Inke Schlör
Blind Date
Begegnungen mit Künstlern und ihrer Kunst
1. Abstract
Was passiert, wenn man als Kunstbetrachter nicht nur die Kunstwerke, sondern auch die Künstler befragen kann - wenn einem also der Künstler als Kenner der eigenen Arbeit selbst Zugänge zu seinen Werken eröffnet?
Wenn man davon ausgeht, dass der Künstler als Experte bei der Kunstvermittlung hilfreich, vielleicht sogar nötig ist, liegt die Frage nah, wie seine Kunst überhaupt entstanden ist: Die künstlerischen Arbeitsprozesse geraten in unseren Blick. Den Weg von der ersten Idee über verschiedene formale Umsetzungen bis hin zur fertigen materiellen Manifestation gilt es zu befragen.
In dieser Führung wird die besondere Möglichkeit gegeben, sich zum einen mit ausgewählten Arbeiten zu beschäftigen und zum anderen mit dem jeweiligen Künstler darüber in ein Gespräch zu kommen.
2. Absicht
Gerade bei Künstlern die im Off-Kontext arbeiten, kann der Begriff von Kunst offen und entgegen gängigen Sehgewohnheiten besonders neuartig sein. Aus diesem Grund, wird der Künstler als Informationsquelle für den Zugang zu seiner Kunst sehr wichtig.
Um das Publikum bei den Gesprächen mit den Künstlern zu motivieren, alle es interessierenden Fragen zu äußern, wird eine offene Kommunikationsweise angestrebt. Die angebotene exklusive Auseinandersetzung mit dem Künstler soll außergewöhnliche Einblicke in die künstlerische Praxis und ihre intensiviere Erfahrbarkeit ermöglichen.
3. Vorbereitung
3.1 Gespräch mit dem Künstler
Vermittler und Künstler treffen sich vorab, um Inhalt und Ablauf der Vermittlungseinheit zu besprechen.
Bei dieser Zusammenkunft sind
- grundlegende Informationen zur Person und Arbeit des Künstlers einzuholen
- allgemeine und spezielle Informationen zu den ausgewählten Exponaten zu erfragen
- die zu vermitte Vermittlungseinheit vorkommende Inhalte bzw. Fragen zu erörtern
- Vorschläge des künstlers zu Getränken und kleinen Speisen zu sammeln, die den Teilnehmern angeboten werden sollen.
3.2 Vorarbeit des Kunstvermittlers
Nach Auswertung des Vorgesprächs erstellt der Vermittler ein Profil des Künstlers und bündelt die eingeholten Informationen und seine eigenen Beobachtungen zu Kernthesen mit dem Ziel, einen vorläufigen Gesprächsleitfaden für die Durchführung der Vermittlungseinheit zu formulieren.
Um auf die Vermittlungseinheit aufmerksam zu machen, wird ein größerer Tisch in einen der Ausstellungsräume gestellt. Dieser soll gedeckt sein und den Eindruck erwecken, als hätten gerade Personen daran gesessen und gegessen. Auf einem am Tisch angebrachten Schildchen wird die Führung folgendermaßen angekündigt:
»Blind Date«
.Begegnungen mit Künstlern und ihrer Kunst
x mal täglich. Max. 12 Personen. Treffen yz Uhr. Dauer 1,5 Stunden.
Anmeldung am Eingang
4. Ablauf
4.1 Einstieg - 5 bis 10 Min.
Zum angegebenen Zeitpunkt trifft sich die Gruppe. Der Vermittler begrüßt die Teilnehmer, stellt sich vor und gibt Einstiegsinformationen:
- zur Thematik und zum Anlass der Ausstellung
- zum Veranstalter und kuratorischen Konzept
- zur Besonderheit des Ausstellungsortes, der Ausstellungsarchitektur und der speziellen künstlerischen Präsentationsformen
- zu den Auswahlkriterien der Künstler bzw. der Arbeiten
- zu Grundintention, Thematik, Anzahl der zu besprechenden Arbeiten und zur voraussichtlichen Dauer der Führung
- zur Relevanz des Vermittlungskonzeptes im Zusammenhang mit den Besonderheiten der Ausstellung.
