin«)

Während die TeilnehmerInnen ihre Gebote und Begründungen notieren, zieht sich die Vermittlerin unauffällig zurück, wechselt erneut ihr Outfit inklusive Brille und löst die strenge Frisur. Auf der Vorderseite des nun sichtbaren Shirts steht der Aufdruck »Glauben Sie mir«, daneben ist ein neues Namensschild mit der Aufschrift »N.N., Kunstjournalistin« angebracht. Dann kehrt sie zur Gruppe zurück, sammelt von jeder Person aus der Gruppe den Notizzettel und die Stifte ein, positioniert sich anschließend mit dem Rücken zur nächsten Arbeit und eröffnet die Führung erneut mit einem in sich widersprüchlichen Monolog:

„Nochmals herzlich Willkommen bei subvision. Wie Sie sicher bereits bemerkt haben, mache ich keine Führung im klassischen Sinne [zeigt wieder deutlich auf ihr neues Namensschild]. Daher werde ich sie auch nicht ununterbrochen mit Monologen belehren, sondern möchte vor allem auch Sie zu Wort kommen lassen. Denn im Prinzip bin ich genauso wie Sie mit dem unvermeidlichen Problem konfrontiert, dass es eine ultimative Antwort auf die von den meisten BesucherInnen gestellte Frage, was ein ›Werk‹ eigentlich zur Kunst macht und letztlich bedeutet, nicht geben kann. Darum lade ich Sie hiermit zu einem Ausstellungsgespräch ein, bei dem ausdrücklich erwünscht ist, dass möglichst viele Ihrer unterschiedlichen Sichtweisen zur Sprache kommen. Die Gruppe kann von jedem Beitrag nur profitieren. Um Ihnen den Zugang zum nächsten Exponat [zeigt auf die entsprechende Arbeit] zu erleichtern und Sie am Verstehensprozess aktiv zu beteiligen, werde ich Ihnen im Folgenden ein paar Fragen stellen, die ich in meiner Rolle als Kunstjournalistin dem Künstler [bzw. der Künstlerin] im Vorwege schon einmal sinngemäß gestellt habe. Sie können auf diese Fragen nun gerne reagieren, indem Sie aus den Künstlerantworten eine Auswahl treffen“ [ca. 3 Zettel mit den Künstlerzitaten werden pro Person verteilt].

Nun fordert die Vermittlerin die Gruppe auf, ihr zu folgen und begibt sich zur dritten Arbeit. Auf der Rückseite ihres Shirts sollte dabei als Ergänzung zur Vorderseite der Schriftzug »kein Wort« deutlich sichtbar werden. Vor der Arbeit angekommen, werden zwei bis drei grundlegende Fragen gestellt, wie etwa zur Idee des Künstlers und zu seiner künstlerischen Haltung bzw. seines künstlerischen Interesses, um das Gespräch erst einmal in Gang zu bringen.

Danach werden die Fragen gestellt, die speziell auf das vorab recherchierte oder ggf. mit dem Künstler/der Künstlerin durchgeführte Interview zugeschnitten waren.

Sofern davon auszugehen ist, dass einige TeilnehmerInnen es vorziehen, zu diesem Zeitpunkt keine eigenen Gedanken Preis zu geben, soll zumindest auf diesem Wege jeder Person aus der Gruppe die Möglichkeit geboten werden, sich mittels eines Gedankens des Künstlers/der Künstlerin in der Gruppe zu äußern.

Auch hier trägt die Vermittlerin wieder die Brille wenn sie spricht, und nimmt sie ab, sobald eine andere Person das Wort ergreift und ein Zitat verliest oder einen eigenen Beitrag abgibt.

Im Verlauf eines sich hoffentlich allmählich ergebenden regen Austauschs, sollte dadurch, dass die Vermittlerin beim Zeigen von Details der Arbeit der Gruppe auch ab und an den Rücken zukehrt, der Schriftzug »kein Wort« auf der Rückseite ihres Shirts auch für diejenigen TeilnehmerInnen sichtbar werden, die ihn bisher nicht bemerkt haben sollten.

