Adolf Hölzel
Die künstlerischen Mittel sind an


Die künstlerischen Mittel sind an und für sich vorhanden. Sie gehen ebenso vom Menschen selbst aus, wie wir sie ausserdem überall in der Natur entdecken, aus ihr herauszureissen vermögen. In ihrer Gesamtheit und einzeln ergeben sie äusserlich verschiedene Resultate. Das einzelne Mittel[,] als ursprüngliches Element ausgenützt[,] wird immer eine besondere Kraft besitzen. Darum wirken die mit wenigen Mitteln erzeugten Kunstwerke am eindringlichsten und am klarsten. Die richtige Verwendung zweckentsprechender Mittel, ist von höchster Bedeutung für ein wirklich künstlerisches Resultat. Die Kenntniss und das Studium der Mittel ist und bleibt die wichtigste Grundlage des künstlerischen Studiums, da nur mit ihnen jede Art künstlerischer Wiedergabe möglich ist. Mit ihnen allein können und müssen wir das Gewünschte, den Gegenstand, wie die Gesammtharmonie, ausdrücken. Ohne ihnen können wir Nichts zum Ausdruck bringen. Die stärkste Kraft steckt auch für den Maler im Schultergelenk. Aus der Schulter heraus malen und zeichnen, mit aller Kraft; aber dabei muss trotzdem im Körper das Gefühl der Weichheit vorhanden sein. Natürlich muss man[,] um diese Weichheit zu erzielen[,] auch die anderen Gelenke, Sehnen und Muskeln ausbilden, von den Fingerspitzen angefangen. Damit kann sich eine Körperschulung für den Maler ergeben, die für ihn und seinen Beruf ebenso wichtig sein muss, wie das Skalen und Etüden Spielen für den ausübenden Musiker. Libertitad hat eine Metode [sic] erfunden und hält viel davon. Der Einzelne wird im Sinne des Zuerstgesagten sich seine eigene Schulung suchen und die entsprechenden Übungen erfinden. Holbein sagt: Zeichnen muss man täglich üben. Ob dieses gleichzeitig in dem hier angedeuteten Sinne ist, weiss ich nicht. Jedenfalls haben die Alten schon durch die vielen Stift[-] und Federzeichnungen im handlichen Sinne eine ganz andere Übung besessen als wir mit dem weichlichen Kohlenzeichnen, auf das sofort das Malen folgt. Kommen wir darum erst recht spät darauf, dass unsere Sehnen und Muskeln nicht genügend ausgebildet sind für unseren Beruf und die nötige Ausdrucksfähigkeit; so müssen wir uns hiefür ein Surrogat schaffen. Dieses geschieht durch tägliche handliche Übungen. Mindestens aber 1000 energische Striche täglich. Man versuche auf einem Dürerschen grösseren Blatte die Menge der Striche zu berechnen und man wird finden, dass auf allen Blättern der kl. Passion zusammengenommen etwa 600000 - 1000000 Striche gezählt werden können. Täglich 100 Striche macht im Jahr 36.000. Damit würden wir für die 1.000000 30 Jahre brauchen. Lediglich technisch, ganz abgesehen von allem anderen Genie, das übrigens auch in rationeller Weise gefördert werden kann.
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