4.2 Parcours - ca. 50 Min.
Im Anschluss leitet der Vermittler die Gäste an den Tisch. Dieser ist nun aufgeräumt und frisch gedeckt. Nachdem sich alle gesetzt haben, wird der genaue Ablauf der Führung erläutert:
Im ersten Teil der Führung wird es darum gehen, sich möglichst intensiv mit den Arbeiten auseinander zu setzen und daraus Fragen für das nachfolgende Gespräch mit dem Künstler zu entwickeln. Zunächst werden wir in einer Art Parcours von Arbeit zu Arbeit gehen, wobei jeweils ca. 10 Min. vorgesehen sind, und uns dabei in folgender Weise mit ihnen beschäftigen:
1. Sie haben einen Augenblick Zeit, die Arbeit unmittelbar auf sich wirken zu lassen, um einen ersten Eindruck zu gewinnen.
2. Ich stelle ihnen die Arbeit anhand grundlegender Informationen vor.
3. Sie bekommen von mir Stifte, Klemmbretter und den so genannten Impulsbogen, mit dessen Hilfe Sie ihre Betrachtung strukturieren und ihre Gedanken festhalten können.
4. Der Bogen ist so aufgebaut, dass je eine Seite für eine Arbeit vorgesehen ist. Es werden verschiedene Frageperspektiven angeboten, denen ein Spektrum an beispielhaften Begriffen untergeordnet ist. Das Ganze soll als Impuls dienen, um auf eigene Gedanken und Fragen zu kommen. Insofern ist das Papier als Anregung gemeint und nicht als Fragebogen, den man mit Ja oder Nein beantworten kann.
Der Vermittler hält das Papier hoch und erklärt:
Wenn es Ihnen hilft, können Sie dort auch Ihren ersten Eindruck notieren, bevor Sie den Platz darunter für Ihre Notizen zur jeweiligen Frageperspektive nutzen. Letztendlich geht es darum, dass Sie zu jeder Arbeit mindestens eine Ihnen wichtige Frage, These oder Beobachtung formulieren, die Sie in der Unterhaltung mit dem Künstler gerne zur Sprache bringen möchten.
Während Ihrer Beschäftigung mit den Impulsbögen stehe ich Ihnen weiterhin für mögliche Erläuterungen zur Verfügung.
5. Nach jeder Auseinandersetzung mit einer Arbeit tauschen wir uns über die wichtigsten Inhalte Ihrer Aufzeichnungen in der Gruppe aus. Alle Ergebnisse werden notiert, damit ich mich bei der Gesprächsmoderation möglichst gut an ihrer Interessenlage orientieren kann.
Bei all dem kommt es nicht darauf an, eine vermeintliche richtige Interpretationsweise herauszufinden oder einen allgemeinen Konsens zu erzielen. Insofern kann es auch keine dummen Fragen geben. In jedem Fall empfiehlt es sich, zwischen der Beschreibung einer Arbeit, also dem was tatsächlich zu sehen ist, und dem, was in der Arbeit verborgen ist, also der Interpretation, gut zu unterscheiden.
Nach etwa vierzig Minuten treffen sich Teilnehmer und Vermittler mit dem Künstler zum Gespräch am Tisch.
4.3 Gespräch - ca. 30 Min.
Nachdem sich alle gesetzt haben, werden den Gästen die mit dem Künstler abgesprochenen Getränke und Snacks angeboten. Der persönlich anwesende Künstler wird vom Vermittler mit einigen Grundinformationen vorgestellt. Dann wird dem Künstler die Gelegenheit gegeben, sich selbst und seinen künstlerischen Hintergrund darzustellen, bevor die Diskussion von dem Vermittler eröffnet wird. Dazu greift der Vermittler auf seine Aufzeichnungen zurück und strukturiert das Gespräch anhand des vorab erstellten Gesprächsleitfadens.
Sollte der Dialog zwischen Künstler und Gästen ins Stocken geraten, versucht der Vermittler durch seine eigenen Thesen und Fragen das Gespräch anzuregen und/oder einzelne Gäste durch Nachfragen in den Austausch mit dem Künstler einzubeziehen.
