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Kirstin Burckhardt

Cross-over

Der künstlerische Arbeits- und Werkbegriff im Kreuzfeuer

Abstract:

Statt von Werken spricht man heute im Zusammenhang mit Kunst eher von „Arbeiten“. Was aber steckt hinter der Verwendung dieses Begriffes?

Was soll das eigentlich sein, eine künstlerische Arbeit? Und wie lässt sich ihre Qualität überhaupt bewerten? Tritt diese möglicherweise gar nicht immer sichtbar in Erscheinung, sofern das Kunsthafte sich schließlich nicht in ihrer Materialität erschöpfen muss?

Um sich einer Beantwortung dieser Fragen zu nähern, wollen wir gemeinsam den alltäglichen „Arbeits-Begriff“ auf den künstlerischen Kontext beziehen und seine jeweilige Verwendung untersuchen.

Einleitung:

Die Kunstvermittlerin begrüßt die Gruppe außerhalb der Ausstellungsräume und stellt sich kurz vor. Danach gibt sie allgemeine und grundlegende Informationen

- zur Thematik und zum Anlass der Ausstellung

- zum Veranstalter und zum kuratorischem Konzept

- zu den Besonderheiten von Ausstellungsort, -architektur und Präsentationsformen

- zu den Auswahlkriterien der KünstlerInnen bzw. der gezeigten Arbeiten

- zum Vermittlungskonzept und dessen Grundintention

- zur Anzahl und Auswahl der behandelten Arbeiten

- zur Dauer der Führung

Um die TeilnehmerInnen zur Auseinandersetzung mit der Thematik zu motivieren, fährt sie folgendermaßen fort:

Ich habe nun immer von künstlerischen „Arbeiten“ gesprochen, was Ihnen vielleicht gar nicht weiter aufgefallen sein mag. Es ist ein Wort, was in Bezug auf Kunst gerne Verwendung findet. Ich würde sogar sagen, dass „Arbeit“ den Begriff des „Kunstwerkes“ heute weitgehend ersetzt hat. Aber wieso ist das so? Hört sich „Kunstwerk“ einfach ein bisschen altmodisch an? Oder passt der Begriff „Arbeit“ einfach besser zu der heutigen Kunst, die ja nicht zuletzt durch den Gebrauch neuzeitlicher Medien in vieler Hinsicht eine Entmystifizierung und Verzeitlichung erfahren hat? Den Begriff „Werk“ verbindet man dagegen ja eher mit den Hervorbringungen der alten Meister, und „Arbeiten“ deckt dagegen ein breiteres und vielleicht moderneres Spektrum ab.

Die Vermittlerin erläutert anschließend die Themenrelevanz dieser Führung im Hinblick auf den jeweiligen Ausstellungszusammenhang (in Bezug auf subvision):

Der Begriff der Arbeit steht mit Off-Kunst in einem besonderen Zusammenhang. Innerhalb der Off-Kunst-Szene wird der Begriff des „Werkes“ mit einem gewissen Argwohn betrachtet, da dieser einen konservativen Beigeschmack enthält, von dem sich die Off-Kunst distanzieren möchte. Der etwas neutralere Begriff der „Arbeit“ kann der Vielseitigkeit der Off-Künste vielleicht besser gerecht werden. Zudem steht oft das Kunstpublikum der Off-Kunst durchaus kritisch gegenüber und zweifelt an, ob es sich bei den künstlerischen Arbeiten überhaupt um Kunstwerke handelt. Es ist also nicht nur naheliegend, sondern notwendig, sich der Frage nach der Verwendung des „Arbeits“-Begriffes im Off-Kontext anzunehmen.