Im Anschluss an dieses Gespräch lädt die Vermittlerin die Gruppe ein, sich schon einmal die vierte Arbeit in Ruhe anzusehen.

5th Choice - ca. 20 min. (»Studentin der Kunstpädagogik«)

Während dessen zieht sich die Vermittlerin ein anderes Kleidungsstück über, auf dem nun gut lesbar steht: »Dieser Diskurs ist nicht nur, was Sie sehen, er ist, wodurch Sie sehen«(11). Das Namensschild bleibt vorläufig unbeschriftet. Dann begibt sie sich wieder in die Gruppe, ohne dabei eine zentrale Position einzunehmen und fragt nach kurzem Schweigen:

„Was sehen Sie? Können Sie hier oder auch dort tatsächlich Kunst erkennen?“ [einige wenige Personen aus der Gruppe, werden nun höchstwahrscheinlich bereits von sich aus die Arbeit beschreiben und/oder erste Deutungsansätze formulieren].

Nach kurzer Zeit beendet die Vermittlerin die Situation, tritt wieder deutlich in den Vordergrund und gibt den TeilnehmerInnen folgendes zu bedenken:

„Manchmal ist mit dem bloßen Auge nicht viel, in jedem Fall aber nicht alles zu erkennen. Ich möchte Sie auf ein kleines Experiment einladen“ [setzt sich nun eine Brille auf, auf deren Brillengläsern jeweils ein Ohr abgebildet ist, so dass sie quasi blind ist]. Dann gibt sie zu der Arbeit unterschiedliche Informationen, die man wissen sollte, aber eben nicht sehen kann, wie zum Beispiel:

„›Wrong Gallery‹ aus New York, ist ein 1 Quadratmeter großer Raum hinter einer Glastür im Galerienviertel Chelsea.“ [hält kurz inne] „›Wrong Gallery‹ ist ein Aufsehen erregendes Ausstellungsprogramm“ [hält kurz inne] „›Wrong Gallery‹ ist ein kleiner, effektiver Parasit in der Londoner Tate Modern“ [hält kurz inne] „›Wrong Gallery‹ ist ein Künstler.“ [kurze Pause] „›Wrong Gallery‹ ist ein Kurator“ [hält kurz inne] „Und ›Wrong Gallery‹ ist auch eine Kritikerin“.(12)

Dann nimmt die Vermittlerin die Brille für einen kurzen Moment ab, schaut in die Runde, setzt die Brille wieder auf und sagt dann:

„Und ich bin übrigens tatsächlich Studentin der Kunstpädagogik“ [währenddessen wird ein neues Namensschild angebracht, auf dem nun steht: »N.N., Studentin der Kunstpädagogik« [kurzer, überprüfender Blick in die Runde] „– Was sehen Sie jetzt?“ [Hand deutet vom Namensschild wieder in Richtung der eben betrachteten Arbeit] „Hat sich etwas verändert? Und wenn ja, was hat sich ggf. jeweils verändert und warum? Sehen Sie jetzt mehr und anderes?“

An dieser Stelle sollte nach einem kurzen Sammeln der ersten Äußerungen der BesucherInnen durch die Vermittlerin eine Diskussion über die unterschiedlich rahmenden ›Brillen‹, die den Blick auf eine künstlerische Arbeit anders einstellen und damit das Gesehene jeweils anders erscheinen lassen, eingeleitet werden. Hierfür geht sie zunächst wie folgt vor:

„Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, erinnern wir uns doch an dieser Stelle zunächst noch einmal an Ihre bei den ersten zwei betrachteten Arbeiten erstellten Notizen [holt die eingesammelten Zettel mit den anonymen Geboten und Begründungen hervor, mischt und verteilt sie, sodass jede Person aus der Gruppe ein ihm fremdes Statement erhält und damit niemand das Gefühl hat, sich vor der Gruppe bloßstellen zu müssen]. Ich bitte sie nun aus den Aufzeichnungen ihrer MitstreiterInnen die Gründe vorzulesen, warum sich jemand im Einzelnen zum »Kauf« eines der beiden eingangs betrachteten »Kunstwerke« entschieden hat“ [Hände beschreiben in beiden Fällen Anführungszeichen].