Als Zuspitzung des Gesprächs oder als Variante, falls das Gesprächsangebot überhaupt nicht wahrgenommen wird, kann auch das Vermittlungskonzept selbst zur Debatte gestellt werden:
- Ist der Verzicht des Vermittlers auf interpretatorische Vorgaben zu Gunsten eines kommunikativen Vermittlungsprozesses akzeptabel?
- Ist die Befragung des Künstlers zum besseren Verständnis seiner Arbeit tatsächlich praktikabel?
- Warum möchten Betrachter möglicherweise über Hintergründe und Enstehungsprozesse von Werken nichts Näheres wissen?
- Aus welchen Gründen ist die Vermittlerrolle mit dem künstlerischen Selbstverständnis möglicherweise unvereinbar?
4.4 Abschluss - ca. 5 Min.
Am Ende des Gesprächs versucht der Vermittler die neu gewonnen Sichtweisen auf die jeweilige Arbeit in einem zusammenfassenden Statement Revue passieren zu lassen und gibt dem Publikum abschließend die Gelegenheit zu eigenen Ergänzungen.
Falls das Vermittlungskonzept und seine Umsetzbarkeit in der Unterhaltung noch nicht thematisiert wurde, bittet der Vermittler die Teilnehmer um ein Feedback zur Führung. Hierbei kann auch auf Fragen aus Punkt 4.3 zurückgegriffen werden. Abschließend bedankt sich der Vermittler bei den Teilnehmern und dem Künstler gleichermaßen und löst die Runde mit dem Hinweis auf weitere Vermittlungs- und Veranstaltungsangebote bei subvision auf.
5. Anhang
5.1 Impulsbogen (Grundriss)
In seiner offenen Form ermöglicht der Impulsbogen eine Formulierung individueller Fragen an den Künstler. Die konkrete inhaltliche und formale Ausgestaltung des Bogens kann erst nach der Beschäftigung mit dem entsprechenden Künstler, der Werkauswahl sowie der Entscheidung, auf welchen Betrachtungsaspekt man sich jeweils fokussieren will, erfolgen.
Vorab kann folgende Sammlung verschiedener Frageperspektiven einen Eindruck vermitteln, welche Inhalte für den jeweiligen Bogen relevant sein könnten.
Als was kann ich die Arbeit klassifizieren?
Kunstgattung
Konzept/Idee
Wandschmuck
Beschäftigungstherapie
....
Welche Wirkung(en) hat es auf mich, was geschieht mit mir?
Assoziationen, Fantasien
Stimmung
Provokationen
Eigene Reaktionen: Belustigung, Staunen, Ablehnung, Verunsicherung, Faszination, Ärger...
Wiedererkennung
Sinnlichkeit: Sehsinn, Hörsinn, Tastsinn
....
Welche Beschaffenheit(en) der Arbeit nehme ich wahr?
Werkstoffe
Medien
Technik
Farbigkeit
Komposition
Authentizität/Künstlichkeit
...
Welche Bezüge kann ich zu der Arbeit herstellen?
historische
gesellschaftliche
philosophische
moralische
private
psychologische
....
Was halte ich für die Intention und den Anlass des Künstlers?
Weltverbesserung
Berühmt werden
Dekoration
Selbstverwirklichung
Konkreter Anlass für die vorliegende Arbeit
Persönliche Emotionen/Obsessionen/Wünsche
...
Welche Einflüsse könnten die Arbeit geprägt haben?
Vorbilder
Familie
Zeitgeschehnisse
Kultur
...
Mögliche Abschlussfragen:
Wie kann ich die Arbeit deuten?
Wie bewertet der Künstler seine Arbeit heute?
Kann ich mich damit identifizieren?
Womit würde ich als Künstler meine Entscheidung, die Arbeit auszustellen begründen?
Worin sehe ich selbst die besondere Bereicherung für einen Betrachter?
...
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| URN: urn:nbn:de:0015-2009110546
Das ist die Originalversion der Ressource: Verfügbar gemacht von ask23 am 2009-10-29, Hashwert 3e0249e6ffb50aae143af6f1e9a7af800c9ec851