Einführung in die Thematik der Führung:

Um sich der Thematik von künstlerischer „Arbeit“ anzunähern, möchte ich Ihnen eine Hypothese vorstellen, die ein gemeinsames Verständnis des Arbeitsbegriffs ermöglichen soll:

Es wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass in einer Gesellschaft jede Person eine Aufgabe wahrnimmt. In der Erfüllung ihrer Aufgabe trägt sie etwas zur Gemeinschaft bei und wird dadurch zum Mitglied der Gesellschaft. Oft ist die Erfüllung einer Aufgabe an Beruf und Arbeit gekoppelt. Lässt sich eigentlich ohne Weiteres von dieser Hypothese ausgehen, wenn der Begriff „Arbeit“ im künstlerischen Kontext verwendet wird? Wie kann mit dem Arbeitsbegriff im Kunstbereich adäquat umgegangen werden?

Bei der Annäherung an diese Problematik ergeben sich zwangsläufig weitere Hypothesen und Fragen:

- Das Bild von KünstlerInnen und ihrer Arbeit ist zumeist von einem Mythos geprägt. Von KünstlerInnen und ihren Arbeiten wird erwartet, dass sie unabhängig von gesellschaftlichen Normen, und frei(er) von damit verbundenen Zwängen sind. Was geschieht also, wenn man ein so gewöhnliches und profanes Wort wie „Arbeit“ mit künstlerischer Produktion in Verbindung bringt, die ja etwas Besonders sein soll? Verliert dann nicht künstlerisches Schaffen durch diesen „normalen“ Begriff „Arbeit“ ihre Sonderstellung in der Gesellschaft?

- Macht die Verwendung des Begriffs „Arbeit“ das künstlerische Schaffen mit anderen Arbeitsformen in unserer Gesellschaft vergleichbar?

- Verändert so die Verwendung dieses Begriffs unser Denken über Kunst?

- Und wird nicht sogar das Schaffen der KünstlerInnen durch den Gebrauch dieses Begriffs beeinflusst?

- Können wir also soweit gehen, dass Kunst durch die Einführung des Arbeitsbegriffs eine neue Bedeutung zugeschrieben wird und vielleicht darüber hinaus eine ganz neue Bewertung erfährt?

Es soll bei dieser Führung nicht darum gehen, endgültige Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zu finden. Vielmehr sollen alle Fragestellungen als Anreiz und Grundlage für Auseinandersetzungen und die eigene Meinungsbildung dienen. Somit wird sich diese Führung von klassischen Führungen unterscheiden, da ich Ihnen nicht nur eine Betrachtungs- und Interpretationsweise „servieren“ werde. Mir geht es um die Ermöglichung eines gemeinschaftlichen Nachdenkens, das sich nicht ausschließlich auf spezifische Künstler oder Werke bezieht, sondern auch grundsätzliche Fragen der Kunst betrifft. Kunstvermittlung wird hier also in einem erweiterten Sinn verstanden und praktiziert; auch, um die Reflexionen in andere Zusammenhänge übertragbar zu machen, sodass Sie gleichermaßen bei künftigen Begegnungen mit Kunst davon profitieren können.

[Nach Möglichkeit wird für die Fortsetzung der Führung ein ruhigerer Raum aufgesucht.]

Teil A: „Die Maus Frederick“

Zu Beginn der Führung werde ich Ihnen Passagen aus einer kurzen Kindergeschichte vorlesen. Das mag Sie überraschen, doch bietet diese Erzählung einen guten Einstieg, dieses doch recht abstrakte Thema zu veranschaulichen. Vielleicht ist Ihnen ja das beliebte Kinderbuch von Leo Lionni: „Die Maus Frederick“ bereits bekannt.

[Die Geschichte wird zügig vorgelesen]

Leo Lionni

Frederick

Deutsch von Günter Bruno Fuchs

Hrsg: 1967

Rund um die Wiese herum, wo Kühe und Pferde grasten, stand eine alte, alte Steinmauer. In dieser Mauer – nahe bei Scheuer und Kornspeicher – wohnte eine Familie schwatzhafter Feldmäuse [...] Und weil es bald Winter wurde, begannen die kleinen Feldmäuse Körner Nüsse, Weizen und Stroh zu sammeln. Alle Mäuse arbeiteten Tag und Nacht. Alle – bis auf Frederick.