Damit sich die Diskussion weiter entfalten kann, strukturiert die Vermittlerin die Situation, indem sie zunächst das jeweilige Startgebot für die erste Arbeit wiederholt und fragt: „Wer bietet mehr?“ Meldet sich jemand mit einem höheren Gebot, wird diese Person gebeten, auch die auf dem Zettel notierte Begründung vorzustellen. Anschließend wird die Begründung für das Kaufinteresse diskutiert, sodass möglichst viele unterschiedlich mögliche Funktionen der ›Kunstwerke‹ miteinander in Widerstreit treten können. Kurz darauf nimmt die Vermittlerin wieder eine zentrale Position vor der Gruppe ein, und sagt langsam und deutlich:

„Nachdem Sie im Verlauf der Führung Kunst aus verschiedenen Blickwinkeln kennen gelernt haben, möchte ich mit Ihnen rückblickend erörtern, welche Faktoren denn eigentlich dafür bestimmend sind, dass ein Objekt überhaupt als Kunst gilt; oder anders herum betrachtet: Unter welchen Voraussetzungen ein bestimmtes Objekt eben nicht als Kunst angesehen wird. Um diese Frage weiter zu klären, möchte ich Sie nun einladen, gemeinsam mit mir eine weitere Arbeit kennen zu lernen. Bitte folgen sie mir.“

Bei dieser fünften und letzten Arbeit handelt es sich möglichst um eine, die sich im Außenraum befindet oder mit Blick auf diesen kuratiert ist, sodass nun der »Zoom« auf eine Stufe »geschaltet« werden kann, auf der der spezifische Standort des Ausstellungsgebäudes als weitere Kunst konstituierende Rahmung in die Diskussion einbezogen werden kann.(13) Die Vermittlerin begleitet die Gruppe also im Zweifelsfall nach draußen und setzt sich währenddessen wiederum eine andere Brille auf.(14) So ausgestattet gibt sie zunächst allgemeine, grundlegende Informationen zu dieser Arbeit und zu dem/der verantwortlichen Künstler/in ab.

Direkt daran anschließend thematisiert sie die wirtschafts-, kultur- und standortbezogenen Funktionen von subvision [Hände verweisen auf die jeweiligen Prestigebauten] und kommt letztlich auf die kurz zuvor gestellte Frage zurück, um wieder in ein gemeinsames Gespräch überzuleiten. Hierbei nimmt die Vermittlerin die zuletzt eingesetzte Brille ab und bezieht baldmöglichst die aktuelle Shirtaufschrift als weiteren Diskussionsanlass mit ein, sofern die Gruppe nicht von selbst auf diese zu sprechen kommt.

Damit die vorangegangenen Rollenwechsel von der »Kunsthistorikerin« bis hin zur »Studentin der Kunstpädagogik« nicht nur als Gag erscheinen und als solcher missverstanden werden, soll das Publikum mit folgender These konfrontiert werden:

„Genau genommen betrachte ich meine Auf-Führung selbst auch als einen Typus künstlerischer Arbeit, weil ich die Vermittlung von Kunst performativ vermittle. Sie konnten ja selbst erleben, dass die ausgestellten ›Kunstwerke‹ erst durch die Vermittlung verschiedenster Kontexte (Institutionen, Traditionen, Präsentationen, Kommentare,...) als Kunst erfahrbar werden. Und nicht zu vergessen ist auch, dass eder von Ihnen als Publikum auch Teil des Kontextes ist. Wenn aber alle diese für Kunst konstitutiven Kontexte selbst zum Gegenstand der Vermittlung gemacht und zum Sprechen gebracht werden, dann ist die Vermittlung als Kontext von dem, was eigentlich als Text (= ›Kunstwerk‹) gilt, tatsächlich nicht mehr zu trennen.“