„Frederick, warum arbeitest du nicht?“, fragten sie. „Ich arbeite doch“, sagte Frederick, „ich sammle Sonnenstrahlen für die kalten, dunklen Wintertage.“

Und als sie Frederick so dasitzen sahen, wie er auf die Wiese starrte, sagten sie: „Und nun, Frederick, was machst du jetzt?“ „Ich sammle Farben“, sagte er nun, „denn der Winter ist grau.“ Und einmal sah es so aus, als sei Frederick halb eingeschlafen. „Träumst du, Frederick?“, fragten sie vorwurfsvoll. „Aber nein“, sagte er, „ich sammle Wörter. Es gibt viele lange Wintertage – und dann wissen wir nicht mehr, worüber wir sprechen sollen.“

Als nun der Winter kam und der erste Schnee fiel, zogen sich die fünf kleinen Feldmäuse in ihr Versteck zwischen den Steinen zurück. In der ersten Zeit gab es noch viel zu essen und die Mäuse erzählten sich Geschichten [...] Da war die Mäusefamilie ganz glücklich! Aber nach und nach waren fast alle Nüsse und Beeren aufgeknabbert, das Stroh war alle und an Körner konnten sie sich kaum noch erinnern. Es war auf einmal sehr kalt zwischen den Steinen der alten Mauer und keiner wollte mehr sprechen. Da fiel ihnen plötzlich ein, wie Frederick von Sonnenstrahlen, Farben und Wörtern gesprochen hatte. „Frederick“, riefen sie, „was machen deine Vorräte?“„Macht die Augen zu“, sagte Frederick [...] „Jetzt schicke ich euch die Sonnenstrahlen. Fühlt ihr schon, wie warm sie sind? Warm, schön und golden?“ Und während Frederick so von der Sonne erzählte, wurde den vier kleinen Mäusen schon viel wärmer. Ob das Fredericks Stimme gemacht hatte? Oder war es ein Zauber?

„Und was ist mit den Farben, Frederick?“, fragten sie aufgeregt. „Macht wieder eure Augen zu“, sagte Frederick. Und als er von blauen Kornblumen und roten Mohnblumen im gelben Kornfeld und von grünen Blättern am Beerenbusch erzählte, da sahen sie die Farben so klar und deutlich vor sich, als wären sie aufgemalt in ihren kleinen Mäuseköpfen. „Und die Wörter, Frederick?“ Frederick räusperte sich, wartete einen Augenblick und dann sprach er wie von einer Bühne herab:

„Wer streut die Schneeflocken? Wer schmilzt das Eis?

Wer macht lautes Wetter? Wer macht es leis?

Wer bringt den Glücksklee im Juni heran?

Wer verdunkelt den Tag? Wer zündet die Mondlampe an?

Vier kleine Feldmäuse wie du und ich

wohnen im Himmel und denken an dich.

Die Erste ist die Frühlingsmaus, die lässt den Regen lachen.

Als Maler hat die Sommermaus die Blumen bunt zu machen.

Die Herbstmaus schickt mit Nuss und Weizen schöne Grüße.

Pantoffeln braucht die Wintermaus für ihre kalten Füße.

Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind vier Jahreszeiten.

Keine weniger und keine mehr. Vier verschiedene Fröhlichkeiten.“

Als Frederick aufgehört hatte, klatschen alle und riefen: „Frederick, du bist ja ein Dichter!“ Frederick wurde rot, verbeugte sich und sagte bescheiden: „Ich weiß es – ihr lieben Mäusegesichter!“

Nun wird die Geschichte und ihre Implikationen in Hinblick auf „künstlerische Arbeit“ unter drei wichtigen Aspekten besprochen. Folgende Fragen könnten dabei leitend sein:

Prozess-/ Tätigkeitsapekt:

- Was tut Frederick und was machen die anderen Mäuse?

- Was unterscheidet Fredericks Tun von dem der anderen Mäuse?

- Lässt sich Fredericks Tätigkeit als Arbeit begreifen ?

Produktaspekt:

- Was ist der Zweck des Sammelns bei den Mäusen?

- Erfüllt das Sammeln bei Frederick auch einen Zweck oder vielmehr einen Sinn?

- Welche Wünsche/ Bedürfnisse werden dadurch jeweils befriedigt ?

- Ist das eine Arbeitsergebnis wichtiger als das andere?

- Oder sind die Produkte des Arbeitens völlig unvergleichbar?

Künstleraspekt:

- Lässt sich aufgrund der festgestellten Ähnlichkeiten und Unterschiede in Fredericks Arbeitsprozessen und -produkten gegenüber den anderen Mäusen eine zutreffende Bezeichnung für die Tätigkeit von Frederick finden?

- Die Mäuse sagen am Ende, dass Frederick ein Dichter sei - aber können wir dem ohne weiteres zustimmen?

- Passt dieses Bild von einem Künstler mit Ihrer Vorstellung von einem Künstler zusammen?

- Aber ist denn das, was Frederick schafft, tatsächlich Kunst? Können wir seine Tätigkeit als künstlerische Arbeit bezeichnen?

Nach der Diskussion wird zusammenfassend festgehalten:

Künstlerische Arbeit kann sich nicht in Unterhaltung erschöpfen. Denn dann erläge sie dem Anspruch jedem gefallen zu müssen und dürfte nichts wirklich Unangenehmes, Fremdartiges, Provokantes, Kritisches oder Tabuisiertes thematisieren oder gar behandeln.

Der Kern künstlerischer Arbeit ist ideell, auch wenn das Produkt selbst (also die Arbeit) materiellen Charakter hat.

Ob etwas als Kunst aufgefasst wird oder nicht, wird subjektiv bestimmt. Manche mögen Fredericks Schaffen als Kunst verstehen, andere wiederum nicht.

Wenn künstlerische Arbeit wesentlich ideell und ihr Wert nur subjektiv bestimmbar ist, auf welche Weise lässt sich dann ihre objektiv Qualität beurteilen? Und die Qualität müssen wir schließlich bestimmen, sonst wissen wir nicht, was eine gute künstlerische Arbeit von einer weniger guten künstlerischen Arbeit unterscheidet und ob etwas überhaupt Kunst ist, was der Künstler tut und hervorbringt.

Da offenbar die Beurteilung von künstlerischen Arbeiten nach dem subjektiven Gefallen unzureichend bleibt, habe ich mich nach objektiveren Beurteilungsmöglichkeiten umgeschaut. Es wird Sie erstaunen, dass ich dabei auf einen Bogen der Stiftung Warentest für künstlerische Arbeiten gestoßen bin.

Teil B: Stiftung Warentest

Zu etwa zwei, möglichst unterschiedlich künstlerisch positionierten, vorab von der Kunstvermittlerin ausgewählten Arbeiten werden Grundinformationen (Name des Künstlers, Nationalität, Bekanntheitsgrad, häufige Themen, Techniken, Medien....) und Gelegenheit zu Nachfragen gegeben. Nach einer Meinungsbildung wird in der Gruppe mehrheitlich entschieden, mit welcher der vorgestellten Arbeiten eine intensivere Auseinandersetzung gewünscht wird.

Die TeilnehmerInnen führen dann eine Bewertung der jeweils ausgewählten Arbeit à la „Stiftung Warentest“ durch. Dazu werden Stifte und die entsprechenden Testbögen ausgeteilt, deren Aufbau und einzelne Beurteilungskriterien erläutert werden. Die Skala der Bewertung wird entsprechend der Schulnoten von 1-6 festgelegt - ganz nach „Stiftung-Warentest-Manier“.