Im Anschluss an eine kurze abschließende Diskussion dieser Fragen bedankt sich die Vermittlerin bei den TeilnehmerInnen für deren Aufmerksamkeit und verabschiedet sich.

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(1) Für den Begriff des Kommentars/der Kommentierung habe ich mich durch die Lektüre von Arnold Gehlens Text »Zeitbilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei« entschieden. In »Teil XI: Kommentarbedürftigkeit « heißt es bei Gehlen: »Die gesamte Literatur [Schriften, Reden, Manifeste über Kunst, J.Z.] gehört also zum Wesen der Sache selbst, sie ist […] substanzieller Bestandteil der Kunst, die sich in zwei Strömen manifestiert, einem optischen und einem verbalen. Man kann sich umgekehrt diese Schriften auch nicht als solche und für sich aneignen, sie legen sich wie ein zweiter Rahmen um die Bilder herum«. Vgl. Arnold Gehlen: Zeitbilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, Frankfurt am Main u.a.: Athenäum Verlag 1965, S. 162ff.

(2) Vgl. Karl-Josef Pazzini: »Kunst existiert nicht, es sei denn als angewandte«, in: BDK-Mitteilungen 2 (2000), S. 34-39, hier S. 34f.

(3) Vgl. Arnold Gehlen: Zeitbilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, Frankfurt am Main u.a.: Athenäum Verlag 1965, S. 51ff.

(4) Vgl. Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, S. 12

(5) Vgl. Michael Lingner: »Optimale Objekte. Oder: Wie kann man heute noch meinen, Kunst sei ausstellbar«, in: Munitionsfabrik 15. Empty Rooms, Hochschule für Gestaltung Karlsruhe 2005, http://www.ask23.de/draft/archiv/ml_publikationen/kt05-4.html (aufgerufen: 27.10.2008)

(6) Vgl. Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, S. 63.

(7) Vgl. http://www.subvision.de/blog/?page_id=2&language=de (aufgerufen: 09.10.2008)

(8) Ebd.

(9) Vgl. http://www.subvision.de/blog/?page=33&language=de#more-33 (aufgerufen: 02.05.2009)

(10) Vgl. http://www.subvision.de/blog/?page=33&language=de#more-33 (aufgerufen: 02.05.2009)

(11) Gerahmte Schrifttafel in der Ausstellung »Louise Lawler - Paris New York Rome Tokyo«, Metro Pictures, New York 1985 zit. n. Johannes Meinhardt: »Erhellende Konstellation - Louise Lawlers Photographien und Installationen«, in: Kunstforum International 153 (2001), S. 230 - 249, hier S. 245.

(12) Vgl. http://www.subvision.de/blog/?p=33&language=de (aufgerufen: 10.10.2008)

(13) Hierfür bieten sich bspw. Initiativen an, die sich als »community oriented«, d.h. in einem starken produktiven Abhängigkeitsverhältniszu ihrer sozialen Umgebung verstehen, wie etwa die Initiative ›Gugulective‹ aus Kapstadt, das US-mexikanische interdisziplinäre und transnationale Arbeitsprojekt ›Estación Tijuana‹ oder auch das ursprüngliche Nachbarschaftshife-Projekt ›Isola Art Center‹ aus Mailand. Vgl. http://www.subvision.de/blog/?p=33&language=de#more-33 (aufgerufen: 03.05.2009)

(14) Ich dachte dabei an eine Art »Hafencity-Panorama-Brille«


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