(ABBILDUNG)

Für das Ausfüllen des Testbogens stehen 5-10 min. zur Verfügung, wobei Nachfragen an die Kunstvermittlerin möglich sind. Anschließend findet sich die Gruppe wieder zusammen, um die Bewertungen zu vergleichen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen sowie über deren Ursachen zu diskutieren. Dabei sollte sich jeder ein Kriterium aussuchen, dem er eine besondere Gewichtung geben möchte.

Nachdem jeder den Fragebogen ausgefüllt und die Gruppe sich wieder zusammengefunden hat, sollen zuerst einzelne Kriterien exemplarisch besprochen werden. Beim Vergleich der Bewertungen wird deutlich, dass die Bewertung bei demselben Kriterium mehr oder weniger variieren können. Es wird deutlich, dass es objektivere und subjektivere Kriterien gibt.

Weiterführende Fragen für das Gespräch darüber könnten sein:

- Gibt es noch weitere Qualitätskriterien für Sie, als die auf dem Bogen genannten?

- Was wäre noch hinzuzufügen?

- Bei der Bewertung gewichtet Stiftung Warentest bestimmte Kategorien stärker als andere. Welche wären das für Sie?

Es kann auch das Bedürfnis entstehen, sich darüber auszutauschen, ob das Bewerten von Arbeiten nach so festgelegten Kategorien wie auf dem Bogen eigentlich legitim ist.

- Was haben Sie beim Ausfüllen des Fragebogens empfunden?

- Finden Sie, dass wir die künstlerische Qualität mit diesem Fragebogen treffend erfasst haben?

- Denken sie an Frederick zurück. Obwohl wir ja gesagt haben, dass Fredericks Produkt eher Unterhaltung ist und weniger Kunst - Was hat seine Arbeit/sein Produkt ausgemacht? Finden Sie das in diesem Bewertungsbogen wieder?

- Fällen Ihnen angemessenere Bewertungskriterien für Kunst ein?

- Worin sehen Sie das Hauptproblem oder das generelle Problem in der Bewertung von Kunst?

Abschluss:

Wo stehen wir jetzt in Bezug auf die Frage, was künstlerische Arbeit(en) auszeichnet? Anhand der Frederick-Geschichte haben wir gesehen, dass zwischen den Arbeitsergebnissen von Frederick und den anderen Mäusen ein wesentlicher Unterschied besteht – es werden ganz verschiedene Bedürfnisse befriedigt: Einmal ideelle, einmal materielle. Aber auch wenn sich eine künstlerische Arbeit immer in irgendeiner Weise materialisiert, ist sie im Kern doch ideell.

Für die Bestimmung der Qualität einer Arbeit brachte uns diese Feststellung aber nicht weiter. Unsere rein subjektive Beurteilung wie beim Frederick-Beispiel kam uns ebenso unzureichend vor wie die Suche nach objektiveren Qualitätskriterien durch Anwendung eines Bewertungsbogens à la Stiftung Warentest. Denn wir mussten an den differierenden Testergebnissen erkennen, dass wir auch hier genauso wenig wie beim Frederick-Beispiel zu einheitlichen und damit verlässlichen Urteilen gekommen sind. Die sich beim Test ergebende Gesamtnote steht zwar für unsere persönliche Meinung; übertragbar und somit objektiv ist sie aber noch lange nicht. Und abgesehen davon ist fraglich, ob solche Kriterien für die adäquate Bewertung von Kunst überhaupt angemessen sind.

Wie lässt sich diese Problematik überwinden?

Auch wenn in der Kunst wohl kaum mit „Stiftung-Warentest-Bögen“ oder Schulnoten operiert wird, bewertet werden künstlerische Arbeiten allemal. Der heute bevorzugt gewählte Ausweg aus dem von uns festgestellten Bewertungsdilemma wird in der Verabsolutierung finanzieller Bewertungskriterien (=Preis) gesucht. Es gilt die einfache Regel: Je teurer, desto besser. Es ist aber sehr bedenklich, wenn der stets variable Marktwert einer Arbeit mit ihrem künstlerischen Wert einfach gleichgesetzt wird. Denn wie sollte ein eigentlich ideeller Wert (wie der künstlerische) einem materiellen Wert entsprechen können? Mit dem Preis müsste ja auch die künstlerische Qualität steigen – und umgekehrt.

Auch wenn Geld die Kunst faktisch regieren mag und auch für die Realisationsmöglichkeit von subvision schließlich nicht ganz unwichtig ist, taugt es nicht als Maßstab für eine ernstzunehmende Bewertung des Künstlerischen. Zwar kann auch dieser Aspekt in eine Auseinandersetzung mit Kunst durchaus einfl ießen, aber es fragt sich, durch welche Betrachtungsweisen eine tiefere und nachhaltige Wertschätzung künstlerischer Arbeit zu erlangen ist?

Wenn ich nicht professioneller Kunstkritiker oder Kunstinvestor bin, ist derjenige Wert einer Arbeit entscheidend, den sie für mich persönlich hat. Den bekommt sie aber nicht dadurch, dass sie mir rein oberfl ächlich gefällt – dann würde es sich ja um ein reines Konsumobjekt handeln. Vielmehr wird eine Arbeit für mich wertvoll, wenn ich durch sie meine eigenen ästhetischen Interessen zu entdecken und zu entwickeln vermag. Dies kann nur in der intensiven Kommunikation mit der Arbeit gelingen, indem sie es mir ermöglicht, in einer produktiven Weise mit ihr zu arbeiten. Etwas zu schaffen, was sich in diesem Sinne als Arbeit erweist, was also das Anreizpotential und die Möglichkeit zur Auseinandersetzung bietet, ist dagegen die wesentliche Aufgabe des Künstlers.

Den Wert einer künstlerischen Arbeit liegt also nicht in ihr selbst, so dass die Aufgabe des Betrachters lediglich darin bestünde, diesen vermeintlich bereits objektiv vorhandenen aber verborgenen Wert irgendwie nachzuvollziehen. Dem Betrachter käme eher eine passive Rolle zu, wenn er sich darauf beschränkte, dem Anspruch des Werkes gerecht zu werden, statt mit der Arbeit seine eigenen Interessen zu verfolgen. Erst dann werden wir als Rezipienten zu Akteuren, die sich mit den künstlerischen Arbeiten auseinandersetzen und durch eine gelingende Kommunikation von diesen zu profitieren suchen. Haben wir durch unser Arbeiten (was durchaus spannend und lustvoll sein sollte) die künstlerische Arbeit für uns fruchtbar machen können, so ist sie für uns wertvoll geworden. Sie besitzt nicht mehr nur einen symbolischen, sondern gewinnt einen realen Wert für uns, den wir selbst bestimmt haben.

Einen letzten unsere Überlegungen ergänzenden Gedanken möchte ich Ihnen abschließend noch zu bedenken geben: Dass es uns die Kunst nicht nur erlaubt, sondern geradezu erzwingt, nach für uns gültigen Bewertungskriterien zu suchen, ist bereits ein Wert an sich und ein guter Grund für ihre Existenz. Eigentlich alle anderen gesellschaftlichen Bereiche präsentieren sich dagegen so, als ob die Wertvorstellungen in ihnen bereits festgelegt und unabänderlich seien. Ob dies den Interessen aller möglicherweise Betroffenen dient, findet dabei wenig Berücksichtigung. Dagegen kann es in der Kunst einen spielerischen und insofern wahrhaft freien Wertediskurs geben. Ihn zu praktizieren war das Ziel dieser Führung und die Besprechung des Arbeitsbegriffs. Was besser sollte dafür geeignet sein als Off-Kunst, die selbst auf der Suche nach Ihrem Wert ist?

Vielen Dank für ihre Aufgeschlossenheit !


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